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90/02 Kraftfahrgesetz;Norm
KFG 1967 §66 Abs2 litf;Betreff
DerVerwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der G in W, vertreten durch Dr. Karl Burka und Dr. Klaus Burka, Rechtsanwälte in Wien V, Hamburgerstraße 10, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 25. November 1997, Zl. MA 65 - 8/347/97, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B vorübergehend für die Zeit von drei Monaten, gerechnet ab der (am 13. Juni 1997 erfolgten) Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides vom 5. Juni 1997, entzogen.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei wegen einer am 18. April 1997 begangenen Übertretung nach § 16 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 rechtskräftig bestraft worden. Dieser Bestrafung nach der strengeren Strafnorm (gemeint § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960) liege zugrunde, daß die Beschwerdeführerin als Lenkerin eines Kraftfahrzeuges "Verstöße unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangen hat, da durch das Fehlverhalten der Beschwerdeführerin die Gesundheit und das Leben anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet wurde". Da die Bestrafung in Rechtskraft erwachsen sei, sei davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin die der Bestrafung zugrunde liegenden Tathandlungen begangen habe. Damit liege eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 KFG 1967 vor.
Der Auffassung der Beschwerdeführerin, eine Übertretung nach § 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960 stelle keine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 dar, sei zu entgegnen, daß der Meldungsleger bei seiner Zeugenvernehmung am 21. Oktober 1997 ausgesagt habe, eine Fußgängerin, die zum Tatzeitpunkt die Fahrbahn habe überqueren wollen, sei gefährdet worden. Auch sei wegen der geringen Fahrbahnbreite der Gegenverkehr gefährdet worden. Außerdem sei die von der Beschwerdeführerin eingehaltene Geschwindigkeit im Hinblick auf die damalige Situation eindeutig zu hoch gewesen. Es könne somit sowohl von einer besonderen Rücksichtslosigkeit der Beschwerdeführerin als auch vom Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse ausgegangen werden. Die Wertung der von der Beschwerdeführerin begangenen strafbaren Handlung führe zu dem Ergebnis, daß sie für die von der Erstbehörde festgesetzte Zeit von drei Monaten als verkehrsunzuverlässig anzusehen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung der maßgebenden Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten u.dgl., auf Schutzwegen oder das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen.
Die Beschwerdeführerin wurde mit der rechtskräftigen Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien vom 30. April 1997 schuldig erkannt, sie habe "als Lenker des Pkws
mit dem Kennzeichen W ... überholt und sich dabei besonders
rücksichtslos gegenüber anderen Straßenbenützern verhalten, da Sie nicht einwandfrei erkennen konnten, daß Sie sich nach dem Überholvorgang wieder in den Verkehr einordnen werden können, ohne andere Straßenbenützer zu behindern oder zu gefährden", und dadurch § 99 Abs. 2 lit. c in Verbindung mit § 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960 verletzt.
Die belangte Behörde ist zunächst insofern im Recht, als aufgrund der rechtskräftigen Strafverfügung bindend feststeht, daß die Beschwerdeführerin den Verstoß gegen das im § 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960 genannte Überholverbot "mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern" begangen hat. Damit liegt auch ein mit besonderer Rücksichtslosigkeit begangener Verstoß gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f (zweiter Fall) KFG 1967 und sohin eine bestimmte Tatsache im Sinne dieser Gesetzesstelle vor, dies ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Bestrafung, insbesondere des Fehlens der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gebotenen Anführung der konkreten, die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begründenden Umstände im Spruch des Straferkenntnisses bzw. der Strafverfügung (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 22. September 1989, Zl. 89/11/0066, mwN).
