TE Vwgh Erkenntnis 1998/5/13 97/01/0242

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Veröffentlicht am 13.05.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §37;
StbG 1965 §10 Abs1 Z6 idF 1983/170;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Y in Traun, vertreten durch Dr. Axel Zaglits, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Schmidtorstraße 8, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 9. Jänner 1997, Zl. Gem (Stb) - 37.707/8-1996-Ste, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben auf seine Ehegattin und auf seine minderjährigen Kinder, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 9. Jänner 1997 wurden der Antrag des Beschwerdeführers - eines türkischen Staatsangehörigen - vom 4. April 1995 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und der damit verbundene Antrag auf Erstreckung der Verleihung auf seine Ehegattin und seine beiden mj. Kinder gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 i. V.m. §§ 16, 17 und 18 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, daß der - nach Ausweis der Verwaltungsakten am 9. September 1970 geborene - Beschwerdeführer seit 1974 den ununterbrochenen Wohnsitz in Österreich habe; er sei nicht nachteilig in Erscheinung getreten und in Traun als Monteur beschäftigt. Bisher sei er von den Verwaltungsbehörden zweimal wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO (am 19. August 1991 und am 9. Dezember 1992) und zweimal wegen Übertretung des § 38 Abs. 5 i.V.m. § 38 Abs. 1 lit. a StVO (am 13. Jänner 1995 und am 7. November 1995) rechtskräftig bestraft worden. Dabei seien (in der zeitlichen Reihenfolge) Geldstrafen in Höhe von S 1.300,--, S 2.000.--, S 1.000,-- und S 1.000,-- verhängt worden. Aufgrund der "vorliegenden massiven Geschwindigkeitsübertretungen im Ortsgebiet (Bereich Kindergarten) und der erfolgten Verurteilungen gemäß § 38 Abs. 5 i.V.m. § 38 lit. a StVO (bei Rotlicht über die Kreuzung)" ergebe sich der Schluß, daß der Beschwerdeführer gegenwärtig und auch in Zukunft wesentliche, zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Sicherheit sowie zur Wahrung der öffentlichen Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten bzw. nicht in erwartbarer Weise beachten werde.

Da die Erstreckungsanträge das Schicksal des Hauptantrages teilten, seien auch diese abzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG darf die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet. Dabei handelt es sich um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung, weshalb eine nach § 11 StbG vorzunehmende Ermessensentscheidung erst dann in Betracht kommt, wenn diese Voraussetzung - zusätzlich zu den weiters in § 10 Abs. 1 StbG genannten Verleihungsvoraussetzungen - gegeben ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1997, Zl. 96/01/0306). Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde die Auffassung vertreten, daß der Beschwerdeführer noch keine Gewähr dafür biete, daß er keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bilde. Entgegen den Beschwerdeausführungen kommt ein Rückgriff auf das nach § 11 StbG zu übende Ermessen daher nicht in Betracht.

Die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Ansicht, der Beschwerdeführer erfülle nicht die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG, wird vom Beschwerdeführer in der Folge im wesentlichen unter zwei Gesichtspunkten bekämpft. Zunächst einmal wendet er sich grundsätzlich dagegen, Verstöße gegen straßenpolizeiliche Vorschriften in die Beurteilung nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG miteinzubeziehen. Thienel (Österreichische Staatsbürgerschaft, Band II, 181 ff.) folgend vertritt er den Standpunkt, die Begriffstrias "öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit" umschreibe auch für den Bereich des Staatsbürgerschaftsrechtes die (allgemeine) Sicherheitspolizei, sodaß die Versagung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG nur dann in Frage komme, wenn aus dem bisherigen Verhalten des Staatsbürgerschaftswerbers deutlich werde, er werde allgemeine Gefahren für Leben, Gesundheit, Sicherheit und öffentliche Ruhe und Ordnung im Inneren (insbesondere durch die Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen) erregen. Die Annahme, der Bewerber werde lediglich bestimmte verwaltungspolizeiliche Vorschriften wie jene der Straßenverkehrsordnung mißachten, rechtfertige hingegen die Verweigerung der Einbürgerung nicht.

