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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des S in Linz, vertreten durch Dr. Hermann Fromherz, Dr. Friedrich Fromherz und Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Rechtsanwälte in Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Jänner 1996, Zl. 4.330.148/9-III/13/96, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Ghana, der am 26. Jänner 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 27. Jänner 1992 einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 29. Jänner 1992 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen folgendes angegeben:
Er sei seit dem Jahre 1979 Mitglied der "Popular Front Party" in Ghana. Diese Partei stehe in Opposition zur Regierung. Mitte November 1991 habe er als Mitglied dieser Partei an einer Protestdemonstration gegen das Militärregime teilgenommen. Er habe bei dieser Veranstaltung etwa 30 Parteimitglieder mit einem LKW zur örtlichen Bezirksverwaltung in Kumasi gebracht. Dort hätten sie verlangt, daß die Macht an eine provisorische Regierung abgegeben werden solle, weil zehn Jahre Diktatur genug seien. Überdies sei die Rückkehr von Exilpolitikern und deren Amnestie begehrt worden. Die Teilnehmer an dieser Kundgebung seien festgenommen und in das Gefängnis in Kumasi gebracht worden. Bei den folgenden Vernehmungen sei der Beschwerdeführer geschlagen und mißhandelt worden, sodaß er nach zwei Tagen in ein Krankenhaus gebracht habe werden müssen. Er sei dort behandelt und sofort wieder in das Gefängnis zurückgebracht worden. Von den Mißhandlungen habe er zwei Narben am linken Unterschenkel davongetragen. Von einem Gefängniswärter, welcher sein Schulfreund gewesen sei, habe er erfahren, daß seine Verlegung in die Gonda-Kaserne nach Accra geplant sei. Davor habe er Angst gehabt, weil die in dieser Kaserne Inhaftierten meist nicht lange am Leben blieben. Auf dem Transport nach Accra sei ihm unter Mithilfe seines Schulfreundes die Flucht gelungen. Dieser habe den Transportbus angehalten; der Beschwerdeführer habe gesagt, er müsse dringend auf die Toilette; dabei habe er fliehen können.
Mit Bescheid vom 30. April 1992 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark festgestellt, daß dem Beschwerdeführer Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme.
In seiner dagegen gerichteten Berufung und deren Ergänzung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen.
Der Bescheid der belangten Behörde vom 14. Juni 1993, mit welchem die Berufung abgewiesen worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1994, Zl. 94/19/0545, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil die belangte Behörde anstelle des anzuwendenden Asylgesetzes (1968) bereits das Asylgesetz 1991 in der Fassung vor Aufhebung des Wortes "offenkundig" in dessen § 20 Abs. 2 durch den Verfassungsgerichtshof angewendet hatte.
Mit Bescheid vom 17. Jänner 1996 hat die belangte Behörde die Berufung neuerlich abgewiesen.
Über die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde stützte ihren Bescheid primär darauf, daß das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig sei. Die von der belangten Behörde hiezu herangezogenen - in der Beschwerde bekämpften - Argumente halten einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof im Rahmen dessen Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht Stand.
Aus der Tatsache, daß der Beschwerdeführer nach den behaupteten Folterungen im Krankenhaus nicht stationär behandelt wurde und er danach in der Lage war, die "körperlich sehr fordernde Flucht zu vollziehen", könnte allenfalls der Schluß gezogen werden, daß der Beschwerdeführer von den Folterungen keine (von ihm auch gar nicht behaupteten) nachhaltigen schweren Gesundheitsstörungen davongetragen hat, nicht aber, daß er gar nicht mißhandelt wurde, weil Mißhandlungen nicht notwendigerweise eine stationäre Spitalsbehandlung bzw. eine Fluchtunfähigkeit nach sich ziehen müssen. Auch die Tatsache, daß sich aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten ärztlichen Attest lediglich ein hoher Blutdruck sowie Herz- und Wirbelsäulenbeschwerden ergeben, ist nicht geeignet, in schlüssiger Weise darzutun, daß der Beschwerdeführer tatsächlich nicht mißhandelt wurde. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß der Beschwerdeführer vorgebracht hat, durch die Mißhandlungen Narben am linken Unterschenkel davongetragen zu haben, und die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid darauf in keiner Weise eingegangen ist.
Soweit die belangte Behörde die Ansicht vertrat, es sei wenig wahrscheinlich, daß der Schulfreund des Beschwerdeführers diesem zur Flucht verholfen habe, weil er dadurch "schwerste Konsequenzen für seine eigene Person zu gewärtigen gehabt hätte", fehlt es einerseits an Ermittlungen darüber, ob aufgrund der konkreten Fluchtumstände eine Entdeckung des Fluchthelfers zu erwarten war. Andererseits ist der belangten Behörde zu entgegnen, daß es nach der Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen ist, daß jemand aus Freundschaft einem anderen Hilfe leistet und dabei sich selbst in Gefahr bringt.
Der Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer wäre bei Zutreffen seines Vorbringens nach der stattgefundenen Demokratisierung in seine Heimat zurückgekehrt, hält der Beschwerdeführer zutreffend entgegen, daß dazu kein Ermittlungsverfahren unter Einräumung des Parteiengehörs durchgeführt wurde. Das Beschwerdevorbringen, eine Demokratisierung habe nicht stattgefunden, es seien nach wie vor dieselben Personen an der Macht, verstößt daher nicht gegen das Neuerungsverbot.
Schließlich ist das behördliche Argument, der Beschwerdeführer sei deshalb nicht glaubwürdig, weil er in der Berufungsergänzung auch eine Verfolgung aus religiösen Gründen geltend gemacht habe und damit sein Vorbringen "überschießend und widersprüchlich" sei, schon deshalb nicht zielführend, weil der Beschwerdeführer in der Begründung der Berufungsergänzung nur die bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten Gründe für seine politische Verfolgung näher ausgeführt hat. Allein aus der Tatsache, daß in dem Satz, der diese Ausführungen einleitet, die Wortfolge: "... mein Heimatland aus wohl begründeter Furcht vor Verfolgung aus politischen und religiösen Gründen verlassen ..." enthalten ist, kann jedoch die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht abgeleitet werden.
Die belangte Behörde hat das Vorbringen des Beschwerdeführers allerdings auch einer rechtlichen Beurteilung unterzogen. Sie vertrat die Ansicht, die Polizei in Ghana schreite "ohne Ansehen der Person und ihrer politischen Einstellung deshalb ein, um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen". Die Mißhandlungen des Beschwerdeführers während der Haft seien "selbständige Handlungen von Einzelpersonen ..., welche sich nicht als vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen darstellen".
Diese Ansicht entbehrt jedoch jeder Grundlage, weil kein Ermittlungsverfahren über die Vorgangsweise der Polizei in Ghana gegenüber Personen, die - so wie der Beschwerdeführer - an einer Demonstration gegen das Militärregime teilgenommen haben, durchgeführt wurde. Ein derartiges Ermittlungsverfahren wäre umso notwendiger gewesen, als die belangte Behörde selbst ausführt, der Demokratisierungsprozeß in Ghana habe erst nach der Flucht des Beschwerdeführers eingesetzt.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996010209.X00Im RIS seit
20.11.2000