Diskriminierungsgrund
MehrfachdiskriminierungDiskriminierungstatbestand
Diskriminierung bei der Berufsberatung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses auf Grund des Geschlechtes und der ReligionText
GBK I/809/18-M
Senat I der Gleichbehandlungskommission
Prüfungsergebnis gemäß § 12 GBK/GAW-Gesetz
(BGBl. Nr. 108/1979 idgF)
Der Senat I der Gleichbehandlungskommission (GBK) gelangte am 26. November 2019 über den am 15. März 2018 eingelangten Antrag der Gleichbehandlungsanwaltschaft Regionalbüro Oberösterreich (R-GAW) für A (Antragstellerin) betreffend die Überprüfung einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes bei der Berufsberatung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 4 Z 1 GlBG (BGBl. I Nr. 66/2004 idgF) sowie aufgrund der Religion bei der Berufsberatung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 18 Z 1 GlBG iVm 19 Abs. 1 GlBG durch B (Antragsgegner) nach Durchführung eines Verfahrens gemäß § 12 GBK/GAW-Gesetz iVm § 11 der Gleichbehandlungskommissions-GO (BGBl. II Nr. 396/2004 idgF), zu GZ GBK I/809/18-M, zu folgendem
PRÜFUNGSERGEBNIS:
A ist nicht auf Grund aufgrund des Geschlechtes bei der Berufsberatung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 4 Z 1 GlBG sowie aufgrund der Religion bei der Berufsberatung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 18 Z 1 GlBG iVm 19 Abs. 1 GlBGbei der Begründung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 3 Z 1 GlBG durch B diskriminiert worden.
Dies ist eine gutachterliche Feststellung. Es handelt sich hierbei im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes1 nicht um einen Bescheid.
VORBRINGEN
Im Antrag der R-GAW OÖ wurde im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:
A (Antragstellerin), 15 Jahre, sei Schülerin an einer Polytechnischen Schule mit dem Fachbereich Gesundheit und Soziales. Am 31. August 2017 habe sie gemeinsam mit ihrer Mutter, C, die Zahnarztpraxis vom Antragsgegner besucht, um zu fragen, ob sie die drei von der Schule im Zeitraum von 26. - 28. September 2017 vorgesehenen Schnuppertage in dieser Ordination absolvieren könne. Da die Antragstellerin nach Abschluss der Schule gerne eine Ausbildung zur Zahntechnikerin beginnen habe wollen, habe sie großes Interesse gehabt, im Rahmen der Schnuppertage einen Einblick in die berufliche Praxis einer Zahnarztordination zu bekommen. Die Antragstellerin habe einer der Assistentinnen ihre Bewerbungsunterlagen überreicht, während ihre Mutter im Warteraum geblieben sei. Als die Assistentin den Antragsgegner gefragt habe, ob es möglich wäre, dass die Antragstellerin die Schnuppertage in seiner Ordination absolviere, habe er eingewilligt, woraufhin die Assistentin begonnen habe, das entsprechende Formular auszufüllen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Antragsgegner mit einem Patienten beschäftigt gewesen und sei daher mit dem Rücken zur Antragstellerin gestanden. Als sich der Antragsgegner schließlich umgedreht und gesehen habe, dass die Antragstellerin ein muslimisches Kopftuch trage, habe er gemeint, es ginge nicht mit Kopftuch. Wenn die Antragstellerin das Kopftuch jedoch abnehme, könne sie gerne die Schnuppertage in seiner Ordination absolvieren. Daraufhin habe die Antragstellerin erklärt, sie nehme das Kopftuch auch nicht während der Schnuppertage ab. Schwer enttäuscht sei sie in den Warteraum zu ihrer Mutter gegangen und habe die Ordination so schnell wie möglich verlassen wollen.
Nachdem die Antragstellerin ihrer Mutter geschildert habe, was sie soeben erlebt habe, sei diese noch einmal in die Ordination gegangen und habe selbst nach dem Grund für die plötzliche Ablehnung gefragt, wo doch zuerst schon eine Zusage erteilt worden sei. Der Antragsgegner habe auch der Mutter der Antragstellerin mitgeteilt, dass er an Frauen mit Kopftuch kein Schnupperpraktikum vergebe. Die Nachfrage der Mutter, ob hygienische Bedenken dahinter stünden, sei unbeantwortet geblieben. Am 16. Oktober 2017 habe sich die Antragstellerin gemeinsam mit ihrer Mutter zur Beratung und Unterstützung an die GAW, Regionalbüro OÖ, gewandt. Nach einem Beratungsgespräch habe die Regionalanwältin für die Gleichbehandlung OÖ ein Schreiben an den Antragsgegner gerichtet, in dem der Vorfall geschildert worden sei. Darüber hinaus erging das Ersuchen um Stellungnahme zum vorgebrachten Sachverhalt sowie um Mitteilung, welche gleichbehandlungskonforme Lösung vorstellbar sei.
