TE OGH 2019/12/17 10Ob83/19g

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Veröffentlicht am 17.12.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj S*****, geboren ***** 2008, vertreten durch das Land Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Hallein, Gruppe Jugendwohlfahrt, 5400 Hallein, Dr.-Adolf-Schärf-Platz 2), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 10. Oktober 2019, GZ 21 R 195/19a-23, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hallein vom 5. Juni 2019, GZ 30 Pu 414/09a-17, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

Der Antrag des Kindes vom 23. 5. 2019 auf Erhöhung der ihm vom 1. 2. 2016 bis 21. 1. 2021 gewährten Unterhaltsvorschüsse in Höhe von monatlich 30 EUR auf die Richtsatzhöhe wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Am 23. 2. 2016 beantragte das ***** 2008 geborene Kind die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG in dem in § 6 UVG festgelegten Höchstausmaß (ON 4). Die Schaffung eines Unterhaltstitels gegen den Vater sei nicht möglich gewesen. Die Mutter habe seit der im Jahr 2010 erfolgten Scheidung keine Kenntnis vom Aufenthalt des Vaters und auch keinen Kontakt zu ihm. Der Vater sei türkischer Staatsbürger, er sei bis 1. 10. 2013 Asylwerber und daher nicht leistungsfähig gewesen. Im Februar 2016 sei der Vater keiner Beschäftigung in Österreich nachgegangen und in Österreich auch nicht mehr gemeldet. Es lägen keine Hinweise vor, dass der Vater zur Unterhaltsleistung offenbar nicht imstande sei.

Mit rechtskräftigem Beschluss vom 3. 5. 2016 (ON 12) gewährte das Erstgericht dem Kind von 1. 2. 2016 bis 31. 1. 2021 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG in Höhe von 30 EUR. Das Mehrbegehren von monatlich 259 EUR wies es ab. Ein Unterhaltstitel könne mangels hinreichender Voraussetzungen nicht geschaffen werden. Der Unterhaltsschuldner sei unbekannten Aufenthalts, befinde sich vermutlich jedoch in der Türkei. In der Türkei sei das Lohnniveau sehr gering. Behauptungen, der Vater könne in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gezogen sein, seien nicht nachgewiesen. Außerdem könne auch im Ausland aufgrund der angespannten Arbeitsmarktlage, damals auch des Flüchtlingsstroms, angenommen werden, dass der Vater, wenn überhaupt, nur mit sehr geringem Lohn beschäftigt wäre.

Am 23. 5. 2019 (ON 16) beantragte das Kind die „Anpassung“ (gemeint: Erhöhung) der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG auf Richtsatzhöhe. Der Vater sei unbekannten Aufenthalts und es bestehe keine Möglichkeit, ihn auszuforschen. Es gebe keinen Anhaltspunkt für den Aufenthalt des Vaters. Höchstwahrscheinlich sei er in die Türkei zurückgekehrt. Die Mutter habe seit der Scheidung keinen Kontakt zum Vater und wisse nicht, wo er sich aufhalte. Das Kind sei im August 2018 10 Jahre alt geworden.

Das Erstgericht erhöhte den dem Kind vom 1. 2. 2016 bis 31. 1. 2021 in Höhe von 30 EUR monatlich gewährten Unterhaltsvorschuss ab dem 1. 5. 2019 gemäß § 4 Z 2 UVG auf die jeweilige Höhe des § 6 Abs 2 UVG. Aus dem Akteninhalt ergebe sich, dass das Asylverfahren des Vaters negativ beendet worden sei und ein Ausweisungsbescheid vorgelegen habe, der jedoch nicht durchsetzbar gewesen sei, weil der Vater seit dem 26. 1. 2016 nicht greifbar gewesen sei. Ein Unterhaltstitel könne nicht geschaffen werden, Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Vaters seien nicht aktenkundig. Richtsatzvorschüsse in voller Höhe – konkret gemäß § 6 Abs 2 Z 2 UVG in Höhe von monatlich 305 EUR – seien daher gerechtfertigt.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs des Bundes in der Hauptsache nicht Folge; es änderte lediglich den Gebührenausspruch. Die Gewährung von Vorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG sei nur dann ausgeschlossen, wenn dem Bund der Beweis für die offenbare Leistungsunfähigkeit des Unterhaltspflichtigen gelinge. Da sich aus dem Akteninhalt keine Einschränkungen bei der Leistungsfähigkeit des Vaters ergäben, sei die Annahme des Erstgerichts, dass dieser nach wie vor ein monatliches Durchschnittseinkommen erzielen könne, nicht zu beanstanden. Bei Zweifeln über die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners habe eine Gewährung der Vorschüsse in voller Richtsatzhöhe zu erfolgen. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, dass die Frage, ob der Unterhaltsschuldner zu einer Leistung „offenbar“ imstande sei, eine quaestio mixta und die Rechtsprechung uneinheitlich sei.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der nicht beantwortete Revisionsrekurs des Bundes, mit der die Abweisung der Erhöhung des Unterhaltsvorschusses auf derzeit 305 EUR begehrt wird.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Der Bund macht zutreffend geltend, dass keine für die Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen erforderliche Änderung der Verhältnisse vorliegt und auch nicht behauptet wurde.

