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27/04 Sonstige RechtspflegeNorm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Dr. B P in W, vertreten durch die Hock & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stallburggasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2019, Zl. W108 2223684- 1/2E, betreffend Entziehung der Eigenschaft als allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Dolmetscherin (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis entzog das Verwaltungsgericht - durch Bestätigung eines entsprechenden Bescheids der belangten Behörde - der Revisionswerberin die Eigenschaft als allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Dolmetscherin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 und 3 SDG.
2 Dem legte das Verwaltungsgericht - auf das für den Revisionsfall Wesentliche zusammengefasst - Folgendes zu Grunde:
3 Die Eintragung der seit dem Jahr 1987 als allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Dolmetscherin für die italienische und französische Sprache in die Dolmetscherliste eingetragenen Revisionswerberin sei aufgrund von Rezertifizierungsanträgen zunächst bis 31. Dezember 2018 verlängert worden. Im Verfahren über den Rezertifizierungsantrag der Revisionswerberin vom 28. September 2018 habe sich aus drei Stellungnahmen von verfahrensführenden Richtern keine Beanstandung ergeben, während in der Stellungnahme einer Staatsanwältin vom 15. Oktober 2018 bemängelt worden sei, dass die Revisionswerberin eine ihr als Dolmetsch aufgetragene schriftliche Übersetzung im Jahr 2018 erheblich, nämlich trotz dreimaliger Urgenzen um vier Monate verspätet erstattet habe. Daraufhin habe die belangte Behörde mit Bescheid vom 12. November 2018 die Rezertifizierung bis 12. November 2023 vorgenommen, und in einem Begleitschreiben auf diese erhebliche Verspätung verwiesen und die Revisionswerberin dringend ersucht, in Hinkunft der fristgerechten Übersetzung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Dennoch sei die Revisionswerberin in einem Verfahren vor dem Handelsgericht Wien über mehrere Wochen hindurch mit der Abgabe ihrer Übersetzung säumig geworden: Obwohl ihr am 26. März 2019 der Akt mit dem Auftrag zur Übersetzung eines Versäumungsurteils binnen zwei Wochen übersandt worden sei, und sie über telefonisches Nachfragen auf eine Fertigstellung "nach Ostern" verwiesen habe, sei sie zumindest bis 23. Mai 2019 weiterhin säumig geblieben. Daraufhin habe das Handelsgericht Wien mit Beschluss vom 23. Mai 2019 die Revisionswerberin aufgefordert, die Übersetzung mit den Akten binnen einer Woche vorzulegen oder die entgegenstehenden Hindernisse bekannt zu geben, und auf die Konsequenzen der Überschreitung dieser Frist verwiesen. 4 Eine von der belangten Behörde mit Verfügung vom 24. Mai 2019 - unter Hinweis auf die vorangegangene Verzögerung - von der Revisionswerberin geforderte Stellungnahme zu dieser neuerlichen Verzögerung binnen zwei Wochen sei unterblieben; eine am 21. Juni 2019 von der Revisionswerberin in einem Telefonat abgegebene Ankündigung, sie würde - zumal ihrer Auffassung nach die "Angelegenheit mittlerweile bereinigt" worden sei - eine entsprechende Stellungnahme übermitteln, sei nicht erfüllt worden, eine (schriftliche) Stellungnahme also weiterhin unterblieben. 5 Das Verwaltungsgericht legte weiter dar, dass die Revisionswerberin diesen - aktenkundigen - Sachverhalt in ihrer Beschwerde nicht bestritten habe. Entgegen ihrem Vorbringen sei ihr von der belangten Behörde auch Parteiengehör - nämlich mit dem Schreiben vom 24. Mai 2019 - gewährt worden, was die Revisionswerberin aber nicht wahrgenommen habe.
