Entscheidungsdatum
06.01.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
EGVG Art. lll Abs1 Z3Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien e r k e n n t durch seine Richterin Dr. Fekete-Wimmer über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, vom 2. September 2019, Zl. …, betreffend eine Übertretung des Art. III Abs. 1 Z 3 Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen (EGVG), BGBl. I Nr. 87/2008 idF BGBl. I Nr. 57/2018,
zu Recht:
I. Gemäß § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz (VStG) eingestellt.
II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer angelastet, er habe am 15. November 2018, um 10:24, in Wien, Bahnhof C., im Zuge eines Polizeieinsatzes bezüglich einer Meinungsverschiedenheit bewusst und somit gemäß § 7 VStG vorsätzlich die einschreitenden Polizeibeamten aus dem Grund der nationalen oder ethnischen Herkunft diskriminiert, indem er sie mehrmals mit den Worten „[m]ir ist egal, was ihr Kartoffeln sagt, ich mach eh was ich will“ beschimpft habe, wobei der Grund dieser Beschimpfung nur in der nationalen oder ethnischen Herkunft lag, da es sich beim Wort „Kartoffel“ um eine Beleidigung für gebürtige Österreicher (und Deutsche) handle. Dadurch habe der Beschwerdeführer gegen Art. III Abs. 1 Z 3 EGVG verstoßen und wurde über ihn gemäß Art. III Abs. 1 Schlusssatz leg. cit. eine Geldstrafe in der Höhe von € 175,-- (im Falle ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Stunden) verhängt.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei zum Tatzeitpunkt einer Identitätskontrolle durch die Polizeibeamten unterzogen worden. Der Beschwerdeführer sei im Durchzugsbereich zwischen Haupthalle und den U-Bahn Abgängen gestanden und habe sich absichtlich in den Weg von Passanten gestellt, die dadurch zum Ausweichen gezwungen worden seien. Von den Polizeibeamten darauf angesprochen habe der Beschwerdeführer die Anrede mit „Sie“ gegenüber den Amtsorganen verweigert und habe er die Äußerung „[m]ir ist egal was ihr Kartoffel sagt, ich mach eh was ich will“ getätigt. Dabei sei die Äußerung „Kartoffel“ im Milieu des Angezeigten eine gängige rassistische Beleidigung für gebürtige Österreicher und Deutsche.
2. In der dagegen form- und fristgerecht erhobenen Beschwerde bestritt der Beschwerdeführer mit näherer Begründung eine derartige Äußerung getätigt zu haben.
3. Die belangte Behörde sah von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung ab und legte die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt dem Verwaltungsgericht Wien, hg. einlangend am 8. Oktober 2019, zur Entscheidung vor.
II. Rechtliche Beurteilung
1. Da im gegenständlichen Fall ausschließlich rechtliche Fragen zu beurteilen sind, kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer das ihm zur Last gelegte Verhalten getätigt hat.
2. Die hier relevante Bestimmung des EGVG in der maßgeblichen Fassung lautet auszugsweise wie folgt:
„Artikel III
(1) Wer
[…]
3. einen anderen aus dem Grund der Rasse, der Hautfarbe, der nationalen oder ethnischen Herkunft, des religiösen Bekenntnisses oder einer Behinderung diskriminiert oder ihn hindert, Orte zu betreten oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die für den allgemeinen öffentlichen Gebrauch bestimmt sind, […]
begeht, in den Fällen der Z 3 oder 4 dann, wenn die Tat nicht nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist, eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde, in den Fällen der Z 2 und 4 für das Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, von der Landespolizeidirektion, in den Fällen der Z 1 und 2 mit einer Geldstrafe von bis zu 218 Euro, im Fall der Z 3 mit einer Geldstrafe von bis zu 1 090 Euro und im Fall der Z 4 mit einer Geldstrafe von bis zu 2 180 Euro zu bestrafen. Im Fall der Z 4 ist der Versuch strafbar und können Gegenstände, mit denen die strafbare Handlung begangen wurde, für verfallen erklärt werden.“
3. Der Tatbestand des Art. III Abs. 1 Z 3 EGVG setzt somit entweder eine Diskriminierung von Personen oder eine Behinderung von Personen, Orte zu betreten, die für den allgemeinen öffentlichen Gebrauch bestimmt sind, aus den oben angeführten Gründen voraus.
