Entscheidungsdatum
28.11.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W122 2203981-1/15E
Schriftliche Ausfertigung des am 19.08.2019 verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie und Flüchtlingsdienst gem. GmBH - ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48,
3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 20.07.2018, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.08.2019 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz "BF"), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der am 11.12.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er sein Heimatland verlassen habe, weil er dort Feinde gehabt habe. Er habe ein Mädchen geliebt, jedoch sei die Familie nach drei Jahren gegen eine "Erwerbung" gewesen und habe ihn umbringen wollen. Das Mädchen kenne er seit fünf Jahren. Gegenständliche Drohungen seien in mündlicher Form ausgesprochen worden. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, umgebracht zu werden.
3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz "BFA") am 27.03.2018 gab der BF an, öfters Halsschmerzen, die schon in Afghanistan behandelt worden seien, zu haben und psychisch labil zu sein, jedoch habe er sich noch nicht in ärztliche Betreuung gegeben. Nach der Richtigstellung einiger Daten aus der Erstbefragung, legte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen, wie etwa Sprachzertifikate, Teilnahmebestätigungen und Unterstützungsschreiben vor.
Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und gehöre der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Er sei geschieden und stamme aus Kabul, wo nach wie vor auch seine Eltern, seine vier Brüder, seine beiden Schwestern und seine Ex-Frau aufhältig seien. Seine Ex-Frau habe er im März 2010 in Kabul kennengelernt und im September 2015 in Pakistan geheiratet habe. Sie seien nach Pakistan geflohen, weil in Afghanistan eine Hochzeit nicht möglich gewesen wäre. Eine Woche später hätten sie sich wieder scheiden lassen müssen, weil seine damalige Ehefrau von ihrem Onkel in Begleitung von sechs Leuten gesehen worden sei. Dieser Onkel habe dann vom BF mit Gewalt die Scheidung erzwungen.
Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF im Wesentlichen aus, dass er im März 2010 seine Ex-Frau kennengelernt habe und mit ihr eine heimliche Leibesbeziehung eingegangen sei. Diese wurde durch einen Heiratsantrag im April 2013 öffentlich. Da die Familie seiner Freundin eine wohlhabende paschtunische Familie sunnitischer Glaubensrichtung gewesen sei, habe diese nach mehrmaligen Treffen einer Ehe nicht zugestimmt. Bei einem weiteren Treffen mit seiner Freundin habe sie deren Bruder gesehen und dem BF verbal gedroht. Er sei zwei Tage später von dessen Freunden zusammengeschlagen worden. Nachdem weitere Gespräche zwischen den Familien erfolglos geblieben wären, habe die Freundin den Tipp bekommen, nach Pakistan zu gehen, um dort zu heiraten und ein Kind zur Welt zu bringen, denn so könne die Familie bei einer Rückkehr nach Afghanistan ihnen nichts mehr anhaben. So seien beide nach Pakistan, wo sie sich trauen haben lassen. Dort seien sie aber von einem Onkel seiner nunmehrigen Frau ausfindig gemacht worden. Dieser habe den BF geschlagen und ihm unter Drohungen mit einer Pistole mitgeteilt, dass er sich scheiden lassen müsse. Danach sei die Polizei eingeschritten und die Akteure mitgenommen. Zuvor habe diese aber noch zugelassen, dass die Heiratsurkunde zerrissen und die Scheidung mündlich durchgeführt werde. Er habe dann von einem Bekannten den Hinweis erhalten, dass der Pakistan verlassen solle. Als er mit seiner Familie wieder Kontakt aufgenommen habe, habe diese ihm gesagt, dass er nicht nach Afghanistan zurückkommen sollte, weil die Familie des Mädchens nach ihm suchen würde. So habe er sich einen Schlepper organisiert und sei in Richtung Iran aufgebrochen.
