TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/20 W204 2178637-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.11.2019
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Entscheidungsdatum

20.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W204 2178637-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX S XXXX , geb. am XXXX 1994, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2017, Zl. 1094386903 - 151752593 /BMI-BFA_WIEN_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 11.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am selben Tag wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach seinen Fluchtgründen, führte der BF aus, er sei Soldat in der afghanischen Armee gewesen. Die Taliban hätten seinen Vater ermordet, nachdem er der Aufforderung der Taliban, den BF davon abzuhalten, Soldat zu werden, nicht nachgekommen sei.

I.3. Am 04.09.2017 wurde der BF von einem Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu und einer Vertrauensperson unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, er habe in einem Dorf gelebt, das von den Taliban beherrscht werde. Er sei aufgefordert worden, den Taliban beizutreten, habe das aber nicht gewollt, weil er studieren wollte. Er sei daher nach Kabul zu einem Onkel gegangen, um dort zu studieren. Ein Sohn seines Onkels, der beim Militär arbeite, habe ihn für das Militär angeworben. Während der Feiertage habe er seinen Onkel in Kabul besucht, der ihm gesagt habe, dass er nicht in sein Heimatdorf zurückkehren könne, weil sein Vater aufgrund der Tätigkeit des BF von den Taliban umgebracht worden sei und auch der BF umgebracht werden solle. Die Taliban hätten Drohbriefe geschickt und Familiengrundstücke als Pfand genommen.

I.4. Am 02.10.2017 langten beim BFA die von ihm in Auftrag gegebenen Übersetzungen der Drohbriefe ein, die der BF anlässlich der Einvernahme vorgelegt hatte.

I.5. Mit Bescheid vom 25.10.2017, dem BF am 03.11.2017 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die Behörde zusammengefasst aus, dass es dem BF nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass er aufgrund seiner Tätigkeit in der afghanischen Armee von den Taliban verfolgt werde, weswegen ihm der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Aus dem Vorbringen des BF und der allgemeinen Situation lasse sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage erkennen. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen würde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.6. Mit Verfahrensanordnung vom 31.10.2017 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.7. Am 30.11.2017 erhob der BF durch die im Spruch genannte Vertreterin Beschwerde in vollem Umfang wegen Rechtswidrigkeit aufgrund mangelhafter Ermittlungstätigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und festzustellen, dass ihm der Status des Asylberechtigten zukomme, in eventu dem BF - allenfalls nach Verfahrensergänzung - den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären, in eventu ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen sowie festzustellen, dass die Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei, in eventu den Bescheid ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Begründend wurde im Wesentlichen vorgebracht, das Vorbringen des BF sei entgegen der Ansicht des BFA glaubhaft. Auch aus den UNHCR-Richtlinien und in der Beschwerde auszugsweise zitierten Berichten ergebe sich, dass Angehörige der Armee internationalen Schutzes bedürften. Unabhängig von der Glaubhaftigkeit der Angaben des BF sei diesem jedoch aufgrund der Sicherheits- und Versorgungslage jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren.

I.8. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.12.2017 vorgelegt.

I.9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.06.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und seine Vertreterin teilnahmen. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu u. a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.

I.10. In einer am 01.07.2019 eingelangten Stellungnahme wies die Vertreterin neuerlich darauf hin, dass Angehörige der Armee nach den UNCHR-Richtlinien zu einer besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppe zählten. Es bestehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-

Einsicht in den den BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-

Befragung des BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.06.2019;

-

Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die vom BF vorgelegten Unterlagen;

-

Einsicht in das ZMR, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zum BF und seinen Fluchtgründen:

Die Identität des BF steht mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsnachweise nicht fest. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen, dem Stamm der Safi, an und ist sunnitischer Moslem.

Der BF stammt aus dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Kapisa, wo er mit seiner Familie bestehend aus seinem Vater, seiner Mutter, drei Brüdern und einer Schwester aufgewachsen ist. Der BF hat die Schule elf Jahre lang besucht und die Prüfungen der zwölften Schulstufe absolviert, jedoch nicht abgeschlossen. Neben der Schule hat er seine Familie in der familieneigenen Landwirtschaft unterstützt. Er beherrscht seine Muttersprache Paschtu und Dari in Wort und Schrift. Außerdem beherrscht er Englisch, Deutsch und Arabisch.

