TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/10 G313 2167158-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.02.2020
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Entscheidungsdatum

10.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
FPG §55 Abs4

Spruch

G313 2167158-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Rae Dr. Peter LECHENAUER, Dr. Margrit SWOZIL, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.01.2020 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid

wird ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. (an dieser Stelle im Spruch offensichtlich versehentlich keine Ziffer angeführt) FPG gegen den BF ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige nicht gewährt (Spruchpunkt IV.), und gemäß § 18 Abs. 2 Z. 2 BFA-VG einer allfälligen Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt.

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Dabei wurde beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, der Beschwerde stattzugeben und den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

3. Am 10.08.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

4. Mit Beschluss des BVwG vom 16.08.2017 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

5. Am 15.01.2020 wurde vor dem BVwG, Außenstelle Graz, mit dem BF, einer Vertreterin seiner Rechtsvertretung und seiner Ehegattin, seiner Mutter und seinem Vaters als Zeugen im Beisein einer Dolmetscherin für die serbische Sprache eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

6. Mit Schreiben des BVwG vom 17.01.2020 wurde ein österreichisches Strafgericht ersucht, dem BVwG binnen zwei Wochen ab Zustellung dieser Verfügung das den BF betreffende Strafrechtsurteil von Mai 2010 zu übermitteln.

Mit weiterem Schreiben des BVwG vom 17.01.2020 wurde ein anderes inländisches Strafgericht um Übermittlung weiterer näher angeführter den BF betreffender Strafrechtsurteile ersucht.

7. Mit E-Mail des BVwG vom 17.01.2020 wurde der derzeitige Dienstgeber des BF um Bekanntgabe ersucht, welches Verhalten der BF beim Dienstgeber seit seinem Dienstantritt am 01.12.2015 an den Tag gelegt hat, und ob er auch ein Leumundszeugnis abgeben müssen hat.

8. Am 21.01.2020 langte beim BVwG das angeforderte den BF betreffende Strafrechtsurteil von Mai 2010 ein.

9. Mit E-Mail des BVwG vom 24.01.2020 wurde die zuständige Landespolizeidirektion (im Folgenden: LPD) um Übermittlung einer aktuellen Auskunft aus dem Kriminalpolizeilichen Aktenindex ersucht.

10. Mit E-Mail der LPD vom 24.01.2020 wurde dem BVwG ein Auszug aus "kriminalpolizeilicher Aktenindex Auskunft" vom 24.01.2020 - mit keiner Vormerkung darin - übermittelt.

11. Mit E-Mail des derzeitigen Dienstgebers des BF vom 28.01.2020 wurde ein vom BF abgegebenes Leumundszeugnis übermittelt und auf die am 17.01.2020 gestellte Frage geantwortet (Name des BF durch "BF" ersetzt):

Einschätzung seiner Führungskraft:

"Der BF ist seit 2015 bei den (...) GmbH, (...) beschäftigt. (...). Der BF überzeugte in den Jahren seit 2015 mit Zuverlässigkeit und sehr guter Arbeitsleistung. Er ist pünktlich und engagiert. 2018 absolvierte er die Ausbildung zum Produktionslogistiker. Er ist im Team gut integriert und zeigt ein ausgeglichenes soziales Verhalten gegenüber seinen Kollegen. Der BF ist ein wertvoller Mitarbeiter

(...)."

12. Am 03.02.2020 langten beim BVwG die von einem bestimmten Strafgericht angeforderten Strafrechtsurteile von Oktober 2005, Oktober 2008, Juni 2015 und November 2015 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der im Juni 1986 geborene, nunmehr 33 Jahre alte BF ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina. Seine Muttersprache ist Serbisch.

1.2. Er ist im Jahr 1991 im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern nach Österreich gekommen, hält sich seither im Bundesgebiet auf und ist seit genau 21.10.1991 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet - seit Mai 2011 an einer anderen Hauptwohnsitzadresse als seine Eltern.

