TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/6 W173 2223082-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.02.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

06.02.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W173 2223082-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR als Vorsitzende und die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF sowie den fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Lange Gasse 53, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 1.8.2019, betreffend Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A)

Der Bescheid vom 1.8.2019 wird behoben. Herr XXXX erfüllt mit einem Grad der Behinderung von 50% die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Auf Grund des Antrages von Herrn XXXX , geb. am XXXX , (in der Folge BF) vom 13.12.2018 auf Ausstellung eines Behindertenpasses wurden von der belangten Behörde medizinische Sachverständigengutachten eingeholt. Im Gutachten des FA für HNO, Dr. XXXX , wurde eine mittelgradige Hörstörung beidseits mit einem Grad der Behinderung von 30% (Pos.Nr. 12.02.01. - GdB 30%) ermittelt. Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, stellte nach einer persönlichen Untersuchung des BF einen Grad der Behinderung von 30% auf Grund folgender Leiden des BF fest: 1. Neuromuskuläre Erkrankung mit Aktionsteremor an beiden Händen (Pos.Nr. 04.09.01. - GdB 30%),

2. Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus (Pos.Nr. 09.02.01. - GdB 20%) und 3. Sehstörung mit Reduktion des Sehvermögens rechts auf 0,5 bei gutem Sehvermögen links (0,8) (Pos.Nr. 11.02.01. - GdB 10%). Im zusammenfassenden Gutachten vom 15.4.2019 stellte Dr. XXXX einen Gesamtgrad der Behinderung von 40% fest. Dabei berücksichtigte der Sachverständige folgende Leiden: 1. Neuromuskuläre Erkrankung mit Aktionstermor an beiden Händen (Pos.Nr. 04.09.01. - GdB 30%), 2. Mittelgradige Hörstörung beidseits (Pos.Nr. 12.02.01. - 30%), 3. Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus (Pos.Nr. 09.02.01. - GdB 20%), 4. Sehstörung mit Reduktion des Sehvermögens rechts auf 0,5 bei gutem Sehvermögen links (0,8) links (Pos.Nr. 11.02.01. - GdB 10%). Das führende Leiden 1 würde durch die Gesundheitsschädigung des Leidens 2 um eine Stufe wegen der Sinnesorganbeeinträchtigung erhöhen, da dieses bei einer Gesamtleidensbeurteilung eine wesentliche Rolle spielt. Die übrigen Leiden würden wegen fehlenden maßgeblichen ungünstigen funktionellen Zusammenwirkens bzw. zu geringer funktioneller Relevanz nicht erhöhen. Die Leiden wurden als Dauerzustand eingestuft.

2. Das eingeholten Gutachten wurde dem Parteiengehör unterzogen. Mit Schreiben vom 6.5.2019 erhob der BF unter Anschluss von weiteren medizinischen Unterlagen Einwendungen. Er leide unter keiner Parkinsonerkrankung. Es sei für die Einstufung seines Leidens 1 die Position 04.06. heranzuziehen. Dazu verwies der BF auf den beiliegenden Befund aus seinem neurologischen Rehabilitationsaufenthalt. Er zeigte die Auswirkungen seiner Erkrankung im Alltag auf. Er arbeite darin, seine kognitiven Fähigkeiten zu erhalten, obwohl es für ihn immer schwieriger werde. Weiters seien das Zusammenwirken und die Wechselwirkung seiner Leiden zu überprüfen.

3. Die belangte Behörde holte ein ergänzendes Gutachten von Dr. XXXX ein. Dieser führte auf Basis der Akten auszugsweise Nachfolgendes

aus: "..............................

Der Antragwerber ist mit dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht einverstanden und wendet ein, dass aufgrund der neurologischen Gesundheitsschädigungen ein höherer Grad der Behinderung angemessen sei. Es werden folgende objektive medizinische Befunde vorgelegt:

1. Laborbefund vom 26.01.2010 erstellt in der Gruppenpraxis Dr. XXXX in XXXX Wien,

2. Arztbrief des neurologischen Zentrums Rosenhügel vom 02.04.2019,

Die Beurteilung der dauernden Gesundheitsschädigung erfolgte auf Basis der klinischen Untersuchung vom 20.02.2019 unter Berücksichtigung der Aktenlage. Im Gutachten wurde auf alle relevanten Gesundheitsschädigungen ausführlich eingegangen und die objektiven medizinischen Befunde detailliert angeführt. Die neu vorgelegten Dokumente enthalten keine Beschreibung eines höheren Funktionsdefizites, als anlässlich der amtswegigen Untersuchung ermittelt wurde und welches als Basis der Entscheidung diente.