Ende 2013/Anfang 2014 hat der BF seinen Heimatort verlassen und ist nach Kabul gezogen, wo er bei einem Onkel und dessen Familie für einige Wochen wohnte. Danach war der BF ab Jänner 2014 etwa zwanzig Monate bei der afghanischen Armee tätig und in XXXX stationiert.

Seine Mutter und zwei seiner Brüder leben bei seinem Großvater mütterlicherseits in der Heimatprovinz des BF in einem Nachbarort des Heimatortes. Der Großvater des BF ist Bauer und verfügt über eigene Grundstücke. Ein Bruder lebt beim Onkel, bei dem bereits der BF gewohnt hat, in Kabul. Der BF verfügt über zahlreiche weitere Verwandte väterlicherseits, die teils im Ausland, ua in Pakistan und Malaysia, leben. Der BF hat Kontakt zu seiner Familie.

Der Vater des BF wurde nicht aufgrund der Tätigkeit des BF in der Armee ermordet. Ebenso wurde der BF nicht von den Taliban aufgrund seiner Tätigkeit bedroht. Auch sonst setzten die Taliban keine konkret gegen den BF gerichteten Verfolgungshandlungen. Der Bruder des BF hat keinen Taliban ermordet und ist nicht deswegen in den Iran gereist. Der BF wird von der Regierung weder aufgrund seines Bruders noch wegen seiner Herkunft oder wegen Delinquenz und Waffendiebstahls verfolgt. Dem BF droht bei einer Rückkehr keine Verfolgung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann bei seinen Familienmitgliedern unterkommen beziehungsweise können diese ihn finanziell unterstützen.

Der BF hat im Bundesgebiet Deutschkurse bis zum Niveau B1 besucht. Der BF beherrscht Deutsch über Niveau B1. Im Schuljahr 2017/18 hat er einen HTL-Vorbereitungslehrgang besucht. Er hat von 12.02.2018 bis 29.06.2018 ein Modul eines Vorbereitungslehrgangs für technische Facheinrichtungen mit dem Schwerpunkt Informatik als außerordentlicher Schüler besucht und dabei gute Leistungen erbracht. Von 05.11.2018 bis 20.12.2018 besuchte er einen Brückenkurs zur Vorbereitung auf einen Pflichtschulabschlusskurs. Seit 07.01.2019 besucht er einen Pflichtschulabschlusskurs, der voraussichtlich im Dezember 2019 enden wird. Dabei zeigt er sich sehr selbstständig und gut organisiert. Seit Februar 2018 bezieht der BF ein monatliches Ausbildungsstipendium der XXXX in Höhe von XXXX , wo er seit Februar 2018 eine Ausbildung zum Grabungsassistenten erhält. Der BF kann eine Einstellungszusage seines Ausbildners vorlegen, da er sich als sehr geschickt, gewissenhaft, verlässlich und lernfähig erwiesen hat. Der BF wurde von einer "Patenfamilie" aufgenommen und ist in deren privaten Umfeld gut integriert. Der BF wohnt in einer Wohngemeinschaft, die von einem katholischen Pfarrer organisiert wird, mit zwei Österreichern, zwei Afghanen und vier Syrern zusammen. In seiner Wohngemeinschaft übernimmt der BF Hausmeistertätigkeiten und ist gut integriert. Der BF ist kein Mitglied in einem Verein und engagiert sich außerhalb seiner Wohngemeinschaft nicht ehrenamtlich.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

Allgemeine Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S. 16). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S. 59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S.59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60). Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 18). Im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 registrierten die UN 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Berichtszeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 registrierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 8.050 zivile Opfer (LIB 26.03.2019, S. 32). Die UNAMA registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (LIB 26.03.2019, S. 20).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S. 62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 70). Mit Stand 22.10.2018 kontrollierte beziehungsweise beeinflusste die Regierung - laut Angaben der Resolute Support Mission - 53,8% der Distrikte. 33,9% waren umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 26.03.2019, S. 16).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S. 63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S. 63).

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet. Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden. Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (LIB 26.03.2019, S. 47f).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv und zeichnete im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia, auf die Mawoud-Akademie in Dasht-e Barchi/Kabul am 15.08.2018, auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi am 05.09.2018 sowie auf eine Demonstration gegen die Übergriffe der Taliban in Ghazni und Uruzgan am 12.11.2018 und auf das Kabuler Gefängnis Pul-i-Charkhi am 31.10.2018 verantwortlich (LIB 26.03.2019, S. 17, 29, 37).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346f).

