TE OGH 2020/2/18 10ObS180/19x

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Veröffentlicht am 18.02.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch MMag. Maria Größ, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1080 Wien, Josefstädterstraße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. September 2019, GZ 9 Rs 59/19s-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 28. Jänner 2019, GZ 1 Cgs 125/18f-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil unter Einschluss der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile insgesamt zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei Kinderbetreuungsgeld in der Variante Kinderbetreuungsgeldkonto (365 Tage) für den Zeitraum vom 23. August 2017 bis 22. Oktober 2017 samt Verzugszinsen in der Höhe von 13 % p.a. im Ausmaß von 268,67 EUR zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Bezeichnung der Beklagten war gemäß § 9 Abs 1 B-KUVG idF des SV-OG BGBl I 2018/100 auf Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau zu berichtigen.

Die Klägerin ist seit 1. 12. 2008 im Höheren Auswärtigen Dienst des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA) der Republik Österreich tätig, dies seit 1. 11. 2012 im Rahmen eines unbefristeten Dienstverhältnisses. Sie war bis zu ihrer Versetzung nach Brasilien in Österreich wohnhaft.

Mit Dekret vom 5. 5. 2014 wurde die Klägerin nach Brasilien versetzt. Ihr Dienstort und Arbeitsplatz war die Botschaft der Republik Österreich in Brasilien. Diese Versetzung machte die Übersiedlung der Klägerin nach Brasilien erforderlich.

Die Klägerin bezog vom 22. 4. 2017 bis 12. 8. 2017 Wochengeld. Sie gebar am 17. 6. 2017 ihren Sohn. Vom 13. 8. 2017 bis 12. 10. 2017 befand sie sich in Karenz. Während der Zeit des Mutterschutzes und der Karenz wurde die Klägerin nicht nach Österreich zurückbeordert, sondern blieb in Brasilien, wo sie – nach ihrem eigenen Vorbringen – im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten und ihrem Kind lebte. Am 13. 10. 2017 trat sie ihren Dienst in der Botschaft der Republik Österreich in Brasilien wieder an.

Derzeit hat die Klägerin ihren Arbeitsplatz wieder im BMEIA in Wien.

Am 18. 8. 2017 beantragte die Klägerin die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld in der Variante Kinderbetreuungsgeldkonto (365 Tage) für den Zeitraum von 23. 8. 2017 bis 22. 10. 2017.

Mit Bescheid vom 5. 11. 2018 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, weil die Klägerin im Antragszeitraum den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nicht in Österreich gehabt habe.

Mit ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt die Klägerin die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld in der Variante Kinderbetreuungsgeldkonto (365 Tage) für den Zeitraum 23. 8. 2017 bis 22. 10. 2017 samt den aus dem Spruch ersichtlichen Verzugszinsen. Die Klägerin habe den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen durchgängig in Österreich. Sie sei in Österreich steuerpflichtig und sozialversichert, sie habe bis zu ihrer Versetzung nach Brasilien und nach ihrer Rückkehr in Österreich gelebt. Das BMEIA erwarte im Interesse der Republik Österreich, dass die gesamte Familie im Regelfall an den Dienstort wechsle, entsprechend habe die Familie der Klägerin in Brasilien gelebt. Der diplomatische Status der Klägerin erstrecke sich auf ihre Familie, mit der sie im gemeinsamen Haushalt lebe. Weder unterliege das Dienstverhältnis der Klägerin brasilianischem Arbeitsrecht noch erhalte sie Sozialleistungen nach brasilianischem Recht. Für die Klägerin gelte § 26 BAO, wonach sie als ins Ausland entsendete öffentlich Bedienstete abgaben- und sozialversicherungsrechtlich wie eine Bedienstete mit Inlandswohnsitz zu behandeln sei. Der Klägerin dürften keine Nachteile aufgrund ihres Auslandseinsatzes im Dienst der Republik Österreich entstehen. Verweigere Österreich als Entsendestaat eine Sozialleistung, diskriminiere das die Klägerin als Diplomatin. Eine Zurückbeorderung der Klägerin während der Karenz sei weder vorgesehen noch habe eine solche stattgefunden.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 4 KBGG mangels Mittelpunkts der Lebensinteressen im Bundesgebiet während des Anspruchszeitraums nicht erfüllt gewesen sei, weil die Klägerin mit ihrer Familie in Brasilien gelebt habe. Während der Zeit des Mutterschutzes oder der Karenz würden ins Ausland entsendete Beamtinnen der Republik Österreich zurückbeordert, die Klägerin sei jedoch in Brasilien geblieben.

