TE Vwgh Beschluss 2020/2/21 Ra 2020/18/0002

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Veröffentlicht am 21.02.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H H, vertreten durch Mag. Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juli 2019, W137 2132145-1/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 4. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er in Saudi-Arabien geboren und aufgewachsen sei. Im Alter von siebzehn Jahren sei er nach Kabul abgeschoben worden, wo er vier Monate gelebt habe. In dieser Zeit sei er zwei Mal angegriffen worden, weil er nur sehr schlecht Dari gesprochen habe.

2 Mit Bescheid vom 8. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst und soweit für das Revisionsverfahren relevant aus, beim Revisionswerber handle es sich um einen dreiundzwanzigjährigen, gesunden, arbeitsfähigen Mann, der Arabisch, Usbekisch und Dari (mit hörbarem arabischen Akzent) spreche. Er verfüge über mehrjährige Berufserfahrung im Dienstleistungsbereich, insbesondere im Handel, wodurch - in Zusammenhang mit seiner Mehrsprachigkeit - die Defizite aus seinen mäßigen Dari-Kenntnissen jedenfalls ausgeglichen würden. Der Revisionswerber könne, wie bereits zur Finanzierung seiner Ausreise aus Afghanistan, finanzielle Unterstützung durch seine in der Türkei lebenden Brüder in Anspruch nehmen und über diese den Kontakt zu seinen Eltern und anderen Geschwistern herstellen, die in der Provinz Takhar lebten. Es sei daher davon auszugehen, dass dem Revisionswerber grundsätzlich eine Ansiedlung in der Provinz Takhar bei seiner Familie möglich sei. Alternativ sei ihm auch eine Ansiedlung in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat zumutbar. Der Revisionswerber habe keine Familienangehörigen im Bundesgebiet, halte sich im Entscheidungszeitpunkt seit etwa vier Jahren in Österreich auf, sein Privatleben sei in einem Zeitraum entstanden, in dem er sich seines unsicheren Aufenthalts habe bewusst sein müssen. Der Revisionswerber habe den Großteil seines Lebens nicht in Österreich verbracht, seine Familie lebe in Afghanistan, zwei seiner Brüder in der Türkei. Die durchgeführte Interessenabwägung ergebe selbst bei Einbeziehung seiner Sprachkenntnisse, seiner Unbescholtenheit und seinem sozialen Engagement, dass die öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung überwögen. Die Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, das BVwG habe veraltete Länderberichte herangezogen und sich weder mit den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, noch mit den EASO Country Guidance Notes auseinandergesetzt. Die Annahme des BVwG, der Revisionswerber könne familiäre Unterstützung und Rückkehrhilfe erhalten, sei unbegründet. Tragfähige Feststellungen zur persönlichen Situation des Revisionswerbers würden fehlen. Das Erkenntnis lasse auch eine Darstellung der Sicherheitssituation in Takhar vermissen. Im Übrigen moniert die Revision, dass in Hinblick auf die aktualisierten Länderberichte keine neuerliche Verhandlung durchgeführt worden sei und im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK nicht alle relevanten Kriterien geprüft worden seien. 6 Die Revision erweist sich als nicht zulässig. 7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. etwa VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0406, mwN).

11 Soweit der Revisionswerber zunächst die mangelnde Aktualität der vom BVwG herangezogenen Länderberichte zur Sicherheitslage in Afghanistan beanstandet, ist festzuhalten, dass das vom BVwG zugrunde gelegte Länderinformationsblatt als Stichtag den 29. Juni 2018 anführt. Die ins Verfahren eingebrachten Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 berücksichtigen Berichte bis 31. Mai 2018, die im gegenständlichen Verfahren aktuellen EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan datieren ebenfalls vom Juni 2018. Die Revision legt nicht dar, welche aktuelleren Länderberichte vom BVwG konkret heranzuziehen gewesen wären und inwiefern deren Berücksichtigung zu einem anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Verfahrensergebnis hätte führen können (vgl. zur erforderlichen Relevanzdarlegung bezüglich Verfahrensmängeln etwa VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0048, mwN).