Zur Provinz Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (LIB 26.03.2019, S. 84).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (LIB 26.03.2019, S. 84f).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (LIB 26.03.2019, S. 85).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 85f).

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (LIB 26.03.2019, S. 86f).

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 102). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S. 258). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 261).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 103f). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 26.03.2019, S. 36).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S. 105).

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 26.03.2019, S. 139). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 26.03.2019, S. 261) und ein militärischer in Shindand (LIB 26.03.2019, S. 139). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 26.03.2019, S.139).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 26.03.2019, S. 140). Es gibt interne Konflikte zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 26.03.2019, S. 142).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 26.03.2019, S. 140).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 140f).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 26.03.2019, S. 141). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 26.03.2019, S. 16).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.03.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

Zur Provinz Kapisa:

Kapisa zählt zu den zentralen Provinzen Afghanistans. Die Provinz grenzt im Norden an Panjshir, im Westen an Parwan, im Süden an Kabul und im Osten an Laghman. Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten: Hesa Dovon/Hisa-e-Duwum-e-Kohestan, Kohistan, Hesa Aval Kohistan/Hisa-e-Awal-e-Kohestan, Koh Band/Kohband, Nijrab/Nejrab, Ala Sai/Alasay, Tag Ab/Tagab und die Provinzhauptstadt Mahmud-i-Raqi/Mahmud-e-Raqi (LIB 26.03.2019, S. 154).

Kapisa war eine der relativ friedlichen Provinzen in Nordostafghanistan, jedoch hat sich die Sicherheitslage in einigen abgelegenen Gebieten der Provinz in den letzten Jahren verschlechtert. Im Rahmen eines von Taliban geführten Aufstandes in Schlüsselprovinzen im Norden und Süden des Landes, versuchen regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen die Provinz Kapisa zu destabilisieren. Talibanaufständische sind in abgelegenen und unruhigen Distrikten der Provinz aktiv; ihre Aktivitäten sind:

gezielte Tötungen, Straßenbomben und koordinierte Angriffe auf Sicherheitskräfte, Regierungsbeamte und deren private Anlagen (LIB 26.03.2019, S. 155).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 83 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Kapisa 101 zivile Opfer (34 getötete Zivilisten und 67 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 19% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. In Kapisa leben Binnenflüchtlinge, die aus dem Distrikt Tagab aus Sicherheitsgründen flüchten mussten (ARCS 21.2.2018). Mitte März 2018 wurde von ca. 1.300 Personen berichtet, die aus verschiedenen Teilen des Landes (Kapisa, Laghman, Nuristan und Parwan) aufgrund anhaltenden gewaltsamen Konflikts in die Distrikte Mahmud-e-Raqi, Hisa-e-Awal-e-Kohestan und Hisa-e-Duwum-e-Kohestan der Provinz Kapisa geflüchtet sind (LIB 26.03.2019, S. 155f).

Talibanaufständische sind in abgelegenen und unruhigen Distrikten der Provinz aktiv. Regierungsfeindliche Gruppierungen - zu denen Taliban und IS zählen - sind in folgenden Distrikten aktiv: Tagab, Alasay und Najrab. In Tagab haben die Taliban 2016 ein Fernsehverbot ausgesprochen und 2017 Frauen aus dem Distrikt-Bazar verbannt. Afghanische Sicherheitskräfte betonten, dass sie im Distrikt-Bazaar von Tagab vor Ort wären und dass das Frauen-Verbot nicht implementiert werden würde bzw. weiterhin zurückgewiesen bleibe (LIB 26.03.2019, S. 157).

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 354, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 26.03.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen- Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367f).

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369f). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 26.03.2019, S. 370).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten -ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 370f).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 26.03.2019, S. 314). Paschtunen sind somit die größte Ethnie Afghanistans (LIB 26.03.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 315).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 26.03.2019, S. 304f).

II.2. Beweiswürdigung

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.2. Die Identität des BF kann mangels der Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Religions- und Volksgruppenbeziehungsweise Stammeszugehörigkeit des BF legte bereits das BFA aufgrund der glaubhaften Angaben des BF seiner Entscheidung zugrunde. Da der BF diese anlässlich der Beschwerdeverhandlung noch einmal bestätigte (S. 4 VP), besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund daran zu zweifeln.

