Entscheidungsdatum
17.12.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W114 2174297-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 30.09.2017, Zl. 1089102003/151450775/BMI-BFA_STM_AST, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.12.2019 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX , (im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF), ein afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara bzw. Sadat und schiitischer Moslem, stellte am 28.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Bei der am 29.09.2015 erfolgten Erstbefragung vor der Polizeiinspektion Traiskirchen EAST, gab der Beschwerdeführer an, dass er im Iran geboren und aufgewachsen sei. In Afghanistan sei er noch nie gewesen. Er habe im Iran 9 Jahre lang eine staatliche Schule besucht und habe als Hilfsarbeiter gearbeitet. Seine Eltern, sein Bruder und seine Schwester würden immer noch im Iran leben.
Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF aus, dass er im Iran eine Beziehung zu einem iranischen Mädchen gehabt habe. Als ihre Familie von der Beziehung erfahren habe, sei der BF verfolgt und verprügelt worden. Aus Angst vor dieser Familie sei der BF geflüchtet.
3. In einem Gutachten zur Altersfeststellung des Beschwerdeführers vom 06.01.2016 führte XXXX aus, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung ein Mindestalter von 16 Jahren gehabt habe.
4. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 06.07.2017 wiederholte der Beschwerdeführer, dass er noch nie in Afghanistan gewesen sei und nur im Iran gelebt habe. Sein Vater sei im Iran Hauswart einer Parkanlage, in welcher seine Familie in einem kleinen Haus leben würde. Seine Eltern würden ursprünglich aus dem Distrikt Sancharak in der Provinz Sar-e Pul in Afghanistan stammen. Er selbst sei ledig und habe keine Kinder. Er stehe mit seiner Familie im Iran in Kontakt. Sein Vater sei krank und nicht mehr arbeitsfähig.
Im Zuge dieser Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, überreicht und mit ihm erörtert. Dazu führte der BF aus, dass er nicht in Afghanistan leben könne, da er dort keine Angehörigen habe und niemanden kenne. Er sei mit der Kultur und der Sprache nicht vertraut, da er kein Dari spreche und verstehe. Er sei Schiit und würde deswegen in Afghanistan verfolgt werden.
5. Mit Bescheid des BFA vom 30.06.2017, Zl. 1089102003/151450775/BMI-BFA_STM_AST, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm
§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der BF bezüglich seines Heimatlandes Afghanistan keine asylrelevanten Fluchtgründe vorgebracht habe. Sein Fluchtvorbringen habe sich fast zur Gänze auf die Situation im Iran bezogen. Zu einer generellen Verfolgung von Schiiten komme es gemäß den Informationen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan nicht. Der Beschwerdeführer beherrsche Farsi, eine in Afghanistan landesübliche Sprache, er könne sich auch in Dari verständigen, zumal es zwischen Farsi und Dari nur geringe Unterschiede im Wortschatz und der Aussprache gebe und er in einer afghanischen Familie aufgewachsen sei. Er sei jung, gesund und arbeitsfähig, verfüge über Schulbildung und habe bereits im Iran seine Familie durch diverse Tätigkeiten unterstützt, sodass er in der Lage wäre, sich in Afghanistan eine Existenz aufzubauen. Zudem könnten ihn auch Familienmitglieder, die im Iran leben würden und zu welchen er auch in Kontakt stehe, unterstützen. Er würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine Situation kommen, die eine unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK nach sich ziehen würde. Es würden auch keine Gründe vorliegen, die gem. § 8 AsylG zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen würden.
Dieser Bescheid wurde dem BF am 04.10.2017 durch persönliche Übernahme zugestellt.
6. Gegen diese Entscheidung erhob der BF, vertreten durch die XXXX , mit Schriftsatz vom 17.10.2017 Beschwerde. Begründend führte er aus, dass er in Afghanistan einer individuellen, konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung unter anderem aus Gründen der gesellschaftlich-politischen Gesinnung bzw. westlichen Einstellung und Religion sowie der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara, ausgesetzt sei. Sein Fluchtvorbringen sei von der Behörde mangelhaft ermittelt worden. Die Familie seiner ehemaligen Freundin verfüge auch über Kontakte in Afghanistan und hätte dort aufgrund ihrer finanziellen Mittel, großen Einfluss. Weiters habe der Beschwerdeführer eine westliche Einstellung und eine entsprechende politische Gesinnung, was durch seinen Kleidungsstil und die Tatsache, dass er eine voreheliche Beziehung im Iran eingegangen sei, ersichtlich sei. Der Beschwerdeführer spreche nicht Dari und sei mit der Kultur in Afghanistan nicht vertraut, weshalb er diesbezüglich in Afghanistan Verfolgung zu befürchten hätte. Als Hazara und schiitischer Moslem, welcher sein gesamtes Leben im Iran verbracht hätte, sei der Beschwerdeführer besonders gefährdet. Die Feststellungen der Behörde betreffend die Situation für Rückkehrer aus dem Iran, wären überdies zu kurz und allgemein gehalten.
