Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
ASVG §293Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, die Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des I M, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das am 15. März 2018 mündlich verkündete und mit 4. April 2018 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-151/011/50/2018-11, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Republik Kosovo, verfügte zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung "Studierender" mit einer Gültigkeit bis zum 6. November 2017. Am 6. März 2017 stellte er den gegenständlichen (mit einem Verlängerungsantrag verbundenen) Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zur Familienzusammenführung mit seiner in Österreich rechtmäßig aufhältigen Ehefrau.
2 Mit Bescheid vom 11. Oktober 2017 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) den Zweckänderungsantrag des Revisionswerbers gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG und den damit verbundenen Verlängerungsantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Studierender" mangels Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzung gemäß § 64 Abs. 1 in Verbindung mit § 25 Abs. 3 NAG ab. Auch die Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG in Verbindung mit Art. 8 EMRK führe nicht zur Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nach § 46 NAG. 3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.
Das Verwaltungsgericht führte begründend aus, das Haushaltseinkommen sei als ungenügend zu beurteilen. Die Ehefrau des Revisionswerbers verfüge als Bezieherin von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe über keine eigenen Einkünfte. Die "potentiellen Einstellungsverträge" würden dem Verwaltungsgericht "als Sicherheit für ein ausreichendes Haushaltseinkommen" nicht ausreichen.
Betreffend den Verlängerungsantrag hielt das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber habe niemals beabsichtigt zu studieren und er habe seit der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsbewilligung "Studierender" keinen Studienerfolgsnachweis erbracht. Auch den Vorstudienlehrgang in Deutsch habe er nicht belegt. Daher fehle dem Revisionswerber auch für die beabsichtigte Zweckänderung der Nachweis von Deutschkenntnissen.
Weiters verwies das Verwaltungsgericht - unter Bezugnahme u.a. auf einen Erhebungsbericht der Landespolizeidirektion (LPD) Wien vom 26. Juli 2017 - auf den "im Raum stehenden Verdacht einer Scheinehe" und schloss sich im Ergebnis dem von der belangten Behörde geäußerten "Verdacht äußerst fragwürdiger Familienverhältnisse, die in Erhebungen wegen Scheinehe gipfelten, an."
Rechtlich ergebe sich daraus - so das Verwaltungsgericht abschließend -, dass die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für die Aufenthaltsbewilligung "Studierender" nicht vorliegen würden und für den Zweckänderungsantrag weder ausreichende Unterhaltsmittel noch Deutschkenntnisse nachgewiesen worden seien. Die Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG falle zu Ungunsten des Revisionswerbers aus.
4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Die Behandlung dieser Beschwerde wurde mit Beschluss vom 25. September 2018, E 2052/2018, abgelehnt und die Beschwerde in weiterer Folge über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten. 5 In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe den vorgelegten Arbeitsvorvertrag bei der Ermittlung der erforderlichen Unterhaltsmittel nicht berücksichtigt und sei damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Unterhaltsberechnung abgewichen. Zudem habe das Verwaltungsgericht die Rechtslage verkannt, indem es vom Fehlen der erforderlichen Deutschkenntnisse ausgegangen sei und die Abweisung des Zweckänderungsantrages auch darauf gestützt habe.
Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Vorweg ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG zu verweisen, wonach die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Dies erfordere zunächst die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, eine nachvollziehbare Beweiswürdigung und schließlich die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides führten. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2019/22/0148, Rn. 10, mwN). 9 Das angefochtene Erkenntnis wird diesen Anforderungen in keiner Weise gerecht. Zunächst fehlen im angefochtenen Erkenntnis konkrete Feststellungen zur Bestimmung des erforderlichen Haushaltseinkommens und zu den dem Revisionswerber bzw. seiner Ehefrau zur Verfügung stehenden Unterhaltsmitteln mitsamt einer Darstellung allfälliger monatlicher Belastungen. Insbesondere können dem angefochtenen Erkenntnis keine Feststellungen hinsichtlich der vorgelegten Einstellungszusage seiner Ehefrau bzw. des Arbeitsvorvertrages des Revisionswerbers entnommen werden. Das angefochtene Erkenntnis enthält auch keine Beweiswürdigung dahingehend, weshalb das Verwaltungsgericht diese Verträge - ohne nähere Ausführungen - als nicht ausreichend erachtete.