6 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung legte das Verwaltungsgericht fallbezogen im Wesentlichen dar, dass die festgestellten Verzögerungen mit der Erstattung der Übersetzungen den Entziehungstatbestand des § 10 Abs. 1 Z 3 SDG begründeten, im Verein mit der fehlenden Beantwortung des Auftrags vom 24. Mai 2019, die Gründe für die neuerliche Säumnis zu erklären, und trotz eigener telefonischer Ankündigung keine Stellungnahme abzugeben, zudem den Entziehungstatbestand der fehlenden Vertrauenswürdigkeit nach § 10 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 2 Z 1 lit. e SDG: Dieses Verhalten lasse nämlich einen erheblichen Mangel an Sorgfalt, Pflichtbewusstsein und persönlicher Zuverlässigkeit erkennen und bewirke damit - angesichts der bedeutsamen Rolle, die einem Dolmetsch in der Rechtspflege zukomme und die ein besonders hohes Maß an Gesetzestreue, Korrektheit, Sorgfalt, Charakterstärke und Pflichtbewusstsein (auch bei Einhaltung von Terminen und Fristen) erfordere - den Verlust der Vertrauenswürdigkeit.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - außerordentliche - Revision.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Die demnach für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgebende Zulässigkeitsbegründung der Revision macht zusammengefasst Folgendes geltend:
12 Es fehle eine einheitliche Rechtsprechung zur Frage, welche Anzahl an Verzögerungen in welchem zeitlichen Naheverhältnis für die Erfüllung des Entzugstatbestands nach § 10 Abs. 1 Z 3 SDG notwendig sei. Zudem fehle eine einheitliche Rechtsprechung zu den im Entziehungsverfahren nach § 10 Abs. 1 SDG von der Behörde - die das AVG nicht anzuwenden habe - einzuhaltenden Verfahrensschritten; dies sei fallbezogen deshalb relevant, weil die Revisionswerberin bis zur Zustellung des Entziehungsbescheids nicht davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass gegen sie ein Entziehungsverfahren geführt werde. Der aufgeworfenen Frage komme vor dem Hintergrund des mit einer Entziehung der Sachverständigenbzw. Dolmetschereigenschaft verbundenen Eingriffs in die Erwerbsausübungsfreiheit besondere Bedeutung zu.
13 Mit diesem Vorbringen wird nicht dargelegt, dass der Verwaltungsgerichtshof bei Entscheidung über die vorliegende Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen hätte.
14 Gemäß § 14 SDG gilt für den Dolmetscher der II. Abschnitt des SDG - also die Regelungen der §§ 2 bis 12 SDG über allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige - sinngemäß (von im Revisionsfall nicht relevanten Ausnahmen und Besonderheiten abgesehen).
15 Gemäß § 10 Abs. 1 SDG ist die Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger durch Bescheid u.a. dann zu entziehen, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung (mit einer hier nicht relevanten Ausnahme) seinerzeit nicht gegeben gewesen oder später weggefallen sind (Z 1) oder wenn der Sachverständige wiederholt die Aufnahme des Befundes oder die Erstattung des Gutachtens über Gebühr hinauszögert (Z 3).
16 Eine Eintragungsvoraussetzung, deren Wegfall danach zur Entziehung zu führen hat, ist gemäß § 2 Abs. 2 Z 1 lit. e SDG die Vertrauenswürdigkeit des Bewerbers.
17 Die Frage der Vertrauenswürdigkeit eines Sachverständigen im Sinn des § 2 Abs. 2 Z 1 lit. e SDG betrifft nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs seine persönlichen Eigenschaften. Es kommt darauf an, ob jemand in einem solchen Maße vertrauenswürdig ist, wie es die rechtssuchende Bevölkerung von jemandem erwarten darf, der in die Liste der Sachverständigen eingetragen ist. In Ansehung der bedeutsamen Funktion, die dem Sachverständigen bei der Wahrheitsfindung im gerichtlichen und behördlichen Verfahren obliegt, darf daher nicht der leiseste Zweifel an seiner Gesetzestreue, Korrektheit, Sorgfalt, Charakterstärke sowie an seinem Pflichtbewusstsein bestehen; bei dieser Beurteilung ist ein strenger Maßstab anzulegen; auch ein einmaliges - gravierendes - Fehlverhalten kann Vertrauensunwürdigkeit begründen. Unmaßgeblich ist, in welchen Bereichen die Ursachen für den Verlust der Vertrauenswürdigkeit gelegen sind, weil es nur darauf ankommt, ob das erforderliche Maß an Vertrauenswürdigkeit dem Sachverständigen überhaupt zukommt oder nicht. Es kann daher auch ein Verhalten, das nicht im Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit steht, Vertrauensunwürdigkeit begründen (vgl. VwGH 2.9.2019, Ra 2019/03/0105, 3.6.2019, Ra 2019/03/0060, 19.12.2018, Ra 2018/03/0122, 23.2.2018, Ro 2017/03/0025, 11.10.2017, Ro 2017/03/0024, 28.6.2017, Ra 2017/03/0066, je mwN). Umso mehr können Berufspflichtverletzungen eines Sachverständigen Zweifel an seiner verlässlichen Berufsausübung und damit seiner Vertrauenswürdigkeit begründen (vgl. VwGH 27.1.2020, Ra 2020/03/0005).