Dem BF sei danach vorgehalten worden, dass es nicht nachvollziehbar gewesen sei, dass man einerseits eine Beziehung drei Jahre geheim halten würde und sich dennoch an öffentlichen Orten treffen würde. Ebenso sei es nicht nachvollziehbar gewesen, dass sich der BF mit seiner Freundin auch noch nach der Weigerung ihrer Familie in Restaurants getroffen habe. Er begründete dies dahingehend, dass sie einander geliebt hätten und die Familie mit ihrer Freundin im Alltag nicht so streng gewesen sei. Dass der Bruder seiner Freundin den BF nicht getötet habe, begründete der BF dahingehend, dass dies gegen seine Ehre verstoßen hätte. An die Behörden hätte sich seine Familie nicht wenden können, zumal diese Familie einflussreiche Kontakte zur Regierung gehabt habe. Den Vorhalt, warum der Onkel und der Bruder der Freundin den BF trotz Todesdrohungen, dies nicht verwirklicht hätten, beantwortete der BF dahingehend, dass diese nicht die Gelegenheit dazu gehabt hätten und er nun hier sei. Seine Familie könne nach wie vor unbehelligt in Afghanistan leben, weil diese der Familie seiner Freundin klargemacht habe, dass sie keine Verantwortung für sein Handeln übernehme. Die afghanische Polizei würde nach ihm suchen, weil die Familie seiner Freundin ihn wegen der Entführung angezeigt habe. Warum sich seine damalige Frau dann dem Druck nachgegeben habe und sich gegen ihn entschieden habe, belaste ihn heute sehr. Er sei sich aber bewusst, dass sich seine Handlungen gegen die afghanischen Bräuche gerichtet habe, jedoch würde sich niemand an diese halten. Er habe aus Liebe gehandelt und dies habe zu einer Ehrverletzung geführt, was in einer Feindschaft münden würde. Auf den Vorhalt, dass es suspekt erscheine, dass diese Familie durch den BF einerseits als modern dargestellt wurde, dann wieder traditionell, rechtfertigte der BF dahingehend, dass er nicht wisse, welche Regeln seine Freundin daheim zu befolgen gehabt hatte. Auch wenn das Aufsuchen der Polizei die Familienehre verletzen würde, sei dies dem Vater seiner Freundin ein Anliegen gewesen, damit er dem BF habhaft werden könne. Der Onkel seiner nunmehrigen Ex-Frau habe Zweigstellen in Pakistan, aber es sei ein Zufall gewesen, dass er dort angetroffen worden sei. Dies habe der BF jedoch vor der Flucht nach Pakistan nicht gewusst. Da er ein einflussreicher Geschäftsmann sei, habe er sich auch präpotent gegenüber den pakistanischen Polizisten verhalten können.
Auf den Vorhalt, dass die Familie die Scheidung und die Rückkehr des Mädchens nach Afghanistan bereits erreicht habe, erwiderte der BF, dass diese ihr Ziel erst erreicht hätten, wenn sie den BF haben würden, weil es nun eine Feindschaft gäbe. Es sei eine paschtunische Familie und daher sei dieser die Ehre besonders wichtig. Dass er Pakistan hätte verlassen sollen, sei nur eine Empfehlung seines Freundes gewesen. Die Flucht habe er sich leisten können, weil er damals noch in Afghanistan Geld behoben hätte. Er wisse nicht, warum die Familie damals nicht die Gelegenheit genutzt hätte, ihn zu töten, jedoch wisse er, dass Paschtunen rachsüchtig seien.
Er bekräftigte, dass sich, trotz dieser vielen Zufälle, alles so abgespielt habe, wie er es geschildert habe. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistanhabe Angst, dass ihn diese Familie ausfindig machen und umbringen würde. Welche Einflüsse diese Familie genau habe, wisse er nicht, jedoch würde ihn dieser Onkel auch über Zweigstellen sowohl im Iran als auch in der Türkei ausfindig machen können. Daher könne er sich auch nicht in Herat oder Mazar-e Sharif ansiedeln.
Betreffend seiner Integration in Österreich verwies der BF auf das vorgelegte Konvolut an Unterlagen. Er lebe von der Grundversorgung und spreche Deutsch auf dem Niveau A2. Er habe in Afghanistan die Matura gemacht. Hier besuche er regelmäßig das Freitagsgebet in einer Moschee, trainiere viel und habe auch Kontakte zu Einheimischen. Sonstige Verwandte würden sich im Bundesgebiet nicht aufhalten.
