TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/22 W104 2205431-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.01.2020
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Entscheidungsdatum

22.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W104 2205431-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Christian BAUMGARTNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Julia KOLDA, 1030 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX Außenstelle XXXX , vom 16.8.2018, Zl. 1105140106-160216046, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 7.11.2019 zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2, Abs. 9, 46 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 11.2.2016 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer an, er sei am XXXX in der afghanischen Provinz Maidan Wardak geboren, afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und hänge der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er sei ledig und habe keine Kinder. Sein Vater sei bereits verstorben, seine Mutter, ein Bruder und vier Schwestern seien zwischenzeitlich im Iran aufhältig. Zum Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass Hazara von den Taliban verfolgt würden. Sein Vater sei vor drei Jahren von den Taliban ermordet worden. Auch sein Leben sei daher in Gefahr gewesen.

In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 30.1.2018 führte der Beschwerdeführer zunächst aus, dass das Todesdatum seines Vaters im Protokoll der Erstbefragung falsch erfasst worden sei. Dieser sei zum Zeitpunkt der Erstbefragung vor zweieinhalb, nicht vor drei Jahren verstorben. Weitere Änderungen habe er nicht anzuführen; seine sonstigen Angaben seien korrekt erfasst worden und entsprächen der Wahrheit. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst an, sein Vater habe einer Volksbewegung mit dem Namen " XXXX " angehört. Es handle sich dabei um eine Gruppierung der Bevölkerung zur Verteidigung gegen die Kutschis und die Taliban. Die Kutschis hätten die Bevölkerung oft, meist im Sommer, angegriffen und die Volksbewegung habe das Land verteidigt. Ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers sei Mitglied dieser Gruppierung gewesen und bei einem Angriff ungefähr im Jahr 2012 verstorben. Sechs Monate später habe sein Vater sich dazu entschlossen, der Volksfront beizutreten. In ihrem Dorf habe es einen Kontrollposten gegeben, in dem sich sein Vater Mitte 2013 im Sommer aufgehalten habe. Bei einem Angriff der Kutschis seien viele Dorfbewohner, die sich am Kontrollposten aufgehalten hätten, getötet worden. Auch sein Vater sei bei diesem Angriff ums Leben gekommen. Die Kutschis hätten alle Familienangehörigen jener Personen, welche Mitglieder der Volksbewegung gewesen seien, bedroht. Die Familie des Beschwerdeführers habe oft Drohbriefe erhalten, auch auf dem Leichnam der getöteten Personen seien Flugzettel gelegen, wonach die Kutschis auch Angehörige der Mitglieder der Volksbewegung töten würden. Nach dem Tod des Vaters seien einige Male Flugzettel mit der Aufforderung, sich den Kutschis anzuschließen, ins Haus geworfen worden. Derartige Briefe hätten sie ungefähr zwei Mal in der Woche erhalten. Es sei gefordert worden, den Kutschis zu essen zu geben und ihnen ihr Hab und Gut zu überlassen. Der Bruder des Beschwerdeführers habe sich schließlich der Volksbewegung angeschlossen und sei im Sommer 2015 auf der Schulter verletzt bzw. angeschossen worden. Daraufhin habe sich die Familie des Beschwerdeführers dazu entschlossen, das Land zu verlassen. Der Beschwerdeführer sei ungefähr Anfang Dezember 2015 in Begleitung seiner Tante väterlicherseits und deren Familie per Flugzeug legal in den Iran ausgereist. Seine Familie sei einen Monat nach dem Beschwerdeführer ausgereist und halte sich nach wie vor im Iran auf.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.8.2018, zugestellt am 21.8.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei vage und abstrakt. Der Beschwerdeführer habe keine konkreten und substantiierten Angaben machen können, weshalb eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht habe festgestellt werden können. Es sei auch nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat eine individuelle bzw. konkrete Bedrohung im Sinn einer Verletzung der Art. 2 bzw. 3 EMRK drohe. Der Beschwerdeführer könne zwar nicht in sein Heimatdorf zurückkehren, eine Ansiedelung in Kabul bzw. in Herat sei ihm jedoch zumutbar. Dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in eine ausweglose finanzielle bzw. wirtschaftliche Notlage geraten könne, sei nicht anzunehmen.

