TE Vwgh Erkenntnis 2020/3/5 Ra 2018/19/0686

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Veröffentlicht am 05.03.2020
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Index

E3L E19103000
E3L E19103010
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
32011L0095 Status-RL Art8 Abs1
32011L0095 Status-RL Art8 Abs2
32013L0032 IntSchutz-RL Art10 Abs3 litb

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des J N, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2018, W265 2181127-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 6. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er sei vor den Taliban geflüchtet. In Afghanistan sei er als Lehrer tätig gewesen, weswegen er von den Taliban und dem Islamischen Staat mit dem Tod bedroht worden sei. Diese hätten ihn auch mit dem Tod bedroht, weil er Hazara und Schiit sei. Auch hätten ihm die Taliban vorgeworfen, Informationen über sie weitergegeben zu haben. 2 Mit Bescheid vom 27. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Das BVwG stellte - soweit hier maßgeblich - fest, der Revisionswerber sei ab dem Jahr 2002 bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2016 in seiner Heimatprovinz als Lehrer tätig gewesen. Es könne nicht festgestellt werden, dass dem Revisionswerber auf Grund seiner beruflichen Tätigkeit in Zusammenhang mit dem Verdacht der Spionage Gefahr durch die Taliban oder wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Glaubensgemeinschaft Gewalt drohe. 5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

6 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit u.a. vor, das BVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen. Das BVwG habe zwar festgestellt, dass der Revisionswerber im Herkunftsstaat als Lehrer tätig gewesen sei, sich aber nicht damit auseinandergesetzt, dass er damit nach den UNHCR-Richtlinien (zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender) vom 30. August 2018 ein Risikoprofil erfülle. Darauf habe der Revisionswerber in einer Stellungnahme im Beschwerdeverfahren explizit Bezug genommen.

7 Die Revision ist aus den genannten Gründen zulässig. Sie ist auch begründet.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221, mwN).

9 Das Verwaltungsgericht hat neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 16.1.2019, Ra 2018/18/0239, mwN). 10 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht. Bereits in der Erstbefragung brachte der Revisionswerber vor, auf Grund seiner Tätigkeit als Lehrer von den Taliban und dem Islamischen Staat mit dem Tod bedroht worden zu sein. In einer Stellungnahme vom 25. September 2018 an das BVwG führte der Revisionswerber unter Hinweis auf die genannten UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 aus, dass Lehrer einer besonderen Gefährdung durch die Taliban ausgesetzt seien.

11 Die Revision macht zutreffend geltend, dass das BVwG, welches die Tätigkeit des Revisionswerbers als Lehrer in seinem Herkunftsstaat festgestellt hat, sich mit diesem potentiell asylrelevanten Vorbringen nicht näher auseinandergesetzt hat. Insbesondere ist das BVwG auch nicht auf die - im Beschwerdeverfahren ausdrücklich vorgebrachten - UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, denen nach der hg. Rechtsprechung eine Indizwirkung zukommt (vgl. dazu VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533), eingegangen. Diese Richtlinien führen in Zusammenhang mit dem einschlägigen Risikoprofil der Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, gezielte Angriffe auf Lehrer an (vgl. aaO S 44 f, 47).

12 Im fortgesetzten Verfahren wird das BVwG entsprechende Feststellungen zur Gefährdung von Lehrern in Afghanistan zu treffen und auf dieser Grundlage zu beurteilen haben, ob dem Revisionswerber im Hinblick auf die festgestellte Berufstätigkeit als Lehrer bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK drohen würde (vgl. VwGH 19.6.2019, Ra 2018/18/0548 bis 0550). 13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 5. März 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018190686.L00

Im RIS seit

05.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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