TE Vwgh Erkenntnis 2020/2/26 Ra 2019/18/0244

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Veröffentlicht am 26.02.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des R S in L, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Mai 2019, W270 2171126- 1/19E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein unbegleiteter minderjähriger afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 18. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Zu seinen Fluchtgründen brachte er (u.a.) vor, mit seiner Familie in einem Dorf in der afghanischen Provinz Ghazni gelebt zu haben. Nachdem in der Öffentlichkeit bekannt geworden sei, dass sein Vater zum Christentum konvertiert sei, hätten die Dorfbewohner begonnen, die Familie zu "terrorisieren". Sein Vater sei am Basar geschlagen und schwer verletzt worden. Die Schwester des Revisionswerbers sei aus der Schule geworfen, der Revisionswerber geschlagen, bespuckt und beschimpft worden. Die Eltern hätten daraufhin im Jahr 2010 entschieden, die Flucht zu ergreifen. Auf dem Weg nach Europa sei der Revisionswerber von ihnen getrennt worden.

3 Mit Bescheid vom 10. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

4 Gegen die Nichtgewährung von Asyl erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet abgewiesen wurde. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

5 Begründend schenkte das BVwG dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers zur Konversion des Vaters zum Christentum zwar Glauben und es hielt auch für glaubhaft, dass der Revisionswerber deshalb von den Dorfbewohnern bespuckt und beschimpft worden sei. In Länderberichten zur Lage von Angehörigen von Konvertiten zum Christentum werde auch von einem möglichen Ansehensverlust der Familie eines Konvertiten berichtet und es legten Experten dar, dass "Handlungen auch gegen (nicht-konvertierte) Angehörige nicht ausgeschlossen werden (könnten)". Allein aus diesem Grund sei allerdings noch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf eine dem Revisionswerber drohende Verfolgung zu schließen. Da sich der Revisionswerber zuletzt im Jahr 2010 in Afghanistan aufgehalten habe und außerdem sein Vater im Fall einer Rückkehr des Revisionswerbers nach Afghanistan nicht mehr im Herkunftsstaat aufhältig wäre, könne davon ausgegangen werden, dass der Revisionswerber als Angehöriger eines Apostaten (Konvertiten) "aus dem Blickfeld geraten" sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zur Zulässigkeit und in der Sache zusammengefasst geltend macht, das BVwG habe sich nicht hinreichend mit der Verfolgungsgefahr für Familienangehörige von Christen in Afghanistan auseinandergesetzt. Insbesondere vor dem Hintergrund der vom Revisionswerber berichteten Erlebnisse vor seiner Flucht hätte es einer genauen Überprüfung der Verfolgungsgefahr bei Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat (etwa durch Einholung eines länderkundlichen Gutachtens) bedurft.

7 Das BFA erstattete zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

9 Das BVwG verneint eine dem Revisionswerber wegen der Konversion seines Vaters zum Christentum drohende Verfolgung im Herkunftsstaat lediglich mit der Begründung, der Revisionswerber habe seine Heimat (gemeinsam mit seiner Familie) bereits im Jahr 2010 verlassen und würde zudem ohne den konvertierten Vater zurückkehren, weshalb davon auszugehen sei, dass er aus dem Blickfeld der Verfolger geraten sei.

10 Diese Begründung hält einer nachprüfenden Kontrolle schon deshalb nicht Stand, weil sie sich auf kein ausreichendes Tatsachensubstrat stützen kann. In den Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses wird nicht bloß davon ausgegangen, dass der Konvertit (insbesondere im ländlichen Bereich) mit schweren Folgen rechnen müsse, sondern aufgrund der Gesellschaftsstrukturen in Afghanistan auch seine Familienangehörigen bedroht sein können. Die Annahme des BVwG, dass die Konversion des Vaters zum Christentum, die im Jahr 2010 zur Flucht der gesamten Familie geführt hatte, dem Revisionswerber bei Rückkehr in sein Dorf aufgrund der mittlerweile vergangenen Zeit und des Umstandes, dass der Vater nicht mit dem Revisionswerber zurückkehren würde, keine Probleme mehr bereiten werde, ist spekulativ, wird vom BVwG auch nicht näher erläutert und ist durch keine Ermittlungsergebnisse gedeckt.

11 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. 12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. Februar 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180244.L00

Im RIS seit

16.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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