TE Vwgh Erkenntnis 2020/3/2 Ra 2019/20/0393

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Veröffentlicht am 02.03.2020
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Index

41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §35
AsylG 2005 §35 Abs4
FrPolG 2005 §15
FrPolG 2005 §20 Abs1 Z6
FrPolG 2005 §21 Abs1
FrPolG 2005 §26

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/20/0394Ra 2019/20/0395

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision 1. der M A H A O, 2. der N K O, und 3. des Y N O, alle vertreten durch Dr. Christoph Schertler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Porzellangasse 33a/III/19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2019, Zlen. 1. W212 2216817-1/2E, 2. W212 2216818-1/2E und

3. W212 2216820-1/2E, betreffend Versagung eines Visums nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichisches Generalkonsulat Istanbul), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Erstrevisionswerberin und ihre beiden Kinder (Zweit- und Drittrevisionswerber) sind syrische Staatsangehörige. Am 31. Mai 2016 stellten sie jeweils Anträge auf Erteilung von Einreisetiteln nach § 26 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 35 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), die sie damit begründeten, dass dem Ehegatten der Erstrevisionswerberin sowie Vater der zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien in Österreich am 14. Dezember 2015 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei.

2 Am 28. Juli 2017 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung des Antrages auf internationalen Schutz nicht wahrscheinlich sei. Die Behörde führte aus, das behauptete Familienverhältnis der revisionswerbenden Parteien zur Bezugsperson sei nicht nachgewiesen worden, weil es sich bei den vorgelegten Dokumenten um Fälschungen handle.

3 In einer weiteren Mitteilung vom 21. September 2017 hielt das BFA - nach Erstattung einer Stellungnahme der revisionswerbenden Parteien, in der sie vorbrachten, die Ausstellung von Reisepässen beantragt zu haben und im Hinblick auf den Nachweis des Verwandtschaftsverhältnisses zu einer DNA-Analyse bereit zu sein - an der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose fest.

4 Mit Bescheiden vom 27. November 2017 wies das Österreichische Generalkonsulat Istanbul - gestützt auf die Mitteilung des BFA - die Anträge der revisionswerbenden Parteien gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 ab.

5 Die gegen diese Bescheide in einem gemeinsamen Schriftsatz erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien wies das Österreichische Generalkonsulat Istanbul mit Beschwerdevorentscheidung vom 16. Februar 2018 mit der Begründung ab, dass es an die Mitteilung des BFA gebunden sei. Ungeachtet dessen habe die Beschwerde die Beweiswürdigung, wonach es sich bei den revisionswerbenden Parteien nicht um Familienangehörige der geltend gemachten Bezugsperson in Österreich handle, nicht entkräften können.

6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das - mit Vorlageantrag angerufene - Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde gemäß § 15 Abs. 1 FPG als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Begründend führte es aus, die revisionswerbenden Parteien hätten im Verfahren keine Reisedokumente vorgelegt. Gemäß § 15 Abs. 1 FPG benötigten Fremde zur rechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet ein gültiges Reisedokument. Unabhängig von der Visumpflicht stehe der Einreise der revisionswerbenden Parteien daher das faktische Hindernis entgegen, dass diese nicht im Besitz von Reisedokumenten seien. Weiters sei auch die Visumerteilung aus diesem Grund nicht möglich, weil die Visummarke im Reisedokument angebracht werden müsse. Eine Visumerteilung ohne Vorlage eines gültigen Reisedokuments sei daher, unabhängig vom Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zur Erteilung eines Visums, ausgeschlossen. Die mit der Beschwerde vorgelegten neuen Dokumente und Reisepässe unterlägen dem Neuerungsverbot des § 11a Abs. 2 FPG.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Vorlageverpflichtung eines Reisepasses und der Anwendbarkeit von § 15 FPG im Verfahren nach § 35 AsylG 2005.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis

vom 9. Jänner 2020, Ra 2019/19/0124, mit der auch im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Rechtsfrage der Anwendbarkeit des § 15 FPG im Verfahren nach § 35 AsylG 2005 beschäftigt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird daher insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

11 Darin hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass § 15 FPG die Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit einer Einreise in das Bundesgebiet regelt, welche von der (vorgelagerten) Frage der Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG 2005 iVm § 26 FPG zu unterscheiden ist. Gegenstand der Prognoseentscheidung des § 35 Abs. 4 AsylG 2005 ist allein, ob unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 AsylG 2005 die Gewährung von internationalem Schutz im Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 wahrscheinlich ist.

§ 35 AsylG 2005 und § 26 FPG sehen nicht vor, dass für die Erteilung eines Einreisetitels nach diesen Bestimmungen ein Reisedokument iSd § 15 FPG vorliegen müsse. Für eine negative Wahrscheinlichkeitsprognose allein wegen des Fehlens eines gültigen Reisepasses findet sich keine gesetzliche Grundlage (vgl. hiezu auch § 21 Abs. 1 FPG, wonach die Voraussetzung der Z 1 leg. cit. für Visa nach § 20 Abs. 1 Z 6 FPG nicht gilt). 12 Indem das BVwG im vorliegenden Fall seine abweisende Entscheidung allein auf die unterbliebene Vorlage von Reisedokumenten gestützt hat, hat es somit die Rechtslage verkannt.

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 14 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. 15 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 2. März 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200393.L00

Im RIS seit

17.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.04.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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