Dagegen richtet sich die am 10.9.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt und das Verfahren dadurch mit Mangelhaftigkeit belastet. Insbesondere komme Kabul entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei nicht nur prekär, vielmehr befinde sich Afghanistan in einem landesweiten innerstaatlichen Konflikt. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid sei mangelhaft und unschlüssig, sie habe gegen ihre Pflicht zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und zur ganzheitlichen Würdigung des individuellen Vorbringens des Beschwerdeführers verstoßen. Der Beschwerdeführer werde in seiner Heimat von Kutschis und Taliban bedroht und verfolgt; ein Schutz durch staatliche Behörden sei nicht möglich. Da der Beschwerdeführer in Afghanistan über kein soziales Netz verfüge, bestehe für ihn keine innerstaatliche Fluchtalternative. Eine Gefährdung seiner körperlichen Integrität oder zumindest eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan könne beim Beschwerdeführer nicht ausgeschlossen werden.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Schreiben vom 9.7.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung für den 4.11.2019 an, brachte Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 16.10.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Vollmachtsbekanntgabe von RA Mag. Julia Kolda ein. In einem ersuchte die nunmehrige Rechtsvertretung des Beschwerdeführers um Verlegung der für den 4.11.2019 anberaumten Beschwerdeverhandlung.

Mit Schreiben von 17.10.2019 verlegte das Bundesverwaltungsgericht die für den 4.11.2019 anberaumte Beschwerdeverhandlung auf den 7.11.2019.

Die bisherige Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, legte mit Schreiben vom 5.11.2019 die erteilte Vollmacht zurück.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts am 7.11.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat wegen Verfolgung durch die Kutschis und die Taliban aufrecht. Weiter legte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertreterin eine Liste aktueller Länderberichte, einen Drohbrief und ein Betreuungskonzept des Vereins XXXX vor. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung erstatte die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine Stellungnahme zu den Länderberichten und brachte im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass die dem Länderinformationsblatt (Stand: 4.6.2019) zugrundeliegenden Quellen aus dem Jahr 2018 stammen würden und nicht hinreichend aktuell seien. Aus den aktuellen Länderberichten laut Beilage ./1 ergebe sich, dass sich die Situation im Herkunftsland des Beschwerdeführers im Jahr 2019 drastisch verschlechtert habe. Die Zahl der zivilen Opfer sei gestiegen und die Zahl der von Armut betroffenen Menschen liege bei über 50 %. Die im Länderinformationsblatt aufgezählten Unterstützungsmöglichkeiten seien nicht aktuell, die Unterstützung funktioniere nicht. Der Beschwerdeführer erfülle zudem mehrere Risikoprofile: Er sei als Rückkehrer aus Europa stigmatisiert, gehöre der Minderheit der Hazara an und habe kein soziales Netzwerk in Afghanistan.

Am 11.11.2019 legte der Beschwerdeführer im Zuge einer ergänzenden Urkundenvorlage eine Schulbesuchsbestätigung zum Nachweis seiner Integrationsbemühungen vor.

Mit Schreiben vom 28.11.2019 verständigte das Bundesverwaltungsgericht die Parteien vom Ergebnis einer Beweisaufnahme und führte das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan (Stand 13.11.2019) ins Verfahren ein. In einem gab das erkennende Gericht den Parteien die Möglichkeit, sich dazu innerhalb einer Frist von 14 Tagen ab Zustellung zu äußern.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* Sozialpädagogischer Kurzbericht der XXXX im Rahmen des Projektes XXXX vom 23.12.2017;

* Schulbesuchsbestätigung der Öffentlichen Polytechnischen Schule XXXX über Besuch der P9 Klasse im Schuljahr 2017/18 vom 23.1.2018;