Hiezu ist zunächst anzumerken, daß auch Thienel nicht schlichtweg gegen die Berücksichtigung von Übertretungen spezifischer verwaltungspolizeilicher Vorschriften auftritt. Er lehnt es bloß ab, alle öffentlich-rechtlichen Vorschriften als Schutzobjekt im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG zu verstehen; demgegenüber erachtet er es immerhin als möglich, aus der Verletzung derartiger Normen den Schluß zu ziehen, daß der Betreffende auch die Verletzung strafgesetzlicher oder sicherheitspolizeilicher Vorschriften in Kauf nimmt (aaO., 184) - und demnach nicht ausreichend Gewähr dafür bietet, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit darzustellen. Im übrigen vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur - zurückgehend auf ein Erkenntnis vom 12. März 1968, Zl. 1274/67 - die Auffassung, daß Verstöße gegen Vorschriften, die der Sicherheit des Straßenverkehrs dienen, von der Verleihung der Staatsbürgerschaft jedenfalls dann ausschließen, wenn aus der Art, der Schwere oder der Häufigkeit dieser Übertretungen die negative Einstellung gegenüber den zur Hintanhaltung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit erlassenen Gesetzen in deutlicher Weise zum Ausdruck kommt (vgl. dazu aus letzter Zeit die hg. Erkenntnisse vom 25. Juni 1997, Zl. 96/01/0694, vom 28. Jänner 1998, Zl. 96/01/0985, und vom 11. März 1998, Zl. 97/01/1095). Allerdings entspricht es gleichfalls der ständigen Rechtsprechung, daß bei der nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG vorzunehmenden Beurteilung der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers auszugehen ist. Dieses Gesamtverhalten wird wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern ist es lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluß rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. März 1998, Zl. 97/01/0433, m.w.N.).

Der Beschwerdeführer vermeint - und das ist sein zweites Argument gegen die behördliche Annahme, er erfülle die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG nicht -, die belangte Behörde habe diesen Grundsätzen zuwider rein formal nur auf die festgestellten vier verwaltungsstrafrechtlichen Bestrafungen abgestellt, ohne die im Sinne der genannten Vorschrift erforderliche materielle Prüfung seiner Persönlichkeit vorzunehmen. Damit ist er im Ergebnis im Recht. Wohl hat die belangte Behörde die genannten Bestrafungen gemäß der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht schon allein kraft ihrer Existenz als Verleihungshindernis gewertet; indem sie formulierte, "auf Grund der vorliegenden massiven Geschwindigkeitsübertretungen im Ortsgebiet (Bereich Kindergarten) und der erfolgten Verurteilungen gemäß § 38 Abs. 5 i.V.m. § 38 lit. a StVO (bei Rotlicht über die Kreuzung)" komme sie zu dem Schluß, daß der Verleihungswerber gegenwärtig und auch in Zukunft wesentliche, zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Sicherheit sowie zur Wahrung der öffentlichen Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten bzw. nicht in erwartbarer Weise beachten werde, wird der bekämpften Entscheidung jedoch nur scheinbar eine tragfähige Prognose des künftigen Verhaltens des Beschwerdeführers - wie nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG erforderlich - zugrundegelegt. Wie sich aus der obigen Darstellung ergibt, bedarf es unter dem Blickwinkel der genannten Bestimmung einer materiellen Prüfung der Persönlichkeit des Einbürgerungswerbers. Eine solche Prüfung gebietet einen Rückgriff auf die näheren Umstände der von ihm begangenen Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung, weil nur so ein Rückschluß auf sein Charakterbild möglich ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. Mai 1988, Zl. 86/01/0182, und vom 11. März 1998, Zl. 97/01/0433). Mit dem bloßen Hinweis darauf, daß die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung schon mehr als vier bzw. fünf Jahre zurückliegenden Geschwindigkeitsüberschreitungen "massiv" gewesen und im Ortsgebiet (Bereich Kindergarten) erfolgt seien - bezüglich der Übertretungen nach § 38 Abs. 5 i.V.m. § 38 lit. a StVO fehlt jegliche Konkretisierung - ist es nicht getan. Richtig weist die Beschwerde darauf hin, daß es etwa auch darauf ankommt, zu welcher Uhrzeit und unter welchen Verhältnissen der Beschwerdeführer die Geschwindigkeitsüberschreitungen begangen hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 4. April 1990, Zl. 89/01/0430).

Da die belangte Behörde somit der von ihr getroffenen Prognose keine ausreichenden Feststellungen zugrunde gelegt hat, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Da demnach für den Schriftsatzaufwand ein Pauschalbetrag von lediglich S 12.500,-- vorgesehen ist, war das vom Beschwerdeführer erhobene Mehrbegehren abzuweisen.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997010242.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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