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90/02 Kraftfahrgesetz;Norm
KDV 1967 §34 Abs1 litc;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des M in R, vertreten durch Dr. Rolf Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, Bahnhofstraße 16, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 2. September 1996, Zl. Ib-277-70/96, betreffend Entziehung und Befristung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 14. Mai 1996 wurde gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen C, D und E entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm für die Dauer seiner geistigen und körperlichen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung für Fahrzeuge dieser Gruppen erteilt werden darf (Pkt. I), sowie nach der erstgenannten Gesetzesstelle die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, F und G bis 3. Juli 1996 befristet und insoweit ein "absolutes Alkoholverbot" vorgeschrieben, das Fahren während der Dämmerung und in der Nacht verboten und das Lenken von Kraftfahrzeugen nur in ausgeruhtem Zustand bei geregeltem Schlaf- und Wachrhythmus erlaubt (Pkt. II). Gemäß § 64 Abs. 2 AVG wurde die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausgeschlossen (Pkt. III).
Diese Entscheidung beruhte auf dem Gutachten des Amtsarztes der Erstbehörde vom 3. Jänner 1996, in welchem der Beschwerdeführer als zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, F und G (unter einer Reihe näher angeführter Bedingungen) "bedingt geeignet", hinsichtlich der Gruppen C, D und E aber als "derzeit nicht geeignet" beurteilt wurde. Die Begründung lautete:
"Zustand nach Alkoholunfall mit Schwerverletzten bei Alkoholauffälligkeit, bei zumindest in der Vorgeschichte Zustand nach 2 Synkopen, wahrscheinlich epileptischer Art vom Grand-mal-Typ, wobei der erste möglicherweise auch auf eine Durchblutungsstörung zurückzuführen ist. Kontrolle der weiteren Persönlichkeitsentwicklung und des Gesundheitszustandes."
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Im Zuge des Berufungsverfahrens stellte er mit Eingabe vom 26. Juni 1996 im Hinblick auf das Ende der im erstinstanzlichen Bescheid verfügten Frist den Antrag "auf Verlängerung des befristet erteilten Führerscheines".
Die belangte Behörde holte neuerlich ein Gutachten des Amtsarztes der Erstbehörde ein. Dieser beurteilte in seinem Gutachten vom 16. Juli 1996 den Beschwerdeführer als "bedingt geeignet" zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, F und G. Die Begründung hiefür lautet:
"Zustand nach Alkoholunfall mit Schwerverletztem, in der Vorgeschichte 2 Synkopen (in absteigender Wahrscheinlichkeit akute ischämische Zerebralkrise, okulo-kardialer Reflex bei bekanntem Glaukom simplex, kardiovaskulär bei hyperdiastolischer Hypertonie), Kontrolle der weiteren Persönlichkeitsentwicklung und des Gesundheitszustandes sowie des Visus."
Mit Erledigung vom 29. Juli 1996 brachte die belangte Behörde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers das Gutachten vom 16. Juli 1996 zur Kenntnis. Unter einem teilte sie ihm ihre Absicht mit, der Berufung teilweise Folge zu geben und die Lenkerberechtigung auf drei Jahre (bis 3. Juli 1999) unter den im Gutachten vorgeschlagenen Vorschreibungen zu befristen.
In seiner Stellungnahme vom 13. August 1996 erklärte der Beschwerdeführer, gegen die Befristung der Lenkerberechtigung auf drei Jahre und die vorgesehenen Kontrollen keine Einwände zu erheben. Er sprach sich allerdings nachdrücklich gegen das "absolute Alkoholverbot" aus.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung hinsichtlich Pkt. I des erstinstanzlichen Bescheides keine Folge gegeben, in Ansehung des Pkt. II aber teilweise Folge gegeben und die Lenkerberechtigung für die Gruppen A, B, F und G bis 3. Juli 1999 befristet, unter gleichzeitiger Vorschreibung der Auflagen: "1. regelmäßige halbjährliche neurologische Kontrolle ... mit jährlichen EEG-Kontrollen und Vorlage einer fachärztlichen Neubeurteilung bei der Nachuntersuchung; 2. absolutes Alkoholverbot".
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die in der Gegenschrift vertretene Ansicht der belangten Behörde, wonach aus dem Sachverhalt klar hervorgehe, daß Gegenstand der Beschwerde nur die Auflage des "absoluten Alkoholverbots" sein könne, kann nicht geteilt werden:
Der Beschwerdeführer hat gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 14. Mai 1996 in vollem Umfang Berufung erhoben und die Berufung in der Folge nie eingeschränkt oder teilweise zurückgezogen. Auch die Stellungnahme vom 13. August 1996 kann nicht als Erklärung dieses Inhaltes gewertet werden. Abgesehen vom Fehlen einer dahingehenden ausdrücklichen Erklärung, kommt ihr aus folgenden Gründen von vornherein nur eine eingeschränkte Bedeutung zu: Das ihr zugrundeliegende Gutachten vom 16. Juli 1996 behandelte lediglich die Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, F und G, nicht jedoch der Gruppen C, D und E. Die Erledigung der belangten Behörde vom 29. Juli 1996 nahm keinen Bezug auf einzelne Fahrzeuggruppen. In der Gegenschrift betont die belangte Behörde nunmehr, daß sich diese Erledigung, wie aus dem Zusammenhang mit dem ärztlichen Gutachten klar ersichtlich sei, nur auf die Gruppen A, B, F und G bezogen habe. Dementsprechend betraf auch die Stellungnahme des Beschwerdeführers nur seine Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen dieser Gruppen und nicht auch von Kraftfahrzeugen der Gruppen C, D und E. Angesichts dieses eingeschränkten Inhaltes des Gutachtens vom 16. Juli 1996 und der Erledigung vom 29. Juli 1996 bestand für den Beschwerdeführer kein Anlaß, sich in seiner Stellungnahme vom 13. August 1996 auch zu dem die Gruppen C, D und E betreffenden erstinstanzlichen Entziehungsausspruch zu äußern. Dem Unterbleiben einer "Bekämpfung dieses Entzugs" kommt daher entgegen der im angefochtenen Bescheid geäußerten, offenbar gegenteiligen Ansicht der belangten Behörde, kein Erklärungswert im Sinne einer Zustimmung zu diesem Ausspruch zu. Es ist somit verfehlt, wenn die belangte Behörde nunmehr meint, der Beschwerdeführer könne sich nur in Ansehung der Auflage des "absoluten Alkoholverbots" beschwert erachten. Aus dem erwähnten Grund kann dem Beschwerdeführer jedenfalls hinsichtlich der Gruppen C, D und E nicht etwa vorgeworfen werden, dem Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten zu sein.