In der Stellungnahme des Antragsgegners an die R-GAW f. OÖ vom 15. November 2017 sei im Wesentlichen festgehalten worden, dass das entstandene Missverständnis bedauert werde. Da für die Betreuung während der Schnuppertage zeitliche Ressourcen notwendig wären, diese jedoch zum angegebenen Zeitraum nicht verfügbar gewesen wären, hätte das Praktikum nicht ermöglicht werden können. Es bestehe keine Verpflichtung zum Anbieten von Schnuppertagen, dennoch biete er der Antragstellerin soweit terminlich und zeitlich vereinbar Schnuppertage zu einem anderen Zeitpunkt an.
Da aus Sicht der Antragstellerin kein Missverständnis vorgelegen sei, sie die schulisch erforderlichen Schnuppertage bereits anderweitig absolviert habe, aber dennoch diese Angelegenheit in einer für sie zufriedenstellenden Weise in Form einer Entschuldigung abschließen habe wollen, habe die R-GAW f. OÖ am 18. Jänner 2018 ein weiteres Schreiben an den Antragsgegner gerichtet. In seiner Antwort habe der Antragsgegner lediglich festgehalten, dass er - wie bereits mitgeteilt - das entstandene Missverständnis bedauere.
Da diese aus einem Satz bestehende Antwort des Antragsgegners für die Antragstellerin keine ernsthafte Entschuldigung sei, sondern vielmehr wieder auf ein Missverständnis abstelle, das aus ihrer Sicht nicht vorliege, sei schließlich die Entscheidung zur Stellung eines Antrages bei der GBK auf Überprüfung, ob es sich bei der gegenständlichen Angelegenheit um einen Verstoß gegen das GlBG handle, getroffen worden.
In der auf Ersuchen des Senates I der GBK vom Antragsgegner übermittelten Stellungnahme vom 13. April 2018 bestritt dieser die im Antrag vorgebrachten Vorwürfe, soweit die Richtigkeit nicht außer Streit gestellt wurde, und trat ihnen im Wesentlichen wie folgt entgegen:
Wie dem ersten Antwortschreiben an die R-GAW f. OÖ zu entnehmen sei, sei das Praktikum damals wegen Personalmangel nicht möglich gewesen.
Bei einem Schriftstück, wie von der Schule, bei der ein etwaiges Praktikum vorgesehen sei, könne von einer Zusage erst ausgegangen werden, nachdem es gelesen und durch eine Unterschrift bestätigt worden sei. Beides sei nicht der Fall gewesen.
Es könne auch kein Praktikumsplatz für Zahntechniker/innen vergeben werden, da hierfür bei einem/r Zahnarzt/ärztin keine Möglichkeit vorliege, dies obliegt einem/r Zahntechniker/in in einem zahntechnischen Labor. Bei einem/r Zahnarzt/ärztin bestehe ausschließlich die Möglichkeit, das Berufsfeld der zahnärztlichen Assistenz kennen zu lernen, unter Wahrung der Rechte des/r Patienten/in. Selbiges sei der Antragstellerin im Antwortschreiben erneut angeboten worden, sei jedoch vermutlich wegen dem differierenden Berufswunsch oder mangels eigenem Interesse nicht wahrgenommen worden.
Das Thema Bekleidung sei nur ein Nebenthema gewesen, das auch nicht zu Ende besprochen werden habe können.
Zum unsachlichen und ungerechtfertigten Vorwurf der Diskriminierung sei anzumerken. Sie würden 6 Mitarbeiterinnen beschäftigen, davon 2 mit nicht österreichischer Staatsbürgerschaft, 5 mit, vermutlich, da Religionszugehörigkeit Privatsache sei, islamischem Glauben unterschiedlichster Richtungen: Türkisch, Türkisch - Kurdisch, Albanisch, Bosnisch und Irakisch.