4. Mit Bescheid vom 20.07.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde festgehalten, dass das Vorbingen des BF nicht glaubwürdig sei. Die Erzählungen des BF seien nicht schlüssig gewesen. Es hätten sich zahlreiche Unplausibilitäten in diesem Vorbringen ergeben, weshalb dieser Fluchtgeschichte die Glaubwürdigkeit zu versagen gewesen wäre. So würde es nicht den Traditionen Afghanistans entsprechen, dass eine Frau einen Heiratsantrag mache und eine unverheiratete Frau sich mit einem Mann in einem Restaurant treffen könne. Unplausibel sei es ebenfalls, dass die Familie des Mädchens einerseits als tolerant, andererseits als traditionell dargestellt worden sei. Mischehen zwischen Sunniten und Schiiten seien nicht unüblich. Nicht nachvollziehbar sei es hingegen gewesen, dass der man nach fünfmaliger Ablehnung noch zwei weitere Male um die Hand des Mädchens anhalten würde und dass der wütende Bruder die Ehrverletzung nicht rächen würde, sondern dem BF Zeit zur Flucht eingeräumt habe. Eine etwaige Rückkehr in den Familienverband nach einer einen Verstoß nach sich ziehenden uneingewilligten Ehe sei als unwahrscheinlich anzusehen. Es sei davon auszugehen, dass diese Geschichte nur erfunden wurde, um einen Vorwand für die Flucht aus Pakistan nach Europa zu haben. Die Schilderungen bezüglich des Onkels der Ex-Frau wären abenteuerlich und fernab von jedweder Lebensrealität gewesen. Ebenso sei die Begründung auf den Vorhalt, dass die Familie des BF in Afghanistan unbehelligt leben könne, weil diese der Familie der Ex-Frau lapidar gesagt habe, dass sie nichts mit den Handlungen ihres Sohnes zu tun haben möchte, völlig unplausibel. Ein Aufsuchen der Polizei durch den Vater der Ex-Frau sei ebenfalls unwahrscheinlich, weil dies für das Ansehen des Vaters negative Auswirkungen haben würde. Im Übrigen hätte diese Familie wieder ihre Tochter unter ihrer Obhut, weshalb es auch nicht nachvollziehbar gewesen sei, warum sie am BF Jahre nach diesen angeblichen Vorfällen noch Rache nehmen sollten.
Im Falle einer Rückkehr könne sich der BF, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, in Mazar-e Sharif niederlassen. Nach Maßgabe einer Interessenabwägung habe das öffentliche Interesse an einer Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet überwogen.
5. Mit Verfahrensanordnung vom 23.07.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 23.07.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.
6. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 16.08.2018 beim BFA eingelangte und fristgerecht erhobene Beschwerde. In dieser wurde festgehalten, dass das Vorbringen des BF für grundsätzlich glaubhaft erachtet werden und sich das BFA weder mit der daraus resultierenden Blutrachesituation, wobei auf zahlreiche Länderberichte und Gutachten verwiesen wurde, noch mit den vorgelegten Beweismitteln (Foto von der Hochzeit) in ausreichender Weise auseinandergesetzt habe. Eine Schutzfähigkeit des afghanischen Staates bei Verfolgung durch Private sei ebenfalls nicht gegeben. Etwaige Widersprüche aus der Erstbefragung seien nicht beachtlich, zumal der BF bei dieser auch nur ansatzweise seine Fluchtgeschichte darlegen müsse. Dies habe er auch getan.
Aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage in Afghanistan sei ihm weder eine Rückkehr nach Kabul zumutbar noch stünde ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zu Verfügung stünde. Hinsichtlich seiner Integration im Bundesgebiet wurde in der Beschwerde auf zahlreichen vorgelegten Integrationsunterlagen verwiesen.
7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz "BVwG") am 17.08.2018 vom BFA vorgelegt.
8. Mit Schriftsatz vom 23.01.2019 legte die rechtsfreundliche Vertretung des BF zahlreiche Integrationsunterlagen wie ein Zeugnis über einen Integrationskurs, eine Bestätigung über einen Arbeitseinsatz und eine Beitrittserklärung zu einem Musikverein samt Referenzschreiben vor.
9. Mit Schreiben vom 15.05.2019 wurden seitens des BFA Unterlagen vorgelegt, dass der BF unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit nach dem AuslBG illegal beschäftig worden sei und in gegenständlichem Fall Anzeige erstattet wurde.
10. Mit Schriftsatz vom 14.08.2019 legt die rechtsfreundliche Vertretung des BF eine Stellungnahme zum Länderinformationsblatt Afghanistan und zur Situation einer innerstaatlichen Fluchtalternative vor.
11. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 19.08.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ebenso wie seine rechtfreundliche Vertretung, und zwei Zeugen persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der Behörde nahm entschuldigt nicht teil.
