TE Bvwg Beschluss 2020/1/27 W200 2224399-1

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Veröffentlicht am 27.01.2020
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Entscheidungsdatum

27.01.2020

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W200 2224399-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Halbauer als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landestelle NÖ vom 28.06.2019, Zl. 29555510600020, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden wird der angefochtene Bescheid

gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle NÖ, zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Am 27.03.2019 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung".

Das eingeholte Gutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin ergab einen GdB von 70% und gestaltete sich wie folgt:

"Anamnese:

Reaktive Depression bei chron. Schmerzen und bei mehreren Belastungsfaktoren Insomnie

Fibromyalgia rheumatica, Migräne, PNP, Somatoforme Schmerzstörung M. Waldenstrom, multiple somatische Erkrankungen

(...)

Gesamtmobilität - Gangbild: langsam, aber unauffällig

Status Psychicus: eher im negativen Skalenbereich affizierbar

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd.Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Chronisches Schmerzsyndrom, Fibromyalgie Fixer Richtsatz

04.11.03

50

2

Non Hodgkin Lymphome unter laufender Therapie (Morbus Waldenström) Unterer Richtsatz da langsam progredient unter laufender Immunglobulintherapie.

10.03.04

50

3

Depressio Oberer Rahmensatz da unter laufender Therapie, laufende fachärztliche Behandlung notwendig.

03.06.01

40

4

Verlust beider Ovarien bis zum vollendeten 65. LJ, Gebärmutterentfernung Fixer Richtsatz

08.03.05

40

5

Degenerative Veränderungen am Bewegungsapparat Unterer Rahmensatz bei lumboischialgiformen Beschwerden, Cervikalgie und abnützungsbedingten Veränderungen in sämtlichen Gelenken.

02.02.02

30

6

Entzündliche Veränderung der Schilddrüse Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz da eine laufende Therapie erforderlich ist und anhaltende Kontrollen

09.01.01

20

7

g.z. chronische Entzündung der Magenschleimhaut Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz da rezidivierende Intervallbeschwerden auftreten.

07.04.01

20

8

Eisenmangelanämie Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz da häufige Müdigkeit und Verstärkung des Fatigue Gefühls.

10.01.01

20

9

Therapieresistente Bindehautentzündung Oberer Rahmensatz da dauerhafte Beeinträchtigung und andauernde Therapie erforderlich.

11.01.01

20

Gesamtgrad der Behinderung: 70 v. H.

(...)

Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Der Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist zumutbar. Haltegriffe für den sicheren Transport können benützt werden. Das sichere Ein und Aussteigen sowie das zurücklegen kurzer Wegstrecken sind möglich, es besteht keine Gehbehinderung. Es liegen weder cardio/pulmonale noch intellektuelle Einschränkungen im Hinblick auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor."

In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführerin ein Behindertenpass ausgestellt und der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" mit Bescheid vom 28.06.2019 abgewiesen.

Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde ein Konvolut von medizinischen Unterlagen (radiologisch, psychiatrisch, neurologisch, internistisch) angeschlossen. Dem Akt ist weiters ein Aktenvermerkt vom 26.09.2019 zu entnehmen, dass eine weitere Ladung im Rahmen eines Beschwerdevorentscheidungsverfahren der Beschwerdeführerin nicht möglich war, da sich diese stationär in einer psychiatrischen Abteilung aufhielt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen. (Ra 2015/08/0178 vom 27.01.2016)

In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). (Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016)

Wie im Verfahrensgang ausgeführt, leidet die Beschwerdeführerin an Fibromyalgie. Das Hauptsymptom der Fibromyalgie sind Schmerzen in Bindegewebe und Muskulatur. Ebenso leidet sie an lumboischialgiformen Beschwerden, d.h. Schmerzen im unteren Rücken.

Die belangte Behörde hat es jedoch unterlassen - trotz der ihr bekannten ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032, 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186) - die befasste Ärztin zu Art und das Ausmaß der angegebenen Schmerzen zu befragen sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu klären, insbesondere mit welchen Schmerzen (Art und Ausmaß) die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, insbesondere das Gehen bei der Beschwerdeführerin verbunden ist. Alleine ein Hinweis im Gutachten, dass Haltegriffe für den sicheren Transport benützt werden können, das sichere Ein- und Aussteigen sowie das Zurücklegen kurzer Wegstrecken möglich seien, keine Gehbehinderung bestehe und weder cardio/pulmonale noch intellektuelle Einschränkungen im Hinblick auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vorlägen, bietet keine ausreichende Entscheidungsgrundlage im Hinblick auf die ständige, der belangten Behörde vom BVwG bereits mehrmals mitgeteilten Judikatur.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte die Entscheidung über die beantragte Zusatzeintragung ohne hinreichende Ermittlungstätigkeiten bzw. hat das SMS rudimentäre Ermittlungen bzw. sogar trotz Kenntnis der ständigen Judikatur des VwGH nicht entsprechende Recherchen getätigt.

Im weiteren Verfahren wird daher die Beschwerdeführerin jedenfalls zu einer Untersuchung zu laden sein und ein Gutachten zu folgenden Fragen einzuholen sein:

1. Die dauernden Gesundheitsschädigungen sind als Diagnoseliste anzuführen.

Eine Einschätzung des Grades der Behinderung ist nicht vorzunehmen.

2. Es wird ersucht auszuführen, in welchem Ausmaß die angeführten Leidenszustände vorliegen und wie sich diese auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken.

3. Liegen erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor? Bitte um Begründung der Beurteilung.

4. Liegen erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor?

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032, 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186) sind auch die Art und das Ausmaß der von der BF angegebenen Schmerzen sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu klären.

Mit welchen Schmerzen (Art und Ausmaß) ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, insbesondere das Gehen bei der BF verbunden?

5. Liegen erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen vor?

6. Liegt eine hochgradige Immunschwäche vor?

Ob im Hinblick auf den stationären Aufenthalt der Beschwerdeführerin in einer psychiatrischen Abteilung im Oktober 2019 auch die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens erforderlich sein wird, hat die belangte Behörde aufgrund der von der Beschwerdeführerin vorzulegenden Unterlagen zu entscheiden.

Nach Gewährung des Parteiengehörs an den Vertreter der Beschwerdeführerin hat das SMS die Entscheidung zur beantragten Zusatzeintragung zu treffen.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W200.2224399.1.00

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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