1.3. Der BF hat in Österreich seine Ehegattin, die er im Februar 2010 in Bosnien und Herzegowina geheiratet hat, und die im neunten Monat von ihm schwanger ist - errechneter Geburtstermin ist "XXXX.02.2020", und seine Mutter und seinen Vater als familiäre Anknüpfungspunkte.

1.3.1. Die Mutter des BF ist seit XXXX.04.2008 österreichische Staatsbürgerin, und der Vater des BF besitzt derzeit einen am 23.03.2015 ausgestellten bis 22.03.2020 gültigen Daueraufenthaltstitel-EU.

1.3.2. Die Mutter des BF leidet an einer mittelgradigen depressiven Episode, laut einem fachärztlichen Befund einer Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin vom 20.12.2019 "wohl aufgrund massiver Schmerzsymptomatik bei Psoriasis-Arthritis", und sei sie in ihren Alltagstätigkeiten schmerzbedingt sehr eingeschränkt und auf Hilfe durch ihre Familie angewiesen.

1.4. Der BF wurde im Bundesgebiet straffällig und insgesamt sechsmal strafrechtlich verurteilt und zwar mit

? Urteil von Oktober 2005, rechtskräftig mit Oktober 2005, wegen Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz zu einer Geldstrafe von 70 Tagsätzen zu je EUR 2,00 (EUR 140,00), im Nichteinbringungsfall 35 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, mit

? Urteil von Oktober 2008, rechtskräftig mit November 2008, wegen fahrlässiger Körperverletzung und Gefährdung der körperlichen Sicherheit zu einer Geldstrafe von 90 Tagsätzen zu je EUR 12,00 (EUR 1.080,00), im Nichteinbringungsfall 45 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, mit

? Urteil von Mai 2010, rechtskräftig mit Mai 2010, wegen Raufhandels zu einer Geldstrafe von 100 Tagsätzen zu je EUR 9,00 (EUR 900,00), im Nichteinbringungsfall 50 Tage Ersatzfreiheitstrafe, mit

? Urteil von Juni 2015, rechtskräftig mit Juni 2015, wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagsätzen zu je EUR 18,00 (EUR 1.080,00), im Nichteinbringungsfall 30 Tage Ersatzfreiheitstrafe, mit

? Urteil von November 2015, rechtskräftig mit Dezember 2015, wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagsätzen zu je EUR 12,00 (EUR 960,00), im Nichteinbringungsfall 40 Tage Ersatzfreiheitstrafe, und mit

? Urteil von April 2017, rechtskräftig mit April 2017, wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren.

1.4.1. Der ersten strafrechtlichen Verurteilung des BF von Oktober 2005 lagen folgende strafbare Handlungen zugrunde:

Der BF hat in der Zeit von ca. August 2003 bis Mai 2005 an verschiedenen Orten im Bundesgebiet den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift erworben, besessen und an andere weitergegeben, indem er in zahlreichen Tathandlungen insgesamt ca. 670 bis 720g Cannabisharz bzw. -kraut von im Strafrechtsurteil einer nur vornamentlich und drei ganznamentlich genannten Personen und Unbekannten kaufte und bis zum Eigenkonsum bzw. zur teilweisen Weitergabe an drei namentlich genannte Personen und andere im Zuge gemeinsamer Konsumation besaß und insgesamt ca. 15g an eine namentlich genannte Person verkaufte.

1.4.2. Der strafrechtlichen Verurteilung des BF von Oktober 2008 lag zugrunde:

Der BF hat am 1.6.2008 im Bundesgebiet in einer im Strafrechtsurteil namentlich genannten Gasse als PKW-Lenker

1. dadurch, dass er wegen eines Fahrfehlers gegen ein rechtsseitiges Gebäude stieß, wobei ein seiner Mitfahrer eine Schädelprellung, ein weiterer Mitfahrer eine Zerrung der Halswirbelsäule sowie eine Prellung der rechten Schulter und des Nasenbeines und ein weiterer Mitfahrer eine Kieferprellung erlitten, die Genannten fahrlässig am Körper verletzt;

2. durch die unter 1. geschilderte Tat fahrlässig eine Gefahr für die körperliche Sicherheit eines weiteren Mitfahrers herbeigeführt,

nachdem er sich jeweils vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hatte, obwohl er vorgesehen hat oder vorhersehen hätte können, dass ihm mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges eine Tätigkeit bevorstand, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet war."