Zu Beginn legte der BF weitere Integrationsunterlagen und Unterstützungsschreiben vor. Er sei gesund, ledig, wobei er im Zeitpunkt der Ausreise geschieden gewesen sei und afghanischer Staatsbürger, tadschikischer Volksgruppenzugehörigkeit und schiitischer Moslem. Er habe Afghanistan schon vor seiner Ausreise nach Europa einmal nach Pakistan verlassen. Im Kindesalter habe er mit seiner Familie für sieben Jahre dort gelebt. Zuletzt habe er sein Heimatland im September 2015 verlassen. In Österreich habe er eine Freundin, die von ihm schwanger sein soll. Er spreche Dari, Paschtu, Urdu, Englisch und Deutsch. Zur Sicherheitslage in Afghanistan führte er aus, dass das ganze Land unsicher sei. Er stamme aus Kabul und würde in regelmäßigen Kontakt mit seiner Familie sein, die in Kabul aufhältig sei. Ihr würde es gut gehen, jedoch hätten sie aufgrund der Anschläge täglichen Stress zu bewerkstelligen. Die Polizei würde in unregelmäßigen Abständen auch noch bei der Familie vorbeikommen und nach dem BF suchen. Er habe noch zahlreiche Onkeln und Tanten in Kabul. In Afghanistan habe er zwölf Jahre lang die Schule besucht und als Fitnesstrainer, Schlosser und Taxifahrer gearbeitet. Er habe auch an Wettbewerben für Bodybuilding teilgenommen. Seine wirtschaftliche Situation in Afghanistan sei mittelmäßig gewesen. Mit seiner österreichischen Freundin lebe er nicht zusammen. Es gebe oftmals Streit, jedoch habe er vor, sie zu heiraten. Er spreche Deutsch auf dem Niveau B1 und sei für die B2-Prüfung bereits angemeldet. Er war in Österreich bislang nur gemeinnützig tätig, wolle aber bald eine Ausbildung zum Heilmasseur beenden. Eine einvernommene Zeugin bestätigte die gute Integration des BF und bekräftigte, dass er seinen ständigen Willen an einer Weiterbildung und dem Finden von Arbeit.
Dezidiert zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF aus, dass er 2010 seine Freundin kennengelernt habe, die ihm im April 2013 dann vorgeschlagen habe, zu heiraten. Nach fünf Werbungsversuchen hätten die Männer der Familie seiner Familie mitgeteilt, dass sie weder wohlhabend noch Sunniten seien. Einen Monat später habe es ein Gespräch mit dem Bruder seine Freundin gegeben. In Anwesenheit seiner Freundin habe er den BF gehen lassen, ihm jedoch gesagt, dass er ihn umbringen werde. Zwei Tage danach sei er von den Freunden des Bruders seiner Freundin zusammengeschlagen worden. Zur Polizei sei er nicht gegangen, weil es sich hierbei um eine Ehrensache gehandelt habe und die Polizei sehr korrupt sei. Außerdem sei diese Familie sehr einflussreich gewesen. Auf Nachfrage gab der BF an, dass mögliche Schmiergeldzahlungen der gegnerischen Familie der Hauptgrund vom Absehen einer Anzeige bei der Polizei gewesen wären. Wann seine Familie das letzte Mal um die Hand der Freundin angehalten habe, wisse er nicht mehr. Er sei damals noch in Afghanistan gewesen. Der Vater und der Onkel seiner Freundin seien Geschäftsmänner im Holzhandel gewesen.
Vor seiner Ausreise nach Pakistan habe der BF all seiner Ersparnisse in der Höhe vom 8.000 Dollar abgehoben. Drei Tage nach der Ankunft in Pakistan habe er seine Freundin im Beisein eines Rechtsanwalts geheiratet. Er habe Eheringe in Pakistan gekauft, diesen aber nach der Scheidung sofort weggeworfen. Wieviel der Ring gekostet habe, wisse er nicht mehr. Die Geschäfte hätten an einem Freitag in Pakistan jedenfalls geöffnet. In Pakistan habe sie der Onkel ausfindig machen können, wobei dieser selbst überrascht gewesen sei, dass er den BF so schnell ausfindig habe machen können. Dann habe die Polizei gesehen, wie der Onkel der Freundin den BF mit einer Waffe bedroht habe, die Polizei die beteiligten Personen aufgefordert mitzukommen, jedoch habe der Onkel nicht mitkommen müssen, weil er die Frau in Sicherheit bringen habe müssen. Er selbst sei in Pakistan angehalten worden, jedoch durch eine Zahlung von 3.000 Dollar an einen Freund durch dessen Hilfe wieder freigekommen. Mit dem restlichen Geld habe er dann seine Flucht nach Europa finanziert.
