Index
E000 EU- Recht allgemein;Norm
ARB1/80 Art6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Yakub Cetin in Kirchberg/Pielach, vertreten durch Dr. Karl Haas und Dr. Georg Lugert, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Dr.-Karl-Renner-Promenade 10, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 7. August 1996, Zl. 300/IIe/13116/525 994/1996, betreffend Erteilung einer Arbeitserlaubnis und Feststellung nach dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Spruchpunktes b) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.240,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz vom 29. Juni 1996 die Erteilung einer Arbeitserlaubnis. In eventu "möge festgestellt werden, daß das Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) auf die beabsichtigte Tätigkeit des Antragstellers keine Anwendung" finde. Der Beschwerdeführer berief sich hiebei auf Rechte, welche ihm aufgrund des Assoziationsabkommens EWG-Türkei vom 12. September 1963 sowie den Assoziationsratsbeschluß vom 20. Dezember 1976, Nr. 2/670, welcher durch den Beschluß vom 19. September 1980, Nr. 1/80, abgeändert worden sei, zukämen.
Der Beschwerdeführer gab an, seit 5. April 1992 im Bundesgebiet aufhältig zu sein. Er sei türkischer Staatsangehöriger. Er sei bei seinem Vater als Angehöriger sozialversichert. Sein Vater sei seit 15. März 1990 bei der Fa. ADEG tätig. Der Beschwerdeführer bewohne mit seinem Vater gemeinsam eine Wohnung. Es bestehe ein Mietvertrag zwischen dem Hauseigentümer und dem Vater des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer beabsichtige, bei der Fa. ADEG als Lagerarbeiter eine Beschäftigung aufzunehmen. Er behaupte, daß das AuslBG für diese Beschäftigung keine Anwendung finde.
Das Arbeitsmarktservice St. Pölten lehnte mit dem Bescheid vom 2. August 1995 den Antrag auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis gemäß § 14a Abs. 1 AuslBG ab. Der erstinstanzliche Bescheid enthielt hinsichtlich des Eventualfeststellungsbegehrens keine ausdrückliche Abweisung oder einen Entscheidungsvorbehalt. Lediglich in der Begründung wurde "informativ mitgeteilt", daß die Behörde erster Instanz das Assoziierungsabkommen EU-Türkei nicht vor dem Inkrafttreten eines Beitrittsprotokolles anzuwenden habe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Im Berufungsverfahren brachte die belangte Behörde mit Schriftsatz vom 13. Februar 1996 dem Beschwerdeführer als Ermittlungsergebnis u.a. zur Kenntnis, daß er die Voraussetzungen der Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 2 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980, Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80), nicht erfülle. Der Beschwerdeführer gehöre nicht dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates an. Er sei noch nie in Österreich ordnungsgemäß beschäftigt gewesen, weshalb die Erfüllung der Voraussetzung des Abkommens "nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung" nicht vorläge. Der Beschwerdeführer habe noch nie eine Arbeitserlaubnis gehabt, er sei noch bei keinem Dienstgeber beschäftigt gewesen.
Zu Art. 7 Satz 2 (Anm.: Bezeichnung folgend der Diktion des EuGH; andere gebräuchliche Schreibweisen "Abs. 2" bzw. "zweiter Satz") ARB Nr. 1/80 habe der Beschwerdeführer Angaben oder Beweise über eine Berufsausbildung in Österreich nicht erbracht und es könne eine solche auch nicht von der belangten Behörde festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer nahm mit Schriftsatz vom 28. Februar 1996 hiezu Stellung, brachte aber zu den genannten Sachverhaltselementen keine Gegendarstellung vor. Aufgrund seiner neuerlich dargelegten Rechtsansicht sei seine Antragstellung in dem Sinne zu verstehen, daß er alle erdenklichen Möglichkeiten ausschöpfen wolle, um eine Bewilligung nach dem AuslBG zur Aufnahme seiner beabsichtigten Tätigkeit zu erlangen.
