TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/27 W266 2213491-1

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Veröffentlicht am 27.01.2020
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Entscheidungsdatum

27.01.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W266 2213491-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf HALBAUER, bakk. phil, als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 4.1.2019, OB: XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit dem im Spruch zitierten Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich (in der Folge: belangte Behörde), wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 12.9.2018 auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten zur Feststellung des Grades der Behinderung eingeholt worden sei und nach diesem Gutachten ein Grad der Behinderung von 40% vorliege. Die Beschwerdeführerin habe innerhalb der gesetzten Frist keine Stellungnahme abgegeben.

Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Die Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung würden als schlüssig anerkannt und in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden.

Da die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung in Höhe von 40% festgestellt habe, lägen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vor, da gemäß § 40 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz der Grad der Behinderung mindestens 50% zu betragen habe.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen, fristgerechten Beschwerde führt die Beschwerdeführerin - ohne Vorlage weiterer Befunde - im Wesentlichen aus, sie habe seit zehn Jahren einen Behindertenpass besessen und habe nur um Verlängerung angesucht. Die Beschwerdeführerin habe vor der Untersuchung, welche lediglich einen Grad der Behinderung von 40 v.H. ergeben habe, zwei Schmerztabletten einnehmen müssen, um die von der Sachverständigen geforderten Übungen durchführen zu können. Weiters habe die Beschwerdeführerin wegen einer Erkrankung ihres 89-jährigen Ehemannes, welcher Pflegestufe 4 habe, innerhalb der gesetzten Frist keine Stellung zum Gutachten nehmen können, zumal auch telefonisch niemand bei der belangten Behörde erreichbar gewesen sei.

Am 23.1.2019 wurde die Beschwerde mitsamt dem dazugehörigen Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Aufgrund des Beschwerdevorbringens, dass die Beschwerdeführerin bereits früher einen Behindertenpass besessen habe, ersuchte das Bundesverwaltungsgericht die belangte Behörde um Auskunft, welche daraufhin am 5.2.2019 mitteilte, dass es ich um das erste Verfahren der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde handle.

In der Folge wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein orthopädisches Gutachten eingeholt und der Beschwerdeführerin sowie der belangten Behörde mit Schreiben vom 24.9.2019 zur allfälligen Stellungahme übermittelt.

Von dieser Möglichkeit haben beide Parteien keinen Gebrauch gemacht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Nach Einsicht in den behördlichen Verwaltungsakt und den Gerichtsakt, insbesondere in die ärztlichen Gutachten, welche im erstinstanzlichen Verfahren und im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeholt wurden und auf persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin basieren, in die vorgelegten Befunde sowie Einholung eines aktuellen Auszugs aus dem zentralen Melderegister steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführerin ist am XXXX geboren und wohnhaft in XXXX ,

XXXX .

Es kann nicht festgestellt werden, ob die Beschwerdeführerin bereits in der Vergangenheit einen (befristeten und verlängerten) Behindertenpass besessen hat.

Hinsichtlich des Gesundheitszustands der Beschwerdeführerin wird folgendes festgestellt:

Allgemeinzustand: gut.

Ernährungszustand: gut.

Größe: 156 cm, Gewicht: 68 kg,

RR: 150/90, 83 Jahre

Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen

Thorax: symmetrisch, elastisch, Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch.

Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.

Integument: unauffällig

Schultergürtel und beide oberen Extremitäten: Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse. Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden.

Schultergelenke beidseits: Bemuskelung annähernd seitengleich, nicht verkürzt, kein schmerzhafter Bogen. Fingergelenke beidseits:

geringgradige Umfangsvermehrung, keine Schwellung, keine wesentliche Achsenabweichung, kein Streckdefizit, kein wesentliches Beugedefizit. Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig. Aktive Beweglichkeit: Schultern S und F jeweils 0/160, Rotation endlagig eingeschränkt, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich annähernd frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist nahezu komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig. Nacken- und Schürzengriff sind endlagig eingeschränkt durchführbar.

