Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Johannes Schuster Mag. Florian Plöckinger Rechtsanwälte GesbR in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Kostenübernahme, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Juli 2019, GZ 9 Rs 67/19t-18, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Bezeichnung der ursprünglich beklagten Wiener Gebietskrankenkasse war gemäß § 23 Abs 1 und § 538t Abs 1 ASVG von Amts wegen auf Österreichische Gesundheitskasse zu berichtigen.
Gegenstand des Verfahrens ist in dritter Instanz nur noch die Abgrenzung, ob die Versorgung des Klägers mit einer ihm am 4. 5. 2017 verordneten näher bezeichneten Oberschenkelprothese (mit PIN-Liner-System, elektronischem Kenevo-Kniegelenk und Dynamikmotion-Fuß) nach § 154 ASVG („Hilfe bei körperlichen Gebrechen“) oder nach § 154a ASVG („Medizinische Maßnahmen der Rehabilitation in der Krankenversicherung“) zu beurteilen ist. Davon hängt ab, ob die Kostenübernahme durch die Beklagte auf satzungsmäßige Zuschüsse beschränkt ist oder nicht. Die Notwendigkeit der Versorgung mit der klagsgegenständlichen Prothese im Sinn des § 133 Abs 2 ASVG ist nicht mehr strittig.
Beim Kläger erfolgte im August 2015 eine Oberschenkelamputation rechts, seit der eine Versorgung mit einer Prothese erforderlich ist. Die Verwendung der klagsgegenständlichen Prothese führt im Vergleich zu der dem Kläger bisher zur Verfügung gestellten Prothese zu einer im Einzelnen festgestellten Verbesserung seiner Gehfähigkeit.
Die Vorinstanzen beurteilten den Anspruch des Klägers nach § 154 ASVG und verpflichteten die Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Anschaffung der am 4. 5. 2017 verordneten Prothese bis zur Höhe des Dreifachen der Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 108 Abs 3 ASVG zuzüglich der anteiligen Umsatzsteuer. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Kostenübernahme ohne Beschränkung auf den satzungsmäßigen Umfang wiesen sie ab.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er die Abänderung im gänzlich klagestattgebenden Sinn anstrebt; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1.1. Gemäß § 154a Abs 1 ASVG gewähren die Krankenversicherungsträger, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder die Folgen der Krankheit zu erleichtern, im Anschluss an die Krankenbehandlung nach pflichtgemäßem Ermessen und nach Maßgabe des § 133 Abs 2 ASVG medizinische Maßnahmen der Rehabilitation mit dem Ziel, den Gesundheitszustand der Versicherten und ihrer Angehörigen soweit wiederherzustellen, dass sie in der Lage sind, in der Gemeinschaft einen ihnen angemessenen Platz möglichst dauernd und ohne Betreuung und Hilfe einzunehmen. Diese Maßnahmen umfassen gemäß § 154a Abs 2 Z 2 ASVG die Gewährung von Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und anderen Hilfsmitteln.
1.2. Die medizinische Rehabilitation ist im Anschluss an eine Krankenbehandlung zur Sicherung ihres Erfolgs oder zur Folgenerleichterung zu gewähren. Es muss also die Krankenbehandlung abgeschlossen sein, ehe die medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation beginnen. Andererseits muss aber zwischen der Krankenbehandlung und der Rehabilitation ein entsprechender zeitlicher Konnex bestehen. Die medizinische Rehabilitation schließt optimalerweise an die akutmedizinische Versorgung an und steht mit dieser im ursächlichen zeitlichen Zusammenhang. Die Gewährung von ärztlicher Hilfe, Heilmitteln und Heilbehelfen als Rehabilitationsmaßnahme kommt daher nur im unmittelbaren Anschluss an eine Krankenbehandlung in Betracht (10 ObS 168/12x SSV-NF 27/11 = DRdA 2013/52, 517 [Weißensteiner]; 10 ObS 68/17y DRdA-infas 2018, 115 [Pletzenauer] = DRdA 2018/35, 347 [Ivansits]; RS0128669).
1.3. Ausgehend von diesen Erwägungen wurde vom Senat bereits klargestellt, dass eine prothetische Versorgung nur dann als Maßnahme der Rehabilitation in der Krankenversicherung gemäß § 154a ASVG angesehen werden kann, wenn der enge zeitliche Zusammenhang zur Krankenbehandlung gewahrt ist. Fehlt dieser Zusammenhang, so ist das Begehren auf Kostenübernahme der prothetischen Versorgung nach § 154 ASVG zu beurteilen (10 ObS 168/12x; 10 ObS 68/17y).
1.4. Der in der Literatur geäußerten Kritik Weißensteiners (Anm zu 10 ObS 168/12x, DRdA 2013/52, 517 [520 f]), wonach die Wortfolge des § 154a Abs 1 ASVG „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ nicht als „unmittelbarer“ Anschluss an die Krankenbehandlung interpretiert werden dürfe, ist der Senat ausdrücklich nicht gefolgt (10 ObS 68/17y).
2. Das Ausmaß der von der Krankenkasse für Hilfsmittel gemäß § 154 Abs 1 ASVG zu übernehmenden Kosten darf die satzungsmäßige Höchstgrenze nicht übersteigen, es sei denn, diese Hilfsmittel werden als Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation (gemäß § 154a ASVG) gewährt. Für notwendige Hilfsmittel nach § 154 ASVG sind daher nur satzungsmäßige Zuschüsse zu den Anschaffungskosten zu gewähren (10 ObS 168/12x).
3.1. Das Berufungsgericht hat die dargestellten Grundsätze zutreffend wiedergegeben und ausgehend davon den erforderlichen zeitlichen Konnex zwischen der vom Kläger angestrebten Kostenübernahme für die klagsgegenständliche Prothese und der Krankenbehandlung vertretbar verneint.
3.2. Angesichts des Umstands, dass der Kläger seit der Amputation eine Versorgung mit einer Prothese benötigt und ihm eine (herkömmliche mechanische) Prothese bereits zur Verfügung stand, bedarf die Verneinung eines ausreichenden Konnexes keiner Korrektur im vorliegenden Einzelfall.
3.3. Das Revisionsvorbringen, dass der Gesundheitszustand des Klägers noch in Änderung begriffen und eine Endbeurteilung über die geeignete Prothesenversorgung zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich gewesen sei, lässt außer Acht, dass der Zustand des Klägers nach Oberschenkelamputation nach den Feststellungen abgeschlossen entwickelt ist; einer Besserung oder einer Verhütung von Verschlimmerungen ist er nicht mehr zugänglich.
3.4. Im Kern steht der Revisionswerber auf dem Standpunkt, im Anschluss an die Amputation mit einer unpassenden Prothese versorgt worden zu sein. Dem haben die Vorinstanzen dadurch Rechnung getragen, dass die Notwendigkeit der am 4. 5. 2017 verordneten Prothese im Sinn des § 133 Abs 2 ASVG bejaht wurde. Mit diesem Vorbringen wird aber keine erhebliche Rechtsfrage im Zusammenhang mit der Beurteilung des zeitlichen Konnexes zwischen der Krankenbehandlung – nämlich jener Krankenbehandlung, die die prothetische Versorgung notwendig machte, das ist die Amputation und nicht die später durchgeführte Arthrolyse – und der Rehabilitation angesprochen.
Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
Textnummer
E127743European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00127.19B.0218.000Im RIS seit
14.04.2020Zuletzt aktualisiert am
20.01.2022