Hierauf erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid. Die belangte Behörde lehnte unter Spruchpunkt a) den Antrag auf Erteilung der Arbeitserlaubnis gemäß § 14a Abs. 1 AuslBG ab. Unter Spruchpunkt b) stellte die belangte Behörde zum Eventualantrag auf Feststellung, daß das AuslBG auf die beabsichtigte Tätigkeit des Antragstellers keine Anwendung finde, fest, daß das AuslBG auf die beabsichtigte Tätigkeit "sehr wohl" Anwendung finde und die Voraussetzungen des Assoziationsabkommens der EWG mit der Türkei und des aufgrund dieses Abkommens ergangenen Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates, Art. 7, nicht zuträfen.
In der Begründung ging die belangte Behörde unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Juni 1996, Zl. 96/09/0088, davon aus, daß das Assoziationsabkommen mit der Türkei aus dem Jahre 1964 und die ergänzend und zusätzlich hiezu abgeschlossenen Übereinkünfte von Österreich anzuwenden seien. Der Beschwerdeführer erfülle die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1, erster Gedankenstrich, ARB Nr. 1/80, nicht, er könne kein Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung in Österreich nachweisen. Zudem bestehe der Anspruch auf Erneuerung der Arbeitserlaubnis nur für den "gleichen Arbeitgeber, wenn dieser über einen Arbeitsplatz verfügt". Der Beschwerdeführer sei aber noch bei keinem Arbeitgeber in Österreich ordnungsgemäß beschäftigt gewesen.
Es sei eindeutig, daß Art. 7 Satz 2, ARB Nr. 1/80, nicht erfüllt werde, weil der Beschwerdeführer in Österreich keine Berufsausbildung abgeschlossen habe. Selbst wenn die mehr als dreijährige Beschäftigung seines Vaters in Österreich berücksichtigt würde, fehle noch immer die wesentliche Voraussetzung des Art. 7 Satz 2 leg. cit., nämlich das Erfordernis der im Aufnahmeland absolvierten Berufsausbildung. Kindern türkischer Staatsbürger, die im Aufnahmeland schon eine Berufsausbildung erhalten hätten, solle auch der Zugang zum Arbeitsmarkt gewährleistet sein. Hiebei spreche Art. 7 Satz 2 leg. cit. nicht vom freien Zugang in eine selbstgewählte Beschäftigung, sondern von der Bewerbung. Freier Zugang sei diesem Personenkreis nach dem Abkommen nicht zugebilligt, weshalb die Wirkung des AuslBG und der Bundeshöchstzahlenüberziehungsverordnung einsetze. Überdies sei der Hinweis, daß der Beschwerdeführer bei der Fa. ADEG eine Lehrausbildung absolvieren wolle, nicht tatsachenkonform. Die Fa. ADEG habe für den Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung der Beschäftigungsbewilligung als Arbeiter gestellt. Unter Miteinbeziehung der Bestimmungen des Art. 7, Satz 1, zweiter Gedankenstrich, ARB Nr. 1/80, sei auszuführen, daß der Beschwerdeführer zweifelsohne Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers sei, weil sein Vater seit 1990 in ordnungsgemäßer Beschäftigung bei der Fa. ADEG stehe. Da der Beschwerdeführer seit 5. April 1992 in Österreich lebe, sei der Tatbestand des Art. 7, Satz 1, zweiter Gedankenstrich, leg. cit., wonach freier Zugang zu einer Beschäftigung bestünde, nicht gegeben. Sohin könne keine Feststellung getroffen werden, daß auf den Beschwerdeführer bei Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung im Bundesgebiet nicht die Bestimmungen des AuslBG zuträfen.
Dem Antrag auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis sei nach den Bestimmungen des AuslBG der Erfolg zu versagen, weil die diesbezüglichen Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 14a Abs. 1 AuslBG (in den letzten 14 Monaten insgesamt 52 Wochen gemäß § 2 Abs. 2 AuslBG bewilligte Beschäftigung im Bundesgebiet) nicht erbracht worden seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Der Beschwerdeführer führt als Beschwerdepunkte in seiner Beschwerde folgendes aus:
"Durch den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem einfach gesetzlich eingeräumten subjektiv öffentlichen Recht auf rechtsrichtige Anwendung des Assoziationsabkommens, EWG - Türkei vom 12.9.1963 (vgl. Beschluß 64/732/EWG des Rates vom 23.12.1963 über den Abschluß des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, Abl. 1964, S3685, sowie Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei 64/733/EWG, Abl. 1964, S3687) iVm § 12a Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz, sowie Verordnung Bundesgesetzblattnummer 278/95 - Bundeshöchstzahlen-über Erziehungsverordnung" (wohl gemeint: Bundeshöchstzahlenüberziehungsverordnung) "§ 1 Zif. 4, verletzt.
Weiters erachtet sich der Beschwerdeführer wegen unrichtiger Beurteilung des Sachverhaltes, wonach der Beschwerdeführer aufgrund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zu B 864/96-3, Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 18.4.1996 sich nicht rechtmäßig, sondern lediglich geduldet in Österreich aufhält."
Der Beschwerdeführer tritt den sachverhaltsmäßigen Feststellungen der belangten Behörde nicht entgegen. In rechtlicher Hinsicht geht er von der "Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1, erster Gedankenstrich", ARB Nr. 1/80, aus. Im Hinblick auf die in Art. 13 leg. cit. genannten Grenzen der Einschränkungsbefugnisse und der Zuerkennung der "oben genannten aufschiebenden Wirkung" halte er sich ordnungsgemäß in Österreich, zumindest bis zur Beendigung des anhängigen Verfahrens auf, wobei die Aufenthaltsdauer seit 5. April 1992 ordnungsgemäß bestehe. Sein Vater sei aufrecht seit 15. März 1990 bei der Fa. ADEG beschäftigt. Somit seien die "Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1, erster Gedankenstrich, erfüllt", weshalb "jedwaige" Beschränkung der genannten Norm rechtswidrig sei.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der angefochtene Bescheid bezieht sich in seiner Begründung ausdrücklich auf das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1996, Zl. 96/09/0088. Dieses Erkenntnis, dessen zugrundeliegender Sachverhalt hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Situation dem gegenständlichen gleicht, enthält zur Klärung der Rechtsfragen, daß die belangte Behörde zur Erlassung eines Feststellungsbescheides berechtigt bzw. verpflichtet war, und zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Assoziationsabkommens EWG-Türkei sowie des hiezu ergangenen Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80 eine ausführliche Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird. Es ist daher davon auszugehen, daß die belangte Behörde den im Rahmen der Berufung wiederholten gesamten Antrag des Beschwerdeführers (einschließlich des Feststellungsbegehrens) abgewiesen hat. Im Lichte dieser Rechtsprechung richten sich die "Beschwerdepunkte" ausschließlich gegen die negative Entscheidung über das Feststellungsbegehren, da die belangte Behörde vorrangig prüfen mußte, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 7 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980, Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80), über die Entwicklung der Assoziation erfüllt. Die Beschwerde enthält zudem keine eigenständige Begründung gegen die Abweisung des Antrages auf "Erteilung einer Arbeitserlaubnis".
Vorweg ist festzuhalten, daß der (Eventual-)Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung lautete, daß seine Beschäftigung nicht dem AuslBG unterliege. Die belangte Behörde hat nicht diesen Antrag ab- oder zurückgewiesen, sondern - über den Antrag hinausgehend - im Spruchpunkt b) unter anderem festgestellt, daß das AuslBG auf den Beschwerdeführer "sehr wohl" Anwendung finde. Die belangte Behörde hat damit unzulässigerweise eine Entscheidung getroffen, die über die durch den Antrag festgelegte "Sache" des Verwaltungsverfahrens hinausging (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens5, S. 168, wiedergegebene
hg. Rechtsprechung). Ein derartiger Feststellungsbescheid durfte von der belangten Behörde von Amts wegen nicht erlassen werden, weshalb der Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt wurde.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde allerdings die durch BGBl. I Nr. 78/1997 neu eingefügten Bestimmungen des § 4c AuslBG zu beachten haben.
Darüber hinaus ist der angefochtene Bescheid auch aus folgenden Gründen in seinem Spruchpunkt b) aufzuheben.
Die maßgeblichen Bestimmungen des ARB Nr. 1/80 lauten:
"Artikel 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
-
haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumen Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
-
haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.
Artikel 13
Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen."
Art. 7 enthält demnach eine im Verhältnis zur Nähe des Familienstandes abgestufte Normierung bestimmter Rechte türkischer Staatsangehöriger. Während Satz 1 die Bedingungen nennt, unter welchen Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, im folgenden: Bewerbungsfreiheit (erster Gedankenstrich) und der freie Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis (zweiter Gedankenstrich) zukommt, bezieht sich Satz 2 ausschließlich auf die Kinder türkischer Arbeitnehmer. Den Kindern steht unter den Bedingungen der abgeschlossenen Berufsausbildung sowie der ordnungsgemäßen Beschäftigung eines Elternteiles seit mindestens drei Jahren unabhängig von den restriktiveren Bedingungen des Satz 1 die Bewerbungsfreiheit zu. Aufgrund des Sinnes der Regelung, daß je nach Nähe der Familienangehörigkeit zum Zweck der Familienzusammenführung ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt geschaffen werden soll, kann kein Zweifel daran bestehen, daß der - weitere - Kreis jener der Familienangehörigen ist, und der - familienengere - Kreis der Kinder, welchen ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt zusteht, als besondere Gruppe der Familienangehörigen zusätzlich gesondert behandelt wird. Dem Regelungszweck widerspräche es aber, Kindern türkischer Arbeitnehmer, die die Bedingungen des zweiten Satzes nicht erfüllen, den Zugang zum Arbeitsmarkt aus den - schwerer zu erfüllenden - Bedingungen des ersten Satzes des Art. 7 ARB Nr. 1/80 zu verwehren (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 1. Oktober 1997, Zl. 97/09/0131, und vom 18. Dezember 1997, Zl. 96/09/0334).
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 1. Oktober 1997, Zl. 97/09/0131, dargelegt hat, ist zur Auslegung dieses Assoziierungsabkommens (mit der Türkei) nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) davon auszugehen, daß türkische Staatsangehörige, die die Voraussetzungen des Art. 7 erfüllen, die Rechte, die ihnen diese Vorschrift verleiht, in den Mitgliedstaaten unmittelbar beanspruchen können. Diese türkischen Staatsangehörigen genießen jedoch keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft (EU), sondern sie besitzen nur bestimmte Rechte in dem Aufnahmemitgliedstaat, in dem sie, wenn es sich um Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers handelt, die Genehmigung erhalten haben, zu dem Arbeitnehmer zu ziehen, und in dem sie während des in Art. 7 Satz 1 erster und zweiter Gedankenstrich vorgesehenen Zeitraumes ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz hatten. Art. 7 Satz 1 des genannten Beschlusses berührt nicht die Befugnis des betreffenden Mitgliedstaates, den Familienangehörigen die Genehmigung zu erteilen, zu dem in diesem Staat ordnungsgemäß beschäftigten türkischen Arbeitnehmer zu ziehen, sowie Vorschriften über ihren Aufenthalt bis zu dem Zeitpunkt zu erlassen, zu dem sie das Recht haben, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, und es ihnen gegebenenfalls zu gestatten, unter den von ihm festgelegten Voraussetzungen vor Ablauf des im vorgesehenen ersten Zeitraums von drei Jahren eine Beschäftigung auszuüben. Die Familienangehörigen eines bereits dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers können nach dieser Vorschrift zunächst die Genehmigung erhalten, zu dem Arbeitnehmer zu ziehen, um zum Zwecke der Familienzusammenführung in diesem Staat ihren Wohnsitz zu begründen. Zur Förderung einer dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat gewährt diese Vorschrift den Familienangehörigen überdies nach einer bestimmten Zeit das Recht, in diesem Staat eine Beschäftigung auszuüben. In Anbetracht ihres Regelungszweckes kann diese Vorschrift daher nicht so ausgelegt werden, daß sie nur verlangt, daß der Aufnahmemitgliedstaat den Familienangehörigen die Genehmigung zur Einreise erteilt, um zu dem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen, ohne daß der Angehörige in diesem Staat weiterhin tatsächlich mit dem Wanderarbeitnehmer zusammenzuwohnen brauchte, solange er nicht selbst das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt hat. Die Rechte im Bereich der Beschäftigung der Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers regelt Art. 7 Satz 1 ausschließlich nach Maßgabe der Dauer ihres Wohnsitzes im Aufnahmemitgliedstaat. Dafür heißt es in Art. 7 Satz 1 ausdrücklich, daß der Familienangehörige von dem betreffenden Mitgliedstaat die Genehmigung erhalten haben muß, zu dem türkischen Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehört, "zu ziehen", während Art. 6 die Zuerkennung der Rechte, die er dem Arbeitnehmer verleiht, nicht von den Voraussetzungen abhängig macht, unter denen das Recht auf Einreise und Aufenthalt erlangt worden ist. In einem Fall, in dem sich der türkische Staatsangehörige nur auf seine Stellung als Familienangehöriger eines Wanderarbeitnehmers (im Sinne von Art. 7 Satz 1) stützen kann, weil er selbst nicht die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der in Art. 6 Abs. 1 vorgesehenen Rechte erfüllt, verlangt die praktische Wirksamkeit des Art. 7, daß sich die Familienzusammenführung, die der Grund für die Einreise des Betroffenen in den fraglichen Mitgliedstaat war, während einer bestimmten Zeit im tatsächlichen Zusammenleben des Betroffenen mit dem Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft manifestiert. Was die Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis des Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat angeht, bleiben die Mitgliedstaaten befugt, die Voraussetzungen zu regeln, unter denen der Familienangehörige in das Hoheitsgebiet einreisen und sich dort bis zu dem Zeitpunkt aufhalten kann, zu dem er das Recht hat, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben; gleichwohl stehen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers nach dieser Vorschrift unabhängig davon zu, ob die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ein bestimmtes Verwaltungsdokument wie eine Aufenthaltserlaubnis ausstellen (siehe EuGH
17. April 1997, Rs C-351/95 Kadiman; betreffend Ehegatten).
In gleicher Weise wie zu der Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ist davon auszugehen, daß das in Art. 7 dieses Beschlusses anerkannte Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, notwendigerweise die (implizite) Anerkennung eines Aufenthaltsrechtes des Bewerbers beinhaltet (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom 1. Oktober 1997, Zl. 97/09/0131).
Art. 7 Satz 2 ARB Nr. 1/80 regelt - von Art. 7 Satz 1, erster Gedankenstrich, abweichend - die Rechtsstellung von Kindern türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Der aufenthaltsrechtliche Anspruch hängt nicht davon ab, aus welchem Grund ihnen die Einreise und Aufenthaltsgenehmigung ursprünglich erteilt wurde.
Daß diese Genehmigung nicht zum Zweck der Familienzusammenführung erteilt wurde, vermag das Kind (zum Unterschied von einem Familienangehörigen im Sinne des Art. 7 Satz 1) eines türkischen Arbeitnehmers, das die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 2 erfüllt, nicht von den Rechten auszuschließen, die diese Bestimmung verleiht (EuGH 5. Oktober 1994, Rs C-355/93 Eroglu). Bei Erfüllung dieser Voraussetzung steht dem Kind die Bewerbungsfreiheit zu, somit auch - vergleichbar mit Art. 7, Satz 1, erster Gedankenstrich - das Aufenthaltsrecht.
Der Beschwerdeführer erfüllt den Feststellungen der belangten Behörde zufolge die Forderung des Art. 7 Satz 2 nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung im Aufnahmeland nicht.