Becken und beide unteren Extremitäten: Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits mit Anhalten und ohne Einsinken kurz durchführbar. Der Einbeinstand ist mit Anhalten kurz möglich. Die tiefe Hocke ist ansatzweise möglich. Die Beinachse ist im Lot. Annähernd symmetrische Muskelverhältnisse. Beinlänge ident. Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich. Hüftgelenk beidseits: Rechts Narbe nach Hüfttotalendoprothese, beidseits kein Stauchungsschmerz, kein

Rotationsschmerz. Kniegelenk beidseits: Links Narbe nach Knietotalendoprothese, beidseits mäßige Umfangsvermehrung, keine Überwärmung, kein Erguss, stabil. Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig. Aktive Beweglichkeit: Hüften S links 0/90, rechts 0/100, IR/AR links 10/0/25, rechts 10/0/35, Knie beides 0/0/120, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich. Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 50° bei KG 5 möglich.

Wirbelsäule: Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, kein Hartspann, kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule. Aktive Beweglichkeit: HWS: in allen Ebenen frei beweglich. BWS/LWS: FBA: 20 cm, in allen Ebenen 1/3 eingeschränkt, Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen, das Gangbild ist nicht hinkend, unelastisch und verlangsamt, sonst unauffällig. Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.

Status psychicus: Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.

Die Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin entsprechen den folgenden Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Hüfttotalendoprothese rechts, Abnützungserscheinungen linkes Hüftgelenk 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da beidseits geringe bis mäßige Einschränkung der Beweglichkeit in allen Ebenen ohne Hinweis für Lockerung.

02.05.08

30

2

Knietotalendoprothese links, Abnützungserscheinungen rechtes Kniegelenk Oberer Rahmensatz, da rezidivierende Beschwerden ohne Hinweis für Lockerung der Prothese bei geringgradiger Einschränkung der Beugefähigkeit beidseits.

02.05.19

30

3

Abnützungserscheinungen des Bewegungsapparates Unterer Rahmensatz, da rezidivierende Beschwerden im Bereich beider Schultergelenke und der Fingergelenke ohne relevante funktionelle Einschränkung.

02.02.01

10

und beträgt der Grad der Behinderung 40%.

Das führende Leiden 1 wird durch Leiden 2 um eine Stufe erhöht, da ein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken vorliegt. Leiden 3 erhöht nicht, da von zu geringer funktioneller Relevanz.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen betreffend Geburtsdatum und Wohnadresse beruhen auf den glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin am Antragsformular, den übereinstimmenden Unterlagen im Verwaltungsakt sowie auf dem eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister.

Dass nicht festgestellt werden konnte, ob die Beschwerdeführerin bereits in der Vergangenheit einen befristeten und verlängerten Behindertenpass besessen hat, ergibt sich aus einer Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts bei der belangten Behörde, aus welcher hervorgeht, dass es sich um das erste Verfahren der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde handelt. Aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister ist auch kein weiterer Wohnsitz der Beschwerdeführerin ersichtlich, aus welchem eine mögliche Zuständigkeit einer anderen Behörde in der Vergangenheit abzuleiten wäre. Schließlich deutet auch die Angabe der Beschwerdeführerin im Antragsformular ("Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses" statt "Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung" oder "Antrag auf Neuausstellung des Behindertenpasses wegen Ungültigkeit") auf eine erstmalige Antragstellung hin.