Das Erstgericht sprach der Klägerin Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von 1.727,88 EUR für den Zeitraum 23. 8. 2017 bis 12. 10. 2017 zu. Das Mehrbegehren auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 338,80 EUR für den Zeitraum 13. 10. 2017 bis 22. 10. 2017 sowie das Zinsenbegehren wies das Erstgericht ab. Im Umfang der Abweisung des Klagebegehrens erwuchs das Urteil des Erstgerichts unangefochten in Rechtskraft.

Ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland sei anzunehmen, wenn sich eine Person ständig in Österreich aufhalte und sich bei einer Gesamtbetrachtung ergebe, dass diese Person zu Österreich die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen habe. Dies sei bei der Klägerin während des Antragszeitraums nicht der Fall gewesen. Gemäß § 26 Abs 3 BAO werde der gewöhnliche Aufenthalt der Klägerin als Auslandsbeamtin im Inland jedoch fingiert. Der Klägerin sei daher Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 33,88 EUR pro Tag ihrer Karenz – bis zur Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit – zuzuerkennen. Das Mehrbegehren sei abzuweisen, Verzugszinsen könne die Klägerin im Verfahren in Sozialrechtssachen nicht geltend machen.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen den klagestattgebenden Teil dieser Entscheidung erhobenen Berufung nicht Folge. Einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob § 26 Abs 3 BAO einen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld vermittle, bedürfe es nicht. Der Mittelpunkt der Interessen der Klägerin als im Höheren Auswärtigen Dienst des BMEIA beschäftigte österreichische Staatsbürgerin liege auch während ihrer Versetzung an die österreichische Botschaft in Brasilien in Österreich. Die Klägerin habe die engeren wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen zu Österreich gehabt. Zur Beurteilung der Frage des Mittelpunkts der Lebensinteressen komme es nicht darauf an, ob der Aufenthalt im Bundesgebiet ein ständiger sei. Die Klägerin sei vor ihrer Versetzung nach Brasilien in Österreich wohnhaft gewesen. Es sei allgemein bekannt, dass derartige Versetzungen von vornherein zeitlich befristet seien, die Klägerin sei ja auch wieder an ihren Arbeitsplatz nach Österreich zurückgekehrt. Die Klägerin sei während ihrer Karenz nicht von ihrem Dienstgeber nach Österreich zurückbeordert worden. Dass die Klägerin während des hier zu beurteilenden Zeitraums keinen Anspruch auf Familienbeihilfe gehabt hätte, habe die Beklagte gar nicht behauptet. Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zu den hier zu beurteilenden Rechtsfragen nicht vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Klägerin beantwortete Revision der beklagten Versicherungsanstalt, mit der sie die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens begehrt.

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. § 2 KBGG regelt die Anspruchsvoraussetzungen für das Kinderbetreuungsgeld. Neben weiteren Voraussetzungen hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind, sofern für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz BGBl I 1967/376 (FLAG) besteht und der Elternteil und das Kind den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben (§ 2 Abs 1 Z 1 und Z 4 KBGG).

2. Wie die Gesetzesmaterialien zu § 2 Abs 1 Z 4 KBGG ausführen, ergeben sich im Normalfall die Voraussetzungen des Mittelpunkts der Lebensinteressen und des rechtmäßigen Aufenthalts von Elternteil und Kind aus den Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe (siehe § 2 Abs 8 FLAG, der für Personen mit mehreren Wohnsitzen ebenfalls auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet abstellt). Für jene Fälle, in denen ein Elternteil das Kinderbetreuungsgeld beanspruchen möchte, aber nicht Bezieher der Familienbeihilfe in eigener Person sei, sowie aus Gründen der Rechtssicherheit würden diese Voraussetzungen auch im KBGG festgelegt (ErläutRV 952 BlgNR 22. GP 155 zum Fremdenrechtspaket 2005, BGBl I 2005/100).