2. Die bekämpften Maßnahmen und Vorschreibungen begründet die belangte Behörde damit, daß der Beschwerdeführer an Epilepsie, einer Erkrankung im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. c KDV 1967, leide. Sie spricht in diesem Zusammenhang von zwei epileptischen Anfällen in der Vorgeschichte des Beschwerdeführers (1991 und 1994). Der ärztliche Sachverständige habe eine wirksame Nachkontrolle als unumgänglich erachtet und die Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen jener Gruppen, mit denen eine erhöhte Lenkerverantwortung verbunden sei, als nicht gegeben erachtet.
Der belangten Behöde ist einzuräumen, daß Epilepsie als Erkrankung im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. c KDV 1967, bei der es zu plötzlichen Bewußtseinsstörungen oder -trübungen kommt, anzusehen ist (siehe das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1986, Slg. Nr. 12.168/A). Allerdings findet die Annahme, der Beschwerdeführer leide an dieser Krankheit, in den aktenkundigen Ermittlungsergebnissen keine ausreichende Grundlage. Das gilt auch für die Annahme, er sei zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen C, D und E nicht geeignet.
In keinem der beiden Gutachten des ärztlichen Amtssachverständigen (vom 3. Jänner 1996 und vom 16. Juli 1996) ist ausdrücklich davon die Rede, daß der Beschwerdeführer an Epilepsie leide; es werden lediglich zwei "Synkopen" erwähnt, im ersten Gutachten mit dem Zusatz: "wahrscheinlich epileptischer Art vom Grand-mal-Typ, wobei der erste möglicherweise auch auf eine Durchblutungsstörung zurückzuführen ist". Auch in dem vom Amtssachverständigen verwerteten "Nervenfachärztlichen (Anschluß-)Gutachten" vom 19. Juli 1995 ist nicht ausdrücklich davon die Rede, daß der Beschwerdeführer an Epilepsie leide. Die "Zusammenfassung" dieses Gutachtens spricht lediglich vom Bestehen von Hinweisen auf bislang zweimalig (1991 und 1994) aufgetretene "anfallsartige Bewußtseinszustände mit Sturzfolge im Umfeld von "Gelegenheitskriterien" (Schlafdefizit, starke radikuläre Schmerzzustände 1991 bei L5-Diskopathie sowie Gürtelrose 1994), wobei das erstere Anfallsereignis ätiologisch nicht endgültig zuordenbar ist". Bezüglich des zweiten Anfallsgeschehens sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein epileptischer Anfall, sehr wahrscheinlich vom klonischen Grand-mal-Typ, anzunehmen. Eine ausdrückliche Schlußfolgerung dahin, der Beschwerdeführer leide an Epilepsie, wird auch in diesem Gutachten nicht gezogen. Dazu kommt, daß der "Neurologische Facharztbefund" desselben Arztes, eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, vom 28. Mai 1996 nunmehr davon spricht, daß beide "synkopalen Ereignisse" ätiologisch nicht eindeutig zuordenbar seien, und im ersten Gutachten dieses Arztes auf ein (nicht in den Verwaltungsakten erliegendes) Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 9. Juni 1995 Bezug genommen wird, in welchem lediglich davon die Rede ist, daß beim Beschwerdeführer "derzeit" keine Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen C, D und E bestehe. Festzuhalten ist ferner, daß sich zwar noch das Gutachten des Amtsarztes vom 3. Jänner 1996 mit der Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen C, D und E befaßt - auch dies freilich nur in der Weise, daß diese Eignung nicht etwa schlechthin verneint, sondern nur "derzeit" als nicht gegeben erachtet wird -, daß aber diese Frage in dem von der belangten Behörde eingeholten zweiten Gutachten des Amtsarztes überhaupt nicht mehr behandelt wird. Der Sachverhalt bedarf somit in der Frage der Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen C, D, E und des Bestehens einer epileptischen Erkrankung des Beschwerdeführers der Ergänzung.
Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den Aufwandersatz für Stempelgebühren. Insoweit waren dem Beschwerdeführer lediglich S 420,-- zuzusprechen (S 360,-- für drei Ausfertigungen der Beschwerde; S 60,-- für eine Kopie des angefochtenen Bescheides).
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996110289.X00Im RIS seit
12.06.2001