18 In dem von der Revision angesprochenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Jänner 2000, 98/19/0121, wurde klargestellt, dass eine wiederholte Verzögerung iSd § 10 Abs. 1 Z 3 SDG entweder eine größere Zahl von Verzögerungen oder ein gewisses zeitliches Naheverhältnis zwischen den einzelnen (allenfalls nur zwei) Säumnisfällen voraussetzt.
19 Ausgehend davon fordert der vorliegende Revisionsfall keine weitere "Klarstellung" durch ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs: Wenn die Revisionswerberin im Jahr 2018 - trotz dreimaliger Urgenzen - die ihr aufgetragene Übersetzung um vier Monate verspätet erstattet hat, und schon in der ersten Hälfte des Folgejahres, noch dazu knapp nach erfolgter Rezertifizierung und trotz eines behördlichen Hinweises auf die Wichtigkeit der Einhaltung von Fristen und Terminen, neuerlich eine Verzögerung von (zumindest) mehreren Wochen zu verantworten hat, liegt das erforderliche zeitliche Naheverhältnis zwischen den beiden Säumnisfällen (§ 10 Abs. 1 Z 3 SDG) jedenfalls vor. Abgesehen davon durfte das Verwaltungsgericht bei seiner Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Revisionswerberin (§ 2 Abs. 2 Z 1 lit. e SDG) nach dem oben unter Rz. 17 Gesagten auch ihr festgestelltes Verhalten beim Umgang mit den in Rede stehenden Verzögerungen miteinbeziehen: Das Verwaltungsgericht hat die sich aus der Judikatur ergebenden Leitlinien zur Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit nicht überschritten, wenn es auch die Nichteinhaltung der von der Revisionswerberin selbst genannten "Nachfrist" ("nach Ostern") im Verfahren vor dem Handelsgericht und die Nichterstattung der mit Verfügung der belangten Behörde vom 24. Mai 2019 aufgetragenen Stellungnahme als ins Gewicht fallend beurteilt hat.
20 Mit dem von der Revision geltend gemachten Fehlen von Judikatur zu durch die belangte Behörde im Entziehungsverfahren nach dem SDG einzuhaltenden Verfahrensgrundsätzen kann schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG dargelegt werden, weil nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs allfällige Mängel des behördlichen Verfahrens durch ein vor dem Verwaltungsgericht geführtes - mängelfreies - Verfahren saniert werden (vgl. nur etwa VwGH 26.2.2019, Ra 2019/06/0011, 5.2.2018, Ra 2017/03/0091, je mwN). Zu dem von der Revision diesbezüglich geltend gemachten Verstoß gegen das rechtliche Gehör (weil die Revisionswerberin bis zur Zustellung des behördlichen Bescheids nicht von einem gegen sie geführten Entziehungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden sei) ist zudem anzumerken, dass ausgehend von den nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts die belangte Behörde der Revisionswerberin mit Verfügung vom 24. Mai 2019 ohnehin Gelegenheit gegeben hat, zur neuerlichen Verspätung Stellung zu nehmen und diese zu erklären, diese Gelegenheit aber ungenutzt blieb.
21 Nach dem Gesagten werden in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 28. Februar 2020
Schlagworte
Heilung von Verfahrensmängeln der Vorinstanz im BerufungsverfahrenParteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenSachverhalt Sachverhaltsfeststellung VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020030012.L00Im RIS seit
12.05.2020Zuletzt aktualisiert am
12.05.2020