TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/31 W258 2186816-1

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Veröffentlicht am 31.10.2019
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Entscheidungsdatum

31.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W258 2186816-1/37E

W258 2186817-1/33E

W258 2186813-1/29E

W258 2186811-1/28E

W258 2186814-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb XXXX , 2.) XXXX , geb XXXX , 3.) XXXX , geb XXXX , 4.) XXXX , geb XXXX und 5.) XXXX , geb XXXX , 3.) bis 5.) gesetzlich vertreten durch XXXX , alle StA Afghanistan, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom XXXX , Zl 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX und 5.) XXXX nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 23.10.2018, 24.06.2019 und 11.10.2019 in einer asylrechtlichen Angelegenheit zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird teilweise Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide dahingehend abgeändert, dass zu 1.), 2.) und 4.) jeweils die Spruchpunkte IV. bis VI. und zu 3.) und 5.) die Spruchpunkte 2. bis 5. entfallen und es zu in den Spruchpunkten II. und III. bzw 2. und 3. zu lauten hat:

II. XXXX , geb XXXX , XXXX , geb XXXX , XXXX , geb XXXX , XXXX , geb XXXX , und XXXX , geb XXXX werden gemäß § 8 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

III. Ihnen wird gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 31.10.2020 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (in Folge kurz "BF1") und der Zweitbeschwerdeführer (in Folge kurz "BF2") sind verheiratet und Eltern der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin (in Folge kurz "BF3"), des minderjährigen Viertbeschwerdeführers (in Folge kurz "BF4") und der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin (in Folge kurz "BF5"). Die BF1, der BF2 und die BF3 stellten am 21.09.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Der BF4 stellte am 29.07.2016 und die BF5 am 11.01.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.09.2015 gab der BF2 im Wesentlichen an, sie seien Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan (in Folge kurz "Afghanistan"), würden der Volksgruppe der Hazara angehören und seien schiitischen Glaubensbekenntnisses. Er habe durch die Tätigkeit als Schneider den Lebensunterhalt der Familie bestritten. Der BF2 sei im Besitz eines Geschäftes gewesen und habe Anzüge für Amerikaner, Ungarn, Deutsche und Schweden geschneidert. Aus diesem Grund sei er von den Taliban bedroht worden. Daraufhin seien die Beschwerdeführer (in Folge kurz "BF") nach Kabul gezogen, wo sie keine Arbeit gehabt hätten. Die BF1 führte am selben Tag in ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes aus, sie sei Hausfrau gewesen und habe mit ihrer Familie in Kabul gelebt. Aufgrund der Tätigkeiten des BF2 und der dadurch entstandenen Schwierigkeiten seien sie aus Afghanistan geflüchtet.

In der Einvernahme der BF1 und des BF2 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge kurz "belangte Behörde") am 14.02.2017 führte der BF2 ergänzend aus, er sei in der Provinz Baghlan geboren und habe die Schule in Kabul aufgrund des Krieges erst 2007 abgeschlossen. Die Ehe zwischen dem BF2 und der BF1 sei arrangiert worden. Die Mutter, der Bruder, eine Schwester, drei Onkel und ein Cousin des BF2 würden in Kabul-Stadt leben. Nach Schulabschluss habe der BF2 sechs Jahre in einer Konditorei in Kabul und anschließend als Dolmetscher bei der United States Army in Mazar-e Sharif und Kabul gearbeitet. Zwei Monate vor der Ausreise aus Afghanistan sei der BF2 mit seiner Familie von Mazar-e Sharif Richtung Kabul mit dem PKW unterwegs gewesen, als sie von den Taliban aufgehalten worden seien. Wäre seine Familie nicht anwesend gewesen, hätten die Taliban den BF2 mitgenommen. Er sei von den Taliban ermahnt worden, seine Arbeit zu beenden.

Die BF1 gab in ihrer Einvernahme ergänzend an, sie habe in Kabul geheiratet und sei nach Baghlan gezogen. Alle Angehörigen der BF1, darunter ihre Eltern, ihre Geschwister sowie mehrere Onkel und Tanten, würden noch in der Stadt Kabul leben. Die BF hätten Afghanistan verlassen, weil der BF2 als Dolmetscher mit den Ausländern gearbeitet habe und man ihm damit gedroht habe, ihn zu töten.

Mit den Bescheiden vom XXXX wies die belangte Behörde die Anträge auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I. bzw 1.) und subsidiär Schutzberechtigten ab, sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen fest. Begründend führte die belangte Behörde unter anderem aus, das Fluchtvorbringen sei aufgrund der starken Widersprüche zwischen den Angaben der BF1 und des BF2 nicht glaubhaft. Den BF stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in der als relativ sicher geltenden Region Kabul, in der sie bereits einen Großteil ihres Lebens verbracht hätten, zur Verfügung. Sie könnten zudem von ihren zahlreichen Familienangehörigen in Kabul finanziell unterstützt werden. Letztlich sei von keinen nennenswerten privaten Bindungen der BF in Österreich auszugehen.

Dagegen richten sich die gegenständlichen Beschwerden der BF vom 13.02.2018, eingelangt am 16.02.2018, in der sie unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machen und im Wesentlichen ausführen, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würden die BF Verfolgung durch die Taliban aufgrund spezifischer Drohungen gegen ihr Leben wegen der Tätigkeit des BF2, Verfolgung aufgrund ihrer "westlichen" Lebensausrichtung, Verfolgung der BF1 aus geschlechtsspezifischen Gründen sowie Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als schiitische Hazara befürchten. Die BF1 könne als westlich orientierte Frau und mit einer Haltung, die den konventionellen afghanischen Werten widerspreche, keinen Schutz staatlicher Behörden erwarten. Das vorgelegte Konvolut an Beweismitteln, welches die Tätigkeit des BF2 für die amerikanischen Streitkräfte nachweisen würde, sei von der belangten Behörde nicht näher beachtet worden. Außerdem könne von einer Verbesserung der allgemeinen Situation in Afghanistan keine Rede sein.

Mit Eingabe vom 21.02.2018 wurden diverse Integrationsunterlagen übermittelt.

In der am 23.10.2018 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurden die BF1 und der BF2 neuerlich zu ihren Fluchtgründen befragt. Die BF1 brachte ergänzend vor, ihre Eltern und Geschwister würden sich derzeit in der Schweiz aufhalten, was die Lichtbilder von deren Ausweisen auf den Mobiltelefonen der BF1 und des BF2 bestätigen würden. Der Beschwerdeführervertreter legte eine Stellungnahme, datiert mit 22.10.2018, vor, in welcher im Wesentlichen auf die Verfolgungssituation von Frauen in Afghanistan verwiesen wird.

Im Wege der Amtshilfe wurden die schweizerischen Behörden um Bekanntgabe ersucht, ob die nahen Verwandten der BF im Schweizer Bundesgebiet aufhältig seien und falls ja, mit welchem Titel und wann die Einreise in das Schweizer Bundesgebiet erfolgt sei.

Mit Eingabe vom 22.01.2019 teilten die schweizerischen Behörden mit, dass die Verwandten der BF zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die Schweiz eingereist seien und unterschiedliche Aufenthaltstitel hätten.

Mit Schriftsatz vom 10.04.2019 übermittelten die BF diverse ärztliche Unterlagen betreffend den BF4.

Am 18.04.2019 wurde den BF aufgetragen, binnen 14 Tagen das Geburtsdatum und den Geburtsort des Onkels der BF bekanntzugeben. Diesem Auftrag kamen die BF mit Schriftsatz vom 07.05.2019 nach.

Im Wege der Amtshilfe wurden die deutschen Behörden anschließend um Bekanntgabe ersucht, ob der Onkel der BF in das deutsche Bundesgebiet eingereist sei und falls ja, mit welchem Titel und wann die Einreise in das deutsche Bundesgebiet erfolgt sei. Mit Schreiben vom 09.05.2019 teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge XXXX mit, dass der Onkel der BF mit den übermittelten Angaben in den zugänglichen Archiven und Dateien nicht zu finden sei.

Mit Eingabe vom 05.06.2019 wurde ein entwicklungspsychologischer Befund hinsichtlich des BF4 vorgelegt.

In der am 24.06.2019 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde mit den BF die Antwort aus der Bundesrepublik Deutschland erörtert. Den BF wurde aufgetragen, eine Kopie des Aufenthaltstitels des Onkels in Deutschland zu übermitteln. Eine Kopie des Aufenthaltstitels langte anschließend am 25.06.2019 ein.

Mit Eingabe vom XXXX 2019 und 23.09.2019 übermittelten die BF weitere Urkunden, unter anderem ärztliche Unterlagen betreffend den Verdacht auf Autismusspektrumsstörung des BF4.

In der am 27.09.2019 eingelangten Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge XXXX wurde ausgeführt, dass der Onkel der BF, XXXX , am XXXX 2018 mit dem Flugzeug aus Kabul kommend am Flughafen XXXX in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Ihm sei die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden.

Am 11.10.2019 fand hg eine weitere mündliche Verhandlung statt, in welcher die BF1 und der BF2 ergänzend einvernommen wurden.

Beweise wurden aufgenommen durch Einvernahme der BF1 und des BF2 als Partei, Einsicht in die Akten des Verwaltungsverfahrens (OZ 1) und in die folgenden Urkunden:

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in Folge kurz "UNHCR-Richtlinien"; Beilage ./I),

* Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatdokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 04.06.2019 (in Folge kurz "LIB"; Beilage ./II),

* die vorgelegten Urkunden der BF,

* die Auskünfte der deutschen und schweizerischen Behörden gemäß Art 34 Dublin III-VO,

* den Strafregisterauszug der BF vom 11.10.2019;

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur individuellen Situation der BF:

1.1.1. Allgemeines:

Die BF1 und der BF2 haben am XXXX 2011 in Kabul traditionell geheiratet; die Ehe wurde am XXXX 2013 registriert. Die BF3 bis BF5 sind die leiblichen minderjährigen Kinder der BF1 und des BF2.

Die BF sind afghanische Staatsangehörige, ihre Muttersprache ist Dari. Sie gehören der Volksgruppe der Hazara an und sind schiitische Moslems.

Die weibliche BF1 wurde am XXXX und der männliche BF2 am XXXX in Afghanistan geboren. Die BF1 stammt aus der Provinz Maidan Wardak und der BF2 aus der Provinz Baghlan. Bis Anfang 2014 haben die BF in Baghlan gelebt; anschließend sind sie mit der gesamten Familie nach Kabul-Stadt gezogen.

Der BF2 hat sechs Jahre die Schule in Kabul-Stadt besucht und nebenbei halbtags in einer Konditorei gearbeitet. Während der Schulzeit hat der BF2 bei seinem Onkel mütterlicherseits in Kabul-Stadt gelebt. Nach Schulabschluss hat der BF2 weitere sechs Jahre als Konditor in Kabul-Stadt und anschließend als Schneider in verschiedenen Camps für das amerikanische Militär gearbeitet, unter anderem im Camp " XXXX " in Mazar-e Sharif, in welchem der Bruder des BF2 eine eigene Schneiderei hatte. Im Rahmen seiner Schneidertätigkeit wurde der BF2 auch gelegentlich als Dolmetscher zur Übersetzung von Kundengeschäften herangezogen. Seine berufliche Tätigkeit hat der BF2 ungefähr sechs Monate vor der Ausreise aus Afghanistan beendet.

Auch die BF1 hat sechs Jahre die Schule in Kabul-Stadt besucht, über Berufserfahrung verfügt sie hingegen nicht. Sie war bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan Hausfrau.

Die BF3 wurde am XXXX in Afghanistan geboren. Der BF4 wurde am XXXX und die BF5 am XXXX in Österreich geboren.

Die BF sind ungefähr Anfang September 2015 aus Afghanistan ausgereist und unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet Österreichs eingereist, wo die BF1, der BF2 und die BF3 am 21.09.2015, der BF4 am 29.07.2016 und die BF5 am 11.01.2018 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben.

Die BF1 und der BF2 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Die BF besitzen kein Vermögen.

1.1.2. Zum Gesundheitszustand der BF:

Die BF1 bis BF3 sowie die BF5 sind gesund; die BF1 und der BF2 sind arbeitsfähig.