Ebenso verhält es sich mit den Feststellungen zur Herkunft des BF, zu seiner Schulbildung und Berufserfahrung, seinen Sprachkenntnissen und seinem Umzug nach Kabul. Auch diese traf im Wesentlichen bereits das BFA aufgrund der glaubhaften Angaben des BF und wurden vom BF vor dem Bundesverwaltungsgericht weitgehend bestätigt (S.5f, 19 VP). Einzig zum Schulbesuch machte der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht insofern andere Angaben, als er nunmehr behauptete, dass er zwölf Jahre die Schule besucht und diese auch abgeschlossen habe, wobei der letzte Schultag mit seinem Schulabschluss zusammenfalle (S. 6 VP), während er vor dem BFA wie in der Erstbefragung noch angegeben hatte, er habe die Schule elf Jahre besucht und danach nur die Prüfungen der zwölften Schulstufe absolviert (AS 5 und 48). Insofern war aufgrund dieser gesteigerten Angaben des BF der Aussage vor dem BFA zu folgen.

Der BF gab weiter vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht an, er sei seit Jänner 2014 bei der Armee gewesen (AS 49, S. 5 VP). Auch wenn der vom BF vorgelegte Militärausweis erst mit 21.12.2014 datiert (AS 59), konnte den Angaben des BF gefolgt werden, weil der Ausweis nach seiner Beförderung (AS 50) wohl neu ausgestellt wurde. Es konnte daher auch den weiteren schlüssigen Angaben des BF gefolgt werden, wonach er für zwanzig Monate bei der Armee tätig war (AS 50, S. 5 VP).

Ebenfalls weitestgehend gefolgt werden konnte den Angaben des BF zum Aufenthalt seiner engeren Familie, wonach diese bei seinem Großvater lebt, der selbst Bauer ist (S. 6, 9 VP). Lediglich hinsichtlich der Flucht des Bruders von Kabul in den Iran und dessen angeblichem dortigen Aufenthalt war den Angaben des BF nicht zu folgen. Dazu gab der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht an, sein Bruder habe einen Taliban umgebracht und sei nach Kabul geflüchtet, wo er von der Regierung als Angehöriger der Taliban gefangen genommen worden sei. Er habe jedoch aus dem Gefängnis fliehen können und Kabul in Richtung Iran verlassen (S. 10 VP). Hierzu führte der BF aus, sein Bruder habe den Taliban 2015 getötet, wann der Bruder inhaftiert gewesen sei, wisse er nicht. Er selbst habe erst wieder Kontakt zu seinem Bruder gehabt, als dieser schon im Iran gewesen sei (S. 11 VP). Diese Aussage steht allerdings im Widerspruch zu seinen Angaben vor dem BFA am 04.09.2017, als er angegeben hatte, er habe mit seinem Bruder ein- bis zweimal pro Monat Kontakt und dieser lebe in Kabul (AS 48). Da die Angaben des BF, wonach sein Bruder einen Taliban getötet habe und von der Regierung gefangen genommen worden sei, auch sonst nicht glaubhaft sind (siehe dazu II.2.4.), war festzustellen, dass der Bruder des BF nach wie vor beim Onkel in Kabul lebt, zumal der BF als einzigen Grund für dessen Ausreise die angeblichen (nicht glaubhaften) Probleme des Bruders geltend macht (S. 10 VP). Hingegen entspricht es den kulturellen Gegebenheiten, dass der BF stets in Kontakt zu seinem Bruder steht, sodass diesen Aussagen des BF zu folgen war.

Ebenso ist - auch aufgrund der Länderfeststellungen - davon auszugehen, dass der BF weiterhin Kontakt zu seinem Onkel hat, weil der BF als Grund für den unterbrochenen Kontakt lediglich seine angeblichen Probleme mit den Taliban angab (S. 10 VP) und diesem Vorbringen, wie unten aufgezeigt, ebenfalls nicht gefolgt werden kann. Zudem ist nicht nachvollziehbar, warum der Onkel des BF seit 2017 keinen Kontakt mehr mit dem BF haben wollte, während dieser zuvor mit ihm noch in regelmäßigen Kontakt stand (S. 10 VP). Insbesondere sollen ja auch bereits zu diesem Zeitpunkt die angeblichen Probleme des BF bestanden haben und wäre daher der Grund für den angeblichen Abbruch des Kontakts bereits weit früher vorhanden gewesen und folglich auch weit früher erfolgt.