Im Falle einer Rückkehr habe er Angst von dieser Familie getötet zu werden. Nach dem Pashtunwali sei die Ehre solange verletzt, solange der BF am Leben sei. Seine Familie könne in Afghanistan unbehelligt leben, weil sie bei der Polizei registrieren habe lassen, dass der BF in dieser Sache eigenverantwortlich gehandelt habe. Aufgrund der Kontakte des Vaters des Mädchens sei eine Rückkehr auch in einen anderen Landesteil Afghanistans für den BF nicht möglich. Er befürchte außerdem auch eine Verfolgung durch den afghanischen Staat, weil die Regierung aufgrund der Anzeige der Familie wegen der Entführung ihrer Tochter noch immer nach dem BF suchen würde.
Danach erfolgte der Schluss der mündlichen Verhandlung und die mündliche Verkündung des vollabweisenden Erkenntnisses. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wurde dem BFA samt Hinweis auf die mündliche Verkündung übermittelt.
12. Mit Schriftsatz vom 20.08.2019 beantragte die rechtsfreundliche Vertretung des BF fristgerecht beim Bundesverwaltungsgericht die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
13. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
* Fotos, die seine Hochzeit in Pakistan belegen sollen
* Fotos von seinem Alltag in Österreich
* Teilnahmebestätigungen an Integrationskursen sowie einem Basisbildungskurs
* Diverse Teilnahmebestätigungen am an Deutschkursen
* Zahlreiche Referenz- und Unterstützungsschreiben
* Bestätigung über die Teilnahme an gemeinnütziger Tätigkeit
* Vereinseintritte samt Referenzschreben
* Arbeitsbetätigung
* Sprachzertifikate Deutsch: A1, A2
* Afghanische Dokumente (u.a. eine Tazkira, ein Schulzeugnis und einen Führerschein)
* Zahlreiche Schreiben über den Krankenhausaufenthalt
* Abweisender Bescheid des AMS bezüglich eines Antrags auf Beschäftigungsbewilligung
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
1.1. Zum sozialen Hintergrund des BF:
Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.
Der BF wurde nach seinen Angaben in Kabul geboren. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan hat sich der BF auch, abgesehen von einem siebenjährigen Aufenthalt im Kindesalter in Pakistan, immer in Kabul aufgehalten. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.
Die Familie des BF, bestehend aus seiner Eltern, seinen zwei Brüdern und seinen sechs Schwestern lebt nach wie vor in einem Haus in Kabul. Des Weiteren leben in Afghanistan noch fünf Onkeln und zwei Tanten mit ihren Familien in Kabul. Die finanzielle Situation der Familie ins mittelmäßig (normal). Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seinen in Kabul lebenden Familienangehörigen.
Der BF hat zwölf Jahre lang die Grundschule besucht und in Afghanistan die Matura gemacht. Daneben hat er seit seiner Kindheit auch Berufserfahrung als Fitnesstrainer, Schlosser und Taxifahrer gesammelt und selbstständig Einkünfte erzielt. Es ist von der Selbsterhaltungsfähigkeit des BF auszugehen.
Der BF ist strafgerichtlich unbescholten. Nach seinen eigenen Angaben ist er in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.
Der BF hat Afghanistan im September 2015 verlassen.
Es wird festgestellt, dass der BF persönlich nicht glaubwürdig ist.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF stellte am 10.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er ein Mädchen habe heiraten wollen, die Familie des Mädchens aber gegen diese Heirat gewesen sei und den BF umbringen habe wollen, wobei die diesbezüglichen Drohungen mündlich ausgesprochen worden seien. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, dass er umgebracht werde. Im Verfahren vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG blieb der BF bei diesem Vorbringen.
Jedoch konnte er dieses Vorbringen nicht glaubhaft machen, da es sich bei Gesamtbetrachtung sämtlicher im Verlauf des Verfahrens getätigten Angaben in entscheidenden Punkten sich als widersprüchlich sowie als nicht schlüssig und nicht plausibel erwiesen hat.
Der BF war vor seiner Ausreise aus Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung oder Bedrohung - etwa durch die Familie eines Mädchens - ausgesetzt. Festgestellt wird auch, dass der BF nicht einer landesweiten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt ist. Es ist nicht davon auszugehen, dass der BF an einem Ort wie Mazar-e Sharif von diesen mittlerweile noch aufgesucht wird.