1. Gemäß § 4 Z 2 erster Fall UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn die Festsetzung des Unterhaltsbeitrags überhaupt aus Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, außer dieser ist nach seinen Kräften offenbar zu einer Unterhaltsleistung beziehungsweise einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande.

2. Der Sinn der Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG liegt darin, dass der Staat mit seinen Leistungen auch dann einspringen soll, wenn der an sich leistungsfähige Unterhaltsschuldner durch sein Verhalten bereits die Schaffung eines seinen Kräften entsprechenden Unterhaltstitels vereitelt (10 Ob 26/11p ua).

3. Die Vorschussleistung nach § 4 Z 2 UVG soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn der Unterhaltsschuldner „offenbar“ zur Unterhaltsleistung bzw zur Leistung des höheren Unterhalts nicht imstande ist. Auch eine Bevorschussung nach § 4 Z 2 UVG setzt voraus, dass der Unterhaltsschuldner an sich in der Lage ist, Unterhalt zu leisten. Die Leistungsunfähigkeit müsste sich auf der eingeschränkten Beweisgrundlage des § 11 Abs 2 UVG durch einen positiven Beweis ergeben. Ein Beweisdefizit und Zweifel über die Leistungsfähigkeit machen die Unfähigkeit nicht offenbar und stehen daher der Bevorschussung nicht entgegen (10 Ob 1/11m; RS0076273).

4.1 Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um eine Gewährung oder Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG, sondern um eine Erhöhung bereits nach § 4 Z 2 UVG gewährter Richtsatzvorschüsse während deren Laufzeit.

4.2 Wurde nach der Aktenlage eine nur eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners schon einmal festgestellt, so kann selbst aus Anlass eines Antrags auf Weitergewährung der bisher gewährten Vorschüsse, der mit einem Erhöhungsantrag verbunden wurde, noch nicht ohne jedes weitere Parteivorbringen und ohne (amtswegig) feststellbare Änderung der Verhältnisse eine Erhöhung der Vorschüsse vorgenommen werden (RS0076267 [T1]; RS0076273 [T5]).

4.3 Diese Grundsätze gelten auch im vorliegenden Fall einer beantragten Erhöhung schon gewährter Vorschüsse während deren Laufzeit. Denn auch in Unterhaltsvorschusssachen setzt eine Änderung der Vorschüsse geänderte Verhältnisse voraus (vgl § 7 UVG), wie dies für eine Änderung des Unterhaltstitels im Titelverfahren gilt. Eine Erhöhung der bisherigen gegenüber dem Richtsatz des § 6 UVG reduzierten Unterhaltsvorschüsse verlangt somit die Behauptung und den Nachweis, dass sich die Verhältnisse geändert hätten. Das antragstellende Kind ist trotz der amtswegigen Untersuchungspflicht des Gerichts (§ 13 Abs 1 AußStrG) bis zu einem gewissen Grad behauptungs- und beweispflichtig (6 Ob 183/99a mwH).

5. Als wesentliche Änderung hat das Kind das
– in der Regel mit einem höheren Bedarf verbundene – Erreichen der Altersgrenze von 10 Jahren geltend gemacht (vgl 1 Ob 2360/96g ua). Allerdings wurde im seinerzeitigen Beschluss vom 3. 5. 2016 (ON 12) die Reduktion auf 30 EUR allein mit der fehlenden Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners begründet und nicht mit einem entsprechend niedrigen Bedarf des Kindes; wie die niedrige Höhe des Vorschusses und die ursprüngliche Gewährung über das 10. Lebensjahr des Kindes hinaus zeigen, spielte der Bedarf für die Festlegung der Höhe des Vorschusses eine Rolle. In Bezug auf die Leistungsfähigkeit des Vaters ist jedoch – im Vergleich zu den Verhältnisses am 3. 5. 2016 – keine Änderung eingetreten.

Die erstmals in der Rekursbeantwortung des Kindes vorgebrachten dahingehenden Ausführungen beziehen sich auf vor dem Zeitpunkt der Fassung des Beschlusses des Gerichts erster Instanz liegende Tatsachen. In der Rekursbeantwortung wird nicht dargelegt, warum dieses Vorbringen nicht rechtzeitig erstattet hätte werden können. Die in der Rekursbeantwortung enthaltenen Ausführungen verstoßen daher gegen das Neuerungsverbot des § 49 Abs 2 AußStrG.

6. Dem Revisionsrekurs des Bundes war daher Folge zu geben und der Antrag des Kindes auf Erhöhung der ihm für den Zeitraum 1. 2. 2016 bis 31. 1. 2021 gewährten Unterhaltsvorschüsse in Höhe von monatlich 30 EUR auf die volle Richtsatzhöhe abzuweisen.

Textnummer

E127670

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00083.19G.1217.000

Im RIS seit

03.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.04.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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