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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des H in T, vertreten durch Dr. Johann Kölly, Rechtsanwalt in Oberpullendorf, Rosengasse 55, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 18. Dezember 1997, Zl. VI/2-V-3743/5-1997, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem im Jahre 1914 geborenen Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, E, F und G entzogen.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die bekämpfte Entziehungsmaßnahme wird im wesentlichen auf ein Gutachten des ärztlichen Amtssachverständigen der belangten Behörde vom 17. November 1997 betreffend die geistige und körperliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen gestützt. Bei Erstellung dieses Gutachtens wurde das Ergebnis einer am 27. Oktober 1997 durchgeführten verkehrspsychologischen Untersuchung und ein augenfachärztlicher Befund vom 16. September 1997 herangezogen. Der ärztliche Amtssachverständige kam zu dem Ergebnis, daß der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen der in Rede stehenden Gruppen "auf Dauer" als nicht geeignet anzusehen sei.
Vorauszuschicken ist, daß der angefochtene Bescheid entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 73 Abs. 2 KFG 1967 keinen Ausspruch darüber enthält, innerhalb welcher Zeit dem Beschwerdeführer eine neue Lenkerberechtigung nicht erteilt werden darf. Im Zusammenhang mit einer Entziehung der Lenkerberechtigung nach § 73 Abs. 1 KFG 1967 wegen des Mangels der geistigen oder körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen hat dies nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes zur Folge, daß der betreffenden Person eine Lenkerberechtigung erst nach Wiedererlangung der in Rede stehenden Eignung erteilt werden darf.
Vorauszuschicken ist ferner, daß der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid so versteht, daß die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen sowohl im Hinblick auf das Fehlen der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit als auch (im Hinblick auf die Zitierung des § 35 Abs. 1 lit. g KDV 1967 im Spruch) im Hinblick auf Defekte im Gesichtsfeld beider Augen verneint.
Anlaß für die Einleitung des Entziehungsverfahrens waren nach der Aktenlage drei Verkehrsunfälle, von denen zwei vom Beschwerdeführer jeweils beim Linksabbiegen infolge Nichtbeachtens des Querverkehrs verursacht worden waren (hinsichtlich des dritten finden sich in den vorgelegten Verwaltungsakten keine Unterlagen).
Die abschließende Beurteilung im amtsärztlichen Gutachten vom 17. November 1997 lautet:
"Bei der amtsärztlichen Untersuchung am 7.8.1997, aber auch bei der verkehrspsychologischen Untersuchung am 27.10.1997 zeigte sich eine noch agile, gut orientierte Persönlichkeit. Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist jedoch herabgesetzt.
Bei der augenfachärztlichen Untersuchung ... am 16.9.1997 wurde ein ausreichendes Sehvermögen beidseits mit Brillenkorrektur festgestellt, allerdings zahlreiche Gesichtsfeldausfälle. Letztere wurden zwar als Artefakte ... bewertet.
Bei der verkehrspsychologischen Untersuchung am Kuratorium für Verkehrssicherheit in Wien am 27.10.1997 fanden sich jedoch massive Defizite in allen Bereichen der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit bei ausreichender Intelligenz im praktisch-handlungsnahen Bereich.
Wegen dieser massiven kraftfahrspezifischen Leistungsdefizite, die aus amtsärztlicher Sicht sehr wohl mit den festgestellten Gesichtsfeldausfällen zusammenhängen können, ist Obgenannter zum Lenken von Kraftfahrzeugen ... auf Dauer als nicht geeignet anzusehen".
Dieses Gutachten ist - wie der Beschwerdeführer zutreffend rügt - nicht schlüssig. Erstens ist der verkehrspsychologische Befund nicht nachvollziehbar, da in ihm zwar auf die durchgeführten Untersuchungen Bezug genommen und dargelegt wird, daß eine gewisse Fehleranzahl in mehreren Fällen vorgelegen sei. Insbesondere ist mangels Angabe der nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte nicht nachvollziehbar, wie der Befundersteller von den im Befundblatt über "kraftfahrspezifische Leistungsfunktionen" aufscheinenden Testwerten zu den wiedergegebenen Wertungen gelangte. Mangels näherer Ausführungen geht aus der Beilage nicht hervor, welcher Aussagewert den angegebenen Testwerten (einzeln) oder in Verbindung mit anderen) jeweils zukommt und aus welchen wissenschaftlichen Erfahrungssätzen die angegebenen Schlußfolgerungen abzuleiten sind (vgl. diesbezüglich die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. August 1997, Zl. 96/11/0346, und Zl. 97/11/0065, sowie vom 7. Oktober 1997, Zl. 96/11/0271).
Zum zweiten wird der Zusammenhang der im augenfachärztlichen Befund angegebenen Gesichtsfeldausfälle mit den im verkehrspsychologischen Befund genannten kraftfahrspezifischen Leistungsdefiziten nicht in nachvollziehbarer Weise dargetan. Dazu kommt, daß die in Rede stehenden Gesichtsfeldausfälle im augenfachärztlichen Befund als "Artefakte" bezeichnet werden. Darunter sind in medizinischer Hinsicht Störungen in einem Untersuchungsbefund ohne physiologisches bzw. pathologisches Korrelat zu verstehen (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, S 105). Es bleibt daher unklar, wieso die (nicht nachvollziehbaren) kraftfahrspezifischen Leistungsdefizite "sehr wohl mit den festgestellten Gesichtsfeldausfällen zusammenhängen können".
Im Hinblick auf die geschilderten Mängel des amtsärztlichen Gutachtens war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994
Schlagworte
Anforderung an ein Gutachten Gutachten rechtliche BeurteilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998110047.X00Im RIS seit
11.07.2001