TE Bvwg Beschluss 2020/2/28 W132 2227369-1

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Veröffentlicht am 28.02.2020
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Entscheidungsdatum

28.02.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W132 2227369-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung:

Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) hat mit Bescheid vom 13.05.2011 den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses aufgrund des in Höhe von 20 vH festgestellten Grades der Behinderung abgewiesen.

1.2. Mit Bescheid der Bundesberufungskommission vom 02.03.2012, wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

Dieser Entscheidung wurden die von der Bundesberufungskommission eingeholten Sachverständigengutachten Dris. XXXX , Fachärztin für Neurologie, Dris. XXXX , Fachärztin für Unfallchirurgie, und Dris. XXXX , Facharzt für Innere Medizin, basierend auf den persönlichen Untersuchungen des Beschwerdeführers am 07.09.2011 zugrunde gelegt.

Im Wesentlichen wurde darin Folgendes ausgeführt:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Depressio, Angststörung gemischt Zwei Stufen über dem unteren Rahmensatz, da medikamentöse Dauertherapie und fachärztliche Stütze

g.Z. 588

20vH

02

Schlafapnoe-Syndrom Oberer Rahmensatz, da nächtliche Atemmaske erforderlich

gZ 285

20 vH

03

Zustand nach Sigmaresektion Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da Zustand nach Dickdarmteilresektion, aber normales Stuhlverhalten und guter Ernährungszustand

355

10 vH

04

Bewegungseinschränkung des linken Kleinfingers (Gegenarm) Wahl dieser Position mit einer Stufe über dem unteren Rahmensatz, da geringgradige Rotationsstellung der prox. Phalanx und endlagige Beugehemmung vorliegen

90

10 vH

Gesamtgrad der Behinderung

20 vH

 

 

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 20 vH, weil die führende Einschränkung 1 durch die Leiden 2-4 nicht erhöht wird, da diese von zu geringer funktioneller Relevanz sind.

2. Der Beschwerdeführer hat am 13.08.2019 bei der belangten Behörde unter Vorlage eines Befundkonvolutes neuerlich einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt. Begründend wurde auf die beiliegenden Befunde verwiesen.

Nachstehend angeführte medizinische Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:

-

Belastungs-EKG, Zentrum für Innere Medizin vom 07.05.2019

-

Fachärztlicher Befundbericht, Dr. XXXX , Neurologie/Psychiatrie vom 14.06.2019

-

Ambulanzkartei Diabetesambulanz, WGKK vom 17.07.2019

2.1. Im von der belangten Behörde zur Überprüfung des Antrages eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten wird von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 28.10.2019, im Wesentlichen

Folgendes ausgeführt:

Beurteilung der Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Insulinpflichtiger Diabetes bei stabiler Stoffwechsellage Oberer Rahmensatz, da mehrmals täglich Insulintherapie, stabile Stoffwechsellage

09.02.02

40 vH

02

Angststörung und Depression gemischt, Phobische Störung Eine Stufe unter dem oberen Rahmensatz, da mäßiger sozialer Rückzug und unter Medikation stabil

03.06.01

30 vH

03

Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) Unterer Rahmensatz, da unter CPAP Maske stabil ohne zusätzliche Sauerstoffzufuhr

06.11.02

20 vH

04

Mäßige Hypertonie Fixposition

05.01.02

20 vH

05

Tinnitus links Unterer Rahmensatz, da kompensiert

12.02.02

10 vH

06

Zustand nach Sigmateilresektion Unterer Rahmensatz, da normaler Stuhlvorgang und guter Ernährungszustand

07.04.04

10 vH

07

Bewegungseinschränkung des linken Kleinfingers - Gegenarm Fixposition

02.06.27

10 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

40 vH

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Das führende Leiden 1 wird durch die übrigen Leiden nicht erhöht, da keine maßgebliche wechselseitige Leidensbeeinflussung gegeben ist.

Im Rahmen der Untersuchung wurden vom Beschwerdeführer nachstehend angeführte weitere Beweismittel zur Einsichtnahme in Vorlage gebracht.

-

Befund, Psychosomatisches Zentrum Eggenburg vom 09.12.2012 - 14.02.2013

-

Befund, Dr. XXXX , HNO aus 02/2013

-

Befund, Dr. XXXX , Lungenheilkunde von 03/2019

-

Befund, KH Rudolfstiftung, Innere Medizin vom 11.10.2019

2.2. Im Rahmen des am 11.11.2019 gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs wurde vom Beschwerdeführer ohne Vorlage weiterer medizinischer Beweismitteln im Wesentlichen vorgebracht, dass er mit dem Ergebnis nicht einverstanden sei. Die durchgeführten Untersuchungen hätten keine Rücksicht auf seine psychische Verfassung und seinen Diabetes genommen, was aber die Ursache dafür sei, dass er öffentliche Verkehrsmittel nicht benützen könne.

2.3. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG aufgrund des in Höhe von 40 vH festgestellten Grades der Behinderung abgewiesen.

3. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben. Ohne Vorlage weiterer medizinischer Beweismittel wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass alleine schon der bestehende Diabetes, auf Grund dessen er vier Mal täglich Insulin benötige, eine Schwerbehinderung sei. Er könne auf Grund der Schwere seiner Panikattacken in engen Räumen öffentliche Verkehrsmittel nicht benützen, da es zu einem plötzlich ausgelösten Engegefühl komme, wenn sich zu viele Menschen in einem Raum aufhalten würden. Dies passiere sogar im Supermarkt. Auch befinde es sich seit 2008 in Invalidenpension. Seine Befunde würden den Schweregrad des Diabetes und des psychischen Leidens dokumentieren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus (vgl. u.a. 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).

Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. (§ 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010 auszugsweise)

Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten. (§ 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(§ 40 Abs. 1 BBG)

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(§ 41 Abs. 1 BBG)

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.

Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.

Der Beschwerdeführer hat den gegenständlichen Antrag mit der Vorlage eines neurologisch-psychiatrischen und von internistischen Befunden begründet und war der belangten Behörde bereits bei Antragstellung bekannt, dass der Beschwerdeführer an Gesundheitsschädigungen des internistischen und psychisch/psychiatrischen Formenkreises leidet.

Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Gegenständlich ist die ausschließlich durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin vorgenommene Beurteilung angesichts des komplexen Krankheitsbildes des Beschwerdeführers offensichtlich sachwidrig erfolgt. Das Vorbringen und die vorgelegten Beweismittel enthalten konkrete Anhaltspunkte, dass die Einholung von Gutachten der Fachrichtungen Innere Medizin und Neurologie/Psychiatrie erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten.

Das von der belangten Behörde seiner Beurteilung zugrundegelegte Sachverständigengutachten ist überdies nicht ausreichend begründet. Es fehlt eine Darstellung, worin sich nach Ansicht der Gutachterin der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers von demjenigen einer Person unterscheidet, der bereits eine Funktionseinschränkung mittleren Grades iSd Positionsnummer 03.06.02 erreicht. Dies auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschwerdeführer seit 2008 in Invaliditätspension befindet.

Eine derart vergleichende Begründung ist dem Sachverständigengutachten nicht zu entnehmen. Das Sachverständigengutachten hätte daher von der belangten Behörde nicht ohne Ergänzung seiner Entscheidung zugrundegelegt werden dürfen. (VwGH vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036)

Die Einschätzungsverordnung regelt unter Abschnitt 03 sehr differenziert die Kriterien für die Einschätzung des Grades der Behinderung für psychische Störungen.

Es wird jeweils das Krankheitsbild beschrieben und entsprechend der Schwere der Funktionsbeeinträchtigung eine Zuordnung zu Positionen festgelegt. Innerhalb der Positionen wird ausgeführt, welche Merkmale für die Wahl eines Rahmensatzes als maßgebend zu erachten sind.

Das eingeholte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten ist im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer bereits im Antrag psychisch-neurologische Leidenszustände angeführt und diese durch Vorlage fachärztlicher Befunde untermauert hat, mangels Fachkenntnis nicht ausreichend zur qualifizierten Beurteilung des Gesamtleidenszustandes des Beschwerdeführers.

Im durch die belangte Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten werden zwar die vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Beweismittel unter auszugsweiser Zitierung der Inhalte angeführt, die Sachverständige hat sich aber mit den Inhalten nicht weiter auseinandergesetzt. So ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, in welcher Form bzw. welchem Ausmaß diese bei der Beurteilung des Grades der Behinderung berücksichtigt wurden. Dies wiegt umso schwerer, als im vorliegenden Aktenmaterial und in den vorgelegten medizinischen Beweismitteln ein jahrelanger schwerer Krankheitsverlauf des psychischen Leidens dokumentiert wird. Desweiteren wurde im internistischen Befund vom 05.07.2019 der Abbruch eines Belastungs-EKG's auf Grund der gehäuft auftretenden VES und Dyspnoe beschrieben und wird im Coronar-CT Befund des KH Rudolfstiftung vom 11.10.2019 darstellt, dass eine weiterführende koronarangiographische Abklärung indiziert ist. Aussagen darüber, ob diese Beweismittel geeignet sind, ein einschätzungsrelevantes Herzleiden des Beschwerdeführers zu dokumentieren, sind dem eingeholten Sachverständigengutachten nicht zu entnehmen.

Hinsichtlich des Gesamtgrades der Behinderung wird von der Sachverständigen lediglich festgehalten, dass Leiden 2 bis 7 nicht weiter erhöhen, da kein maßgebliches ungünstiges funktionelles Zusammenwirken besteht. Ausführungen darüber, wie sie zu dieser Schlussfolgerung kommt, lässt die Sachverständige jedoch vermissen.

Die seitens des Entscheidungsorganes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, auf persönlicher Untersuchung basierende Gutachten der Fachrichtungen Neurologie/Psychiatrie und Innere Medizin einzuholen.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde medizinische Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Neurologie/Psychiatrie und Innere Medizin, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen gravierend mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundene erhöhte Aufwand.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W132.2227369.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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