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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1968 §1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/01/0046Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde 1.) der E und 2.) des N, beide in Mödling, beide vertreten durch
Dr. Franz-Christian Sladek und Dr. Michael Meyenberg M.C.J., Rechtsanwälte in 1070 Wien, Neustiftgasse 3, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 4. Dezember 1995, Zlen. 1.) 4.338.107/8-III/13/95 und 2.) 4.338.107/9-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von je S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer, russische Staatsangehörige, die am 6. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist sind, beantragten am 11. Mai 1992 die Gewährung von Asyl. Die Beschwerdeführer wurden am 13. Mai 1992 niederschriftlich einvernommen. Hiebei gaben sie im wesentlichen übereinstimmend an:
Sie seien nie Mitglied einer politischen Partei oder Organisation gewesen. Der Erstbeschwerdeführer habe die Offiziersschule 1981 beendet. Danach sei ihm nahegelegt worden, der kommunistischen Partei beizutreten. Er habe abgelehnt, weshalb er zu verschiedenen Einheiten verlegt worden sei, in denen er schlechte Arbeitsbedingungen vorgefunden habe. Seine Karriere sei stark gebremst worden, er sei in seinem Dienstgrad nicht vorgerückt. Ende 1990 sei er nach Kasachstan versetzt worden. Dies habe für den Erstbeschwerdeführer eine neue Verschlechterung bedeutet, weil er dort mit der Zweitbeschwerdeführerin in einem nur 8 m2 großen Zimmer in einem Offiziersheim hätte leben müssen. Ca. zwei Monate später seien aus Moskau Dokumente gekommen, welche den Erstbeschwerdeführer "wegen politischer Nichteignung aus dem Militärdienst entließen" (nach Angaben der Zweitbeschwerdeführerin sei der Erstbeschwerdeführer "von der Armee gekündigt" worden). Mit Bestechungsgeld sei es den Beschwerdeführern gelungen, daß sie im Offiziersheim weiter wohnen durften. Der Erstbeschwerdeführer habe daraufhin in Kasachstan Arbeit als Elektriker gefunden. Im Frühjahr 1991 habe sich das nationalistische Problem in Kasachstan dramatisch zugespitzt. Diese nun unabhängige moslemische Republik habe keine Russen auf ihrem Staatsgebiet haben wollen. Russen seien auf offener Straße angegriffen und mit Knüppel niedergeschlagen worden. Der Erstbeschwerdeführer sei selbst einmal körperlich angegriffen worden, die Zweitbeschwerdeführerin habe sich nicht mehr auf die Straße getraut. Sie seien von den Kasachen ständig aufgefordert worden, die Republik Kasachstan zu verlassen. In der Offiziersunterkunft, in der sie lebten, seien die Fenster mit Steinen eingeworfen worden, bei einem Freund sei die Eingangstüre angezündet worden. Man habe ihnen in den Geschäften keine Lebensmittel mehr verkauft. Bei der Polizei habe man ihnen aufgrund versuchter Anzeigeerstattung erklärt, daß dies ihr eigenes bzw. das Problem der Russen sei. Ende Dezember 1991 habe man auf die Eingangstüre ihrer Wohnung einen Zettel geklebt. Auf diesem sei die Drohung gestanden, daß man ihnen nur mehr zwei Wochen Zeit gebe, die Republik Kasachstan zu verlassen, oder man würde die Beschwerdeführer umbringen. Sie seien danach nach Moskau gefahren, hätten jedoch keine Chance gehabt, dort Fuß zu fassen, weil sie keine Moskauer seien und diese in der "momentan schwierigen Zeit bevorzugt behandelt" würden. Der Erstbeschwerdeführer sei gebürtiger Weißrusse, weshalb die Beschwerdeführer per Antrag versuchten, nach Weißrußland zu emigrieren. Dies sei aber abgelehnt worden, weil der Erstbeschwerdeführer seine weißrussische Nationalität und Kenntnisse der weißrussischen Sprache nicht habe nachweisen können. Die Beschwerdeführer besäßen die russische Nationalität. Die Beschwerdeführer seien ohne Wohnung und ohne Geld dagestanden und hätten keine Arbeit gefunden. Deshalb hätten sie beschlossen, in ein westliches demokratisches Land zu flüchten, wo für sie die Möglichkeit bestehe, eine neue Existenz aufzubauen. Durch Zufall habe sich die Gelegenheit geboten, sich einer nach Budapest fahrenden Reisegruppe in Moskau anzuschließen.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich stellte mit Bescheiden vom 15. Juni 1992 fest, daß bei den Beschwerdeführern die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge nicht zuträfen.
