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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AlVG 1977 §23 Abs1 idF 1996/201;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 98/08/0036 E 23. Juni 1998Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde des V in I, vertreten durch D, Rechtsanwalt in I, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 8. Jänner 1998, Zl. LGSTi/V/1215/2865 05 06 39-702/1998, betreffend Pensionsbevorschussung gemäß § 23 Abs. 1 AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer besitzt - seinen Angaben im Antragsformular zufolge - die "serbische" Staatsbürgerschaft. Er beantragte am 21. April 1997 die Zuerkennung von Arbeitslosengeld als Pensionsvorschuß mit der Begründung, er habe im Oktober 1996 einen Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eingebracht. Diese hat - wie aus einem Schreiben der für den Beschwerdeführer einschreitenden Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol vom 23. April 1997 hervorgeht - diesen Antrag mit Bescheid vom 4. Dezember 1996 mit der Begründung abgelehnt, die Wartezeit sei nicht erfüllt. Gegen diesen Bescheid habe der Beschwerdeführer Klage beim Landesgericht Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht erhoben.
Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice hat mit Bescheid vom 5. Mai 1997 zunächst gemäß § 38 AVG das Verfahren bis zur "Klärung der Wartezeit" ausgesetzt, diesen Bescheid jedoch mit Berufungsvorentscheidung vom 25. Juni 1997 behoben und dem Beschwerdeführer den Pensionsvorschuß angewiesen.
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 20. November 1997 wurde das Arbeitslosengeld des Beschwerdeführers "mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt mit 13.11.1997 eingestellt". Nach der Begründung dieses Bescheides habe das Ermittlungsverfahren ergeben, daß der Beschwerdeführer ab 13. November 1997 "keine der oben angeführten Bestimmungen" mehr erfülle (die angegebenen Bestimmungen sind jene des § 24 Abs. 1, des § 7 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 sowie Abs. 3 Z. 2 AlVG und des § 7 Abs. 4 AlVG), weil er für den Zeitraum vom 13. November 1997 bis 16. Februar 1998 nur mehr eine Aufenthaltsbewilligung "mit Zweck Pension" besitze.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er darauf hinwies, daß bei Umwandlung des Arbeitslosengeldes in Pensionsvorschuß eine Vermittlung des Beschwerdeführers nicht möglich sei. Es könne daher nicht der Pensionsvorschuß mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt eingestellt werden.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und dies - nach Zitierung der in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen - zusammengefaßt damit begründet, daß gemäß § 23 Abs. 1 AlVG bis zur Entscheidung über einen Antrag auf die entsprechende Pension vorschußweise Arbeitslosengeld gewährt werden könne, sofern - abgesehen von der Arbeitsfähigkeit und Arbeitslosigkeit "und den Voraussetzungen gemäß § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG" - die übrigen Voraussetzungen vorlägen und mit der Zuerkennung der Pension gerechnet werden könne. Durch diese Bestimmung sei ausdrücklich festgelegt, daß die Voraussetzungen gemäß "§ 7 Abs. 3 Z. 2 iVm Abs. 4 AlVG ("argumento e contrario") in ihrem Fall zu prüfen" gewesen seien. Diese Prüfung habe ergeben, daß der Beschwerdeführer ab 13. November 1997 keine Aufenthaltsbewilligung zum Zwecke unselbständiger Erwerbstätigkeit mehr nachweisen könne und auch die übrigen Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfülle. Die erstinstanzliche Entscheidung sei daher zu Recht ergangen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 23 Abs. 1 AlVG in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 201/1996, kann Arbeitslosen, die die Zuerkennung näher bezeichneter Leistungen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung beantragt haben, bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf diese Leistungen vorschußweise Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe gewährt werden, sofern,
"abgesehen von der Arbeitsfähigkeit bzw. Arbeitswilligkeit und der Voraussetzung gemäß § 7 Abs. 3 Z. 1, die übrigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Leistungen gegeben sind und im Hinblick auf die vorliegenden Umstände mit der Zuerkennung der Leistungen aus der Sozialversicherung gerechnet werden kann".
Die genannten - nach der Lage des Beschwerdefalles in Betracht kommenden - Voraussetzungen sind u.a. das Zurverfügungstehen der Arbeitsvermittlung im Sinne des § 7 Abs. 1 Z. 1 AlVG.
Gemäß § 7 Abs. 2 AlVG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.
Gemäß § 7 Abs. 3 darf und kann eine Beschäftigung aufnehmen, wer
"1. sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält und
2. sich zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich aufhalten darf (Abs. 4)".