1.4.3. Der vorletzten strafrechtlichen Verurteilung des BF von November 2015 lagen folgende strafbare Handlungen des BF im Bundesgebiet zugrunde:

Der BF hat am 11.07.2015 auf einer Landesstraße im Bundesgebiet als PKW-Lenker dadurch, dass er in einer Rechtskurve wegen eines Fehfehlers auf die linke Fahrbahnhälfte geriet und mit dem entgegenkommenden, von einer bestimmten im Strafrechtsurteil namentlich genannten Person gelenkten PKW zusammenstieß, wobei seine Beifahrerin einen Riss und eine Prellung des Brustbeins und eine Verstauchung der Halswirbelsäule, die Lenkerin des anderen Fahrzeuges eine Prellung der linken Hand, zwei Mitfahrerinnen jeweils eine Verstauchung der Halswirbelsäule und eine Schädelprellung, eine weitere Mitfahrerin eine Zerrung der Halswirbelsäule und eine Prellung der linken Schulter erlitten, die Genannten fahrlässig am Körper verletzt.

1.4.4. Der letzten strafrechtlichen Verurteilung des BF von April 2017 lag Folgendes zugrunde:

Der BF hat einer bestimmten im Strafrechtsurteil namentlich genannten Person dadurch, dass er ihr mehrere Schläge auf den Kopf und den Bereich der Brust versetzt hat, in Form einer Schwellung und eines Kratzers am linken Auge sowie einer Verletzung an der Brust am Körper verletzt.

1.5. Der BF besuchte in Österreich die Schule, absolvierte im Juli 2001 mit "gutem Erfolg" die vierte Klasse (achten Schulstufe) Hauptschule, absolvierte im Juli 2007 die Berufsschule für Einzelhandel "mit ausgezeichnetem Erfolg", hat im Juli 2007 die Lehrabschlussprüfung zum "Einzelhandelskaufmann - Elektro-Elektronikberatung "bestanden", im Juli 2014 die Lehrabschlussprüfung zum "Maschinenbautechniker" "mit gutem Erfolg bestanden", im April 2019 eine Ausbildung zum "Produktionslogistiker" bei seinem Dienstgeber "mit ausgezeichnetem Erfolg" absolviert, und sich danach durch den Besuch von Schulungen im Juli 2019 bei seinem derzeitigen Dienstgeber weitergebildet.

Der BF ging ab Juli 2003 - bei verschiedenen Dienstgebern - wenn auch nicht durchgehend, diversen Erwerbstätigkeiten nach, und ist nunmehr seit Dezember 2015 bei ein- und demselben Dienstgeber beschäftigt.

1.5.1. Die Mutter des BF war im Bundesgebiet ab April 1991 bei verschiedenen Dienstgebern erwerbstätig, und ist nunmehr seit 29.01.2019 gesundheitsbedingt arbeitsunfähig bzw. im Krankenstand.

Der Vater des BF ging im Bundesgebiet ab Juli 1991 bei verschiedenen Dienstgebern Beschäftigungen nach und ist auch derzeit erwerbstätig.

Dass die Eltern des BF jemals im Bundesgebiet Mindestsicherung bezogen haben, ging weder aus dem Akteninhalt noch aus einem aktuellen Auszug aus dem AJ WEB - Auskunftsverfahren hervor.

1.6. Der BF hat - abgesehen von seiner schulischen, ausbildungs-, berufsmäßigen und damit verbunden auch sprachlichen und sozialen Integration - im Bundesgebiet auch insofern einen berücksichtigungswürdigen Integrationsschritt gesetzt, als er freiwillig einen Tag im Mai 2018 an einem 16-stündigen Erste-Hilfe-Grundkurs erfolgreich teilgenommen hat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Zur Person des BF und seinen individuellen Verhältnissen

2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit und serbischen Muttersprache des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

2.2.2. Dass sich der BF bereits seit dem Jahr 1991 bzw. dem Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern im Bundesgebiet aufhält, ergab sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt. Die festgestellte durchgehende Hauptwohnsitzmeldung des BF in Österreich seit 21.10.1991 beruht auf einem Zentralmelderegisterauszug.