Die Bezeichnung von gebürtigen Österreichern und Deutschen als Kartoffel kann eine Beleidigung aus Gründen der Rasse oder der nationalen oder ethnischen Herkunft darstellen, weil er Menschen auf Grund dieser Herkunft bestimmte (negative) Eigenschaften zuschreibt.
Ob eine (bloße) Beleidigung aus diesen Gründen das objektive Tatbild einer Diskriminierung im Sinne des Art. III Abs. 1 Z 3 EGVG erfüllt, lässt sich aus dem Gesetzeswortlaut jedoch nicht unzweifelhaft beantworten.
Auch in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1726 BlgNR 24. GP, 9) wird der Begriff nicht näher definiert, sondern lediglich klargestellt, dass mit der Ersetzung des Tatbestandsmerkmals der „ungerechtfertigten Benachteiligung“ „allein auf Grund ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe, ihrer nationalen oder ethnischen Herkunft, ihres religiösen Bekenntnisses oder einer Behinderung“ (sog. Dolus coloratus) durch das Tatbestandsmerkmal der „Diskriminierung“ „aus dem Grund der Rasse […]“ eine Strafbarkeitsausdehnung erfolgen soll. Dass sich diese strafbarkeitsausdehnende Neufassung des gesetzlichen Straftatbestandes des Art. III Abs. 1 Z 3 EGVG über Benachteiligungen hinaus auch auf Fälle von (bloßen) Herabwürdigungen oder Beleidigungen erstrecken soll, lässt sich den Gesetzesmaterialien jedoch nicht entnehmen.
4. Die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Bezeichnung der handelnden Amtsorgane als „Kartoffel“ stellt für sich betrachtet nach hg. Ansicht somit keine Diskriminierung im Sinne der genannten Bestimmung dar. Zu diesem Ergebnis kommt das entscheidende Gericht auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung, wonach allfällige Anstandsverletzungen dem Bereich der örtlichen Sicherheitspolizei zugewiesen sind und daher gemeinsam mit der akzessorischen verwaltungsstrafrechtlichen Kompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung in die Zuständigkeit der Länder fallen.
Der Beschwerdeführer hat den objektiven Tatbestand der ihm angelasteten Verwaltungsübertretung daher nicht erfüllt. Daher ist der Beschwerde gemäß § 50 VwGVG stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen.
4. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.
5. Eine mündliche Verhandlung konnte im Hinblick auf § 44 Abs. 2 VwGVG unterbleiben.
6. Die ordentliche Revision ist zulässig, da im Beschwerdefall eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, welcher grundsätzliche Bedeutung zukommt. So lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht unzweifelhaft entnehmen, ob eine bloße Beleidigung bzw. eine Herabwürdigung aus Gründen der Rasse, der Hautfarbe, der nationalen oder ethnischen Herkunft, des religiösen Bekenntnisses oder einer Behinderung den Tatbestand der Diskriminierung im Sinne des Art. III Abs. 3 Z 1 1. Fall EGVG erfüllen kann. Auch liegt dazu keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Das Erkenntnis des VwGH vom 24. April 2018, Ro 2017/03/0016 beantwortet lediglich die Frage, ob dieser gesetzliche Tatbestand auch mittelbare Diskriminierungen umfasst.
Schlagworte
Diskriminierung; Beleidigung aus Gründen der Rasse oder der nationalen oder ethnischen HerkunftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.024.13037.2019Zuletzt aktualisiert am
07.04.2020