Hinsichtlich des Gesundheitszustands und des Grades der Behinderung beruhen die Feststellungen auf dem bereits von der belangten Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Gutachten sowie auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachten. Beide Sachverständigengutachten basieren auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin. Sie sind in sich schlüssig, nachvollziehbar und vollständig. Es wird darin vollständig und in nachvollziehbarer Art und Weise auf alle von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Leidenszustände unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde eingegangen. Da die Beurteilung in allen Gutachten im Wesentlichen ident ist (die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene Sachverständige hat lediglich Leiden 1 und 2 des Vorgutachtens zusammengefasst und Leiden 3 des Vorgutachtens unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkungen beider Kniegelenke aktuell in Leiden 2 neu eingestuft sowie Leiden 4 des Vorgutachtens (ohne Berücksichtigung des Leidens im rechten Kniegelenk) als Leiden 3 unverändert eingestuft), wird im Folgenden nur von einem Sachverständigengutachten, nämlich dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten, gesprochen:

Die Sachverständige ordnet das Leiden 1 (Hüfttotalendoprothese rechts, Abnützungserscheinungen linkes Hüftgelenk) der Position 02.05.08 der EVO mit einem Prozentsatz von 30% zu. Dies ist eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da beidseits geringe bis mäßige Einschränkungen der Beweglichkeit in allen Ebenen ohne Hinweis für Lockerung vorliegen. Dies entspricht den in der EVO für diesen Rahmensatz vorgesehenen Kriterien (Hüftgelenk, Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig 20 - 40 %:

Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit).

Das Leiden 2 (Knietotalendoprothese links, Abnützungserscheinungen rechtes Kniegelenk) wird von der Sachverständigen dem oberen Rahmensatz der Position 02.05.19 (Funktionseinschränkung des Kniegelenks geringen Grades) mit 30% zugeordnet, da rezidivierende Beschwerden ohne Hinweis für Lockerung der Prothese bei geringgradiger Einschränkung der Beugefähigkeit beidseits vorliegen. Dies entspricht den in der EVO für diesen Rahmensatz vorgesehenen Kriterien (Kniegelenk, Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig 20 - 30 %: Streckung/Beugung bis 0-0-90°).

Schließlich wird das (aufgrund der Zusammenfassung der Leiden neu eingestufte) Leiden 3 (Abnützungserscheinungen des Bewegungsapparates) von der Sachverständigen dem unteren Rahmensatz der Position 02.02.01 der EVO zugeordnet, da rezidivierende Beschwerden im Bereich beider Schultergelenke und der Fingergelenke ohne relevante funktionelle Einschränkung vorliegen. Dies entspricht den in der EVO für diesen Rahmensatz vorgesehenen Kriterien (Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparats: Mit funktionellen Auswirkungen geringen Grades 10 - 20 %; Leichte Beschwerden mit geringer Bewegungs- und Belastungseinschränkung)-

Zuletzt begründet die Sachverständige den Gesamtgrad der Behinderung damit, dass das führende Leiden 1 durch Leiden 2 um eine Stufe erhöht wird, da ein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken vorliegt. Leiden 3 erhöht nicht, da es von zu geringer funktioneller Relevanz ist.

Diese Beurteilungen der Sachverständigen sind in Zusammenschau mit dem erhobenen klinischen Befund und den vorgelegten Befunden nachvollziehbar und schlüssig und ordnet die Sachverständige die vorliegenden Funktionseinschränkungen auch schlüssig den Kriterien der jeweiligen Positionsnummern zu.

Auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin und den bei der Untersuchung nachgereichten Befund geht die Sachverständige in ihren Ausführungen ein und erläutert dazu schlüssig, dass der vorgelegte Befund keine neuen Informationen beinhaltet und nicht im Widerspruch zur getroffenen Einschätzung steht. Die gegenständlichen Sachverständigengutachten werden daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Gemäß § 1 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hierfür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 46 BBG beträgt die Beschwerdefrist abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

Gemäß § 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) ist unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 2 Abs. 1 Einschätzungsverordnung sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

Die relevanten Positionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung lauten:

02.02 Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparats:

...

02.02.01 Mit funktionellen Auswirkungen geringen Grades 10 - 20 %

Leichte Beschwerden mit geringer Bewegungs- und Belastungseinschränkung

...

02.05 Untere Extremitäten

...

Hüftgelenke

...

02.05.08 Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig 20 - 40 %

Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit

...