2.2.3. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des BF im Bundesgebiet - Ehegattin, Mutter und Vater - beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

Dass der BF seit Februar 2010 verheiratet ist, beruht auf einer zusammen mit einem Unterlagenkonvolut am 14.01.2020 beim BVwG eingelangten Kopie einer dies bescheinigenden Heiratsurkunde.

Dass die Ehegattin des BF ein Kind von ihm erwartet und der errechnete Geburtstermin "XXXX.02.2020" ist, beruht auf dem dies bescheinigenden "Mutter-Kind-Pass" im Akt.

2.2.4. Dass der BF nunmehr im Besitz eines von 09.05.2017 bis 08.05.2022 gültigen Daueraufenthaltstitels-EU ist, seine Ehegattin derzeit über einen von 26.07.2017 bis 25.07.2022 gültigen Daueraufenthaltstitel-EU verfügt, ergab sich aus den dem Verwaltungsakt einliegenden diesbezüglichen Kopien (AS 197 betreffend Aufenthaltskarte des BF und AS 147 betreffend Aufenthaltskarte seiner Ehegattin) bzw. den diesbezüglichen Eintragungen im "Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister".

Dass der Mutter des BF am XXXX.04.2008 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden ist, ergab sich aus einem dies bescheinigenden Staatsbürgerschaftsnachweis im Akt (AS 143). Der festgestellte Aufenthaltsstatus seines Vaters, der ebenso wie der BF und seine Ehegattin einen Daueraufenthaltstitel-EU innehat, war aus einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister ersichtlich.

2.2.5. Die Feststellungen zum Schulbesuch und zu den Ausbildungen des BF in Österreich - zur Absolvierung der vierten Klasse (achten Schulstufe) Hauptschule im Juli 2001 mit "gutem Erfolg" (AS 165), zur Absolvierung einer Berufsschule für Einzelhandel im Juli 2007 mit ausgezeichnetem Erfolg (AS 159), zur im Juli 2007 "bestandenen" Lehrabschlussprüfung zum "Einzelhandelskaufmann - Elektro-Elektronikberatung (AS 161), zur im Juli 2014 "mit gutem Erfolg bestandenen" Lehrabschlussprüfung zum "Maschinenbautechniker" (AS 163), zur Absolvierung einer Ausbildung zum "Produktionslogistiker" bei seinem Dienstgeber "mit ausgezeichnetem Erfolg" im April 2019, wofür am 14.01.2020 dem BVwG ein "Zertifikat" nachgereicht wurde - ergaben sich aus dem diesbezüglichen Akteninhalt.

Die Feststellungen zu den ab Juli 2003 bei verschiedenen Dienstgebern nachgegangenen Erwerbstätigkeiten beruhen auf einem aktuellen AJ WEB - Auskunftsverfahrensauszug.

2.2.6. Die Feststellungen zu den insgesamt sechs rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen des BF im Bundesgebiet im Zeitraum von Oktober 2005 bis April 2017 beruhen auf einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich. Die näheren Feststellungen zu einzelnen strafrechtlichen Verurteilungen des BF zugrundeliegenden strafbaren Handlungen beruhen auf dem Inhalt der am 03.02.2020 nachgereichten Strafrechtsurteile von Oktober 2005, Oktober 2008, November 2015 und dem Inhalt der gekürzten Urteilsausfertigung des letzten Strafrechtsurteils des BF von April 2017 im Akt (AS 20).

2.2.7. Dass der BF einen Tag im Mai 2018 an einem 16-stündigen Erste-Hilfe-Grundkurs erfolgreich teilgenommen hat, beruht auf einer diesbezüglichen Bestätigung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A) I.:

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1.1. Der mit "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte § 57 AsylG lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist."