7. Die Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 23.10.2017 mit Schreiben des BFA vom 19.10.2017 zur Entscheidung vorgelegt.
8. In einer Stellungnahme vom 27.11.2019 führte der BF aus, dass er als Iran-Rückkehrer ohne familiären oder sozialen Anschluss nicht nach Afghanistan zurückkehren könne.
9. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 03.12.2019 wurde der Beschwerdeführer zu seiner Identität und Herkunft sowie zu seinen Fluchtgründen befragt. Die Verhandlung fand im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi statt. Das BFA verzichtete mit Schreiben vom 03.12.2019 auf eine Teilnahme an der Verhandlung.
Der BF behauptete, dass er kein Dari verstehe, da seine Eltern, deren gemeinsame Muttersprache zwar Dari gewesen sei, mit ihm nur Farsi gesprochen hätten. Seine Eltern wären alt und krank und könnten ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht unterstützen. In Afghanistan selbst habe er weder familiäre, noch soziale Anknüpfungspunkte. Er führte aus, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf der Straße leben müsste und anschließend von terroristischen Gruppierungen für ihre Zwecke missbraucht werden würde.
Der Beschwerdeführer wies darauf hin, dass er nicht als Hazara wegen dieser Volksgruppenzugehörigkeit nicht in Afghanistan leben könnte, sondern weil er dort nie gelebt habe und niemanden kenne.
Vom Beschwerdeführer wurde ausdrücklich auf seine deutlich sichtbare Tätowierung im Halsbereich hingewiesen. Diese sei ein starkes Indiz für seine westliche Einstellung.
10. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer bzw. seiner Vertretung die Ausfolgung einer Kopie des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 angeboten und ihm die Möglichkeit gegeben, dazu innerhalb einer Frist von 2 Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Der BF verzichtete, nach Absprache mit seiner Vertreterin, auf eine Ausfolgung und die Möglichkeit dazu innerhalb angemessener Frist eine Stellungnahme abzugeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der vorgelegten Stellungnahme vom 27.11.2019, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG und der Einsichtnahme in die Bezug habenden Unterlagen des Verwaltungsverfahrens, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zum Beschwerdeführer:
Der mittlerweile volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara/Sadat und schiitischer Moslem. Die Eltern des Beschwerdeführers stammen ursprünglich aus der Provinz Sar-e Pul in Afghanistan. Sie sind bereits vor der Geburt des Beschwerdeführers in den Iran ausgewandert. Der Beschwerdeführer wurde im Iran geboren und ist dort auch aufgewachsen. Er ist mit den Gepflogenheiten in einem afghanischen Haushalt vertraut. Er besuchte im Iran eine Schule und spricht Farsi, eine auch in Afghanistan gebräuchliche Sprache.
In Österreich absolvierte der BF seinen Pflichtschulabschluss.
Der Beschwerdeführer hat bereits im Iran als Hilfsarbeiter gearbeitet und seinen Vater bei dessen Arbeit als Gärtner unterstützt. Er steht mit seiner Kernfamilie in Kontakt. Diese befindet sich im Iran. Er verfügt über keine familiären Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit Unterstützung durch Familienmitglieder, Verwandte oder Freunde rechnen kann. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
Am 28.09.2015 hat der BF in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Der BF geht in Österreich derzeit keiner Erwerbstätigkeit nach, lebt von der Grundversorgung und ist strafrechtlich unbescholten.
Er hat im Bundesgebiet weder Familienangehörige noch Verwandte. Der Beschwerdeführer führt in Österreich eine Beziehung mit einer rumänischen Staatsbürgerin; sie leben jedoch in getrennten Haushalten. Er lebt auch sonst mit keiner nahestehenden Person zusammen. Abhängigkeitsverhältnisse bestehen in Österreich nicht.
Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig. Er hat den Schriftzug "patience" eintätowiert. Die Tätowierung beginnt unter dem linken Ohr und führt körperabwärts am Hals entlang. Die Tätowierung hat sich der Beschwerdeführer selbstbestimmt und freiwillig in Österreich, während und in Kenntnis seines unberechtigten Aufenthaltes in Österreich stechen lassen. Tätowierungen lassen sich auch wieder entfernen, wenngleich eine solche Behandlungen sowohl mit hohen Kosten und Schmerzen verbunden sein können.
Der Beschwerdeführer vermochte im Beschwerdeverfahren nicht darzulegen, was er unter einer "westliche Einstellung" versteht, weswegen er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Afghanistan von Verfolgung, der Asylrelevanz beizumessen wäre, bedroht wäre.
Es kann insbesondere auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit in Afghanistan insbesondere in Herat oder Mazar-e Sharif, aufgrund einer Beziehung zu einer Iranerin, wegen einer vor mehreren Jahren stattgefundenen behaupteten Beziehung und der daran anschließenden Auseinandersetzung mit ihrer Familie, einem asylrelevanten Bedrohungs- bzw. Verfolgungsszenario ausgesetzt wäre.