Gemäß § 7 Abs. 4 dürfen sich im Sinne des Abs. 3 Z. 2 zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit aufhalten:
"1. Ausländer, die eine Aufenthaltsbewilligung für eine unselbständige Erwerbstätigkeit (§ 1 Abs. 1 Z. 1 der Verordnung des Bundesministers über die Aufenthaltszwecke und die Form der Aufenthaltsbewilligung, BGBl. Nr. 395/1995) besitzen,
2. Ausländer, die nach § 12 des Aufenthaltsgesetzes (AufG), BGBl. Nr. 466/1992, aufenthaltsberechtigt sind,
3. Ausländer, die nach § 13 Abs. 1 AufG aufenthaltsberechtigt sind, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllen,
4. Ausländer, die nach dem Abkommen mit dem Schweizerischen Bundesrat betreffend zusätzliche Vereinbarungen über die Niederlassungsverhältnisse der beiderseitigen Staatsbürger, BGBl. Nr. 204/1951, aufenthaltsberechtigt sind,
5. Ausländer, die vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975, ausgenommen sind,
6. Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis bzw. einen Befreiungsschein (§ 14a bzw. § 15 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes) besitzen,
nicht jedoch Grenzgänger im Sinne des § 13 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. Nr. 466/1992".
Im Beschwerdefall erachtet die belangte Behörde die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld als Pensionsvorschuß deshalb nicht gegeben, weil der Beschwerdeführer eine Aufenthaltsbewilligung mit dem Zweck "Pension" (also als Ruheständler) besitzt, nicht aber eine der in § 7 Abs. 4 AlVG aufgezählten Aufenthaltsberechtigungen.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag diese Auffassung der belangten Behörde aus folgenden Gründen nicht zu teilen:
Es kann dem Gesetzgeber nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unterstellt werden, daß er einerseits in § 23 Abs. 1 AlVG ausdrücklich auf die Voraussetzung des § 7 Abs. 3 Z. 1 (Bereithalten zur Aufnahme und Ausübung einer zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung) verzichtet, andererseits aber darauf besteht, daß der betreffende Arbeitslose im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung ist, die ihn zu eben derselben Aufnahme und Ausübung einer solchen Beschäftigung berechtigt. Wenn ein Arbeitsloser wegen seiner Anspruchsberechtigung auf Bevorschussung von Leistungen aus der Pensionsversicherung weder arbeitsfähig, noch arbeitswillig sein muß, noch sich zur Aufnahme und Ausübung einer solchen Beschäftigung bereithalten muß, dann wäre das Erfordernis einer zur Aufnahme einer solchen Erwerbsarbeit berechtigenden Aufenthaltsbewilligung nicht nur unverständlich, sondern - soweit ein Fehlen einer solchen Berechtigung dem Bezug von Arbeitslosengeld entgegenstünde - auch unsachlich und damit verfassungsrechtlich bedenklich.
Es liegt aber viel eher die Annahme nahe, daß der Gesetzgeber in der Aufzählung des § 7 Abs. 4 AlVG eine Aufenthaltsberechtigung, wie sie im Beschwerdefall vorliegt und in Fällen des § 23 Abs. 1 AlVG vorkommen kann, nicht bedacht hat (zu den durch Zeitdruck bedingten "Formulierungsschwächen und Regelungslücken" des Strukturanpassungsgesetzes siehe Dirschmied in FS Tomandl, 432). Angesichts der ausdrücklichen Erwähnung des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG in § 23 Abs. 1 AlVG (in dem Sinne, daß diese Voraussetzung nicht zu prüfen ist) kann die Nichterwähnung des § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG daher - allenfalls - so gedeutet werden, daß es dem Gesetzgeber zwar auf das Vorliegen einer Aufenthaltsberechtigung ankam, nicht aber darauf, daß diese Aufenthaltsberechtigung auch zu einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Für den Fall des § 23 Abs. 1 AlVG ist dann aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG zumindest dahingehend verfassungskonform einschränkend zu interpretieren, daß der betreffende Arbeitslose nur berechtigt gewesen sein muß, sich in Österreich aufzuhalten. Allfällige weiterreichende verfassungsrechtliche Bedenken, wie sie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1998, Zlen. G 363-365/97 u.a., nahelegen würde, können hier auf sich beruhen, zumal der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum über eine Aufenthaltsberechtigung verfügte. Es stand ihm daher über den 13. November 1997 hinaus - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - der Pensionsvorschuß im Sinne des § 23 Abs. 1 AlVG zu.
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998080033.X00Im RIS seit
18.02.2002