Der mit "Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme" betitelte § 10 AsylG idgF lautet in seinem Absatz 2:

"§10. (...)

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden."

Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 FPG lautet wie folgt:

"§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) (...).

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

(...)."

Der mit "Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelte § 55 AsylG 2005 lautet wie folgt:

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet wie folgt:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei-

und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(...)."

§ 9 Abs. 4 BFA-VG, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I Nr. 70/2015, wurde durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018, aufgehoben und ist am 31.08.2018 außer Kraft getreten.

Wiederholt ist darauf hinzuweisen, dass die von 20.07.2015 bis 31.08.2018 gültig gewesene Bestimmung des § 9 Abs. 4 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, wie folgt, gelautet hat:

"§ 9. (...).

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist."

Der mit "Verleihung" betitelte § 10 Staatsbürgerschaftsgesetz (StBG), BGBl. Nr. 311/1985, idF BGBl. I Nr. 124/1998, gültig gewesen vom 01.01.1999 bis 22.03.2006, lautete in seinem Absatz 1, wie folgt:

"§ 10.

(1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;

2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrundeliegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;

3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist;

4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;

5. gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht und auch kein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung anhängig ist;

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder ihn an seiner finanziellen Notlage kein Verschulden trifft und

8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde."

3.1.2. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich Folgendes:

Spruchpunkt I. des gegenständlich angefochtenen Bescheides lautet:

"I.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen."

Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass der BF im Besitz eines Daueraufenthaltstitels-EU und damit eines NAG-Aufenthaltstitels ist, hat dann jedoch in Unterstellung eines nicht rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet ausgesprochen, dass dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57, 55 AsylG erteilt und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen wird.

Dies erfolgte jedenfalls zu Unrecht, hätte doch die belangte Behörde, wenn die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gerechtfertigt gewesen wäre, wegen rechtmäßigen Aufenthalts des BF nach NAG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 FPG zu erlassen gehabt, im gegenständlichen Fall jedoch, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, gegen den BF gar keine Rückkehrentscheidung erlassen dürfen:

Der BF hält sich seit dem Jahr 1991 durchgehend im Bundesgebiet auf, weist seit 21.10.1991 zudem seit nunmehr 38 Jahren eine durchgehende Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf, hat in Österreich die Schule besucht, die vierte Klasse Hauptschule bzw. achte Schulstufe im Juli 2001 mit "gutem Erfolg" abgeschlossen, im Juli 2007 die Berufsschule für Einzelhandel mit ausgezeichnetem Erfolg absolviert, im Juli 2007 die Lehrabschlussprüfung zum "Einzelhandelskaufmann - Elektro-Elektronikberatung "bestanden", im Juli 2014 die Lehrabschlussprüfung zum "Maschinenbautechniker" "mit gutem Erfolg bestanden" und beim derzeitigen Dienstgeber des BF, der ab Juli 2003 bei verschiedenen Dienstgebern beschäftigt war und seit 01.12.2015 bei seinem derzeitigen Dienstgeber erwerbstätig ist, im April 2019 eine Ausbildung zum "Produktionslogistiker" "mit ausgezeichnetem Erfolg" abgeschlossen.

Hinzuweisen ist an dieser Stelle nochmals auf die vorhin angeführten Bestimmungen:

§ 9 Abs. 4 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, von 20.07.2015 bis 31.08.2018 gültig gewesen, lautet:

"§ 9. (...).

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist."

Der mit "Verleihung" betitelte § 10 Staatsbürgerschaftsgesetz (StBG), BGBl. Nr. 311/1985, idF BGBl. I Nr. 124/1998, gültig gewesen vom 01.01.1999 bis 22.03.2006, lautet in seinem Absatz 1, wie folgt:

"§ 10.

(1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;

2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrundeliegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;

3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist;

4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;

5. gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht und auch kein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung anhängig ist;

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder ihn an seiner finanziellen Notlage kein Verschulden trifft und

8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde."