Die dagegen erhobenen, nahezu wortgleichen Berufungen wurden von den Beschwerdeführern damit begründet, daß sie Rußland aus politischen und nationalen Gründen verlassen hätten. Sie gälten als Offiziere der russischen Armee als Deserteure (auch die Zweitbeschwerdeführerin behauptet in der Berufung als neuen Sachverhalt, sie sei Offizier der russischen Armee, "Leutnant in der Finanzverwaltung der Armee", gewesen). Es erwarte sie im Falle einer Rückkehr in die Heimat ein Gerichtsverfahren und schwere Bestrafung.
Mit Bescheiden vom 25. März 1994 wies die belangte Behörde die Berufungen mit der Begründung ab, die Beschwerdeführer hätten aufgrund ihres Aufenthaltes in Ungarn dort Sicherheit vor Verfolgung gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 erlangt. Dagegen erhoben sie Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hob die angefochtenen Bescheide mit dem Erkenntnis vom 25. August 1994, Zlen. 94/19/1097, 1098, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf, weil im gegenständlichen Fall ausgehend von § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 infolge der Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide am 23. Juni 1992 die Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten des Asylgesetzes 1991 geltenden Rechtslage (Asylgesetz (1968)) zu Ende zu führen sind und gemäß dieser Rechtslage der von der belangten Behörde herangezogene Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 nicht hätte angewendet werden dürfen.
In Befolgung der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes erließ die belangte Behörde daraufhin die Bescheide vom 4. Dezember 1995. Die Beschwerdeführer seien nicht Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes (1968), da sie den letzten Aufenthaltsort (Moskau) in der Heimat ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen hätten. Eine wirtschaftliche Notlage sei jedoch von der taxativen Aufzählung in Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention hinsichtlich jener Gründe, die die Flüchtlingseigenschaft begründen könnten, nicht umfaßt. Die in der Berufung erstmals gemachten Behauptungen, den Beschwerdeführern drohe als Deserteure ein Gerichtsverfahren und schwere Bestrafung, komme keine Glaubwürdigkeit zu, weil die Beschwerdeführer ausdrücklich zu Protokoll gegeben hätten, daß der Erstbeschwerdeführer wegen politischer Nichteignung aus dem Militärdienst entlassen worden sei. Die diesbezüglichen, erstmalig in der Berufung aufgestellten Behauptungen der Zweitbeschwerdeführerin ihre Person betreffend seien nicht glaubwürdig, weil sie bei der niederschriftlichen Einvernahme nicht vorgebracht worden seien und den Angaben eines Asylwerbers bei seiner ersten Befragung im Verwaltungsverfahren grundsätzlich größere Glaubwürdigkeit beizumessen sei als seinem späteren Vorbringen. Die den Beschwerdeführern in Kasachstan widerfahrenen Ereignisse seien nicht geeignet, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen, da die Probleme mit der kasachischen Bevölkerung und den dortigen Behörden lediglich auf dem Gebiet dieser Republik bestünden. Die Beschwerdeführer seien aber Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die Ereignisse in Kasachstan seien daher nicht dem Heimatstaat der Beschwerdeführer zurechenbar. Ein weiterer Verbleib in Rußland aus asylrechtlicher Sicht sei nicht unzumutbar gewesen, zumal die Beschwerdeführer nie behaupteten, während ihres Aufenthaltes in Moskau eventuellen Verfolgungen ausgesetzt gewesen zu sein.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Breiten Raum widmet die Beschwerde der Behauptung, der Erstbeschwerdeführer sei "aus dem Militärdienst entlassen worden und deswegen von den russischen Militärbehörden sowohl in Kasachstan als auch in Moskau verfolgt worden", woraus die Beschwerdeführer den Schluß auf Verfolgung in ihrer russischen Heimat ableiten wollen. Diese Behauptung ist aktenwidrig. Der Erstbeschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren keine Verfolgung durch russische Militärbehörden behauptet, weder während seines Aufenthaltes in Kasachstan noch während des folgenden Aufenthaltes in Moskau. Die Zweitbeschwerdeführerin betreffend finden sich keine eigenständigen diesbezüglichen Behauptungen in der Beschwerde.