3. Nach der Rechtsprechung ist ein Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 KBGG dann anzunehmen, wenn sich eine Person ständig in Österreich aufhält und die Gesamtabwägung aller Umstände erbringt, dass diese Person zu Österreich die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (RS0130844). Bei verheirateten Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, besteht die stärkste persönliche Beziehung in der Regel zu dem Ort, an dem sie mit ihrer Familie leben (10 ObS 65/06s SSV-NF 20/47; VwGH 2009/16/0125; 2008/15/0325 zu § 2 Abs 8 FLAG, dem die Bestimmung des § 2 Abs 1 Z 4 KBGG nachgebildet ist, Burger-Ehrnhofer, KBGG³ § 2 KBGG Rz 45, ErläutRV 952 BlgNR 22. GP 155).

4.1 Im Anspruchszeitraum fehlte es unstrittig an einem Aufenthalt der Klägerin im Bundesgebiet. Es steht im Gegenteil fest, dass die Klägerin mit ihrer Familie im Anspruchszeitraum in Brasilien lebte und auch nicht nach Österreich zurückbeordert wurde. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 KBGG, der Ort des Aufenthalts ihrer Familie, lag nach der dargestellten Rechtsprechung daher in Brasilien.

4.2 Richtig ist, dass die Klägerin während ihrer – unstrittig befristeten – Versetzung an die österreichische Botschaft in Brasilien in Österreich steuer- und sozialversicherungspflichtig blieb. Dies ergibt sich allerdings aus den für die Klägerin anzuwendenden völkerrechtlichen Bestimmungen, nach denen Auslandsbeamtinnen und -beamte im Empfangsstaat nicht nach dem Universalprinzip besteuert werden und auch von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit befreit sind (Art 34 Abs 1 und Art 33 Abs 1 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen, BGBl 1966/60). Genau darin liegt das Motiv für die Schaffung des § 26 Abs 3 BAO, wonach in einem Dienstverhältnis zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts stehende österreichische Staatsbürger, die ihren Dienstort im Ausland haben (Auslandsbeamte), wie Personen behandelt werden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt am Ort der die Dienstbezüge anweisenden Stelle haben. Der Zweck dieser Bestimmung besteht darin, bei Auslandsbeamten, die keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu fingieren um eine unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich zu begründen (VwGH Ro 2018/13/0008 mwH; VwGH 2002/13/0004). Nur im Wege dieser – völkerrechtlich vorgegebenen – Fiktion blieb eine wirtschaftliche Beziehung der Klägerin zum Bundesgebiet auch während des Anspruchszeitraums aufrecht erhalten. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die ausschlaggebende stärkere persönliche Beziehung der Klägerin während des Anspruchszeitraums nach den dargestellten Kriterien zu Brasilien bestand.

5.1 Das Berufungsgericht argumentiert unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu  10 ObS 8/16y und des VwGH zu 2009/16/0125, dass es zur Beurteilung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nicht darauf ankomme, ob der Aufenthalt im Bundesgebiet ein ständiger sei. Diese Rechtsprechung meint aber, dass ein Mittelpunkt der Lebensinteressen im Sinn des § 2 Abs 8 FLAG (und daher auch im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 KBGG) auch dann in Österreich liegen kann, wenn der Aufenthalt im Bundesgebiet – etwa zu Studienzwecken (VwGH Ra 2017/16/0031) – zeitlich begrenzt ist. Daraus ist für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen, weil es an einem Aufenthalt der Klägerin im Bundesgebiet fehlt.

5.2 Das Berufungsgericht beruft sich weiters auf die in Steuerrechtssachen ergangene Judikatur des VwGH, wonach der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet auch im Fall einer befristeten Auslandstätigkeit weiter bestehen kann (VwGH Ra 2016/15/008; 2011/15/0193). In diesen Entscheidungen war aber jeweils die unbeschränkte Steuerpflicht von Personen zu prüfen, die gemäß § 1 Abs 2 EStG vom Vorhandensein eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland abhängt. In beiden Entscheidungen waren diese Kriterien zur Beurteilung der „Ansässigkeit“ im Anwendungsbereich von Doppelbesteuerungsabkommen zu beurteilen (Ritz, BAO6 § 26 Rz 18). Nach dieser Rechtsprechung ist die Steuerpflicht in Österreich auch im Fall einer zeitlich begrenzten Auslandstätigkeit zu bejahen, wenn zwar die Familie an den Arbeitsort im Ausland mitzieht, aber die Wohnung im Inland beibehalten wird (VwGH Ra 2016/15/0008 Rz 16 mwH).