Der BF ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt wäre.
Es kann festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.
1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:
Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.
Eine Rückkehr des BF in seine Heimatprovinz ist möglich.
Dem BF steht daneben eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung. Der BF hat bis zu seiner Ausreise in Mazar-e Sharif nicht gelebt, allerdings ist ihm eine Niederlassung an diesem Ort zumutbar. Der BF kann Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen. Eine sichere Rückkehr nach Mazar-e Sharif ist für den BF möglich.
Die grundlegende Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist in Mazar-e Sharif gewährleistet. Dem BF stehen bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif eine vorübergehende Unterkunft (Teehäuser), Trinkwasser, sanitäre Anlagen und lebensnotwendige Nahrungsmittel. Die Gesundheitsversorgung ist in Mazar-e Sharif durch Krankenhäuser bzw. Gesundheitszentren sowie durch zwei Einrichtungen zur Betreuung von psychischen Krankheiten sichergestellt. Ferner ist Mazar-e Sharif ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsbetrieben und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen. Die allgemeinen Umstände in Mazar-e Sharif ermöglichen eine Rückkehr dorthin.
Der BF liefe im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen. Zudem war der BF bereits in der Lage, in Afghanistan sich selbst zu versorgen.
Der BF hat die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde in der Beschwerdeverhandlung über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt. Dem BF wurden die Programme ERIN und RESTART II erklärt.
In diesem Zusammenhang kann festgestellt werden, dass der BF bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif beim Aufbau einer Existenzgrundlage von Familienangehörigen bzw. sonstigen Personen unterstützt wird.
Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.
Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif ausschließen, liegen nicht vor. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF.
1.4. Zum Leben in Österreich:
Der BF hält sich seit September 2015 in Österreich auf.
Der BF hat keine weiteren Familienangehörigen in Österreich.
Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und Afghanen. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z. B. Beziehungen, Lebensgemeinschaften) festgestellt werden, zumal der BF einen gemeinsamen Wohnsitz mit einer angeblich schwangeren Freundin dezidiert verneinte. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und war auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften, ist der BF Mitglied in einem Musik- und einem Flüchtlingsverein. In seiner Freizeit geht der BF oft fort und trifft sich mit Freunden. Schließlich wird das soziale Verhalten des BF in der Gesellschaft durch Referenzschreiben belegt. Daraus ist zu entnehmen, dass er freundlich, höflich, kontaktfreudig und wissbegierig ist.
Der BF besucht zwischenzeitlich Deutschkurse und weist dies durch Teilnahmebestätigungen nach. Er ist in der Lage bei klarer Standardsprache über vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. auf Deutsch zu reden. Darüber hinaus kann er über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben. Die Sprachprüfung auf dem Niveau B2 hat der BF bisher noch nicht bestanden, jedoch ist er für diese Sprachprüfung bereits angemeldet. Sonstige dauerhafte Anstellung am Arbeitsmarkt scheiterten am Fehlen der Arbeitsbewilligung. Da der BF keine Arbeitserlaubnis hat, war er bisher in Österreich weitegehend nicht erwerbstätig. Er hat zahlreiche gemeinnützige Tätigkeiten durchgeführt, jedoch war er nicht in der Lage seinen Lebensunterhalt alleine zu bestreiten. Er ist nach wie vor auf die Grundversorgung angewiesen. Neben den übernommenen gemeinnützigen bzw. ehrenamtlichen Aufgaben, hat sich der BF auch in einigen Kursen weitergebildet und strebt den Beruf des Heilmasseurs an. Diesbezüglich legte er im Laufe des Verfahrens zahlreiche Bestätigungen vor.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.5.1. KI vom 04.06.2019
Politische Ereignisse:
Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).
Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quellezufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).
Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).
Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).
Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).
Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).
Anschläge in Kabul-Stadt
Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).
Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).
Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal
Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).
Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).
Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).
Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019) US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal
so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).
Rückkehr
Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).
KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl
Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend.
Überflutungen und Dürre
Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).
Friedensgespräche
Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).
Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).
Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).
Verschiebung der Präsidentschaftswahl
Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).
KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere
Bei einem Anschlag auf einen Stützpunkt des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).
Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).
Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).
KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl
Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul
Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).
Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl
Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).
Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).
KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).
Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).
KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern
Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:
Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).
Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilisten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).
KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:
Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).
Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptstädte von den Taliban angegriffen: Farah-Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).
Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte