TE Bvwg Beschluss 2020/2/20 W161 2228320-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.02.2020
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Entscheidungsdatum

20.02.2020

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz 2
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §61

Spruch

W161 2228320-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Dr. Monika LASSMANN über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.01.2020, Zl. 1246555900/190956319, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 19.09.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu ihrer Person liegt zu Spanien eine EURODAC-Treffermeldung vor, und zwar vom 01.03.2017 (Kategorie 1, Asylantragstellung).

Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom selben Tag (19.09.2019) gab die Beschwerdeführerin an, sie sei am XXXX in XXXX , Nigeria geboren, ledig und Christin. Sie habe ihren Herkunftsstaat im Dezember 2017 mit einem Bus nach Marokko verlassen. Im Dezember 2017 sei sie weitergereist nach Spanien und habe sich dort von Dezember 2017 bis August 2019 aufgehalten. Im September 2019 sei sie eine Woche in Frankreich gewesen und von dort über unbekannte Länder nach Österreich gelangt. Sie wolle nicht nach Spanien zurück. Als Fluchtgrund gab die Beschwerdeführerin an, ihr Vater sei verstorben, als sie zwei Jahre alt gewesen wäre. Ihre Mutter sei krank. Sie hätten kein Geld gehabt, deswegen habe sie nicht in die Schule gehen können. Eine Frau habe sie eines Tages weinen gesehen und ihr versprochen, sie nach Spanien zu bringen, damit sie dort die Schule besuchen könne. Als sie dann dort gewesen wäre, habe sie als Prostituierte für diese Frau arbeiten müssen. Sie habe 35.000,-- Euro abarbeiten müssen.

Im Akt befindet sich auch ein von der Beschwerdeführerin handschriftlich ausgefüllter Fragebogen zu ihren persönlichen Daten, in welchem sie das Geburtsdatum mit " XXXX " angegeben hat.

Am 23.09.2019 stellte das BFA ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Spanien.

Mit Schreiben vom 27.09.2019 stimmte die spanische Dublin-Behörde ausdrücklich dem Wiederaufnahmeersuchen zu und teilte mit, dass die Beschwerdeführerin in Spanien als " XXXX , geb. XXXX " bekannt sei.

Nach durchgeführter Rechtsberatung fand am 04.10.2019 im Beisein einer Rechtsberaterin und einer Dolmetscherin die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor einer Mitarbeiterin des BFA, als Leiterin der Amtshandlung, statt. Dabei gab die Beschwerdeführerin an, sie fühle sich psychisch und physisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren. Ihre Angaben im Rahmen der Erstbefragung seien richtig, vollständig und wahrheitsgetreu. Befragt, ob sie über identitätsbezeugende Dokumente wie Reisepass, Personalausweis oder eine Geburtsurkunde mit Lichtbild verfüge, gab die Beschwerdeführerin an: "Nein, ich hatte auch niemals solche Dokumente." Sie gab weiters an, es gehe ihr gesundheitlich gut und sie sei nicht in medizinischer Behandlung. Sie habe in Österreich oder sonst in Europa keine Verwandten und lebe mit niemandem in einer Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Sie habe bisher keine Deutschkurse besucht und sei nicht Mitglied in Vereinen oder sonstigen Organisationen. Sie möchte nicht nach Spanien zurück, weil im Fall ihrer Rückkehr nach Spanien werde die "Madame" sie finden. Die Beschwerdeführerin habe beim " XXXX " geschworen, dass sie diese nicht bei der Polizei anzeigen werde, und wenn die Madame sie finde, werde sie dem " XXXX " sagen, dass es sie umbringen solle. Befragt, was einer Ausweisung nach Spanien entgegenstehe, gab die Beschwerdeführerin an, ihre Madame habe sie immer geschlagen, sie werde ihr nichts zu essen zu geben und ihr befehlen, arbeiten zu gehen, und wenn sie zurückkomme, werde sie ihr das Geld abnehmen. Der Name der Madame sei XXXX . Die Beschwerdeführerin sei mehr als zwei Jahre lang in Spanien aufhältig gewesen. Sie kenne Madame aus Nigeria. Die Frau habe sie in einem Park weinen gesehen und ihr gesagt, sie werde die Beschwerdeführerin nach Europa bringen, diese hätte dort die Möglichkeit, in die Schule zu gehen und würde ihr die Frau dort ein besseres Leben ermöglichen. So sei sie dann nach Europa gekommen. In Europa habe ihr die Frau dann gesagt, sie solle als Prostituierte arbeiten. Sie habe dann mit Madame in XXXX gelebt und in einem Appartement gewohnt. Die Beschwerdeführerin schilderte in der Folge ihre Arbeit als Prostituierte und gab an, als die Frau sie eines Tages in eine andere Stadt in einen anderen Club gebracht hätte, habe sie die Möglichkeit gefunden, zu flüchten. Sie möchte nur noch angeben, dass sie nicht nach Spanien zurückmöchte, weil im Fall ihrer Rückkehr Madame sie finden werde. Befragt, warum sie in Spanien unter einem anderen Namen und einem anderen Geburtsdatum aufgetreten ist, gab die Beschwerdeführerin an: "Madame sagte zu mir, ich sollte diese Angaben machen, weil sie sagte, dass ich mich älter machen müsste. Das war der Grund, warum ich diesen Namen verwendet habe." Die Beschwerdeführerin gab auch an, sie habe in Spanien einen Asylantrag gestellt, Madame hätte ihr gesagt, sie solle dies tun, um ein Papier zu bekommen, dass ihr erlauben würde, zu arbeiten. Man habe ihr dann ein rotes Schriftstück gegeben, damit sie es herzeigen könne, wenn die Polizei sie kontrolliere.

Am 04.10.2019 brachte die Rechtsberatung der Beschwerdeführerin für diese eine Stellungnahme ein. Darin wird das Geburtsdatum XXXX angeführt und im Sachverhalt von der "damals Minderjährigen" gesprochen.

Die Staatsanwaltschaft erklärte nach Anzeigeerstattung durch die Beschwerdeführerin am 24.10.2019 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 35 c StAG abzusehen, zumal kein Anfangsverdacht (§ 1 Abs. 3 StPO) bestehe.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 17.01.2020 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Spanien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG gegen die Beschwerdeführerin die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Spanien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die Identität der Antragstellerin stehe in Ermangelung geeigneter, heimatstaatlicher, identitätsbezeugender Dokumente nicht fest. Diese habe am 01.03.2017 in Spanien einen Asylantrag gestellt, Spanien habe sich mit Schreiben vom 27.09.2019 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO für die Führung ihres Asylverfahrens für zuständig erklärt. Die Antragstellerin verfüge in Österreich über keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte. Sie sei spätestens am 19.09.2019 illegal in Österreich eingereist und seit diesem Zeitpunkt hier aufhältig. Eine besondere Integrationsverfestigung ihrer Person in Österreich bestehe nicht. Es könne nicht festgestellt werden, dass sie in Spanien systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder diese dort zu erwarten hätte. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG habe bei Abwägung aller Umstände nicht erschüttert werden können und habe sich kein zwingender Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben.

3. Gegen diesen Bescheid wurde am 31.01.2020 vom Magistrat der XXXX , XXXX Kinder - und Jugendhilfe, Gruppe Recht-Asylvertretung im Namen der Beschwerdeführerin eine Beschwerde eingebracht. In dieser Beschwerde ist erstmalig das Geburtsdatum XXXX angeführt und wird ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe der LEFÖ-IBF -Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel mitgeteilt, dass sie tatsächlich erst 16 Jahre alt sei und am XXXX geboren worden sei. Der Beschwerdeführerin sei es gelungen, mit ihrer Mutter in Nigeria Kontakt aufzunehmen und sich ein "Certificate of Birth" nach Österreich übermitteln zu lassen. Da es sich um eine unbegleitete Minderjährige handle, habe die XXXX Kinder- und Jugendhilfe in der Folge beim zuständigen Bezirksgericht einen Antrag auf Betrauung mit der Obsorge eingebracht.

Der Beschwerde angeschlossen ist ein Antrag auf Betrauung mit der Obsorge an das Bezirksgericht XXXX sowie eine Kopie einer nigerianischen Geburtsurkunde.

Nachdem die Beschwerde zur Verbesserung zurückgestellt wurde, wurde sie am 12.02.2020 verbessert vorgelegt und wurden dieser eine Bevollmächtigung der Beschwerdeführerin und ein zwischenzeitlich ergangener Beschluss des BG XXXX vom 05.02.2020 angeschlossen, wonach die vorläufige Obsorge für die minderjährige XXXX , geb. XXXX , dem Kinder- und Jugendhilfeträger XXXX übertragen wird, angeschlossen.

4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.02.2020 wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste aus einem Drittstaat kommend spätestens 2017 illegal in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (Spanien) ein und stellte am 01.03.2017 in Spanien einen Asylantrag. Noch während des laufenden Verfahrens reiste sie illegal nach Österreich weiter und stellte hier am 19.09.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Das BFA richtete am 23.09.2019 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Spanien, dem die spanischen Behörden mit Schreiben vom 27.09.2019 ausdrücklich zustimmten.

Die Identität der Beschwerdeführerin sowie ihr Alter stehen nicht fest.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise ins Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten sowie der Asylantragstellung in Spanien ergeben sich aus der vorliegenden EURODAC-Treffermeldung in Zusammenhalt mit dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin und der Auskunft der spanischen Dublin-Behörde.