Beim BF4 wurde ein partieller Biotinidasemangel festgestellt, weshalb eine orale Substitution mit Biotin notwendig ist. Weiters leidet er unter einer globalen Entwicklungsstörung und es liegt bei ihm ein Verdacht auf das Vorliegen einer Autismusspektrumsstörung vor.

Der BF4 wird von seinen Eltern versorgt, die sich intensiv um ihn kümmern.

1.2. Zu den Angehörigen der BF und zu den Freunden der BF in Afghanistan:

Die Kernfamilie der BF1 besteht aus ihren Eltern, ihren drei Schwestern und ihren zwei Brüdern. Sie sind im Schweizer Bundesgebiet aufhältig. Weiters verfügt die BF1 über vier Tanten sowie drei Onkel mütterlicherseits und einen Onkel sowie drei Tanten väterlicherseits; ob sie sich im Iran oder nach wie vor in Kabul-Stadt aufhalten kann nicht festgestellt werden.

Die Kernfamilie des BF2 besteht aus seiner Mutter, seinem Bruder und seinen zwei Schwestern, wovon eine in den USA lebt. In Bezug auf die Mutter und die übrigen Geschwister des BF2 kann nicht festgestellt werden, ob sie nach wie vor in Kabul-Stadt leben. Die restliche Familie des BF2 besteht aus seinen zwei Onkeln mütterlicherseits, wovon einer in Deutschland aufhältig ist, und seinem in den Niederlanden wohnhaften Onkel väterlicherseits. Hinsichtlich des zweiten Onkels mütterlicherseits, der zum Zeitpunkt der Ausreise der BF bereits in Pension war, kann nicht festgestellt werden, ob dieser noch in Kabul-Stadt lebt.

Der BF2 hat in Kabul-Stadt Freunde, bei denen es sich um ehemalige Mitschüler handelt.

1.3. Zum Fluchtvorbringen:

Die BF wurden in Afghanistan individuell weder bedroht noch kam es zu Übergriffen auf sie.

Die BF hatten in Afghanistan keine Schwierigkeiten oder Nachteile, weil sie der Volksgruppe der Hazara angehören oder schiitische Moslem sind.

1.4. Zur "westlichen Orientierung" der BF1:

Ihren Tag verbringt die BF1 typischerweise mit der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder und der Führung des Haushalts. Sie kleidet sich westlich, in der Provinz Baghlan trug sie gelegentlich einen Tschador und in Kabul-Stadt einen langen Mantel und einen großen Schal über den Kopf. Die BF1 besucht einen Deutschkurs A1 und hat keine Sprachprüfungen aus Deutsch absolviert. Sie spricht kaum Deutsch, verfügt aber über ein besseres Sprachverständnis. Die BF1 hat an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. In Österreich hat die BF1 weder ehrenamtlich noch gegen Entgelt gearbeitet. Sie möchte gerne eine Ausbildung als Krankenschwester machen, aber sie hat noch keine Schritte zur Erreichung ihres Ausbildungsziels gesetzt. Die BF1 verfügt über ein Notizbuch mit Telefonnummern für Notfälle, die der BF2 für sie notiert hat; die Notrufnummer der Polizei kennt die BF1 nicht. Sie geht alleine einkaufen und laufen. Ihre Kinder sollen sich die Ehegatten selbst aussuchen.

1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat der BF:

1.5.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen (LIB Kapitel 1. und 3.):

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil.

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.08.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5 % zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63 %) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37 % zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25 %. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. Bis Oktober 2018 fanden die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe.

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis. Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung.

Die Regierung kontrolliert bzw beeinflusst mit Stand 22.10.2018 53,8 % der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9 % der Distrikte sind umkämpft und 12,3 % befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca 63,5 % der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8 % in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6 % leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand.

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5 % sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11 % gegenüber dem Vorjahreswert. 42 % der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22 % und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26 % aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16 % der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen.

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31 % der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3 % im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48 % gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren ua Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61 % und die Zahl der Todesopfer erreichte 82 %. 9 % aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009.

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63 % der gesamten zivilen Opfer. 37 % davon werden den Taliban, 20 % dem ISKP und 6 % unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten.

