Index
L70309 Buchmacher Totalisateur Wetten WienNorm
VStG §45 Abs1 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Magistrates der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 17. Juli 2019, Zlen. VWG- 002/091/150/2019-10, VWG-002/V/91/151/2019, VWG- 002/V/091/7922/2019, VWG-002/V/091/7923/2019, VWG- 002/V/091/7924/2019 und VWG-002/V/091/7925/2019, betreffend Übertretungen des Wiener Wettengesetzes (mitbeteiligte Parteien:
1. P und 2. A GmbH, beide in G, beide vertreten durch die SHMP Schwartz Huber-Medek Pallitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis vom 23. Oktober 2018 wurde die Erstmitbeteiligte als verantwortliche Beauftragte der zweitmitbeteiligten Partei gemäß § 9 Abs. 2 VStG schuldig erachtet, es zu verantworten, dass die zweitmitbeteiligte Partei in einer näher genannten Betriebsstätte, in der diese ihre Tätigkeit als Wettunternehmerin, nämlich Buchmacherin, ausübe, am 4. März 2018 um 15:14 Uhr und am 10. März 2018 um 16:20 Uhr jeweils insofern gegen § 25 Abs. 1 Z 5 Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016, idgF, wonach die Ausübung der Tätigkeit als Wettunternehmerin oder Wettunternehmer während eines laufenden Ereignisses (Livewetten), ausgenommen Livewetten auf Teilergebnisse oder das Endergebnis, verboten sei, verstoßen habe, als diese laut Wettticket vom 4. März 2018 die Wette "Wer gewinnt die verbleibende Spielzeit? (Spielstand 2:0 Düsseldorf)"; und laut Wettticket vom 10. März 2018 die Wette "Wer gewinnt die verbleibende Spielzeit? (Spielstand 0:3) - FC Zbrojovka Brno" zugelassen habe. Über sie wurde eine Geldstrafe von EUR 4.400,-
(Ersatzfreiheitsstrafe: 8 Tage und 10 Stunden) gemäß § 24 Abs. 1 Z 16 Wiener Wettengesetz verhängt. Die zweitmitbeteiligte Partei wurde zur Haftung für die Geldstrafe samt Kosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG verpflichtet.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Beschwerde Folge, hob das Straferkenntnis vom 23. Oktober 2018 in seinem gesamten Umfang auf und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für zulässig, insbesondere weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit von Restzeitwetten fehle.
3 Das Verwaltungsgericht Wien führte unter anderem aus, Restzeitwetten seien Wetten, bei denen live während eines laufenden Spieles auf den Ausgang der verbleibenden Spielzeit gewettet werde. Das bedeute, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses der Wette der Spielstand - gedanklich - auf "Null" gesetzt werde und nur die restliche Spielzeit Gegenstand der Wette sei. 4 Zwar sei dem Wortlaut des Gesetzes zu entnehmen, dass Livewetten grundsätzlich nur äußerst eingeschränkt zulässig seien, doch seien diese sowohl auf das Teil- als auch auf das Endergebnis möglich. Es handle sich dabei um eine "Dreiweg-Wette" bei der die Wettmöglichkeiten 1, 2 oder X möglich seien. Diesbezüglich bestehe kein Unterschied zu der - unbestritten zulässigen - Wettmöglichkeit auf eine Halbzeit bzw. den Spielausgang. Es werde bei der Restzeitwette ebenso auf ein - in der Zukunft liegendes - Ergebnis gewettet, wobei sich Gewinn- oder Verlust der Wette unmittelbar vom Ergebnis ableiten ließe. Werde - wie im vorliegenden Fall - von einer Zulässigkeit der Livewetten in der Form der Restzeitwetten ausgegangen, so sei jedenfalls die Voraussetzung einer Strafbarkeit nicht erfüllt.