5.3 Im vorliegenden Fall sind aber nicht die für die Frage der unbeschränkten Steuerpflicht gemäß § 2 Abs 1 EStG maßgeblichen Begriffe des Wohnsitzes (§ 26 Abs 1 BAO) oder des gewöhnlichen Aufenthalts (§ 26 Abs 2 BAO) und die sich daraus ergebende Beurteilung der „Ansässigkeit“ zu beurteilen, sondern der Begriff des „Mittelpunkts der Lebensinteressen“, der sowohl gemäß § 2 Abs 8 FLAG als auch gemäß § 2 Abs 1 Z 4 KBGG einen abweichenden Inhalt zu den Begriffen des „Wohnsitzes“ oder „gewöhnlichen Aufenthalts“ im Sinn des § 26 Abs 1 und 2 BAO hat (VwGH 2009/16/0221; Ritz, BAO6 § 26 Rz 19).

5.4 Gemäß § 2 Abs 1 FLAG haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. § 2 Abs 8 FLAG verfolgt das von § 2 Abs 1 FLAG vorgegebene Ziel, Familienbeihilfe nur Personen zukommen zu lassen, die im Inland – wenn schon nicht den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt – den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen haben, um den erforderlichen Nahebezug zu Österreich sicherzustellen. Deutlich wird dieser Gesetzeszweck auch durch die Novellierung des § 53 FLAG mit der Novelle BGBl I 2018/83. Nach der mit dieser (im vorliegenden Fall gemäß § 55 Abs 38 FLAG nicht anwendbaren) Novelle eingeführten Bestimmung des § 53 Abs 5 FLAG ist ein Export der Familienbeihilfe nur mehr für Personen mit Dienstort im Ausland sowie für deren Ehegatten und Kinder vorgesehen, die im Auftrag einer Gebietskörperschaft tätig werden. Die infolge der Anwendbarkeit des § 26 Abs 3 BAO bisher erfolgte Gewährung von Familienbeihilfe an Auslandsbeamte soll nach dem Willen des Gesetzgebers entfallen (ErläutRV 111 BlgNR 26. GP 4 f).

6.1 Richtig ist, dass die Klägerin während des Anspruchszeitraums – unstrittig – Familienbeihilfe bezogen hat. Dies beruht, wozu noch näher auszuführen sein wird, ebenfalls auf § 26 Abs 3 BAO und den bereits dargestellten völkerrechtlichen Privilegien der Klägerin als österreichische Auslandsbeamtin. Die in § 26 Abs 3 BAO normierte Fiktion eines Inlandsaufenthalts ist jedoch entgegen dem Rechtsstandpunkt der Klägerin nicht auf den Anwendungsbereich des KBGG zu übertragen:

6.2 Die BAO gilt in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (§ 1 BAO). § 26 Abs 2 BAO definiert den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinn der Abgabenvorschriften dahin, dass jemand dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. § 26 Abs 3 BAO trifft die bereits dargestellte Sonderregelung für Auslandsbeamten, die auch für deren Ehegatten, sofern die Eheleute in dauernder Haushaltsgemeinschaft leben, und für deren minderjährige Kinder, die zu ihrem Haushalt gehören, gilt.

6.3 Sinngemäß gilt die BAO auch in Angelegenheiten der von den Abgabenbehörden des Bundes zuzuerkennenden oder rückzufordernden bundesrechtlich geregelten Beihilfen aller Art (§ 2 lit a BAO). Als Beihilfen iSd § 2 lit a BAO sind die Familienbeihilfe (§ 2 FLAG), die Schulfahrtbeihilfe (§§ 30a ff FLAG), die Fahrtenbeihilfe für Lehrlinge (§§ 40m ff FLAG), die Kleinkindbeihilfe (§ 32 ff FLAG) und der Mutter-Kind-Pass-Bonus (§§ 38d ff FLAG) anzusehen (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 [Stand 1. 8. 2011 rdb.at] § 2 Anm 4). Für den Bereich der Familienbeihilfe hatte § 26 Abs 3 BAO wie bereits ausgeführt zur Folge, dass für Auslandsbeamte unabhängig von deren Dienstort (auch in Drittstaaten) ein Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe bestand, ohne dass sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt bzw den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet nachweisen mussten (§ 2 Abs 1 FLAG; § 2 Abs 8 FLAG; ErläutRV 111 BlgNR 26. GP 4).