Seine Ordination bestehe seit über 35 Jahren auf dieser friedlichen multikulturellen neutralen Basis der gelebten Integration. Um Missverständnisse jeglicher Art zu vermeiden, gebe es eine Vereinbarung, die das Tragen jeglicher politischer, weltanschaulicher und religiöser Symbole sämtlicher Richtungen für alle Geschlechter, während der Dienstzeit in der Ordination generell untersage und das Tragen von entsprechend neutraler Arbeitskleidung vorsehe, was darüber hinaus dem einheitlichen Erscheinungsbild der Praxis gegenüber den Patienten/innen diene.
Wie der oberste EU Gerichtshof vor kurzem entschieden habe, sei eine diesbezügliche Vereinbarung rechtskonform. Dies sollte bekannt sein. Die primäre Argumentation der gegnerischen Partei basiere auf Annahmen, Verallgemeinerung, Mutmaßungen und Unterstellungen von der nicht haltbaren Beschuldigung einer Diskriminierung nach Geschlecht und Religion. Die nun sekundäre Anschuldigung wegen eines Kleidungsstückes, das vielmehr von der Antragstellerin durch ihre Sichtweise für ihre Religion, Geschlecht bzw. Weltanschauung vereinnahmt werde. Der Antragsgegner gebe zu bedenken, dass ein Kopftuch eine sehr vielfältige Funktion (Tracht, Sport, Mode, Religion, kosmetisch, medizinisch, Schutz vor Kälte, Hitze, Wind und Regen) habe, keinem Geschlecht zugeordnet werden könne ohne ein anderes zu diskriminieren und auch keiner Religion ausschließlich zugeordnet werden könne. Man könne unter Berücksichtigung all dieser Fakten nicht von einer gezielten Diskriminierung sprechen.
Gut zu erkennen sei, dass es bei der ganzen Angelegenheit um Haarspalterei, Spitzfindigkeit und einseitige Interpretationen von Fakten gehe.
Dies zeige auch hier die Entschuldigung, die zum friedlichen Beilegen der Angelegenheit gefordert worden sei, jedoch aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht angenommen werde. Dies spiegle die äußerst einseitige und uneinsichtige Haltung der Antragstellerin wider.
Das vom Antragsgegner ausgedrückte Bedauern sei per Definitionem (dt. Wörterbuch) einer Entschuldigung gleichzusetzen. Ein Ersatztermin sei angeboten worden, das Missverständnis bedauere man.
Das Wohl des/r Patienten/in habe in der Medizin oberste Priorität. Wie, außer durch ein möglichst neutrales Umfeld, welches auch die Kleidung betreffe, sei es möglich potenzielle Konflikte in jeglicher Hinsicht zu vermeiden? Patienten/innen aus allen kulturellen, gesellschaftlichen, religiösen, geschlechtlichen Richtungen möchten und müssen von Arzt/Ärztin und Angestellten, ebenfalls unterschiedlichster kultureller, gesellschaftlicher, religiöser und geschlechtlicher Zugehörigkeit behandelt werden.
Wie außer durch Wahrung der Neutralität sei es möglich niemanden zu diskriminieren?
Wie könne zu dem Schluss gekommen werden, dass der Wunsch nach Neutralität diskriminierend sei?
Aus gegebenem Anlass möchte der Antragsgegner auf das aktuelle Gutachten bezüglich Kopftuchverbot des Verfassungsdienstes, welches auf Anfrage des Justizministeriums erstellt worden sei, hinweisen, in dem die grundrechtliche Konformität festgestellt wurde.
PRÜFUNGSGRUNDLAGEN
Der Senat I der GBK stützt seine Erkenntnis auf das schriftliche Vorbringen der Antragstellerin und des Antragsgegners sowie die mündliche Befragung der Antragstellerin vom 26. November 2019 und des Antragsgegners vom 22. Oktober 2019 und 26. November 2019. Als weitere Auskunftsperson wurde C am 26. November 2019 befragt. Des Weiteren bezieht sich der Senat in seiner Entscheidungsfindung auf die Kleiderordnung der Ordination des Antragsgegners aus 2015.