5 Das Verwaltungsgericht Wien führte weiter aus, dass weder der Erstmitbeteiligten noch der zweitmitbeteiligten Partei auf der subjektiven Tatseite ein Verschulden angelastet werden könne. Außerdem sei, soweit erkennbar, die Zulässigkeit von Restzeitwetten bis dato nicht in Frage gestellt worden. Zwar schütze Unkenntnis einer Strafnorm nicht vor Bestrafung, jedoch habe aus der Strafnorm in Folge des Bestimmtheitsgebotes jedenfalls hervorzugehen, wie sich der Rechtsunterworfene rechtskonform verhalten solle. Dem Rechtsunterworfenen könne - ohne eine entsprechende legistische Änderung der Strafnorm - keine Verwaltungsübertretung vorgehalten werden, welche von der vollziehenden Behörde im Wege der Interpretation einer Rechtsnorm plötzlich und unerwartet angenommen werde.
6 Gegen diese Entscheidung erhob die revisionswerbende Partei vorliegende Amtsrevision an den Verwaltungsgerichtshof. 7 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die revisionswerbende Partei erachtet die Revision unter anderem für zulässig, weil Restzeitwetten nicht unter die Ausnahmetatbestände des § 25 Abs. 1 Z 5 (nunmehr Z 4) Wiener Wettengesetz subsumiert werden könnten. Bereits aus der vom Verwaltungsgericht Wien zitierten Definition der "Restzeitwette" ergebe sich, dass es sich bei einer Restzeitwette nicht um eine Wette auf ein Teil- oder Endergebnis, sondern auf ein "fiktives" Ergebnis einer beliebig langen verbleibenden Spielzeit handle und dies somit eine verbotene Livewette nach dem Wiener Wettengesetz darstellen würde. Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. März 2019, Ra 2019/02/0025, ergebe sich, dass, wenn nicht einmal kleinere "echte" Teilergebnisse, wie Spiele oder Punkte im Tennis, als Livewetten zulässig seien, dann umso weniger fiktive Ergebnisse über beliebige "Restzeiten" eines sportlichen Ereignisses, die weder im Teilergebnis noch im Endergebnis aufschienen, zulässig sein könnten. Weiters widerspreche die Begründung des Verwaltungsgerichtes zum Rechtsirrtum der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe sich jedermann mit den einschlägigen Normen seines Berufsfeldes ausreichend vertraut zu machen, insbesondere wenn die Existenz einschlägiger Regeln für die jeweilige Tätigkeit erkennbar sei. Unterlasse der Beschuldigte derartige Erkundigungen, so sei ein allfälliger Rechts- oder Verbotsirrtum jedenfalls vorwerfbar. Bei Unsicherheiten über die Auslegung der in Rede stehenden Vorschriften seien Erkundigungen einzuholen. Die mitbeteiligten Parteien seien im Bereich des Sportwettenwesens tätig (gewesen) und hätten sich mit den einschlägigen Normen vertraut machen müssen. Erkundigungen über die Zulässigkeit von Restzeitwetten hätten die mitbeteiligten Parteien allerdings nie eingeholt. Die revisionswerbende Partei sei stets von der Unzulässigkeit der Restzeitwette als Livewette ausgegangen.
9 Die Revision erweist sich aufgrund dieses Vorbringens als zulässig und auch als berechtigt.
10 Gemäß § 25 Abs. 1 Z 5 (nunmehr Z 4) Wiener Wettengesetz ist die Ausübung der Tätigkeit als Wettunternehmerin und Wettunternehmer während eines laufenden Ereignisses (Livewetten), ausgenommen Livewetten auf Teilergebnisse oder das Endergebnis, verboten.
11 Teil- und Endergebnisse eines Liveereignisses können schon nach dem klaren Wortlaut nur solche sein, die nach den Regeln des jeweiligen Spiels als solche vorgesehen sind (z.B. Halbzeit im Fußball, Drittel im Eishockey, Satz im Tennis).