Des weiteren behauptet die Beschwerde aktenwidrig, es sei Tatsache, daß der Erstbeschwerdeführer "Weißrusse" sei. Beide Beschwerdeführer haben ausdrücklich erklärt, russische Staatsangehörige zu sein. Der Erstbeschwerdeführer sei lediglich geborener Weißrusse, habe aber die Erfordernisse auf Zuerkennung der weißrussischen Staatsbürgerschaft (Nachweis seiner weißrussischen Nationalität per Dokument und Kenntnisse der weißrussischen Sprache) nicht nachweisen können, weshalb dieser Antrag abgewiesen worden sei. Daß die Zweitbeschwerdeführerin persönlichen Bezug zu Weißrußland habe, wurde von ihr nie behauptet.
Es entspricht den logischen Denkgesetzen, daß die Behörde aufgrund der ausdrücklichen Angaben des Erstbeschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme, er sei als Berufsoffizier bei der russischen Armee tätig gewesen und schließlich aus dieser entlassen worden, seine in der Berufung ohne jede nähere Erläuterung aufgestellte Behauptung, er gelte als Offizier der russischen Armee, "somit als Deserteur", als unglaubwürdig bewertet hat. Denn die von Seiten der russischen Militärbehörden ausgehende Entlassung aus der Armee ist schon rein begrifflich das Gegenteil einer Desertion, weshalb die auch in der Beschwerde nicht näher ausgeführte Behauptung, der Erstbeschwerdeführer habe Bestrafung nach dem russischen Militärstrafgesetz zu erwarten, weil er "unehrenhaft aus der Armee entlassen worden" sei, den logischen Denkgesetzen widerspricht und nicht geeignet ist, die Beweiswürdigung der belangten Behörde hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers zu erschüttern. Auf die in der Berufung erstmals ohne nähere Begründung aufgestellte Behauptung der Zweitbeschwerdeführerin, sie sei Offizier der russischen Armee gewesen und gelte als Deserteur, was von der belangten Behörde als unglaubwürdig gewertet wurde, geht die Beschwerdeführerin in der Beschwerde nicht ein. Auch der Verwaltungsgerichtshof kann die auf den allgemeinen Erfahrungssatz, daß erste Aussagen in der Regel der Wahrheit näher kommen als später im Verfahren getätigte, gestützte Wertung der belangten Behörde nicht als unschlüssig erkennen.
Ergänzend werden die Beschwerdeführer jedoch auch darauf hingewiesen, daß ihnen selbst bei Glaubwürdigkeit der Behauptung, ihnen drohe aufgrund Desertion eine Bestrafung nach dem russischen Militärstrafgesetz, die Flüchtlingseigenschaft nicht zukäme. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes läge selbst im Falle der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - eine asylrechtlich relevante Furcht vor Verfolgung nur in solchen Fällen vor, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen erfolgt, in denen damit gerechnet werden müßte, daß ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde oder in denen davon auszugehen ist, daß dem Asylwerber aus diesen Gründen eine - im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen - härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A). Eine solche Schlechterstellung gegenüber anderen russischen Staatsangehörigen haben die Beschwerdeführer nie behauptet.
Der belangten Behörde ist auch zuzustimmen, daß die den Beschwerdeführern in Kasachstan widerfahrenen Ereignisse nicht als Verfolgung anzusehen sind, weil sie nicht dem Heimatland der Beschwerdeführer (Russische Föderation) zuzurechnen sind, sondern ausschließlich auf das Gebiet der Republik Kasachstan bezogen sind.
Die belangte Behörde ist auch im Recht, wenn sie davon ausging, daß die Beschwerdeführer letztlich ihre Heimat wegen wirtschaftlicher Gründe verließen, weil es ihnen nicht gelungen ist, in Moskau eine Wohnung oder Arbeit zu bekommen und sie kein Geld mehr besessen hätten. Wirtschaftliche Gründe rechtfertigen nach Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention grundsätzlich nicht die Ansehung als Flüchtling. Sie könnten nur dann relevant sein, wenn den Beschwerdeführern der völlige Verlust ihrer Existenzgrundlage drohte. Daß den Beschwerdeführern aber etwa eine soziale Unterstützung durch die Russische Föderation nicht gewährt worden wäre, sie bei ihren Familien keine Unterstützung erlangen hätten können oder daß sie außerhalb von Moskau im Gebiet der Russischen Föderation nirgendwo die Chance auf Arbeit oder Wohnung gehabt hätten, wird von den Beschwerdeführern nicht behauptet, sodaß die belangte Behörde zu Recht nicht vom völligen Verlust der Existenzgrundlage ausgehen mußte.
Die Beschwerden waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996010045.X00Im RIS seit
03.04.2001