BEGRÜNDUNG2
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes, BGBl. I Nr. 66/2004 idgF, lauten:
Gleichbehandlungsgebot in der sonstigen Arbeitswelt
§ 4. Auf Grund des Geschlechtes, insbesondere unter Bezugnahme auf den Familienstand oder den Umstand, ob jemand Kinder hat darf niemand unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden
1.bei der Berufsberatung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses,
§ 18. Aus den im § 17 genannten Gründen darf niemand unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden
1.bei der Berufsberatung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses,
§ 19. (1) Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person auf Grund eines in § 17 genannten Grundes in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Generell ist zur Frage des Beweismaßes und der Beweislastverteilung im GBK-Verfahren anzumerken, dass gemäß § 12 Abs. 12 GlbG eine betroffene Person, die sich auf einen Diskriminierungstatbestand im Sinne der §§ 3, 4 GlBG beruft, diesen glaubhaft zu machen hat. Insoweit genügt daher nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) eine „Bescheinigung“ der behaupteten Tatsachen, wobei jedoch der bei der GBK zu erreichende Überzeugungsgrad gegenüber der beim „Regelbeweis“ geforderten „hohen Wahrscheinlichkeit“ auf eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ herabgesenkt ist.
Vereinfacht gesagt muss mehr für die Darstellung des/der Antragstellers/Antragstellerin sprechen als dagegen.3 Dem/der Antragsgegner/in obliegt dann zu beweisen, dass es bei Abwägung aller Umstände wahrscheinlicher ist, dass ein anderes von ihm/ihr glaubhaft gemachtes Motiv für die unterschiedliche Behandlung ausschlaggebend war oder ein Rechtfertigungsgrund vorliegt.
Der Senat I der GBK führte zwecks Überprüfung des Vorwurfes, die Antragstellerin sei im Zuge des Bewerbungsverfahrens durch die Bezugnahme auf das Tragen eines Kopftuches aufgrund des Geschlechts und der Religion diskriminiert worden, ein Ermittlungsverfahren im Sinne des GBK/GAW-Gesetzes durch und geht von folgendem Sachverhalt aus:
Die minderjährige Antragstellerin bewarb sich in Begleitung ihrer Mutter am 31. August 2017 für ein Praktikum beim Antragsgegner. Die Antragstellerin trug ein Kopftuch. Als die Antragstellerin ihr Ersuchen um eine Praktikumsstelle vortrug, behandelte der Antragsgegner eine Patientin und hatte den Kopf zur Patientin gewandt. Zunächst hat der Antragsgegner seine Zusage zum Praktikum erteilt. Als der Antragsgegner sich umdrehte, widerrief er seine Zusage. Die Antragstellerin erzählte dies ihrer Mutter, die im Warteraum gewartet hatte. Die Mutter fragte beim Antragsgegner nach seinen Beweggründen für die plötzliche Absage. Der Antragsgegner teilte der Mutter der Antragstellerin mit, dass sie ohne Kopftuch kommen könne. Das Tragen eines Kopftuches während des Praktikums sei in seiner Ordination nicht möglich.
Weiters wurde festgestellt, dass seit 2004, in derzeitigen Fassung von 2015, die ein Neutralitätsgebot vorsieht, eine Kleiderordnung in der Zahnarztpraxis besteht. Seine Mitarbeiter/innen kommen aus den unterschiedlichsten Ländern. Dasselbe gilt auch bei seinen Patienten/innen, von denen einige Kopftuch tragen.
In rechtlicher Hinsicht ist der Sachverhalt wie folgt zu beurteilen:
Es liegt keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes bei der Berufsberatung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses sowie aufgrund der Religion bei der Berufsberatung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses vor.
Nach Auffassung des Senates war der vorliegende Fall unter dem Aspekt der intersektionellen Diskriminierung zu überprüfen. Diese bezieht sich auf eine Situation, in der mehrere Diskriminierungsgründe greifen und gleichzeitig miteinander so interagieren, dass sie nicht voneinander zu trennen sind.4 Im zu prüfenden Fall geht es um Diskriminierung aufgrund von Religion und Geschlecht. Aus einer intersektionellen Perspektive tangieren Kopftuchverbote Frauen in ihrer religiösen und weiblichen Identität und bilden insofern eine untrennbare Einheit. Erst diese Kombination von Weiblichkeit und sichtbarer Religiosität schafft jene Subjektposition, die in einem Unternehmen, in dem ein Kopftuchverbot besteht, unerwünscht ist.5
Im vorliegenden Fall konnte der zu beurteilende Sachverhalt rasch geklärt und festgestellt werden, da der Antrag der R-GAW für OÖ und damit das Vorbringen von der Gegenseite auch nicht bestritten wurde. Es ging vielmehr um die rechtliche Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes. Es war in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Rechtsprechung des EuGHs über das Kopftuchverbot am Arbeitsplatz Bezug zu nehmen.
Der EuGH äußert sich in seiner Entscheidung vom 14. März 2017 zu C-157/15 (Rs Achbita/G4S Secure Solutions NV) zum Verbot eines belgischen Unternehmens, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen der politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugung zu tragen.
