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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AlVG 1977 §36 Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des S S in W, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2019, Zl. W266 2198966- 1/18E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Laxenburger Straße), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht die Notstandshilfe des Revisionswerbers in näher angeführten Zeiträumen zwischen dem 27. September 2016 und dem 31. Oktober 2017 widerrufen und ihn verpflichtet, unberechtigt empfangene Notstandshilfe von EUR 8.562,59 zurückzuzahlen.
5 Der Revisionswerber habe mit seiner Frau in einer Wohnung an der Adresse P. Top 1 bis 2013 gewohnt. 2013 habe er eine zusätzliche Wohnung an der Adresse P. Top 19 gemietet und in der Folge in dieser mit seiner Frau gewohnt, weil die Wohnung P. Top 1 zu klein gewesen sei. Seit 2015 sei er geschieden. Seit 2015 habe er eine Affäre mit einer anderen Frau, die mangels eines dauernden Aufenthaltsrechts nicht ständig in W (sondern in Serbien) wohne. Er habe weiterhin einen Schlüssel zur Wohnung P. Top 19 gehabt und im gegenständlichen Zeitraum zwar nicht überwiegend, aber wiederkehrend in der Wohnung P. Top 19 unentgeltlich gewohnt, vor allem, wenn seine frühere Frau nicht da gewesen sei. Er habe fast täglich die in der Wohnung P. Top 19 lebende Katze besucht und gefüttert. Er habe seine Post dorthin bekommen. Er habe auch seine frühere Frau, mit der er weiterhin ein freundschaftliches Verhältnis pflege, öfters besucht und in ihrer Wohnung regelmäßig seine Freizeit verbracht, gegessen und Kaffee getrunken. Sie würden sich trotz der Scheidung gegenseitig unterstützen, so weit möglich auch finanziell, zB zur Abzahlung eines gemeinsamen Kredits. Der Revisionswerber sei die einzige Bezugsperson seiner früheren Frau. Diese Wohnung sei so etwas wie "der Stützpunkt/Mittelpunkt" des Revisionswerbers gewesen. Er habe auch bei seiner Mutter und bei seiner Schwester übernachtet, habe aber diesen nicht zu sehr zur Last fallen wollen. Die Wohnung P. Top 1 habe er im gegenständlichen Zeitraum nicht bewohnt. Ende 2017 habe er das Mietverhältnis für die Wohnung P. Top 1 beendet. Er habe in dem Haus P. bis Ende 2017 als geringfügig beschäftigter Hausmeister gearbeitet. Er sei von Mitbewohnern oft bzw. täglich im Haus gesehen worden. Seine geringfügige Tätigkeit habe nicht seine tägliche Anwesenheit erfordert. Sein Gehalt als Hausmeister sei auf das Konto seiner früheren Frau überwiesen worden. Diese habe ihn gelegentlich bei seinen Hausmeistertätigkeiten unterstützt. Sie habe das Gehalt teilweise an den Revisionswerber weitergegeben, teilweise für sich selbst zur Tilgung ihrer Verbindlichkeiten verwendet.
6 In rechtlicher Sicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Revisionswerber und seine frühere Frau lebten in einer Wirtschaftsgemeinschaft. Sie würden einander beistehen und sich gegenseitig unterstützen. Sie würden überdies in einer Wohngemeinschaft im Sinne des Benützens derselben Wohnung leben, auch wenn die Wohnung nicht ständig gemeinsam genutzt werde. Der Revisionswerber habe im gegenständlichen Zeitraum seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen weiterhin in der Wohnung P. Top 19 gehabt, sie sei sein Stützpunkt gewesen. 7 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche
Revision. Der Revisionswerber erblickt entgegen dem Ausspruch nach
§ 25a Abs. 1 VwGG eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
darin, dass die Rechtslage nicht eindeutig sei. Es gehe um die
Auslegung insbesondere des § 36 AlVG "zur Nichtexistenz einer
Lebensgemeinschaft des Revisionswerbers aufgrund von
unkonventionellen, lockeren Lebensverhältnissen iSv mehreren
benutzten Wohnungen". In der Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichtshofes sei "in concreto bisher nicht judiziert"
worden, "ob dem Revisionswerber ... sein unkonventionelles,
lockeres Lebensverhältnis ... als Ausschluss der Gewährung von
Arbeitslosengeld/Notstandshilfe" angelastet werden könne. Der vorliegende Revisionsfall sei bisher von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts nicht nach objektiven Kriterien eindeutig und unzweifelhaft geklärt worden.
9 Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird damit nicht aufgezeigt. Das Bundesverwaltungsgericht hat die im Verfahren strittige Lebensgemeinschaft - in jedenfalls nicht unvertretbarer Weise - nach den gesetzlichen Kriterien und unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beurteilt. Es hat den festgestellten Sachverhalt als Wohn- und vor allem als Wirtschaftsgemeinschaft gewertet und die frühere Frau des Revisionswerbers als dessen Lebensgefährtin iSd § 36 Abs. 3 lit. B sublit. a AlVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 3/2013 angesehen. Es ist in Ansehung der festgestellten Verdichtung wirtschaftlicher, sozialer und emotionaler Berührungspunkte zwischen dem Revisionswerber und seiner früheren Ehefrau mit der Bejahung des Vorliegens einer Lebensgemeinschaft in diesem Einzelfall nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 14.11.2012, 2010/08/0118) abgewichen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen nicht revisibel. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Subsumtion unter den unbestimmten Gesetzesbegriff "Lebensgefährtin" in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte. Das war hier nicht der Fall. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (VwGH 9.3.2016, Ra 2016/08/0045; 12.1.2018, Ra 2017/08/0032, mwN).
10 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 4. März 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020080024.L00Im RIS seit
04.05.2020Zuletzt aktualisiert am
04.05.2020