Damit ist es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich, das angefochtene Erkenntnis in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle dahingehend zu unterziehen, ob der Aufenthalt des Revisionswerbers im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.
10 Anzumerken ist diesbezüglich, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Prüfung, ob ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen, eine Prognose über die Erzielbarkeit ausreichender Mittel zu treffen ist. Ein Abstellen allein auf den Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung verbietet sich dann, wenn in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse zu rechnen ist. Es genügt für den Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, dass im Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels eine konkretisierte Erwerbstätigkeit aufgenommen und damit das notwendige Ausmaß an Einkommen erwirtschaftet werden könnte (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0024, Pkt. 4.4., mwN). Vor diesem Hintergrund kann dem vorgelegten Arbeitsvorvertrag des Revisionswerbers bzw. der Einstellungszusage seiner Ehefrau für die Beurteilung der zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel nicht generell jegliche Bedeutung abgesprochen werden (vgl. zu einer Einstellungszusage VwGH 9.9.2010, 2008/22/0113, mwN). Das Verwaltungsgericht hätte sich daher mit dem Arbeitsvorvertrag und der Einstellungszusage inhaltlich auseinandersetzen und sie einer Beweiswürdigung unterziehen müssen.
11 Im Hinblick auf die im angefochtenen Erkenntnis diesbezüglich enthaltene Anmerkung ist ferner darauf hinzuweisen, dass Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (wie Arbeitslosenbezüge und Notstandshilfe) Einkünfte im Sinne des § 11 Abs. 5 NAG sind, die bei der Berechnung der erforderlichen Unterhaltsmittel im Verlängerungsverfahren - nicht hingegen bei Erstanträgen, zu welchen der Zweckänderungsantrag gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 NAG aber nicht zählt - zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 14.10.2008, 2008/22/0055; weiters Peyrl/Czech in Abermann/Czech/Kind/Peyrl, NAG Kommentar2 (2019), § 11 Rz 24). 12 Der Revisionswerber macht des Weiteren geltend, das Verwaltungsgericht habe im Hinblick auf den Zweckänderungsantrag in Verkennung der Rechtslage den Nachweis von Deutschkenntnissen als erforderlich erachtet, obwohl der Revisionswerber über eine allgemeine Universitätsreife verfüge und Zugang zu einem Universitätsstudium habe.
13 Gemäß § 21a Abs. 3 Z 1 NAG gilt der Nachweis von Deutschkenntnissen als erbracht, wenn die Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 oder 2 der Integrationsvereinbarung (§§ 9 und 10 Integrationsgesetz (IntG)) vorliegen. Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 Abs. 4 Z 3 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinn des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002 (UG) oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht. Gemäß § 64 Abs. 1 Z 3 und 4 UG kann die allgemeine Universitätsreife u.a. durch ein ausländisches Zeugnis, das einem der in § 64 Abs. 1 Z 1 und 2 UG genannten österreichischen Zeugnisse aufgrund einer völkerrechtlichen Vereinbarung oder aufgrund einer Entscheidung des Rektorats im Einzelfall gleichwertig ist, bzw. durch eine Urkunde über einen (näher determinierten) Abschluss an einer postsekundären Bildungseinrichtung nachgewiesen werden. 14 Der Revisionswerber hat (sowohl in seinem Zweckänderungsantrag als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht) seinen Hochschulabschluss (zum "Bio-Chemie-Lehrer") ins Treffen geführt. Weiters ist dem angefochtenen Erkenntnis zu entnehmen, dass der Revisionswerber über eine Aufenthaltsbewilligung "Studierender" verfügt hat (und somit zum Studium zugelassen war). Ausgehend davon wäre das Verwaltungsgericht aber gehalten gewesen, nähere Ausführungen dazu zu treffen, inwieweit der bezogene Abschluss des Revisionswerbers einen Schulabschluss (im Sinn des § 9 Abs. 4 Z 3 IntG) darstellt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinn des § 64 Abs. 1 UG oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspreche (vgl. in diesem Zusammenhang auch VwGH 17.9.2019, Ra 2019/22/0062, Rn. 12; 28.2.2019, Ra 2018/22/0129, Rn. 12). Bejahendenfalls wäre der Nachweis von Deutschkenntnissen gemäß § 21 Abs. 3 Z 1 NAG als erbracht anzusehen gewesen. Eine Auseinandersetzung damit fehlt im angefochtenen Erkenntnis. 15 Das Verwaltungsgericht ist auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Nachweis von Deutschkenntnissen (auch) deshalb fehle, weil der Revisionswerber den Vorstudienlehrgang in Deutsch nicht belegt habe. Bei der im Rahmen des Vorstudienlehrganges abzulegenden Ergänzungsprüfung Deutsch handelt es aber um eine studienrechtliche Zulassungsvoraussetzung und nicht um den Nachweis von Deutschkenntnissen im Sinn des § 21a NAG.