Kniegelenk

...

02.05.19 Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig 20 - 30 %

Streckung/Beugung bis 0-0-90°

...

Gemäß § 3 Abs. 1 Einschätzungsverordnung ist eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

Gemäß § 3 Abs. 2 Einschätzungsverordnung ist bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

Gemäß § 3 Abs. 3 Einschätzungsverordnung liegt eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

Gemäß § 3 Abs. 4 Einschätzungsverordnung ist eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Gemäß § 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung bildet die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heranzuziehen.

Gemäß § 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung hat das Gutachten neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Daraus folgt:

Die gegenständlichen Gutachten entsprechen den formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Einschätzungsverordnung und werden, aus den unter Punkt 2 näher ausgeführten Gründen der Entscheidung zugrunde gelegt.

Für die Ausstellung eines Behindertenpasses ist gemäß § 40 Abs. 1 BBG neben den formalen Erfordernissen ein Grad der Behinderung in Höhe von zumindest 50% Voraussetzung.

Die Funktionsbeeinträchtigungen der Beschwerdeführerin betragen jedoch, wie festgestellt, 40% da diese, wie bereits oben unter Punkt 2 ausgeführt, von den Amtssachverständigen schlüssig und nachvollziehbar den oben genannten Positionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet wurden.

Da bei der Beschwerdeführerin keine weiteren Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt werden konnten, und der Grad der Behinderung sohin entsprechend § 2 Abs. 1 Einschätzungsverordnung iVm den Positionen 02.05.08, 02.05.19 und 02.02.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung 40% beträgt, liegen nicht alle Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vor.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße und zu begründende Ermessen des Verwaltungsgerichtes gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 VwGVG normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH).

Unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung im Erkenntnis vom 16.12.2013, 2011/11/0180 (mit Hinweis auf EGMR 13.10.2011, Fexler gg. Schweden, Beschw. Nr. 36.801/06) aus, dass eine solche unterbleiben kann, wenn der Ausgang des Verfahrens vor allem vom Ergebnis der Gutachten medizinischer Sachverständiger abhängt und die Beschwerdeführerin auch nicht behauptet, dass er den von der Behörde eingeholten Gutachten entgegentritt. Dies gilt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts umso mehr für den Fall einer von den Parteien nicht beantragten mündlichen Verhandlung.

In diesem Zusammenhang wird auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) verwiesen, die im Bereich von Entscheidungen, die eher technischer Natur ("rather technical in nature") sind und deren Ausgang von schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachten abhängt ("the outcome depended on the written medical opinions") unter Rücksichtnahme u.a. auf die genannten Umstände von der Zulässigkeit des Absehens einer mündlichen Verhandlung ausgeht, dies nicht nur im Verfahren vor dem jeweils zuständigen Höchstgericht, sondern auch in Verfahren vor dem als erste gerichtliche Tatsacheninstanz zuständigen (Verwaltungs-)Gericht, dem die nachprüfende Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen zukommt (vgl. etwa EGMR [Unzulässigkeitsentscheidung] 22.05.2012, Osorio gg. Schweden, Beschw. Nr. 21.660/09, sowie VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221, mit Hinweis auf EGMR 18.07.2013, Beschw. Nr. 56.422/09, Schädler-Eberle gg. Liechtenstein; EGMR 10.05.2007, Beschw. Nr. 7401/04, Hofbauer gg. Österreich Nr. 2; EGMR 03.05.2007, Beschw. Nr. 17.912/05, Bösch gg. Österreich).

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus den im Verfahren eingeholten und vom erkennenden Gericht als schlüssig erachteten, Gutachten von medizinischen Sachverständigen, den die Beschwerdeführerin weder auf gleicher fachlicher Ebene noch durch ein sonst substantiiertes Vorbringen entgegengetreten ist. Die strittigen Tatsachenfragen gehören ausschließlich dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung im Gegenstand von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W266.2213491.1.00

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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