* Bestätigung der XXXX über Absolvierung berufspraktischer Tage im Zeitraum 21.11.2017 bis 24.11.2017 vom 19.10.2019;

* Beurteilungsbogen der XXXX hinsichtlich der berufspraktischen Tage im Zeitraum 21.11.2017 bis 24.11.2017 vom 24.11.2017;

* Anmeldebestätigung der XXXX zum Deutschkurs auf Niveau B1 im Zeitraum 7.8.2017 bis 27.10.2017;

* Anmeldebestätigung des XXXX für das Projekt "Start Wien Flüchtlinge - Integration ab Tag 1" im Zeitraum 7.8.2017 bis 27.10.2017;

* Schulbesuchsbestätigung der Höheren Bundeslehranstalt für Tourismus und wirtschaftliche Berufe XXXX über Besuch der Übergangsklasse im Zeitraum 14.11.2016 bis 30.6.2017 vom Dezember 2016;

* Bestätigung der Höheren Bundeslehranstalt für Tourismus und wirtschaftliche Berufe XXXX über Abschluss der Übergangsstufe an BHMS vom 30.6.2017;

* Bestätigung der XXXX über Besuch eines Deutschkurses auf Niveau A1+ im Zeitraum 25.7.2016 bis 14.9.2016 vom 14.9.2016;

* Teilnahmeerklärung des Beschwerdeführers zum Projekt "Arbeitsassistenz für Jugendliche" beim Verein XXXX vom 24.1.2018;

* Bestätigung von XXXX über Teilnahme am Workshop "MannsBilder:

Geschlechtersensible Berufsorientierung für Burschen" vom 28.11.2017;

* Bestätigung des Vereins XXXX über Teilnahme am Seminar "Interkulturelle Genderkompetenz" vom 21.1.2018;

* Bestätigung des Magistrats XXXX über Teilnahme am XXXX Info-Modul Bildung/Wohnen am 27.1.2017;

* Bestätigung des Magistrats XXXX über Teilnahme am XXXX Info-Modul Zusammenleben am 17.2.2017;

* Kopie eines Drohbriefes vom 2.8.2013;

* Betreuungskonzept des Vereins XXXX vom 7.4.2019;

* Schulbesuchsbestätigung des Bundesgymnasiums, Bundesrealgymnasiums und wirtschaftskundlichen Bundesrealgymnasiums für Berufstätige in XXXX über Besuch der AHS für Berufstätige im Wintersemester 2019/20 vom 7.9.2019;

* Diverse Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl;

* Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht;

* Einsichtnahme in folgende vom Bundesverwaltungsgericht eingebrachte Berichte:

-

Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation, Stand 13.11.2019;

-

European Asylum Support Office (EASO): Country Guidance:

Afghanistan, June 2018;

https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf

-

European Asylum Support Office (EASO): Country of Origin Information Report: Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, December 2017;

https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports

-

European Asylum Support Office (EASO): Bericht Afghanistan Netzwerke (Übersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation), Stand Jänner 2018;

https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports

-

Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 31.5.2018;

-

Ecoi.net - European Country of Origin Information Network:

Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen (Methoden; Netzwerke), 15.2.2013;

-

Landinfo, Informationszentrum für Herkunftsländer: Afghanistan:

Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne (Arbeitsübersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staaten-dokumentation), 23.8.2017;

https://landinfo.no/asset/3590/1/3590_1.pdf.

* Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente und Berichte.

2. Feststellungen:

2.1. Zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX in seinem Heimatdorf im Distrikt XXXX Provinz Maidan Wardak geboren. Er ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari bzw. Farsi, er spricht aber auch Deutsch und Englisch. Der Beschwerdeführer beherrscht diese Sprachen in Wort und Schrift. Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wuchs in seinem Heimatdorf im afghanischen Familienverband im familieneigenen Haus mit seinen Eltern, einem älteren Bruder und vier Schwestern auf. Er besuchte in Afghanistan neun Klassen die Schule und half seinem Vater nebenbei in der Landwirtschaft.

Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Wie der Vater des Beschwerdeführers ums Leben kam, konnte jedoch nicht festgestellt werden. Die Mutter des Beschwerdeführers, sein Bruder und seine vier Schwestern leben zwischenzeitlich im Iran in XXXX . Die beiden älteren Schwestern des Beschwerdeführers arbeiten dort als Haushaltshelferinnen, sein Bruder trägt als Schneider zum Familieneinkommen bei. Die Kernfamilie des Beschwerdeführers kann ihren Lebensunterhalt im Iran finanziell bestreiten. Weiter leben zwei Onkel mütterlicherseits im Iran. Eine Tante väterlicherseits lebt in der Türkei, zwei weitere Tanten in Griechenland und eine Tante mütterlicherseits in Australien. In Afghanistan ist nur noch ein Cousin des Vaters des Beschwerdeführers aufhältig. Es leben keine weiteren Verwandten des Beschwerdeführers in seinem Heimatstaat. Ein Onkel des Beschwerdeführers lebt in Österreich in XXXX . Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigem telefonischem Kontakt mit seiner Familie im Iran.

Der Beschwerdeführer ist im Wesentlichen gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer hält sich zumindest seit 11.2.2016, als er seinen Antrag auf internationalen Schutz stellte, durchgehend im Bundesgebiet auf. Er lebt in Österreich von der Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Der Beschwerdeführer hat seit seiner Einreise an mehreren Deutsch- und Integrations- bzw. Basisbildungskursen teilgenommen. Weiter besuchte er im Schuljahr 2016/17 die Übergangsklasse an einer Höheren Bundeslehranstalt für Tourismus und wirtschaftliche Berufe und schloss die Übergangsstufe am 30.6.2017 ab. Anschließend besuchte er im Schuljahr 2017/18 eine polytechnische Schule und machte seinen Pflichtschulabschluss. Im Zuge dessen absolvierte er berufspraktische Tage bei der XXXX Derzeit besucht der Beschwerdeführer im Schuljahr 2019/20 eine AHS für Berufstätige. Aufgrund seiner Schulbesuche spricht der Beschwerdeführer bereits gut Deutsch. Zukünftig möchte er Computer-Science studieren oder eine Ausbildung zum IT-Techniker machen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich einige soziale Kontakte - auch zu österreichischen Staatsbürgern - geknüpft. Seine Freizeit verbringt der Beschwerdeführer gerne mit seinen Freunden im Freien, etwa auf der XXXX . Weiter besucht er ab und zu eine protestantische Kirche.

Ein Onkel des Beschwerdeführers lebt in Österreich in XXXX . Der Beschwerdeführer lebt mit seinem Onkel nicht zusammen, er besucht ihn lediglich ab und zu. Weiter steht der Beschwerdeführer mit seinem Onkel in telefonischem Kontakt. Dass eine besonders intensive Bindung bzw. eine gegenseitige Abhängigkeit des Beschwerdeführers zu seinem Onkel besteht, kann nicht festgestellt werden. Es sind im Verfahren auch keine besonderen Umstände hervorgekommen, wonach der Beschwerdeführer auf die Unterstützung bzw. Hilfe seines Onkels in Österreich angewiesen wäre.

Abgesehen von seinem Onkel leben in Österreich keine weiteren Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

2.2. Zu den Fluchtgründen und der Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Vater des Beschwerdeführers Mitglied einer Volksbewegung ( XXXX ) war, um das Land vor den Taliban bzw. den Kutschis zu verteidigen. Der Vater des Beschwerdeführers fiel weder den Taliban noch den Kutschis zum Opfer. Warum der Vater ums Leben kam, konnte nicht festgestellt werden. Angriffe auf das Dorf des Beschwerdeführers durch die Taliban bzw. die Kutschis fanden nicht statt. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Taliban bzw. die Kutschis den Beschwerdeführer und seine Familie als Angehörige seines Vaters bedrohten. Dass der Bruder des Beschwerdeführers durch die Taliban bzw. die Kutschis angeschossen oder verletzt wurde, konnte nicht festgestellt werden. Dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffen bzw. Verfolgung durch die Taliban, etwa aufgrund einer ihm unterstellten oppositionellen Gesinnung bzw. wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Vaters, ausgesetzt wäre, ist nicht zu erwarten. Ein konkreter Anlass, aus dem der Beschwerdeführer den Herkunftsstaat verlassen hat, kann nicht festgestellt werden.

Dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Zwangsrekrutierung oder Übergriffe wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit drohen, ist nicht zu erwarten.

Der Beschwerdeführer besucht ab und zu eine protestantische Kirche, er ist jedoch nicht zum christlichen Glauben konvertiert. Dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers ist, konnte nicht festgestellt werden. Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan seinem Interesse für den christlichen Glauben weiter nachgehen würde. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit seinem Interesse für den christlichen Glauben oder aufgrund eines allenfalls unterstellten Glaubensabfalls bei einer Rückkehr nach Afghanistan psychische oder physische Gewalt oder Verfolgung droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland Übergriffe durch Privatpersonen oder staatliche Stellen drohen.

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Maidan Wardak) zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Die Sicherheitslage in der Provinz hat sich in den letzten Monaten verschlechtert. Aufständische sind in gewissen Distrikten aktiv und führen terroristische Aktivitäten aus. Es kommt regelmäßig zu Sicherheitsoperationen in der Provinz und die Taliban greifen Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte an.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Maidan Wardak droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Kabul verzeichnet eine hohe Anzahl ziviler Opfer. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in der Hauptstadt durch.

Im Fall einer Niederlassung in Kabul droht dem Beschwerdeführer die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinzen Balkh und Herat gehören zu den friedlichsten Provinzen Afghanistans und sind vom Konflikt relativ wenig betroffen. Insbesondere Balkh gehört zu den stabilsten und ruhigsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch nicht betroffen. Die Provinz Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen Afghanistans. Aufständische sind in einigen abgelegenen Distrikten aktiv. Die Hauptstadt der Provinz - Herat (Stadt) - ist davon wenig betroffen und gilt trotz Anstiegs der Kriminalität nach wie vor als sehr sicher. Sowohl Mazar-e Sharif in Balkh als auch Herat (Stadt) stehen unter Regierungskontrolle. Beide Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, über den sie sicher erreicht werden können.

Die Provinzen Balkh und Herat waren von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) grundsätzlich gegeben. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet.

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Im Fall einer Rückführung des Beschwerdeführers nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif ist davon auszugehen, dass er sich eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können und im Fall seiner Niederlassung ein Leben ohne unbillige Härten wird führen können, so wie es auch seine Landsleute führen.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationale Organisationen. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

2.3.1. Staatendokumentation (Stand 13.11.2019, außer wenn anders angegeben):

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.04.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.05.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015), und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.05.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.04.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.05.2019). Die ursprünglich für den 20.04.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.09.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für fünf Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.04.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.04.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.03.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 13.03.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 02.09.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.04.2019; vgl. USDOS 13.03.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.09.2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14.11.2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden, und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben, und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.03.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.05.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.05.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.05.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004, USDOS 29.05.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.01.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 02.09.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.03.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 02.09.2019; vgl. AAN 06.05.2018, DOA 17.03.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 02.09.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert, und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht, und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.03.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss, und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.01.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.06.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.01.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.06.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.08.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 08.09.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.08.2019; vgl. NZZ 12.08.2019; DZ 08.09.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.01.2019; vgl. DP 28.01.2019, MS 28.01.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigte Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.05.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere Warlords, statt (Qantara 12.02.2019; vgl. TN 31.05.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.02.2019; vgl. NYT 07.03.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.03.2019; vgl. WP 18.03.2019).

Vom 29.04.2019 bis 03.05.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 06.05.2019 bis 04.06.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 06.05.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.05.2019).

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

2.

Allgemeine Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UN-GASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeit-raum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UN-GASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Ta-liban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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