Es ging um eine Entlassung einer belgischen Rezeptions- und Empfangsdame gegen ihren Arbeitgeber, nachdem sie ihm angekündigt hatte, in Zukunft während der Arbeitszeit das islamische Kopftuch zu tragen. Der EuGH kommt zu dem Schluss, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 lit a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 darstellt.
Der EuGH begründet diese Entscheidung zum einen damit, dass im vorliegenden Fall eine Regel im Unternehmen Gültigkeit hatte, die besagte, dass es Arbeitnehmer/innen verboten ist, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugung zu tragen. Zum anderen ist für die Entscheidung des EuGHs auch wichtig, dass er davon ausgehen konnte, dass die besagte Regel unterschiedslos für jede sichtbare Bekundung von politischen, philosophischen oder religiösen Symbolen gilt und für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen zur Anwendung kommt.
Der EuGH gibt auch Hinweise zur Frage, ob es sich beim Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, um eine mittelbare Diskriminierung gem. Art. 2 Abs. 2 lit b der Richtlinie 2000/78/EG handeln könnte. Eine mittelbare Diskriminierung wäre dann erfüllt, wenn die hier in Rede stehende unternehmensinterne Regel nur dem Anschein nach neutral wäre und de facto dazu führen würde, dass Personen mit bestimmten Religionen oder Weltanschauungen in besonderer Weise benachteiligt werden.
Bei der rechtlichen Prüfung ist Nachstehendes wie folgt zu beachten:
Eine Ungleichbehandlung im Sinne einer mittelbaren Diskriminierung ist dann auszuschließen, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind.
Der Wunsch des/r Arbeitgebers/in, den Kunden/innen ein Bild der Neutralität zu vermitteln, ist aus der Sicht des EuGHs als Teil der unternehmerischen Freiheit zu betrachten, die eines der Grundrechte der Grundrechtecharta ist.
Den Wunsch des/r Arbeitgebers/in, den Kunden/innen ein Bild der Neutralität zu vermitteln, betrachtet der EuGH zudem auch als rechtmäßiges Ziel, insbesondere dann, wenn der/die Arbeitgeber/in bei der Verfolgung dieses Zieles nur die Arbeitnehmer/innen einbezieht, die mit Kunden/innen direkt in Kontakt treten.
Die Angemessenheit einer solchen internen Neutralitätsregelung ist für den EUGH immer dann gegeben, wenn das Unternehmen diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt.
Dem nationalen Gericht obliegt es anhand dieses Kriterienkatalogs, diese Frage zu entscheiden.
Für die Frage der Anwendbarkeit dieser EuGH-Entscheidung auf andere Unternehmen oder Organisationen, die ähnliche Verbote erlassen wollen, gilt daher, dass in jedem Einzelfall mehrere Sachverhalte zu prüfen sind:
Hat das Unternehmen beispielsweise schon vor dem Ereignis, das Ausgangspunkt für eine Beschwerde wegen Diskriminierung ist, für ihre Beschäftigten mit Kunden/innenkontakt eine allgemeine und undifferenzierte Politik des Verbotes in Bezug auf das sichtbare Tragen von politischen, philosophischen oder religiösen Symbolen gehabt oder nicht?
Wird diese Regelung auch wirklich systematisch gegenüber allen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen gleichermaßen angewandt?
Sind also alle Beschäftigten vom Verbot gleichermaßen betroffen oder handelt es sich um eine nur dem Anschein nach neutrale Regelung?
Es wäre jedenfalls unrichtig, aus der EuGH-Entscheidung eine grundsätzliche Berechtigung für die Einführung eines Kopftuchverbots am Arbeitsplatz abzuleiten.
So hat der EuGH hat in seiner Entscheidung zu C-188/15 vom 14. März 2017 (Rs Bougnaoui/ Micropole SA) festgestellt, dass der Wille eines/r Arbeitgebers/in, sich den Wünschen von Kunden/innen anzupassen, die nicht mit Arbeitnehmerinnen in Kontakt treten wollen, die das islamische Kopftuch tragen, nicht als wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der RL 2000/78/EG angesehen werden kann. Daher kann auf diese Art eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmerinnen mit dem islamischen Kopftuch nicht gerechtfertigt werden und handelt es sich bei einer solchen Ungleichbehandlung von Arbeitnehmerinnen mit dem islamischen Kopftuch um einen Verstoß gegen das Gebot der Nicht-Diskriminierung. Demnach berechtigen Wünsche von Kunden/innen, nicht von Mitarbeitern/innen bestimmter Religion oder Weltanschauung bedient zu werden, das Unternehmen nicht zu unterschiedlichen Behandlung von Mitarbeitern/innen unterschiedlicher Religionen oder Weltanschauungen.