II.2.3. Dem Fluchtvorbringen des BF, er wäre aufgrund seiner Tätigkeit für das Militär von den Taliban bedroht und sein Vater deswegen sogar umgebracht worden sowie, dass der Familie die Grundstücke genommen und alles zerstört worden sei, kann nicht gefolgt werden. Die Angaben des BF dazu sind nicht lebensnahe, nicht plausibel und widersprüchlich sowie teilweise gesteigert. In Verbindung mit dem gewonnenen persönlichen Eindruck des BF ist es ihm daher aus den folgend näher dargestellten Gründen nicht gelungen, seine Angaben zum Fluchtgrund auch nur annähernd glaubhaft zu machen.

So gab der BF vor dem BFA zwar an, "Einige" aus seinem Heimatdorf seien aufgrund der Taliban geflohen (AS 49), er hatte jedoch nicht angegeben, dass darunter auch Verwandte von ihm waren. Vor dem Bundesverwaltungsgericht steigerte er seine Angaben dahingehend, dass seine Verwandten, mit denen er im Heimatdorf am gemeinsamen Hof gelebt hatte, alle im Jahr 2011 aufgrund der Bedrohung durch die Taliban hätten fliehen müssen (S. 6 VP), während er selbst erst im Jahr 2014 von dort weggegangen sei (S. 5 VP). Vor dem BFA hatte er hierzu auch noch ausgeführt, dass er bis 2013 in seinem Heimatdorf die Schule besucht habe und ihn dann ua Verwandte angesprochen hätten, er solle "zu unserer Gruppe" kommen (AS 49). Diesbezüglich behauptete der BF vor dem BFA auch, dass einige seiner Verwandten und Freunde bei den Taliban gewesen seien (AS 49), während er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung derartiges bestritt und gegenteilig vorbrachte, seine Verwandten seien nicht bei den Taliban gewesen, sondern vielmehr vor diesen geflohen (S. 11 iVm 6 VP). Gegen diese Verfolgung sowie die Wegnahme bzw. Zerstörung des Hofes (S. 5f VP) spricht auch der Umstand, dass der Onkel des BF mehrmals noch in den Heimatort fuhr, um dort seine Familie zu treffen bzw. um im Juni 2016 im Haus des BF in dessen Heimatdorf Fotos dessen Dokumente zu machen (AS 51). Folglich ist nicht davon auszugehen, dass die Taliban die Felder der Familie übernommen bzw. den Hof während der Militärzeit des BF zerstört haben.

Bereits diese Steigerungen und groben Widersprüche zeigen, dass der BF hinsichtlich seines Fluchtvorbringens gewillt ist, falsche Angaben zu tätigen, was gegen eine glaubhafte Schilderung seiner Gefährdung durch die Taliban spricht. Darüber hinaus sind auch die zeitlichen Angaben des BF nicht nachvollziehbar. So ist bereits auffällig, dass der BF zuerst Angaben stets im gregorianischen Kalender tätigte (S. 8 VP), was den Eindruck einer einstudierten Aussage erweckte. Zudem war es ihm nicht möglich anzugeben, wann er zuletzt in seinem Heimatdorf beziehungsweise bei seinem Großvater war. Dazu gab er an, er habe sein Heimatdorf 2014 (S. 5 VP) bzw. zu Jahresende 2013 bzw. auf Nachfrage 1392 im neunten oder zehnten Monat (entspricht Dez. 2013/Jan. 2014) verlassen (S. 8 VP). Der letzte Besuch im Dorf, bei dem er auch seine Mutter zuletzt gesehen und er sich von den Eltern verabschiedet habe, habe jedoch gemäß seinen weiteren Aussagen bereits 1391 stattgefunden (S. 9 VP). Auch wenn der BF diese Angabe dann auf 1392 berichtigte, ist nicht nachvollziehbar, wie der BF während dieser Zeit "immer wieder" bei seiner Familie im Dorf des Großvaters auf Besuch gewesen sein will, obwohl er im neunten oder zehnten Monat 1392 sein Heimatdorf verlassen und dabei auch zuletzt dort gewesen sein soll, danach einen Monat in Kabul gelebt und darauffolgend eine dreimonatige Ausbildung im Militär absolviert haben soll (S 8f VP). Auch ist seine Aussage vor dem Bundesverwaltungsgericht dazu widersprüchlich, wenn er zuerst angab, er habe seine Mutter nach Verlassen des Heimatdorfes immer wieder beim Großvater besucht (S. 8 VP) und danach behauptet, er habe seine Mutter das letzte Mal gesehen, als er damals nach Kabul gegangen sei (S. 9 VP). Insbesondere lebte der Vater zu dieser Zeit gemäß seinen Angaben noch, war die Familie im Heimatort aufhältig und war die Mutter folglich noch nicht zum Großvater gezogen. Zudem hatte der BF vor dem BFA noch behauptet, keinen Kontakt gehabt zu haben, weswegen er auch nichts von der Bedrohung gewusst habe (AS 50ff).