7.1 Das Kinderbetreuungsgeld ist jedoch nicht zu den von den Abgabenbehörden des Bundes zuzuerkennenden oder rückzufordernden bundesrechtlich geregelten Beihilfen im Sinn des § 2 lit a BAO zu zählen:

7.2 Das Kinderbetreuungsgeld fällt in die Zuständigkeit des gesetzlichen Krankenversicherungsträgers (§ 25a KBGG). Es wird somit nicht von einer Abgabenbehörde des Bundes nach den Bestimmungen der BAO zuerkannt oder zurückgefordert (§ 2 lit a BAO).

7.3 Der Ansicht des Revisionswerbers, der Krankenversicherungsträger sei ebenfalls als Abgabenbehörde im Sinn des § 2 lit a BAO anzusehen, weil er „Sozialversicherungsabgaben“ einhebe und Versicherungsleistungen auszahle, ist entgegenzusetzen, dass der Begriff der „Abgabenbehörden“ in § 49 Abs 1 BAO dahin definiert wird, dass es sich dabei um die mit der Einhebung der im § 1 BAO bezeichneten öffentlichen Abgaben und Beiträge betrauten Behörden der Abgabenverwaltung des Bundes, der Länder und Gemeinden handelt. § 52 BAO verweist hinsichtlich der Abgabenbehörden des Bundes auf das Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz 2010, BGBl I 2010/9 (AVOG 2010), das als Abgabenbehörden des Bundes das Bundesministerium für Finanzen, die Finanzämter und die Zollämter nennt.

8.1 Dass § 26 Abs 3 BAO bei der Entscheidung über Ansprüche auf Kinderbetreuungsgeld nicht zu berücksichtigen ist, ergibt sich weiters aus § 25a KBGG, in dem für das Verfahren in Angelegenheiten des Kinderbetreuungsgelds (taxativ) auf die für Leistungssachen der Krankenversicherungsträger geltenden Bestimmungen des ASVG, GSVG, BSVG und des B-KUVG, nicht aber auf die BAO verwiesen wird.

8.2 Anhaltspunkte dafür, dass der in § 25a KBGG fehlende Verweis auf die BAO eine planwidrige Unvollständigkeit darstellt, die durch Analogie zu schließen wäre, fehlen:

Als Argument für das Vorliegen einer Gesetzeslücke führt die Klägerin in der Revisionsbeantwortung ins Treffen, es läge eine massive Ungleichbehandlung und Benachteiligung von Auslandsbeamten und ihren Angehörigen gegenüber Personen mit Wohnsitz im Inland vor, wenn sich die Wohnsitzfiktion nur auf die Abgabenpflicht, nicht aber auf das Kinderbetreuungsgeld beziehen sollte. Analogie ist aber trotz Sachargumenten für Gleichbehandlung jedenfalls dann unzulässig, wenn Gesetzeswortlaut und gesetzgeberische Absicht klar in die Gegenrichtung verweisen (P. Bydlinski in KBB5 § 7 ABGB Rz 2 mwN; 4 Ob 542/91). Im vorliegenden Fall deuten weder § 2 Abs 1 Z 4 KBGG und die dazu vorhandenen Gesetzesmaterialien (siehe oben Pkt 2.) noch die (taxative) Aufzählung in § 25a KBGG darauf hin, dass der Gesetzgeber des KBGG den Auslandsbeamten und deren Angehörigen den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld zuerkennen wollte. Die bloße subjektive Ansicht des Revisionswerbers, diese Regelungen seien unvollständig, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Lücke.

Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass das Klagebegehren insgesamt abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

Textnummer

E127744

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00180.19X.0218.000

Im RIS seit

14.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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