Entscheidungsdatum
22.01.2020Norm
ASVG §410Spruch
L511 2005169-1/29E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. BLUM, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) vom 03.04.2012, XXXX zu Recht erkannt (mitbeteiligte Partei Betriebsführerin XXXX ):
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Beitragsgrundlagen für das Arbeitsverhältnis zwischen XXXX als Arbeitnehmer und XXXX als Arbeitgeberin für den Zeitraum von 20.05.2008 bis 13.11.2008 wie folgt festgestellt:
Die Allgemeine Beitragsgrundlage für das Jahr 2008 beträgt EUR 9.743,57, die Sonderzahlungsbeitragsgrundlage EUR 921,64.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Verfahrensinhalt
1. Verfahren vor der Gebietskrankenkasse [OÖGKK], dem Landeshauptmann von Oberösterreich [LH] und dem Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz [BMASK]
1.1. Der Beschwerdeführer arbeitete in den Jahren 2002 bis 2009 jährlich in der Sommersaison im landwirtschaftlichen Betrieb XXXX . Am 20.05.2009 erlitt der Beschwerdeführer einen Arbeitsunfall. Im Verfahren zur Feststellung der Höhe der Invaliditätsrente stellte die die AUVA bescheidmäßig am 10.02.2010 eine Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Leistungsansprüche idHv EUR 5.365,77 fest, wogegen die OÖ Landarbeiterkammer [LAK] als Vertretung des Beschwerdeführers Einspruch wegen zu niedriger Bemessungsgrundlage erhob.
1.2. Am 05.05.2010 stellte die LAK einen Antrag auf Beitragsgrundlagenüberprüfung, da der Beschwerdeführer ca. 70 (und nicht nur 40) Stunden pro Woche gearbeitet habe, und daher Überstunden für die Beitragsgrundlage hinzugerechnet werden müssten.
1.3. Im Zuge des durchgeführten Ermittlungsverfahrens legte der Beschwerdeführer seine Arbeitszeitaufzeichnungen und Tonbandaufzeichnungen von Telefonaten und Gesprächen vor, die Dienstgeberin legte unterfertigte Arbeitszeitaufzeichnungen und Lohnabrechnungen vor. Die OÖGKK vernahm mehrere Mitarbeiter der Dienstgeberin und fügte dem Verfahren Teile aus dem GPLA-Akt vom April 2010 bei.
1.4. Mit Feststellungsbescheid [FB] vom 03.04.2012 stellte die OÖGKK fest, dass der Beschwerdeführer vom 03.06.2008 bis 31.10.2008 bei der Dienstgeberin XXXX [im Folgenden auch Dienstgeberin] als Landarbeiter gemeldet gewesen war. Für diesen Zeitraum werde die Allgemeine Beitragsgrundlage mit EUR 4.456,62 und die Sonderzahlungsbeitragsgrundlage mit EUR 742,77 festgestellt.
1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Einspruch [Bsw].
1.6. Mit Vorlagebericht [VB] vom 29.05.2012 (LH 1) legte die OÖGKK das Beschwerdeverfahren dem LH vor.
1.7. Aufgrund eines am 03.12.2012 gestellten Devolutionsantrages (LH 3-4) ging die Entscheidungskompetenz auf das damals zuständige BMASK über, welches ein Gutachten veranlasste und dazu auch Parteiengehör gewährte.
2. Mit Wirksamkeit vom 01.01.2014 ging die Zuständigkeit zur Weiterführung dieses zum 31.12.2013 beim BMASK anhängig gewesenen Verfahrens gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG auf das nunmehr zuständige Bundesverwaltungsgericht [BVwG] über.
2.1. Das BVwG führte am 14.01.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der alle Verfahrensparteien teilnahmen (OZ 28).
In der Verhandlung wurden die vorgelegten Beweismittel, sowie das Gutachten eingehend erörtert.
II. ad A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Der Beschwerdeführer arbeitete in den Jahren 2002 bis 2009 jährlich in der Sommersaison im Landwirtschaftsbetrieb XXXX (Dienstgeberin). Der Beschwerdeführer war dabei jeweils vollversichert bei der OÖGKK gemeldet (VDA, OZ 22). Am 20.05.2009 erlitt der Beschwerdeführer einen Arbeitsunfall, bei dem er sich schwere Verletzungen zuzog, welche zu einer dauerhaften Invalidität von 55 %, sowie einem Grad der Behinderung von 60% führten (VHS 9, VHS ./B).
1.2. Im verfahrensgegenständlichen Jahr 2008 war der Beschwerdeführer von 20.05.2008 bis 13.11.2008 (178 Tage) in folgendem Ausmaß bei der Dienstgeberin beschäftigt:
Tabelle kann nicht abgebildet werden
1.3. Der kollektivvertragliche Arbeitslohn für Saisonarbeiter*innen betrug von 01.01.2008 bis 01.01.2009 EUR 932,00 (OZ 25). Saisonarbeiter*innen sind Arbeitskräfte, die nicht mehr als 6 Monate im gleichen oder gleichartigen Betrieb beschäftigt sind (Kollektivvertrag Landarbeiter*innen [KV] Anlage I und III). Monatslöhnern ist bei Berechnung der Sonderzahlungen der kollektivvertragliche Bruttolohn zugrundezulegen.
Nichtvollbeschäftigte Dienstnehmer erhalten den ihrer Beschäftigung entsprechenden Teil der Sonderzahlungen (KV §10).
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die im Folgenden gelisteten von den Verfahrensparteien vorgelegten oder vom BVwG erhobenen Dokumente und Unterlagen, sowie durch die mündliche Verhandlung vom 14.01.2020 [VHS] (OZ 28).
Der nicht durchnummerierte Verfahrensakt der OÖGKK beinhaltet insbesondere
* Antrag Beschwerdeführer [BF] 05.05.2010 auf Feststellung der Beitragsgrundlage
* Vorlage BF 30.07.2010 von Tonbandabschriften
* Übermittlung BF 22.10.2010 von Arbeitszeitaufzeichnungen des BF samt Listung
* Stellungnahme BF 22.07.2011
* Stellungnahme BF 14.12.2011
* Bescheid vom 03.04.2012
* Berufung vom 04.05.2012
* Unterlagen aus dem GPLA-Prüfakt (Abschluss 15.04.2010) über Hagelschaden 2008
* Arbeitszeitaufzeichnungen der Dienstgeberin [DG], Lohnabrechnungen für mehrere Jahre
* GKK Einvernahmen [EV] DG 08.07.2010+30.08.2010; EV BF 20.07.2010;
* EV 08.07.2010 XXXX ; EV 30.08.2010 XXXX ; EV 14.04.2011 XXXX ; EV 20.10.2011 XXXX
Der auf das BVwG übergegangenen Verfahrensakt des BMASK beinhaltet
* Devolutionsantrag vom 03.12.2012
* Schriftverkehr zur Gutachterbestellung Juli bis Oktober 2013
* Gutachten vom 08.11.2013
* Stellungnahme OÖGKK zum Gutachten 06.12.2013
* Stellungnahme BF zum Gutachten10.12.2013
* Stellungnahme DG zum Gutachten 04.12.2013
Der ebenfalls auf das BVwG übergegangenen Verfahrensakt des LH von Oberösterreich [LH] beinhaltet
* Vorlagebericht vom 29.05.2012 und Stellungnahme vom 06.08.2012 der OÖGKK [LH 1, 2]
* Devolutionsantrag vom 03.12.2012 [LH 3]
* Stellungnahme LH zum Devolutionsantrag [LH 4]
* Stellungnahme der OÖGKK vom 06.12.2013 zum Gutachten [LH 5]
Der hg. Gerichtsakt beinhaltet insbesondere
* Aktenvorlagen des BMASK (OZ 1)
* Beweisantrag des Beschwerdeführers vom 24.01.2014 (OZ 2)
* Aktenvorlage des LH (OZ 3)
* Aktenzuordnung und -zuweisung (OZ 4-7)
* Anfragen zum Verfahrensstand und Auskunftserteilungen (OZ 8-17)
* Ladungen, Vollmachtbekanntgaben, Akteneinsichten (OZ 18-20, 22)
* Vorlage Lohnunterlagen von DG (OZ 21)
* Vorlage DN-Meldungen für 2007-2011 durch GKK (OZ 23, 24 [=26])
* Kollektivvertrag Landarbeiter*innen (OZ 25)
* Verhandlungsschrift (VHS) samt Beilagen (OZ 28 ./A-E)
2.2. Beweiswürdigung
2.2.1. Im gegenständlichen Fall stehen die handschriftlichen Arbeitsaufzeichnungen des Beschwerdeführers den handschriftlichen Stundenaufzeichnungen der Dienstgeberin, welche der Beschwerdeführer vor Lohnauszahlung jeweils gegenzeichnete, gegenüber.
2.2.2. Die Arbeitszeitaufzeichnung des Beschwerdeführers sind handschriftlich in einem geleimten Notizbuch verfasst, und für die Monate Juli bis November 2008 vorliegend. Dabei ist jeweils eine Beginn- und Endzeit eingetragen sowie eine Stundenanzahl, die durchgängig eine Mittagspause von 1 Stunde berücksichtigt. Urlaubstage sind von Juli bis November keine verzeichnet. In Summe ergibt sich aus den Arbeitszeitaufzeichnungen eine durchschnittliche Arbeitszeit an Wochentagen von 10 Stunden pro Wochenarbeitstag, somit von durchschnittlich 60 Wochenstunden, sowie einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 2,5 Stunden an Sonntagen.
2.2.2.1. Das BVwG teilt die Annahme der Dienstgeberin und der OÖGKK nicht, der Beschwerdeführer habe die Arbeitszeitaufzeichnungen nachträglich erfasst oder diese könnten von seinem Bruder stammen, weil er bei der niederschriftlichen Einvernahme angegeben habe, er könne eigene Arbeitsaufzeichnunqen für die Jahre 2007, 2008 und 2009 nicht vorweisen (VHS 12, 17-19; B S9).
Zunächst hat die fragliche Einvernahme ohne Dolmetscher stattgefunden und die Aussagen des Beschwerdeführers wurden durch den Einvernehmenden in dessen Worten zusammengefasst. In Zusammenschau mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer die Arbeitszeitaufzeichnungen für 2004 in dieser Einvernahme vorlegte, erweist sich aus Sicht des BVwG die Verantwortung des Beschwerdeführers in der Verhandlung (VHS 12), er habe die Aufzeichnungen zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufgefunden, und bereits bei der Einvernahme angegeben, dass er sie zum Zeitpunkt der Einvernahme nicht vorweisen könne und nicht, dass diese nie existent waren, als glaubwürdig.
Im in der Verhandlung im Original vorgelegten geleimten Notizbuch sind die Arbeitsaufzeichnungen des Beschwerdeführers und seines Bruders, der mit dem Beschwerdeführer im selben Haus wohnte, monateweise nacheinander handschriftlich eingetragen. Ab dem Zeitpunkt, als der Bruder nach dem Hagelschaden zu arbeiten aufhörte, sind nur mehr die Stunden des Beschwerdeführers eingetragen. Das Buch weist auch dem äußeren Anschein nach nicht auf eine nachträgliche Erstellung hin, da Seiten mit Kritzeleien versehen sind und Teile von Seiten abgerissen sind. Auch dass die Aufzeichnungen erst ab 21.07.2008 vorliegen, und nicht ab dem vom Beschwerdeführer als Arbeitsbeginn angegebenen 20.05.2008, sowie der Umstand das sich auch die Arbeitszeitaufzeichnungen des Bruders des Beschwerdeführers im Buch finden, spricht gegen eine nachträgliche Anfertigung.
Die Beschreibung der Führung der Arbeitszeitenliste des Beschwerdeführers im Jahr 2008, wonach er zunächst (wie in den Jahren davor) auf Kuverts und Zetteln (diese wurden ebenfalls im Original vorgelegt) seine Dienstzeiten notiert habe, nach Ankunft seines Bruders und seiner Frau in Österreich jedoch der Bruder die Arbeitszeitaufzeichnungen für ihn und für sich tätigte, sowie nach dessen Abreise (nach dem Hagelereignis) die Ehefrau die Liste für ihn weiterführte, deckt sich ebenfalls mit dem Erscheinungsbild (VHS 10, 14), welches für die Monate Juli und August für beide Brüder die selbe Handschrift und ab September eine andere Handschrift aufweist. Dass der Beschwerdeführer nach Ankunft von Bruder und Frau im Jahr 2008 mit diesen gemeinsam in eine andere Unterkunft der Dienstgeberin zog, wurde von dieser in der Verhandlung auch bestätigt (VHS 10).
2.2.2.2. Für die inhaltliche Richtigkeit der Arbeitszeitaufzeichnungen des Beschwerdeführers sowie seiner Angaben über Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses spricht, dass diese mit den vorgelegten Flugdaten übereinstimmen und der in den Medien wiedergegebenen Lebensrealität von Saisonarbeitern entspricht. Exemplarisch für die diesbezügliche mediale Berichterstattung etwa news.orf.at 04.07.2018: Reiche Ernte, arme Ernter? - Warum wollen immer weniger ausländische Erntearbeiter nach Österreich kommen? Die Gewerkschaft erhebt schwere Vorwürfe, von Lohndumping bis Betrug - und ein Saisonarbeiter erzählt über schockierende Praktiken. Bauern sehen das Problem hingegen woanders. Konsument 19.05.2017:
Erntehelfer aus Ungarn, Rumänien, ... - Ausbeutung auf Österreichs
Feldern; derStandard 26.09.2016: Die Knechte und Mägde des 21. Jahrhunderts - Österreicher findet man laut der Gewerkschaft bei Erntehelfern selten. Schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen sind ihr Alltag; Augustin 27.10.2016: Niedrigstlöhne in der Krauthappelernte - Rumänische Erntehelfer*innen verklagen niederösterreichischen Bauern; Die Presse 03.06.2015: Ausbeutung von Arbeitern auch in Österreich. In Österreich werden ausländische Arbeiter am Bau und in der Landwirtschaft ausgenutzt, kritisiert die EU-Grundrechteagentur.
2.2.2.3. Soweit die Dienstgeberin in ihrer Einvernahme vom 30.08.2010 inhaltlich gegen die Arbeitszeitaufzeichnungen des Beschwerdeführers ausführt: "... am 22.8.2008 [wurde] durch ein Hagelunwetter die Ernte zur Gänze zerstört. Wenn Hr. E [der Beschwerdeführer] angibt, er hat jeden Tag mindestens 12 Stunden gearbeitet, stellt sich für mich die Frage, wie man 12 Stunden arbeiten kann, wenn meine Ernte, bzw. Produktion vernichtet ist. Daher sind diese Angaben absolut unrichtig." ist anzumerken, dass die Arbeitszeitaufzeichnungen des Beschwerdeführers mit dem Hagelereignis korrespondieren. So sind die Arbeitstage bis einschließlich 22.08.2008 mit 12 bis 14 Arbeitsstunden vermerkt. Der Hagel ging laut ZAMG erst in der Nacht auf den 23.08.2008 nieder. Dass der Tag nach dem Hagelschaden für Aufräumarbeiten genutzt wurde erscheint schlüssig, und wurde von der Dienstgeberin in der Verhandlung auch bestätigt (VHS 10). In der Folge reduzierten sich die Wochenstunden laut den Arbeitsaufzeichnungen nach dem Hagelereignis um die Hälfte. Dass die Wochenstunden in der Folge wieder stiegen, korrespondiert mit dem Umstand, dass drei Mitarbeiter ( XXXX und der Bruder des Beschwerdeführers) die Saison auf Grund des Hagelschadens frühzeitig beendet hatten (OZ 23-24).
2.2.2.4. Zusammenfassend erachtet das BVwG die Arbeitszeitaufzeichnungen des Beschwerdeführers als authentisch und mit der Lebensrealität von Saisonarbeitern im Einklang stehend.
2.2.3. Dem gegenüber stehen die Arbeitsstundenaufzeichnungen der Dienstgeberin. Diese liegen für 11 von 12 Hauptsaisonmitarbeiter vor (GA A2, OZ 28/A) und weisen während der gesamten Saison 2008 eine Arbeitszeit aller Mitarbeiter von maximal 9 Stunden pro Tag auf, und zeigen, dass alle Mitarbeiter den aliquoten Urlaub zur Gänze während der Saison nahmen. In Summe ergibt sich eine durchschnittliche Arbeitszeit von 6 Stunden pro Arbeitstag, somit von 36 Stunden pro Woche.
2.2.3.1. Soweit die Dienstgeberin und die OÖGKK die Richtigkeit der Stundenaufzeichnung der Dienstgeberin betonen, ist einleitend festzuhalten, dass diese Formalmängel aufweisen. So wurde im Fall des Beschwerdeführers etwa im Juni, Juli und Oktober 2008 eine andere Stundenanzahl abgerechnet, als in der Stundenaufzeichnung gelistet (Arbeitsstunden 2008, Lohnabrechnung, VHS 12). Im Fall von XXXX fehlen die geleisteten Arbeitsstunden für Oktober und November 2008 auf der Stundenliste 2008, obwohl sie in diesem Zeitraum als Mitarbeiterin der Dienstgeberin bei der OÖGKK angemeldet war (GA A2:
Arbeitsstunden 2008 XXXX R, VHS/A: Arbeitsstunden 2008 XXXX K und XXXX P).
2.2.3.2. Inhaltlich spricht gegen die Richtigkeit der Stundenaufzeichnungen der Dienstgeberin, dass in der gesamten Saison 2008 keine einzige Überstunde angefallen ist. Vor dem Hintergrund, dass Arbeiten in der Landwirtschaft, insbesondere Pflanzungen und Ernte von der Witterung abhängig sind, ist nicht nachvollziehbar, dass selbst vor angekündigtem (massivem) Schlechtwetter und damit einhergehenden erwartbaren Schäden, beispielsweise vor dem Unwetter im August 2008, die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden unverändert bleibt. Ebenso ist der Umstand, dass laut Stundenliste alle Mitarbeiter ihren aliquoten Urlaub mitten in der Saison (und nicht am Ende der Saison) konsumierten, nicht nachvollziehbar. So geht auch das Gutachten davon aus, dass Saisonarbeitnehmer während der Saison keine Urlaubstage konsumieren (GA 37). Es entspricht auch nicht der Lebensrealität von Saisonarbeitern in Österreich (siehe dazu die bereits zitierten Medienberichte), dass in der gesamten Saison keine einzige Überstunde angefallen ist und alle aliquoten Urlaubstage konsumiert wurden.
2.2.3.3. Soweit die OÖGKK im Bescheid und die Dienstgeberin in der Verhandlung (VHS 13) darauf verweisen, dass die einvernommenen Mitarbeiter die Richtigkeit der Arbeitsstundenaufzeichnungen der Dienstgeberin (ihre eigenen Abrechnungen betreffend) bestätigt hätten, ist zunächst festzuhalten, dass alle Einvernahmen ohne Dolmetscher durchgeführt wurden. Insbesondere die Einvernahmen von XXXX im Jahr 2010 werfen Zweifel am Zustandekommen auf, da diese wortident sind und am Arbeitsplatz oder beim Steuerberater der Dienstgeberin aufgenommen wurden. Die Mitarbeiter waren zum Zeitpunkt der Einvernahme (und darüber hinaus) auf Grund eines aufrechten Dienstverhältnisses auch wirtschaftlich von der Dienstgeberin abhängig. Die Mitarbeiter*innen XXXX und XXXX wurden im Jahr 2011 zwar bei der GKK einvernommen, standen aber ab 04.01.2012 ebenfalls wieder in einem Dienstverhältnis zur Dienstgeberin und waren daher in absehbarer Zeit nach der Einvernahme wirtschaftlich wieder von der Dienstgeberin abhängig (VDA, EV-Protokolle). Das BVwG teilt daher die Ansicht des Beschwerdeführers, dass es für diese Dienstnehmer*innen kaum möglich gewesen wäre, etwas Anderes auszusagen, als dass die Dienstgeberin alles korrekt abrechne.
2.2.3.4. In Summe hält das BVwG die Stundenaufzeichnungen der Dienstgeberin für nicht glaubhaft. Dass der Beschwerdeführer diese vor Lohnauszahlung unterzeichnet hat, steht diesem Ergebnis ebensowenig entgegen wie das Gutachten.