Bei Fehlen abweichender medizinischer Befunde muss an der Beurteilung der dauernden Gesundheitsschädigungen unter lf. Nr. 1) bis 4) und dem Kalkül, dass bei Nichterfüllung der erforderlichen Kriterien eben keine Unzumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel besteht, festgehalten werden.

..................."

3. Mit Bescheid vom 1.8.2019 wurde der Antrag des BF vom 13.12.2018 abgewiesen. Der BF erfülle mit einem Grad der Behinderung von 40% die Voraussetzung für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht. Die belangte Behörde stützte sich auf die angeschlossenen, eingeholten medizinischen Gutachten, die einen Bestandteil der Bescheidbegründung bilden würden.

4. Gegen den abweisenden Bescheid vom 1.8.2019 erhob der BF Beschwerde. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Das führende neurologische Leiden des BF sei sehr komplex und mit neurologischen Funktionsbeeinträchtigungen verbunden. Dazu zähle Neuropathie in den Fingern und unteren Extremitäten, eine Vorfußheberschwäche, Muskelschwund und Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwächen. Dies sei im Gutachten nicht hinreichend berücksichtigt worden, sodass ein höherer Grad der Behinderung festzustellen gewesen wäre. Es wäre auch zur Beurteilung der komplexen neurologischen Erkrankung kein Arzt aus dem Bereich der Allgemeinmedizin, sondern ein FA für Neurologie zur Beurteilung heranzuziehen, um eine taugliche Grundlage für die Einstufung der neurologischen Erkrankung des BF zu schaffen. Der BF sei im Alltags- und Sozialleben erheblich beeinträchtigt. Trotz Therapie würde kaum eine Verbesserung eintreten. Wegen des Tremors sei die Schreibfähigkeit sehr eingeschränkt. Außerdem leide der BF an Einschränkungen im kognitiven Bereich, an Wortfindungsstörungen und an einer Beeinträchtigung des Sprachflusses. Die hereditäre spastische Paraplegie mit distal betonter Neuropathie, die Ataxie und Sehstörung seinen ebenfalls nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die gelte auch für die Muskelschwäche und den Muskelabbau. Dazu wurden medizinische Unterlagen vorgelegt und die Einholung eines Gutachtens aus dem Bereich der Neurologie/Psychiatrie sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

6. Am 3.9.2019 legte die belangte Behörde den Beschwerdeakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

7. Auf Grund des Vorbringens des BF in seiner Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Im Gutachten von Dr. XXXX , FA für Neurologie und Psychiatrie, vom 5.11.2019, das auf einer persönlichen Untersuchung basierte, wurde Nachfolgendes ausgeführt:

"......................................

Anamnese: Begleitung: Simona Nastincova (Arbeitsassistentin, Personal AW).

Seit 8a besteht ein Tremor in den OE mit Schwäche in den OE bds, bisher konnte die Erkrankung nicht eindeutig eingeordnet werden, genetische Untersuchungen waren nicht beitragend, die Mutter hilft im Alltag.

Nervenärztliche Betreuung: AKH Dr. XXXX (zuletzt 2/1 9)

Subjektive derzeitige Beschwerden: Tremor in den OE bds mit Einschränkung im Alltag, Feinmotorikstörung in den OE bds., er könne nicht lange schreiben, distal betonte Schwäche in den UE bds.

Sozialanamnese: lebt alleine, AMS, kein Pflegegeld

Medikamente (neurologisch/ psychiatrisch): keine

Neurostatus:

Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt, Ptose bds an den oberen Extremitäten bestehen leichte distal betonte Paresen mit Störung der Feinmotorik deutliche Muskelatrophien der kleinen Handmuskeln

Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich untermittellebhaft auslösbar, die Koordination ist gestört mit mäßigem Halte und Aktionstremor re

> li , an den unteren Extremitäten bestehen distal betonte Paresen, Fersen/Zehenspitzen/Einbeinstand bds. kurz möglich.

Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich untermittellebhaft auslösbar.

Distal betonte Muskelatrophien.

Die Koordination ist leicht ataktisch gestört, die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ. Die Sensibilität wird allseits als intakt angegeben Das Gangbild ist ohne Hilfsmittel breitbasig mit angedeutetem Steppergang bds.

Psychiatrischer Status:

Örtlich, zeitlich, zur Person und situativ ausreichend orientiert, keine Antriebsstörung, Auffassung regelrecht, subjektiv kognitiven Defizite, Affekt ausgeglichen, Stimmungslage dysthym, in beiden Skalenbereichen affizierbar, Ein- und Durchschlafstörung, keine produktive Symptomatik, keine Suizidalität.