Der BF wäre bei einer Rückführung nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr betroffen. Er würde weder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara/Sadat noch aufgrund seiner Religion als schiitischer Moslem, mit asylrelevanter Wahrscheinlichkeit einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung des Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch einen konkreten Akteur ausgesetzt.
Ausgehend von den Länderfeststellungen zu Afghanistan vom 13.11.2019 und die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 berücksichtigend kann sich der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan, jedenfalls in Herat oder in Mazar-e Sharif, Städte in Afghanistan, die beide über einen für Zivilflugzeuge erreichbaren Flughafen verfügen, niederlassen und sich dort eine neue Existenz aufbauen. Die Vor-Ort-Verhältnisse, die Versorgungslage und auch die Sicherheitslage in diesen Städten ist nicht derart, dass der BF als alleinstehender, junger, gesunder, arbeitsfähiger und volljähriger Mann mit Schulbildung und Arbeitserfahrung bei einer Wiederansiedelung - entsprechende erforderliche Bemühungen des BF vorausgesetzt - in diesen Städten auf Dauer in eine aussichtslose Situation geraten würde, wenn auch eine Wiederansiedelung am Beginn mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019:
Politische Lage:
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.04.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.05.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 07.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 03.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.05.2019).
In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid KARZAI in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah ABDULLAH das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.04.2019; vgl. AM 2015, DW 30.09.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.05.2019). Die ursprünglich für den 20.04.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.09.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.04.2019).
Parlament und Parlamentswahlen:
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus 2 Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt) sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.04.2019).
Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.04.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident 2 Sitze für die nomadischen Kutschi und 2 weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.03.2019).
Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 13.03.2019, Casolino 2011).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 02.09.2019).
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.04.2019; vgl. USDOS 13.03.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.09.2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.03.2019).
Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.05.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.05.2019).
Friedens- und Versöhnungsprozess:
Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.08.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 08.09.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.08.2019; vgl. NZZ 12.08.2019; DZ 08.09.2019).
Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.01.2019; vgl. DP 28.01.2019, MS 28.01.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.05.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid KARZAI und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.02.2019; vgl. TN 31.05.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.02.2019; vgl. NYT 07.03.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.03.2019; vgl. WP 18.03.2019).
Vom 29.04.2019 bis 03.05.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 06.05.2019 bis 04.06.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 06.05.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.05.2019).
Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 03.09.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 06.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.04.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.06.2019; vgl. AJ 12.04.2019; NYT 12.04.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.04.2019; vgl. NYT 12.04.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.06.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel, die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.07.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.01.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss, als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 08.09.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Gegenwärtig wurden die Gespräche zur Beilegung der Konflikte und zum Abzug der internationalen Truppen zwischen Vertretern der Taliban und von amerikanischer Seite wiederaufgenommen, wenngleich aber auch kämpferische Operationen weiterhin durchgeführt werden.
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 06.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.04.2019; vgl. NYT 19.07.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 03.09.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 07.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.08. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.04.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 06.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 03.09.2019).
So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 03.09.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 07.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 07.12.2018; vgl. ARN 23.06.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 03.09.2019).
Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.02.2019).
Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 07.03.2016; UNGASC 03.03.2017; UNGASC 28.02.2018; UNGASC 28.02.2019))
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Für den Berichtszeitraum 10.05.2019-08.08.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 03.09.2019). Für den Berichtszeitraum 08.02-09.05.2019 registrierte die UN insgesamt
5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.06.2019).
Für den Berichtszeitraum 10.05.-08.08.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 03.09.2019).
Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit
29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).
Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:
Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-08.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))
2016
2017
2018
2019
Jänner
2111
2203
2588
2118
Februar
2225
2062
2377
1809
März
2157
2533
2626
2168
April
2310
2441
2894
2326
Mai
2734
2508
2802
2394
Juni
2345
2245
2164
2386
Juli
2398
2804
2554
2794
August
2829
2850
2234
2443
September
2493
2548
2389
-
Oktober
2607
2725
2682
-
November
2348
2488
2086
-
Dezember
2281
2459
2097
-
insgesamt
28.838
29.866
29.493
18.438
Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-08.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o. D.))
Bild kann nicht dargestellt werden
Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 04.11.2019):
Bild kann nicht dargestellt werden
Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 01.01.2018-30.09.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 04.11.2019)
Im Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast 2 Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.01.2019).
Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.01.2019).
Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.04.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.07.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.04.2019; vgl. NYT 19.07.2019).
Zivile Opfer:
Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 01.01.-30.09.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).
Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.04.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.02.2019; vgl. SIGAR 30.04.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.02.2019).
Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 01.01.2009-30.09.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.02.2019; UNAMA 17.10.2019))
Jahr
Tote
Verletzte
Insgesamt
2009
2.412
3.557
5.969
2010
2.794
4.368
7.162
2011
3.133
4.709
7.842
2012
2.769
4.821
7.590
2013
2.969
5.669
8.638
2014
3.701
6.834
10.535
2015
3.565
7.470
11.035
2016
3.527
7.925
11.452
2017
3.440
7.019
10.459
2018
3.804
7.189
10.993
2019*
2.563*
5.676*
8.239*
Insgesamt
32114
59561
91675