16 Ergänzend ist schließlich Folgendes festzuhalten: Das Verwaltungsgericht hat in seiner Begründung mehrfach unklare Ausführungen zum Verdacht des Vorliegens einer Aufenthaltsehe getroffen, aus welchen jedoch nicht eindeutig hervorgeht, ob es das Vorliegen des Erteilungshindernisses des § 11 Abs. 1 Z 4 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 NAG bejahte. Selbst wenn man dem angefochtenen Erkenntnis aber diesen Versagungsgrund zugrunde legen wollte, würden im angefochtenen Erkenntnis dafür entsprechend nachvollziehbare beweiswürdigende Erwägungen fehlen, zumal es etwa in dem - vom Verwaltungsgericht herangezogenen, im Verwaltungsakt befindlichen - Erhebungsbericht der LPD Wien vom 26. Juli 2017 heißt, dass von keiner Aufenthaltsehe auszugehen sei.
17 Soweit der Revisionswerber in diesem Zusammenhang allerdings ins Treffen führt, es sei kein Strafverfahren wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe eingeleitet worden, ist dem wiederum entgegenzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG nicht voraussetzt, dass der Ehepartner gemäß § 117 FPG bestraft oder eine Anzeige gemäß § 117 FPG erstattet worden ist (vgl. dazu VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0033, Rn. 12).
18 Aus den oben dargestellten Gründen war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
19 Abschließend ist noch auf Folgendes hinzuweisen: Die Revision enthält kein Vorbringen betreffend das vom Verwaltungsgericht hinsichtlich der Abweisung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung "Studierender" begründend herangezogene Fehlen der besonderen Erteilungsvoraussetzung (nach § 64 NAG). Vielmehr wird als verletztes Recht ausschließlich das (nur den Zweckänderungsantrag erfassende) Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" genannt.
Allerdings handelt es sich bei einem mit einem Zweckänderungsantrag verbundenen Verlängerungsantrag um einen einheitlichen Antrag, der mit der Erteilung des Aufenthaltstitels für den geänderten Aufenthaltszweck erledigt ist und über den lediglich dann gesondert mit einem Bescheid abzusprechen ist, wenn die Voraussetzungen für einen anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt sind (vgl. VwGH 9.11.2011, 2011/22/0006, mwN). Ausgehend davon, dass sich die Abweisung des Zweckänderungsantrages als rechtswidrig erwiesen hat, konnte auch die bestätigte Abweisung des Verlängerungsantrages keinen Bestand haben, weil über die Verlängerung des Aufenthaltstitels nur dann gesondert abzusprechen ist, wenn die Voraussetzungen für den begehrten anderen Aufenthaltszweck nicht erfüllt werden. Dies wird im fortzusetzenden Verfahren zu beurteilen sein (vgl. wiederum VwGH 2011/22/0006).
20 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 27. Februar 2020
Schlagworte
Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive BescheideBegründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220203.L00Im RIS seit
11.05.2020Zuletzt aktualisiert am
11.05.2020