2.2.4. Das Gutachten kam zum Ergebnis, dass der mit 6.002 Stunden errechnete Arbeitsstundenbedarf des Betriebes der Dienstgeberin für die Saison 2008, mit den für die 10 Saisonarbeiter [Anmerkung:
tatsächlich waren es 12] in den Arbeitsstundenlisten der Dienstgeberin ausgewiesenen 5.336 Stunden gut übereinstimmt (GA 76-77).
2.2.4.1. Das Gutachten ist, wie in der Verhandlung ausführlich erörtert wurde (VHS 7-9), im Hinblick auf Vergleichszahl der tatsächlich im Betrieb gearbeiteten Stunden unvollständig geblieben, da die Dienstgeberin dem Gutachter nicht alle Arbeitsstundenlisten übermittelt hatte und der Gutachter in der Folge die Stunden von XXXX zur Gänze unberücksichtigt ließ (GA A2, GA 32, 36). Entsprechend den von der Dienstgeberin in der Verhandlung vorgelegten Arbeitsstundenlisten 2008 der beiden Mitarbeiter*innen (VHS ./A) sind den 5.336 Stunden zumindest 1.632 Stunden (die Liste von XXXX ist wie bereits ausgeführt unvollständig) hinzuzurechnen. Die Gesamtstundenanzahl lag daher um ca. 1.100 Arbeitsstunden über dem errechneten Bedarf, was aus Sicht des BVwG den gutachterlichen Schluss, dass dies mit dem errechneten Bedarf "gut übereinstimmt", nicht mehr trägt.
2.2.4.2. Die zweite Vergleichsgröße, der errechnete Arbeitsstundenbedarf von 6.002 Arbeitsstunden, wurde im Gutachten basierend auf den Angaben der Dienstgeberin über die Anbaufläche und die Häufigkeit der Bepflanzung (GA A1) schlüssig aus Vergleichszahlen über den Arbeitsbedarf des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum Rheinpfalz (GA A5-7, 9-13), des Gartenbaubetriebes Wagner Deutschland (GA A8) und der Landwirtschaftskammer OÖ (GA A3) abgeleitet. Auch die Verfahrensparteien sind der Schlüssigkeit der Berechnung nicht entgegengetreten (VHS 7-9).
Allerdings basieren die Prämissen des Gutachtens, die Anbaufläche sowie die Häufigkeit der Bepflanzung, ausschließlich auf den Angaben der Dienstgeberin. Das Gutachten hält dazu fest (GA 25), dass es ungewöhnlich sei, dass Feldfrüchte mit einer Kulturdauer von 8 bis 10 Wochen oder 9 bis 11 Wochen nur 1x im Jahr angebaut werden, da die Fläche mehrfach genutzt werden könnte. Der Betrieb habe dies damit begründet, dass aus Fruchtfolge- und Qualitätsgründen auf eine 1x-Kultur übergegangen worden sei. In der Verhandlung hat die Dienstgeberin dagegen ausgeführt, dass Salat, falls witterungsbedingt möglich, auch ein zweites Mal angepflanzt werde (VHS 20). Im Hinblick auf die Anbaufläche hat die Dienstgeberin dem Gutachter gegenüber angegeben (GA A1) auf 8,47 ha Salat anzubauen, was jedoch den Angaben in der Hagelschadensmeldung (GA A14) widersprach und vom Gutachter daher auf 11,29 ha korrigiert wurde (GA 27-29).
2.2.4.3. Auf Grund der unvollständigen Angaben der Dienstgeberin im Hinblick auf die Anzahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, sowie der unterschiedlichen Angaben der Dienstgeberin im Hinblick auf die Häufigkeit der Bepflanzung der bewirtschafteten Felder, ist das Gutachten nicht geeignet die Plausibilität der Arbeitsstundenlisten zu begründen.
2.2.5. Auf Grund dieser Erwägungen zu den Arbeitszeitaufzeichnungen des Beschwerdeführers, zu jenen der Dienstgeberin sowie zum Gutachten, folgt das BVwG den Angaben des Beschwerdeführers über das Ausmaß seiner Tätigkeit.