Zum Begriff der "Berufsausbildung" geht der EuGH davon aus, daß "jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet oder die die besondere Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufes oder einer solchen Beschäftigung verleiht, zur Berufsausbildung gehört, und zwar unabhängig vom Alter und vom Ausbildungsniveau der Schüler oder Studenten und selbst dann, wenn der Lehrplan auch allgemeinbildenden Unterricht enthält" (vgl. das bei R. Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger, Seite 116, zitierte Urteil vom 13. Februar 1985 in der Rechtssache Gravier, Slg. 1985, 593).
Der Beschwerdeführer hat in Ansehung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 kein geeignetes und schlüssiges Sachvorbringen erstattet (bzw. insoweit im Verwaltungsverfahren nicht ausreichend mitgewirkt). Zu diesen Voraussetzungen hätte er vorbringen (und bescheinigen) müssen, daß er im Aufnahmeland - also in Österreich - eine Berufsausbildung abgeschlossen hat. Der Beschwerdeführer hat insoweit trotz Vorhaltes der belangten Behörde nicht vorgebracht, daß bzw. welche Berufsausbildung er in Österreich abgeschlossen hat, denn der Antrag des Beschwerdeführers war ausdrücklich darauf gerichtet, bei der Fa. ADEG "als Lagerarbeiter eine Beschäftigung aufzunehmen".
Der belangten Behörde ist daher - bei gegebener Sachlage bei Erlassung des angefochtenen Bescheides - Recht zu geben, wenn sie feststellte, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 2, ARB Nr. 1/80 (mangels abgeschlossener Berufsausbildung im Aufnahmeland) nicht.
Die belangte Behörde ging offenbar davon aus, daß der Beschwerdeführer die Genehmigung erhalten habe, zu seinem Vater nach Österreich zu ziehen. Die belangte Behörde ist damit im Recht, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1, zweiter Gedankenstrich (mangels fünfjährigen ordnungsgemäßen Wohnsitzes seit 5. April 1992 bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 9. August 1996), noch nicht erfüllte.
Aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde kommt dem Beschwerdeführer aber die Bewerbungsfreiheit des Art. 7 Satz 1, erster Gedankenstrich, ARB Nr. 1/80, und somit auch das unmittelbar daraus abzuleitende Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet (sowie die Nichtanwendbarkeit der den Aufenthalt regelnden innerstaatlichen Normen) zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1997, Zl. 97/09/0152). Indem die belangte Behörde - uneingeschränkt - im Spruchpunkt b) aussprach, daß auf den Beschwerdeführer die Voraussetzungen des "Art 7" ARB Nr. 1/80 nicht zuträfen, und damit auch Art. 7 Satz 1 erster Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 miteinbezog, hingegen nach der Begründung die letztgenannte Voraussetzung gegeben ist, belastet der zwischen Spruch und Begründung bestehende Widerspruch den Spruchpunkt b) mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens5, S. 437, wiedergegebene
hg. Rechtsprechung).
Aus dem Erreichen der im Art. 7 Satz 1 erster Gedankenstrich eingeräumten Rechte folgt des weiteren jedenfalls, daß das AuslBG - das in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Regelungen zwecks Umsetzung des ARB Nr. 1/80 enthielt - jedenfalls nicht in seiner Gesamtheit auf den Beschwerdeführer anzuwenden ist. Da die belangte Behörde mit der uneingeschränkten Nennung des AuslBG und der Wortfolge "sehr wohl" im Spruchpunkt b) des angefochtenen Bescheides die gegenteilige Auffassung vertritt, liegt auch hierin eine inhaltliche Rechtswidrigkeit Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG in seinem Spruchpunkt b) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Mangels Vorliegens der gemäß § 14a Abs. 1 AuslBG notwendigen Voraussetzungen - deren Bestehen vom Beschwerdeführer weder behauptet noch belegt wurde - für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis hat die belangte Behörde hingegen zu Recht den Antrag auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis in Spruchpunkt a) abgewiesen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Grundsätzliches zur Parteistellung vor dem VwGH AllgemeinAnspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung FeststellungsbescheideEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996090297.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
26.08.2015