Ungefähr 24 % der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14 % den afghanischen Sicherheitskräften, 6 % den internationalen Streitkräften und 4 % unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4 % gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück.

Die verbleibenden 13 % der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10 %), durch Beschuss aus Pakistan (1 %) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht.

UNAMA registrierte im ersten Quartal 2019 (01.01.2019 - 31.03.2019)

1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23 % gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist. Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden. Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen. Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge).

1.2.2. Zur Sicherheitslage in der Heimatstadt der BF, Kabul (LIB Kapitel 3.13.):

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi.

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt.

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden.

Allgemeine Information zur Sicherheitslage:

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte.

Im Zeitraum 01.01.2017- 30.04.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17 % im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16 % aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich.

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul:

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden.

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul:

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul, auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben. So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden.

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.01.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an.

Für den Zeitraum 01.01.2017 - 31.01.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte).

1.2.3. Zur Lage der Hazara in Afghanistan:

1.2.3.1. Allgemeines (LIB Kapitel 15.1. und 16.2.):

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15 % geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10 % der Bevölkerung aus. Sie besiedeln traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak.

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich gebessert, insbesondere durch Bildung auch ökonomisch und politisch. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert.

1.2.3.2. Umgang des Afghanischen Staates mit Hazara:

Die Verfassung garantiert die "Gleichheit aller ethnischen Gruppen und Stämme" (UNHCR-Richtlinien, S 104). Nichtsdestotrotz sind Hazara von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist. So existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben, und beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind (LIB Kapitel 16.2.).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit (LIB Kapitel 15.1.).

Hazara haben sich in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert. Sie sind im nationalen Durchschnitt mit einem Anteil von etwa 10 Prozent in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (LIB Kapitel 16.2.).

1.2.3.3. Umgang anderer ethnischer Gruppen mit Hazara:

Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (LIB Kapitel 15.1.).

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB Kapitel 15.1. und 16.2.).

1.2.3.4. Umgang von Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte mit Hazara:

Seit den letzten Jahren mehren sich Berichten zufolge die Fälle von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte (UNHCR-Richtlinien, S 107).

In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen ua der Taliban und des IS (LIB Kapitel 15.1.).

1.2.4. Zur Lage von Schiiten in Afghanistan (LIB Kapitel 15.1.):

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15 % geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran.

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen ua der Taliban und des IS.

1.2.5. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012 bis 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23 % davon sind erwachsene Männer, 21 % erwachsene Frauen und 55 % minderjährige Kinder.

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 % der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 % der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und rechtzeitigen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen. Berichten zufolge werden viele Binnenvertriebene diskriminiert, haben keinen Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen sowie anderen grundlegenden Dienstleistungen und leben unter dem ständigen Risiko, aus ihren illegal besetzten Quartieren delogiert zu werden.

Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrende sind wegen des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen besonders gefährdet. Berichten zufolge brauchen mehr als 80 % der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe. Die afghanische Regierung kooperierte mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.

1.2.6. Grundversorgung und Wirtschaft (LIB Kapitel 21.):

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4 % aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4 bzw 1,8 %. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3 % zurückgingen und die Importe um 8 % stiegen.

1.2.7. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21.):

In den Jahren 2016 und 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 bis 2014 bei 22,6 % gelegen hatte, um 1 %. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40 % der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 % davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).

1.2.8. Projekte der afghanischen Regierung (LIB Kapitel 21.):

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 bis 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

1.2.9. Medizinische Versorgung (LIB Kapitel 22.):

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund zehn Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert.

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011 bis 2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012 bis 2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren.

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41 % der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 bis 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt.

1.2.9.1. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung (LIB Kapitel 22.):

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90 % der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen.

1.2.9.2. Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan (LIB Kapitel 22.):

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen. Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren zB in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA.

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden.

Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt.

1.2.9.3. Krankenhäuser in Afghanistan (LIB Kapitel 22.1.):

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung.

1.2.10. Rückkehrer:

1.2.10.1. Allgemeines (LIB Kapitel 23. und 1.; UNHCR-Richtlinien, S 52 f):

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24 % erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52 % zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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