Die dem angefochtenen Bescheid erkennbar zugrunde liegende Auffassung, es sei auch der erste Fall des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 verwirklicht, entbehrt hingegen einer entsprechenden Begründung. Insoweit kann sich die belangte Behörde nicht auf die rechtskräftige Bestrafung der Beschwerdeführerin stützen. Die Ausführungen des als Zeugen vernommenen Meldungslegers, auf die die belangte Behörde erkennbar ihre Auffassung, es seien besonders gefährliche Verhältnisse vorgelegen, stützt, stellen mangels genauer Angaben über die Örtlichkeit und das Verkehrsgeschehen keine taugliche Grundlage für die Auffassung dar, das Verhalten der Beschwerdeführerin sei an sich geeignet gewesen, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. Das in der Strafverfügung umschriebene Verhalten der Beschwerdeführerin erfüllt lediglich die Tatbildmerkmale des § 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960, enthält jedoch darüber hinaus keine Umstände, die eine Subsumtion unter § 66 Abs. 2 lit. f erster Fall KFG 1967 rechtfertigen. Es ist vor allem nicht zu erkennen, warum das Verhalten der Beschwerdeführerin den in dieser Gesetzesstelle für die Eignung, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, beispielsweise genannten Verhaltensweisen, insbesondere dem Übertreten von Überholverboten "bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen", an Gefährlichkeit entsprechen soll. Inwiefern der Gegenverkehr gefährdet worden sein soll, ist im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin angeblich eingehaltene Geschwindigkeit von ca. 40 km/h und das Fehlen von Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde betreffend das Vorhandensein von Gegenverkehr und die Sichtverhältnisse nicht nachvollziehbar. Gleiches gilt für die Behauptung der belangten Behörde, eine Fußgängerin, welche die Fahrbahn habe überqueren wollen, sei gefährdet worden, dies insbesondere im Hinblick auf das Fehlen von Feststellungen über die Entfernung der Beschwerdeführerin von der Fußgängerin und die Sichtverhältnisse.
Nach dem oben Gesagten liegt eine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. f (zweiter Fall) KFG 1967 vor. Dies allein rechtfertigt aber noch nicht die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit der betreffenden Person. Gemäß § 66 Abs. 1 KFG 1967 gilt nämlich eine Person dann als verkehrsunzuverlässig, wenn aufgrund erwiesener bestimmter Tatsachen und ihrer Wertung angenommen werden muß, daß sie aufgrund ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen der in Betracht kommenden Gruppe u.a. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr gefährden wird. Gemäß § 66 Abs. 3 KFG 1967 sind für die Wertung bestimmter Tatsachen im Sinne des Abs. 1 bei strafbaren Handlungen ihre Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
Das aufgrund der rechtskräftigen Bestrafung feststehende Verhalten der Beschwerdeführerin kann nicht als verwerflicher erkannt werden als andere Übertretungen gegen das Überholverbot nach § 16 Abs. 2 lit. c StVO 1960. Worin ihre besondere Rücksichtslosigkeit bestanden haben soll, ist nicht nachvollziehbar, sodaß ihre rechtskräftige Bestrafung nach § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 unter dem Gesichtspunkt der Verwerflichkeit nicht entscheidend zu ihrem Nachteil ins Gewicht fällt. Vorstrafen der Beschwerdeführerin, die unter dem Gesichtspunkt der Verwerflichkeit zum Nachteil der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen gewesen wären, führt die belangte Behörde nicht an. Für die Annahme, das Verhalten der Beschwerdeführerin sei besonders gefährlich gewesen, fehlt es nach dem zuvor Gesagten an einer nachvollziehbaren Begründung im angefochtenen Bescheid, abgesehen davon, daß es die belangte Behörde unterlassen hat, der Beschwerdeführerin zum Inhalt der Zeugenaussage des Meldungslegers vom 21. Oktober 1997, auf die sie ihre Ausführungen zur besonderen Gefährlichkeit der Verhältnisse gründet, Parteiengehör zu gewähren. Wenngleich wegen der Kürze der seit der Tat verstrichenen Zeit bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides das Wertungskriterium der seit der Tat verstrichenen Zeit und des Verhaltens während dieser Zeit nicht zugunsten der Beschwerdeführerin ins Gewicht fallen kann, reicht die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht aus, um die Auffassung zu rechtfertigen, die Beschwerdeführerin habe (für die Dauer von mindestens drei Monaten ab Erlassung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides) eine Sinnesart gemäß § 66 Abs. 1 lit. a KFG 1967 aufgewiesen.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens erfolgte deshalb, weil neben der Gebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG keine Eingaben- und Beilagengebühr zu entrichten war.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998110015.X00Im RIS seit
19.03.2001Zuletzt aktualisiert am
28.04.2011