TE Vwgh Erkenntnis 2020/1/21 Ra 2017/06/0114

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Veröffentlicht am 21.01.2020
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Index

L37151 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Burgenland
L82000 Bauordnung
L82001 Bauordnung Burgenland
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §56
AVG §58 Abs2
AVG §60
AVG §8
BauG Bgld 1997 §21 Abs4
BauG Bgld 1997 §5
BauG Bgld 1997 §5 Abs1
BauG Bgld 1997 §5 Abs1 Z2
BauRallg

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2017/06/0115

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie Senatspräsidentin Dr. Bayjones, die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, über die Revision 1. des Mag. H H und 2. der Mag. M H, beide in S und vertreten durch Dr. Helmut Kientzl, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Rudolf Diesel-Straße 26, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom 3. April 2017, E GB5/09/2016.019/006, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Gemeinde Sigleß; mitbeteiligte Partei: O gemeinn. Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft reg. GenmbH in O, vertreten durch die Dax Wutzlhofer & Partner Rechtsanwälte GmbH in 7000 Eisenstadt, Rusterstraße 62/1/4; weitere Partei: Burgenländische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Gemeinde Sigleß hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Eingabe vom 8. August 2016 ersuchte die mitbeteiligte Partei (Bauwerberin) um Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung einer Wohnhausanlage für betreubares Wohnen, bestehend aus neun Wohneinheiten und einem Gemeinschaftsraum samt Nebenräumen, dazugehörigen Außenanlagen und Einfriedung auf dem Baugrundstück Nr. X KG S. Der Altbestand werde zur Gänze abgetragen, eine entsprechende Abbruchbewilligung liege vor. Nach der Baubeschreibung wird das Gebäude über die Länge des derzeitigen Bestandes an der linken Grundstücksgrenze angebaut. Im Anschluss daran wird das Gebäude ca. 2 m zurückversetzt, wobei die Abtrennung zur Anrainerliegenschaft der revisionswerbenden Parteien durch eine durchgehende, ca. 2 m hohe Mauer erfolgt. Zur rechten Grundstücksgrenze wird ein Abstand von 3 m eingehalten. 2 Die revisionswerbenden Parteien erhoben Einwendungen und machten geltend, nur im Bereich des "Altbaues" erfolge ein Anbau an die Grundstücksgrenze, während auf eine Länge von ca. 14 m der Abstand zwischen Hauptgebäude und Grundstücksgrenze lediglich 2,04 m betrage.

3 Der bautechnische Amtssachverständige Ing. A. führte in der mündlichen Bauverhandlung vom 7. April 2016 aus, für den in Rede stehenden Bereich der P. Straße lägen weder ein Teilbebauungsplan noch Bebauungsrichtlinien vor. Auf der Bauliegenschaft befinde sich derzeit ein Gebäude in halboffener Bebauungsweise, das an der linken Grundstücksgrenze angebaut sei und ein Erdgeschoss, ein Obergeschoss und ein Satteldach mit Eterniteindeckung umfasse. Es sei vorgesehen, das neu zu errichtende Gebäude ebenfalls in halboffener Bauweise auszuführen, wobei das Hauptgebäude über ca. 2/3 der Gesamtlänge an die linke Grundstücksgrenze gebaut werde. Danach werde die halboffene Bebauung durch die Errichtung einer geschlossenen Einfriedungsmauer weitergeführt. Das Hauptgebäude springe in diesem Bereich um ca. 2 m zurück. Unter Berücksichtigung des Ortsbildes und des bestehenden Baubestandes sei die halboffene Bebauungsweise festzulegen.

4 Mit Bescheid vom 31. August 2016 legte der Bürgermeister der Gemeinde S. - soweit für das vorliegende Verfahren relevant - für das Baugrundstück die halboffene Bebauung fest und erteilte die beantragte Baubewilligung nach Maßgabe der Baubeschreibung und der mit einem Bewilligungsvermerk versehenen Planunterlagen. Zur Festlegung der halboffenen Bebauungsweise vertrat die Baubehörde unter Hinweis auf das Gutachten des bautechnischen Amtssachverständigen die Ansicht, durch den Anbau von 2/3 des Hauptgebäudes an die Grundstücksgrenze und die Weiterführung einer 2 m hohen Einfriedungsmauer lägen die Voraussetzungen der halboffenen Bebauungsweise gemäß § 5 Abs. 1 Z 2 Burgenländisches Baugesetz 1997 - Bgld. BauG vor. Die Einwendungen der revisionswerbenden Parteien seien daher als unbegründet abzuweisen und das Bauvorhaben im Hinblick auf das Ergebnis der Bauverhandlung unter Wahrung der von der Baubehörde zu vertretenden Interessen zu bewilligen gewesen.

5 Die dagegen erhobene Berufung der revisionswerbenden Parteien wies der Gemeinderat der Gemeinde S. mit Bescheid vom 12. Oktober 2016 als unbegründet ab.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Burgenland (LVwG) die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen diesen Bescheid des Gemeinderates der Gemeinde S. als unbegründet ab und sprach gleichzeitig aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

7 In der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses führte das LVwG zur Festlegung der halboffenen Bebauungsweise aus, diese sei - basierend auf einem nachvollziehbaren Gutachten eines Sachverständigen für Bautechnik - zu Recht festgelegt worden. Das Bauvorhaben erfülle die Voraussetzungen der halboffenen Bebauungsweise. Die Parteistellung der revisionswerbenden Parteien beschränke sich auf die ihnen zugewandte Gebäudeseite. Ihr Vorbringen, dass dann, wenn das Hauptgebäude nicht an die Grundstücksgrenze angebaut werde, ein Abstand von 3 m einzuhalten sei, entspreche in dieser Allgemeinheit nicht der Rechtslage. Das Bgld. BauG lege für jede einzelne Bebauungsweise die Abstände fest, die zur seitlichen Grundstücksgrenze einzuhalten seien. Es bestehe kein Rechtsanspruch auf Abrücken des Gebäudes (von der Grundgrenze) um 3 m statt 2 m, weil hinsichtlich der Grundgrenze, an die anzubauen sei, keine Abstandsregel bestehe, aus der sich ein einzuhaltender Abstand von 3 m ergebe. Da an die seitliche Grundgrenze im Sinne des § 5 Abs. 1 Z 2 Bgld. BauG angebaut werde, liege auch keine Ausnahme nach § 5 Abs. 3 leg. cit. vor; die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach dieser Bestimmung vorlägen, sei daher in diesem Verfahren nicht zu prüfen. Weiters führte das LVwG aus, es bestehe die Möglichkeit, das Grundstück der revisionswerbenden Parteien in halboffener Bebauungsweise unter Einhaltung eines Seitenabstandes von 3 m zum gegenständlichen Baugrundstück zu bebauen. Das derzeit bestehende Hauptgebäude halte diesen Abstand ein. Die Belichtungs- und Belüftungssituation auf dem Grundstück der revisionswerbenden Parteien werde durch das Abrücken von der Grundstücksgrenze (gemeint: in dem Bereich, in dem das Hauptgebäude um 2 m von der Grundstücksgrenze zurückspringt) verbessert.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht und die Aufhebung unter Kostenzuspruch begehrt wird.

9 Die mitbeteiligte Bauwerberin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die kostenpflichtige Zurück-, in eventu Abweisung der Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision erweist sich angesichts der Ausführungen zum Fehlen von Rechtsprechung zur Auslegung des § 5 Abs. 1 Z 2 Bgld. BauG, nämlich ob im Fall einer halboffenen Bebauungsweise in Bezug auf das anzubauende Grundstück zur Gänze an die Grundstücksgrenze anzubauen sei, als zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

11 § 5 Bgld. BauG idF LGBl. Nr. 11/2013 lautet (auszugsweise):

"Bebauungsweisen und Abstände

§ 5. (1) Sofern Bebauungspläne/Teilbebauungspläne oder Bebauungsrichtlinien nicht vorliegen, hat die Baubehörde unter Berücksichtigung des Baubestandes und des Ortsbildes für ein Baugrundstück eine der folgenden Bebauungsweisen zuzulassen:

1.      geschlossene Bebauung, wenn die Hauptgebäude in

geschlossener Straßenfront beidseitig an die seitlichen

Grundstücksgrenzen anzubauen sind,

2.      halboffene Bebauung, wenn die Hauptgebäude an einer

seitlichen Grundstücksgrenze anzubauen sind und gegen die andere

seitliche Grundstücksgrenze ein Abstand von mindestens 3 m

einzuhalten ist,

3.      offene Bebauung, wenn gegen beide seitlichen

Grundstücksgrenzen ein Abstand von mindestens 3 m einzuhalten ist.

Für die offene Bebauungsweise ist eine Grundstücksbreite von mindestens 15 m erforderlich.

...

(3) Die Baubehörde kann in Ausnahmefällen unter besonderer Berücksichtigung des Anrainerschutzes, der Baugestaltung und der örtlichen Gegebenheiten abweichend von den Bestimmungen der Abs. 1 und 2 die Abstände von Bauten zu den Grundstücksgrenzen durch die Festlegung von vorderen, seitlichen und hinteren Baulinien bestimmen, die auch als zwingende Baulinien festgelegt werden können. Baulinien sind die Grenzlinien, innerhalb derer Bauten errichtet werden dürfen; zwingende Baulinien sind jene Grenzlinien, an die anzubauen ist."

§ 21 Bgld. BauG idF LGBl. Nr. 79/2013 lautet (auszugsweise):

"§ 21. (1) Parteien im Bauverfahren sind

...

3. die Eigentümer jener Grundstücke, die von den Fronten des Baues weniger als 15 m entfernt sind (Nachbarn),

...

(2) Ein Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung mit der Begründung Einwendungen erheben, dass er durch das Vorhaben in seinen Rechten verletzt wird.

...

(4) Wird die Verletzung von Vorschriften dieses Gesetzes oder von sonstigen bau- und raumplanungsrechtlichen Vorschriften (zB Bauverordnung, Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan, Bebauungsrichtlinien) behauptet, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse des Nachbarn dienen (öffentlichrechtliche Einwendung), hat die Baubehörde hierüber im Bescheid zu erkennen und gegebenenfalls die Baubewilligung zu versagen oder die Einwendung als unbegründet abzuweisen und die Baubewilligung zu erteilen.

..."

12 Die revisionswerbenden Parteien sind unstrittig Nachbarn iSd § 21 Abs. 1 Z 3 Bgld. BauG. Für das zu bebauende Grundstück liegen (ebenfalls unstrittig) kein Bebauungsplan bzw. kein Teilbebauungsplan und auch keine Bebauungsrichtlinien vor. Für diesen Fall sieht § 5 Abs. 1 leg. cit. vor, dass die Baubehörde unter Berücksichtigung des Baubestands und des Ortsbildes für ein Baugrundstück eine der in den Z 1 bis 3 genannten Bebauungsweisen (geschlossen, halboffen oder offen) konkret durch einen Bescheid zuzulassen hat. Ferner ist die Baubehörde verpflichtet, die Festlegung der Bebauungsweise nachvollziehbar zu begründen (vgl. etwa VwGH 31.1.2012, 2009/05/0023, und 27.5.2009, 2007/05/0071, jeweils mwN).

13 Da die gesetzlichen Vorschriften über die Entfernung von Nachbargrenzen oder Nachbargebäuden als Vorschriften zu beurteilen sind, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse des Anrainers iSd § 21 Abs. 4 Bgld. BauG dienen, erwachsen aus der Anordnung des § 5 leg. cit. dem Anrainer subjektiv-öffentliche Rechte iSd § 21 Abs. 4 Bgld. BauG (vgl. VwGH 31.1.2012, 2009/05/0023, mwN).

14 Festzuhalten ist, dass aus dem Erkenntnis VwGH 23.9.2010, 2010/06/0132, für den Standpunkt der revisionswerbenden Parteien nichts zu gewinnen ist, weil der diesem Erkenntnis zu Grunde liegende Sachverhalt sich maßgeblich von dem vorliegenden unterscheidet, ging es doch dort um die Frage der Einhaltung der geschlossenen Bauweise und näherhin darum, ob bei dieser Bauweise das neu zu errichtende Gebäude etwa auch über die Grenze hinweg zu errichten sei, wenn der Bestand auf dem Nachbargrundstück nicht exakt an der Grundgrenze errichtet ist.

15 Eine halboffene Bauweise gemäß § 5 Abs. 1 Z 2 Bgld. BauG liegt vor, wenn die Hauptgebäude an einer seitlichen Grundgrenze angebaut und gegen die andere seitliche Grundstücksgrenze ein Abstand von mindestens 3 m eingehalten wird. Der Nachbar hat ein Recht auf Einhaltung der halboffenen Bauweise in Bezug auf das Anbauen eines Nachbargebäudes an die seitliche (gemeinsame) Grundgrenze (vgl. VwGH 23.9.2010, 2010/06/0132, zum Recht auf Einhaltung der geschlossenen Bauweise, dessen Ausführungen auf den vorliegenden Fall übertragbar sind). Nach den Projektunterlagen wird - wie bereits dargestellt - das zu errichtende Hauptgebäude über 2/3 der Gesamtlänge an die Grundstücksgrenze zu den revisionswerbenden Parteien angebaut und im weiteren Verlauf um 2 m von der Grundstücksgrenze zurückgesetzt. Damit wird jedoch dem Erfordernis des § 5 Abs. 1 Z 2 leg. cit., wonach an die seitliche Grundgrenze anzubauen ist, nicht entsprochen. Ein Zurückspringen mit einem Teil des Hauptgebäudes, wie vom Bauwerber intendiert, findet in dieser Bestimmung keine Grundlage und erweist sich somit als unzulässig.

16 Im Übrigen ist anzumerken, dass der von der Revision thematisierte § 5 Abs. 3 Bgld. BauG (bescheidmäßige Festlegung von Baulinien abweichend von Abs. 1 und 2 leg. cit.) fallbezogen nicht relevant ist, weil mangels eines entsprechenden Antrages eine derartige Festlegung nicht erfolgt ist.

17 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20 14, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 21. Jänner 2020

Schlagworte

Baurecht NachbarNachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017060114.L00

Im RIS seit

06.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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