Ebenfalls ist es dem BF nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass sein Vater von den Taliban ermordet wurde. Dazu konnte er vor dem Bundesverwaltungsgericht nämlich keinerlei konkrete Angaben machen, sondern tätigte nur äußerst vage Aussagen (S. 12f VP). Zwar wird nicht verkannt, dass der BF zum Zeitpunkt der Ermordung seines Vaters in einer anderen Provinz stationiert gewesen sein soll und keinen Kontakt zu seiner Familie im Heimatdorf gehabt haben will. Dennoch ist davon auszugehen, dass sich der gut gebildete BF näher über die Umstände der Ermordung seines eigenen Vaters erkundigt hätte und in der Lage wäre, dazu annähernd konkrete Angaben zu tätigen, hätte der Vorfall tatsächlich stattgefunden. Zudem lebt der Großvater mit der Mutter und den Geschwistern des BF nur wenige Minuten entfernt, soll auch der Onkel in den Heimatort gefahren und Kopien der Dokumente des BF beschafft haben und hatte der BF ja auch über seine dortigen Freunde ein Netzwerk, das er hierzu hätte befragen können. Darüber hinaus ist selbst dieses oberflächliche Vorbringen widersprüchlich. So gab der BF vor dem BFA noch an, bereits sein Cousin habe ihm gesagt, dass sein Vater umgebracht worden sei und die Familie Drohbriefe erhalten habe (AS 50). Nach seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht habe ihm sein Cousin jedoch nur gesagt, dass der BF nicht in sein Heimatdorf gehen könne, und erst sein Onkel habe ihm von der Ermordung des Vaters erzählt (S. 13 VP).

Der BF machte aber auch zu den angeblichen Mördern seines Vaters unterschiedliche Angaben. Vor dem BFA gab er an, dies sei eine Kommission der Taliban gewesen, zu denen drei namentlich genannte Afghanen gehörten (AS 52). Im Unterschied dazu sei sein Vater nach seiner Aussage vor dem Bundesverwaltungsgericht von der "roten Einheit" der Taliban ermordet worden, die hauptsächlich aus ausländischen Personen bestehe (S. 13 VP). Die vor dem BFA noch namentlich Genannten gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht hingegen nicht in diesem Zusammenhang an. Ebenfalls ist zu erwähnen, dass der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht gänzlich andere Namen der angeblichen Talibankommandanten seiner Heimatprovinz nannte, als er dies noch vor dem BFA tat (AS 53; S. 15 VP). Auch dies spricht gegen eine tatsächliche Bedrohung des BF, da er ansonsten wohl in der Lage wäre, gleichbleibend die Namen der Bedroher anzugeben, zumal er die Taliban seit seiner frühen Kindheit kenne und diese auch bei ihnen zum Mittagessen gewesen sein sollen (AS 53).

Der BF steigerte seine Angaben auch insofern, als er vor dem BFA nur behauptet hatte, dass die Taliban die Grundstücke der Familie eingenommen hätten (AS 50), wogegen nach seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht die Taliban nicht nur die Grundstücke an sich nahmen, sondern vielmehr das gesamte Haus zerstörten, was sein Bruder gesehen habe (S. 14 VP). Da der BF stets in Kontakt zu seinem Bruder stand, ist davon auszugehen, dass er derartiges auch bereits vor dem BFA angegeben hätte, wenn es sich tatsächlich in dieser Weise zugetragen hätte.