"Restzeitergebnisse" fallen jedenfalls nicht darunter. Sie stellen weder ein Teilergebnis noch ein Endergebnis im Sinne der in Rede stehenden Bestimmung dar.
12 Die Zulässigkeit von Wetten auf "Restzeitergebnisse" führte dazu, dass ein Liveereignis in beliebig viele Zeitabschnitte geteilt werden könnte; etwa könnte minütlich eine Restzeitwette angeboten werden.
13 Gerade solche Wetten wollte der Gesetzgeber verhindern, birgt doch die schnelle Abfolge von einzelnen Spielen mit schneller Entscheidung über Gewinn und Verlust ein erhöhtes Suchtpotential in sich. In den Erläuterungen zu § 25 Abs. 1 Z 5 Wiener Wettengesetz kommt der Wille des Gesetzgebers klar zum Ausdruck, wonach lediglich Livewetten auf Teilergebnisse (z.B. Halbzeit im Fußball, Drittel im Eishockey, Satz im Tennis udgl.) sowie auf das Endergebnis von dem Verbot von Livewetten im Sinne des § 25 Abs. 1 Z 5 (nunmehr Z 4) Wiener Wettengesetz ausgenommen sind (vgl. VwGH 29.3.2019, Ra 2019/02/0025). 14 Weil die Rechtsfrage, ob Restzeitwetten als zulässige Wetten gemäß § 25 Abs. 1 Z 5 (nunmehr Z 4) Wiener Wettengesetz anzusehen sind, nach dieser klaren Rechtslage zu verneinen ist, war die Einstellung des vorliegenden Verwaltungsstrafverfahrens rechtswidrig.
15 Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 16 Zur Frage des Vorliegens des vom Verwaltungsgericht angenommenen Rechtsirrtums ist es im zweiten Rechtsgang auf folgende Rechtslage hinzuweisen:
17 Ein Rechtsirrtum im Sinne des § 5 Abs. 2 VStG setzt voraus, dass dem Betroffenen das Unerlaubte seines Verhaltens trotz Anwendung der nach seinen Verhältnissen erforderlichen Sorgfalt unbekannt geblieben ist. Auch eine irrige Gesetzesauslegung entschuldigt den Betroffenen nur dann, wenn sie unverschuldet war. Um sich darauf berufen zu können, bedarf es einer Objektivierung der eingenommenen Rechtsauffassung durch geeignete Erkundigungen. Die bloße Argumentation im Verwaltungsstrafverfahren mit einer - allenfalls sogar plausiblen - Rechtsauffassung vermag ein Verschulden am objektiv unterlaufenen Rechtsirrtum bei einer derartigen Konstellation nicht auszuschließen. Selbst guter Glaube stellt den angeführten Schuldausschließungsgrund dann nicht dar, wenn es Sache der Partei ist, sich mit den einschlägigen Vorschriften vertraut zu machen und im Zweifel bei der Behörde nachzufragen (vgl. etwa VwGH 26.6.2019, Ro 2018/03/0047, 0048, mwN).
18 Gerade in Fällen, in denen die Möglichkeiten der Rechtsordnung im Wirtschaftsleben bis aufs Äußerste ausgenützt werden sollen, ist eine besondere Sorgfalt bei der Einholung von Auskünften über die Zulässigkeit einer beabsichtigten Tätigkeit an den Tag zu legen (vgl. VwGH 21.9.2018, Ra 2017/17/0933, mwN). 19 Das Risiko des Rechtsirrtums trägt der, der es verabsäumt, sich an geeigneter Stelle zu erkundigen (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2019/13/0029, mwN).
20 Das - konkrete Feststellungen auf Sachverhaltsebene erfordernde - Verschulden stellt eine vom Verwaltungsgericht - in der Regel nur nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - vorzunehmende Beurteilung im Einzelfall dar.
Wien, am 4. März 2020
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019020018.J00Im RIS seit
16.04.2020Zuletzt aktualisiert am
16.04.2020