Damit ist die Entscheidung des EuGH einerseits ein klares Zeichen, dass Unternehmen das Recht haben, eine nachvollziehbare Politik der generellen religiösen und weltanschaulichen Neutralität auch mittels Verboten umzusetzen, andererseits ein nicht weniger starkes Zeichen, dass spezielle Verbote des muslimischen Kopftuchs weiterhin gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen.
Die Angaben der Antragstellerin waren für den erkennenden Senat glaubwürdig und nachvollziehbar, und konnten, unter anderen durch die Befragungen, belegt werden. Sowohl der Antragsgegner als auch die Auskunftsperson, C, bestätigten ihre Angaben hinsichtlich der Bewerbungssituation.
Nach der Beweislastverteilung hat der Antragsgegner darzulegen, dass es zu keiner Diskriminierung im Zuge des Bewerbungsprozesses gekommen ist.
Der Antragsgegner bestätigte gegenüber dem Senat die Bewerbungssituation vom 31. August 2017 sowie seine Absage der Gewährung eines Praktikums, solange die Antragstellerin ein Kopftuch trägt. Der Antragsgegner verneinte dennoch den Vorwurf der Diskriminierung. Er verwies auf die in der Ordination seit Jahren geltende Kleiderordnung, die ein neutrales Außenbild der Ordination erzeugen soll. Als Beweis legte er diese vor.
Der Antragsgegner war in seiner mündlichen Befragung vor der GBK sehr glaubwürdig. Er verwies mehrfach auf die bestehende Rechtsprechung des EuGHs bzgl. des Tragens eines Kopftuches.
Der Senat I der GBK führte daher eine rechtliche Überprüfung dieser Unternehmenspolitik durch.
Im Ergebnis konnte seitens des Antragsgegners nachgewiesen werden, dass ein unternehmensinternes Neutralitätsgebot seit längerem, konkret seit 2015, in der Ordination verankert ist und für alle Beschäftigten hinsichtlich des sichtbaren Tragens jeglicher politischer, philosophischer oder religiöser Symbole gilt. Die vom Antragsgegner vorgelegte Kleiderordnung gilt nach seinem glaubwürdigen Vorbringen in der vorliegenden Fassung seit 2015. Sie gilt unterschiedslos für alle Mitarbeiter/innen der Ordination. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass auf Grund von Wünschen der Patienten/innen diese Regelung eingeführt wurde. Der Antragsgegner verwies selbst darauf, dass seine Patienten/innen aus vielen verschiedenen Ländern bzw. Religionen kommen würden. Dem Einwand der R-GAW f. OÖ, dass die Geltung der Kleiderordnung nur eine Schutzbehauptung sei, wurde vom Senat I der GBK nicht gefolgt. Es ist für den Senat lebensnah und nachvollziehbar, dass der Antragsgegner während einer Behandlung eines Patienten nicht bzw. kaum dazu kommen wird, die Unternehmensphilosophie samt Kleiderordnung zu erklären. Es ist anzunehmen, dass bei einer ruhigeren Bewerbungssituation der Antragsgegner die Antragstellerin darüber in Ruhe aufgeklärt hätte, wie die Ordination – auch hinsichtlich der geltenden Kleiderordnung – organisiert ist.
Der Senat I der GBK gelangte daher zum Ergebnis, dass keine Diskriminierung vorliegt.
Wien, 26. November 2019
Dr.in Eva Matt
Vorsitzende des Senates I der GBK
1 Vgl. z.B. VfSlg. 19.321.
2 Im weiteren Verlauf werden (akademische) Titel nicht weiter angeführt.
3 Vgl. OGH 9 ObA 144/14p, Arb 13.203 mit weiteren Nachweisen.
4 Vgl. Europäische Kommission (2007): Bekämpfung von Mehrfachdiskriminierung – Praktiken, Politikstrategien und Rechtsvorschriften, S. 17.
5 Vgl. Ulrich, Silvia in: öarr 2017, 560 mit Hinweisen auf Holzleithner, Elisabeth: Bekleidungsvorschriften und Genderperformance. Gutachten für die Gleichbehandlungsanwaltschaft (2015).
Zuletzt aktualisiert am
08.04.2020