Der BF, der seit 21.10.1991 im Bundesgebiet eine durchgehende Hauptwohnsitzmeldung aufweist, erfüllte den Tatbestand nach § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG, BGBl. Nr. 311/1925, idF BGBl. I Nr. 124/1998, welche Fassung des StbG von 01.01.1999 bis 22.03.2006 gültig war, jedenfalls bereits nach Ablauf seiner ersten zehnjähren Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet am 22.10.2001.

Auch die weiteren für eine mögliche Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft kumulativ geforderten Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Z. 2ff StbG hat der ab 21.10.1991 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldete BF nach Ablauf seiner ersten zehnjährigen Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet am 22.10.2001 erfüllt, hat er doch erst nach diesem Zeitpunkt - dem Strafrechtsurteil von Oktober 2005 folgend "ca. im August 2003" - die seiner ersten strafrechtlichen Verurteilung zugrundeliegende erste Straftat begangen, und war sein Lebensunterhalt im Bundesgebiet auch in Zeiten, als der BF selbst noch nicht im erwerbsfähigen Alter bzw. erwerbstätig war, durch die Erwerbstätigkeit seiner Eltern, mit denen er bis Mai 2011 einen gemeinsamen Hauptwohnsitz hatte, gesichert, ging doch die Mutter des BF ab April 1991 und sein Vater, der auch derzeit in einem Beschäftigungsverhältnis steht, ab Juli 1991 diversen Erwerbstätigkeiten nach und haben beide Elternteile einem aktuellen AJ WEB - Auskunftsverfahrensauszug folgend im Bundesgebiet auch nie um Mindestsicherung angesucht.

Die belangte Behörde hätte folglich mit Spruchpunkt I. des gegenständlich angefochtenen Bescheides gegen den BF, der zum Zeitpunkt der Erlassung des im Spruch angeführten Bescheides aufgrund eines von 09.05.2017 bis 08.05.2022 gültigen Daueraufenthaltstitel-EU einen rechtmäßigen NAG-Aufenthaltstitel innehatte, keine Rückkehrentscheidung (die, wenn diese gerechtfertigt gewesen wäre, wegen rechtmäßigen NAG-Aufenthaltstitels nur nach § 52 Abs. 4 BFA-VG in Frage gekommen wäre) erlassen dürfen, hatte der BF doch bereits nach Ablauf seiner ersten durchgehenden zehnjährigen Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet am 22.10.2001 wegen Erfüllung aller in der damaligen Fassung des § 10 Abs. 1 StbG angeführten kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen Anspruch auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und liegt auch kein Ausschlussgrund nach den im § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG angeführten Bestimmungen des § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG vor.

Der zweite Tatbestand nach § 9 Abs. 4 Z. 2 BFA-VG, wonach gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden darf, wenn dieser von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, ist im gegenständlichen Fall nicht erfüllt, bereits deswegen nicht, weil der BF mit seinen Eltern im Jahr 1991 erst im Alter von fünf Jahren nach Österreich gekommen ist und nach der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofs sogar bei einer Einreise erst im Alter von vier Jahren nicht davon gesprochen werden kann, dass sich der Drittstaatsangehörige "von klein auf" im Bundesgebiet aufhält (vgl. VwGH vom 21.11.2011, Zl. 2009/18/0179, mwN).

Wegen Erfüllung der Tatbestände nach § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG und § 10 Abs. 1 StbG in der oben angeführten gegenständlich jeweils relevanten Fassung durfte gegen den BF jedoch jedenfalls keine Rückkehrentscheidung erlassen werden.

Es war der Beschwerde daher stattzugeben und folglich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, mit welchem, einen unrechtmäßigen Aufenthalt des BF im Bundesgebiet unterstellend, dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach §§ 57, 55 AsylG nicht erteilt und gegen den BF gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen wurde, ersatzlos zu beheben - ebenso die darauffolgenden Spruchpunkte II. - IV. des im Spruch angeführten Bescheides, für die Spruchpunkt I. die Basis darstellt.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint bzw. nach § 24 Abs. 2 VwGVG bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2167158.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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