Auch die vorgelegten Drohbriefe können an der Einschätzung, dass der BF nicht von den Taliban bedroht wurde, nichts ändern, zumal diese (selbst unter Ausklammerung der vom BF beanstandeten Übersetzung) in sich widersprüchlich sind. Während nämlich im Brief vom August 2014 steht, dass es sich dabei um die letzte Warnung handle, da ansonsten der Tod auf den BF warte (AS 155), wird im späteren Brief vom September 2014 lediglich festgehalten, dass der BF bei der nationalen Armee angestellt sei und seine Arbeit niederlegen solle (AS 159). Wäre der Brief im August 2014 tatsächlich die letzte Warnung gewesen, so kann wohl davon ausgegangen werden, dass nicht im September 2014 ein weiterer Brief ohne jegliche Drohung, sondern lediglich mit der Aufforderung an den BF, den Dienst niederzulegen, verschickt worden wäre. Auch in diesem Zusammenhang sind die zeitlichen Angaben des BF darüber hinaus nicht nachvollziehbar. So gab er vor dem BFA an, dass er am 18.06.2016 seinen Cousin angerufen und um Übermittlung der Briefe gebeten habe (AS 51). Die von ihm vorgelegte Bestätigung der Weisen datiert jedoch bereits mit Anfang Mai 2016 (AS 163). Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Weisen bereits mehr als einen Monat vor der Bitte des BF eine derartige Bestätigung der Bedrohung ausstellen sollten, zumal dazu kein Anlass bestand.

Abgesehen von diesen Widersprüchlichkeiten, Steigerungen und Unplausibilitäten spricht auch das Aussageverhalten des BF gegen eine tatsächliche Bedrohung. Während er nämlich zunächst nur oberflächlich vortrug und selbst diese Angaben nicht von selbst, sondern nur auf konkrete Nachfrage der erkennenden Richterin tätigte, gab der BF auf die Frage, ob er sonst noch etwas vorbringen wolle, eine umfassende Antwort, wodurch der Eindruck des Konstruktes eines Fluchtvorbringens verstärkt wurde.

Da somit festgestellt werden konnte, dass der BF bereits während seiner aktiven Zeit beim Militär keiner persönlichen Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt war, ist auch bei einer nunmehrigen Rückkehr des BF nicht von einer Bedrohung auszugehen. Dabei wird auch nicht verkannt, dass, wie von der Vertreterin mehrmals ausgeführt, Angehörige der Nationalarmee nach den UNHCR-Richtlinien und im Übrigen auch nach den EASO-Berichten zu den Risikoprofilen zählen und daher möglicherweise einer besonderen Gefährdung durch die Taliban ausgesetzt sind. Dem BF ist es jedoch nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass er während seiner aktiven Zeit in Afghanistan persönlich bedroht oder verfolgt wurde. Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ist daher trotz einer ehemaligen Zugehörigkeit zur afghanischen Nationalarmee und Stationierung in XXXX eine Verfolgung aufgrund dieser Tätigkeit nicht anzunehmen. Nicht zuletzt hat der BF auch gegenüber dem BFA betont, dass er selbst niemals persönlich bedroht wurde (AS 51), und brachte er eine Bedrohung lediglich für seinen früheren Heimatort vor, wo er jedoch bereits seit Jahren nicht mehr gelebt hat.

II.2.4. Soweit der BF in der Beschwerdeverhandlung erstmals weitere Vorbringen tätigte, wonach er von der Regierung aufgrund seiner Herkunft, wegen seines Bruders und einer unterstellten Waffenmitnahme sowie einer damit zusammenhängenden Delinquenz verfolgt werde, erscheint dieses Vorbringen bereits aufgrund dieser Steigerungen wenig glaubhaft. Da er vor dem BFA nichts dergleichen erwähnte, handelt es sich dabei einerseits um bereits formell unzulässige Neuerungen, andererseits ist diesen aber auch inhaltlich nicht zu folgen.

Das Vorbringen des BF, er werde von der Regierung aufgrund seiner Herkunft verfolgt, ist bereits deswegen nicht glaubhaft, weil der BF zwanzig Monate bei der Armee

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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