12 Soweit die Revision moniert, dass das Erkenntnis über zwei Jahre nach der mündlichen Verhandlung erlassen worden sei, ohne dass eine Fortsetzung der mündlichen Verhandlung nach Übermittlung der aktualisierten Länderberichte stattgefunden hätte, ist Folgendes festzuhalten: Es reicht nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist dabei in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2017/19/0431, mwN). Das gilt auch für das Vorbringen, das BVwG hätte zu den übermittelten Länderfeststellungen die mündliche Verhandlung fortsetzen müssen. Mit dem bloßen Hinweis auf die übermittelten, aktualisierten Länderberichte und dem dazu gewährten schriftlichen Parteiengehör vermag der Revisionswerber - zumindest betreffend die Sicherheits- und Versorgungslage in Mazar-e Sharif und Herat - nicht darzulegen, inwiefern sich der maßgebliche entscheidungswesentliche Sachverhalt geändert hat, sodass eine Fortsetzung der mündlichen Verhandlung notwendig gewesen wäre. Damit wird jedoch die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang nicht ausreichend dargetan (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2017/19/0431).

13 Insofern die Revision einen Feststellungsmangel betreffend die aktuelle Sicherheitslage in der Provinz Takhar rügt, ist dem zu entgegenen, dass die Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage nicht abhängt, weil sich das BVwG auch tragend auf die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif stützt. Beruht ein Erkenntnis auf einer tragfähigen Begründungsalternative und wird im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, so erweist sich die Revision als unzulässig. Dies gilt selbst dann, wenn davon auszugehen ist, dass die anderen Begründungsalternativen rechtlich unzutreffend sind (VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0203, mwN).

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach erkannt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN). Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 42 ff, mwN).

15 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG fallbezogen ausreichende Feststellungen zur persönlichen Situation des Revisionswerbers getroffen. Demnach sei der gesunde, erwerbsfähige Revisionswerber in Saudi-Arabien geboren und zunächst bei seinen Eltern und nach deren Abschiebung bei seinem Onkel aufgewachsen, wo er verschiedene Erwerbstätigkeiten, vorrangig als Verkäufer, ausgeübt habe. Im Alter von siebzehn Jahren sei er nach Kabul abgeschoben worden, wo er vier Monate lang gelebt habe. Mit Hilfe zweier seiner Brüder, die in der Türkei lebten, habe er Afghanistan verlassen. Der Revisionswerber spreche Arabisch, Usbekisch und Dari (mit arabischem Akzent) und sei mit dem Leben in einer streng sunnitischen Glaubensgemeinschaft vertraut. Finanzielle Unterstützung durch seine Brüder sei möglich und erwartbar, und der Revisionswerber könne über diese auch den Kontakt zu seinen in der Provinz Takhar lebenden Eltern herstellen.

16 Diese Feststellungen werden in der Revision lediglich unsubstantiiert bestritten, und es gelingt der Revision auch nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung des BVwG, wonach es den in der Türkei lebenden Brüdern bereits möglich gewesen sei, den Revisionswerber über die Staatsgrenzen hinweg zu unterstützen und im Verfahren keine Zweifel an der neuerlichen Unterstützungsbereitschaft aufgekommen seien, unvertretbar wäre (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350, mwN).

17 In der Revision wird somit zur Frage der innerstaatlichen Fluchtalternative nicht aufgezeigt, dass das BVwG mit seiner Begründung von der Rechtsprechung abgewichen ist oder vor dem Hintergrund der EASO Country Guidance zu einem anderen Ergebnis betreffend die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat gelangen hätte müssen (VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 42 ff, mwN).

18 Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung richtet, ist festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0192, mwN).

19 Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. etwa VwGH 3.12.2019, Ra 2019/18/0471, mwN). Liegt - wie im gegenständlichen Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0246, mwN). Mit dem Vorbringen, wonach das BVwG die fehlenden Bindungen zu Afghanistan, die lange Verfahrensdauer und das gänzliche Fehlen von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung nicht berücksichtigt habe, entfernt sie sich von den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis und wird von der Revision nicht dargelegt, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben wären und das BVwG eine unvertretbare Interessenabwägung vorgenommen hätte. 20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 21. Februar 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180002.L00

Im RIS seit

07.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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