Die Beschwerdeführerin konnte zum Nachweis ihrer Identität keine unbedenklichen Urkunden vorlegen. Sie gab in Spanien einen anderen Namen und ein anderes Geburtsjahr an als in Österreich ( XXXX , geb. XXXX ). In Österreich führte sie ihr Geburtsdatum bei der Antragstellung eigenhändig mit XXXX an und gab dieses auch sowohl bei der Erstbefragungen als auch bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA an. Erst in der Beschwerde wird erstmalig behauptet, dass die Beschwerdeführerin noch minderjährig sei. Gleichzeitig wurde beim zuständigen Bezirksgericht ein Antrag auf Obsorge von der Stadt XXXX gestellt und wurde auch eine angebliche Geburtsurkunde der Beschwerdeführerin in Kopie vorgelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 idgF lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. ...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

[...]

Einvernahmen von Opfern bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung

§ 20. (1) Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.

(2) Für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt Abs. 1 nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesamt oder in der Beschwerde behauptet hat. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs. 1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen.

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet:

§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine

Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:

KAPITEL II

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN

Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

KAPITEL III

KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

KAPITEL IV

ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN

Art. 16

Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17

Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

...

KAPITEL V

PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATES

Artikel 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

3.2. Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist das Verfahren zugelassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Im gegenständlichen Beschwerdefall ist zunächst voranzustellen, dass das BFA angesichts des unstrittigen Sachverhaltes, wonach die Beschwerdeführerin in Spanien am 01.03.2017 einen Asylantrag gestellt hat, zu Recht davon ausging, dass grundsätzlich Spanien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO verpflichtet wäre, den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz in Behandlung zu nehmen. Dementsprechend stimmte die spanische Dublin-Behörde der Aufnahme der Beschwerdeführer auch auf dieser Rechtsgrundlage ausdrücklich zu.

Die Beschwerdeführerin hat jedoch in der Beschwerde behauptet, minderjährig zu sein und diesbezüglich sowohl eine Geburtsurkunde vorgelegt als auch wurde von der Stadt XXXX der Antrag auf Übertragung der Obsorge an das zuständige Bezirksgericht gestellt. Die Stadt XXXX wurde zwischenzeitig auch bereits mit der vorläufigen Obsorge für die "Minderjährige" betraut. Im Verfahren ergeben sich nunmehr zwei verschiedene Namen und drei verschiedene Geburtsdaten für die Beschwerdeführerin.

Bei der Behauptung der Minderjährigkeit und einer eventuellen Feststellung einer Minderjährigkeit handelt es sich um einen wesentlichen Punkt im Asylverfahren, da bei vorliegender Minderjährigkeit die Bestimmung des Art. 8 der Dublin-III-VO zum Tragen kommt.

Aufgrund der Tatsache, dass das Bezirksgericht offenbar bereits allein aufgrund der Antragstellung und der Vorlage einer nigerianischen Geburtsurkunde von der Minderjährigkeit der Beschwerdeführerin überzeugt ist, wird für das gegenständliche Verfahren das genaue Alter der Beschwerdeführerin abzuklären sein.

Die Beschwerdeführerin wird daher aufzufordern sein, das Original der Geburtsurkunde vorzulegen und wird dieses einer genauen Untersuchung auf Echtheit und Richtigkeit zuzuführen sein.

Sollten in der Folge Zweifel an der Echtheit und Richtigkeit der vorgelegten Urkunde bestehen, gibt § 13 Abs. 3 BFA-VG die Möglichkeit, dass die Asylbehörden die Durchführung einer multifaktoriellen Untersuchungsmethodik zur Altersdiagnose anordnen können, wenn es dem Antragsteller nicht gelingt, eine behauptete und aufgrund der bisher vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zweifelhafte Minderjährigkeit nachzuweisen.

Auch wird die Beschwerdeführerin ergänzend dazu zu befragen sein, warum sie ihre angebliche Minderjährigkeit erst fünf Monate nach Einreise in Österreich angibt.

Ohne die solcherart bezeichneten Erhebungen kann aus Sicht des erkennenden Gerichts nicht von Entscheidungsreife gesprochen werden.

Bestehen auch nach der medizinischen Altersdiagnose begründete Zweifel an der Volljährigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung, ist gemäß § 13 Abs. 3 BFA-VG von einer Minderjährigkeit der Beschwerdeführerin auszugehen und eine weitere Prüfung gemäß Art. 8 Dublin-III-VO vorzunehmen.

Aus den dargelegten Erwägungen war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wurde.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die Frage der Verfahrensführung in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, ist im Gesetz eindeutig geregelt und dessen Auslegung durch die Rechtsprechung der Höchstgerichte klargestellt. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Minderjährigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W161.2228320.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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