2.2.6. Die festgestellte Anzahl der Arbeitsstunden ergibt sich für 21.07.2008 bis 13.11.2008 somit aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Arbeitszeiten. Die Arbeitsstunden für den Zeitraum von 20.05.2008 bis 20.07.2008 wurden mangels vorhandener Arbeitszeitaufzeichnungen geschätzt. Dabei wurde die durchschnittliche Stundenanzahl je Kalendertag von 21.07.2008 bis 13.11.2008 errechnet und für den Zeitraum 20.05.2008 bis 20.07.2008 hochgerechnet (1 180,25/116*62). Überstunden wurden entsprechend §4 des Kollektivvertrages mit dem Faktor 1,5 ab der 10. Arbeitsstunde sowie an Sonn- und Feiertagen mit dem Faktor 2 berechnet. Als Stundensatz, wurde der Bruttolohn für Saisonarbeiter*innen idH von EUR 932,00 herangezogen, da der Beschwerdeführer in Summe nicht länger als 6 Monate bei der Dienstgeberin (und auch in keinem weiteren Betrieb) beschäftigt war (VDA, KV Anlage I und III).
3. Rechtliche Beurteilung
3.1.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Einzelrichterin ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 414 Abs. 1 und Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz [ASVG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die die SGKK im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).
3.1.2. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig.
3.2. Feststellung der Beitragsgrundlagen für das Jahr 2008
3.2.1. Gemäß § 44 Absatz 1 Ziffer 1 ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) für pflichtversicherte Dienstnehmer*innen grundsätzlich der im Beitragszeitraum gebührende auf Cent gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2 ASVG. Gemäß § 49 Absatz 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienstverhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält. Gemäß § 49 Absatz 2 ASVG sind Sonderzahlungen Bezüge im Sinne des Abs. 1, die in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen gewährt werden, wie zum Beispiel ein 13. oder 14. Monatsbezug, Weihnachts- oder Urlaubsgeld, Gewinnanteile oder Bilanzgeld. Sie sind als Entgelt nur nach Maßgabe der Bestimmungen des § 54 und der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, in denen die Sonderzahlungen ausdrücklich erfasst werden, zu berücksichtigen.
3.2.2. Das Anspruchslohnprinzip des ASVG legt somit als Untergrenze den durch den Kollektivvertrag (oder den Dienstvertrag) geregelten zivilrechtlichen Entgeltanspruch fest, unabhängig davon, ob das Entgelt in diesem Ausmaß auch tatsächlich ausbezahlt wurde.
Aus dem festgestellten Stundenausmaß ergeben sich unter Zugrundelegung des kollektivvertraglichen Bruttolohnes von EUR 932,00 die festgestellten monatlichen Beitragsgrundlagen. Aus diesen ergibt sich die allgemeine Beitragsgrundlage für das gesamte Jahr 2008 in der Höhe von EUR 9.743,57.
3.2.3. Der Beschwerdeführer war im Jahr 2008 178 Tage beschäftigt, so dass die Sonderzahlungen zu aliquotieren sind (KV §10). Ausgehend vom Bruttoverdienst von EUR 932,00 (KV §10) je Monat ergibt sich daher eine Sonderzahlungsbeitragsgrundlage idHv EUR 921,64 (je 932,00/360*178 für Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld).
3.2.4. Es ist daher spruchgemäß die allgemeine Beitragsgrundlage für 2008 idHv EUR 9.743,57, sowie die Sonderzahlungsbeitragsgrundlage idHv EUR 921,64 festzustellen.
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG). Die Revision ist (mit einer hier nicht zum Tragen kommenden Ausnahme) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).
Im gegenständlichen Verfahren lag der Schwerpunkt auf der Beweiswürdigung zur Sachverhaltsfeststellung. Die sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergebende rechtliche Subsumtion ergibt sich unmittelbar aus den gesetzlichen Bestimmungen. Es ergaben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
Schlagworte
Arbeitszeit, Beitragsgrundlagen, Gutachten, Kollektivvertrag,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L511.2005169.1.00Zuletzt aktualisiert am
07.04.2020