1.1) Stellungnahme:

Es liegt eine progrediente neuromuskuläre Erkrankung mit noch nicht eindeutig geklärter Ätiologie vor mit deutlicher Beeinträchtigung im Alltag vor.

Der Zustand hat sich seit dem SV Gutachten 4/1 9 verschlechtert. Es ergibt sich dadurch eine Änderung im GdB

1.2.

Diagnosen:

1. Neuromuskuläre Erkrankung g.Z. 04.09.01 40%

Oberer Rahmensatz, da Oe und UE betroffen mit Beeinträchtigung im Alltag

2. mittelgradige Hörstörung bds 12.02.01 30%

Mittelgradig, Tabelle Zeile 3/Kolonne 3 1 Stufe Über unterem Rahmensatz, da steiler Abfall schon nach 1 Khz

3. Diabetes mellitus, nicht insulinpflichtig 09.02.01 20%

Mittlerer Rahmensatz, da oral gut eingestellte Stoffwechsellage

4. Sehstörung mit Reduktion des Sehvermögens re 11.02.01 10%

auf 0,5 bei gutem Sehvermögen li (0,8)

2.) Gesamt GdB: 50%

Das führende Leiden wird durch Leiden Nr.2 angehoben, da ein relevantes, ungünstiges Zusammenwirken besteht, Leiden 3 erhöht wegen fehlendem ungünstigen Zusammenwirken und Leiden 4 wegen Geringfügigkeit nicht.

1.4. Nachuntersuchung 11/2022 erforderlich, da mögliche Besserung unter geeigneter Therapie.

4.) Gesamt GdB ab 11 /2019, da klinische Verschlechterung bei der Untersuchung objektivierbar.

..........................."

8. Das vom Bundesverwaltungsgericht ergänzend eingeholte Gutachten vom 5.11.2019 von Dr. XXXX , FA für Neurologie und Psychiatrie, wurde dem Parteiengehör unterzogen. Der BF ersuchte um rasche Entscheidung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Auf Grund des Antrages des BF vom 13.12.2018 auf Ausstellung eines Behindertenpasses wurden von der belangten Behörde medizinische Sachverständigengutachten aus dem Bereich der HNO-Heilkunde und der Allgemeinmedizin eingeholt. Im zusammenfassenden Gutachten von Dr. XXXX vom 15.4.2019 wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 40% ermittelt. Die Einwendungen des BF führten nach Einholung eines ergänzenden Gutachtens von Dr. XXXX vom 1.8.2019 zu keiner Änderung der Beurteilung.

1.2. Mit Bescheid vom 1.8.2019 wurde der Antrag des BF abweisen. Da der Grad der Behinderung des BF mit 40% festgelegt worden sei, erfülle der BF nicht die Voraussetzung für die Ausstellung eines Behindertenpasses.

1.3. Auf Grund des Vorbringens des BF samt Beilagen wurde vom Bundesverwaltungsgericht das oben wiedergegebene Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , FA für Neurologie und Psychiatrie, vom 5.11.2019 eingeholt, in dem das führende Leiden im Form der neuromuskulären Erkrankung mit der Position 04.09.01. mit einem Grad der Behinderung von 40% eingestuft wurde. Die übrigen Leiden des BF wurden wie folgt eingestuft: Leiden 2 (mittelgradige Hörstörung bds Pos.Nr. 12.02.01. GdB 30%), Leiden 3 (Diabetes mellitus, nicht insulinpflichtig Pos.Nr. 09.02.01. - GdB 20%), Leiden 4 (Sehstörung mit Reduktion des Sehvermögens re auf 0,5 bei gutem Sehvermögen li (0,8) Pos.Nr. 11.02.01. - GdB 10%). Das führende Leiden 1 wurde wegen relevanten ungünstigen Zusammenwirkens mit Leiden 2 um eine Stufe angehoben. Die übrigen Leiden erhöhten nicht. Wegen möglicher Besserung wurde für 11/2022 eine Nachuntersuchung vorgesehen. Es wurde der Gesamtgrad der Behinderung ab 11/2019 festgelegt.

1.4. Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt beim BF 50 v.H. Der BF erfüllt daher die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses.

2. Beweiswürdigung

Es wird auf das oben wiedergegebene, vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte, schlüssige Sachverständigengutachten vom 5.11.2019 (Dr. XXXX ) verwiesen. Im genannten Gutachten - basierend auf vorhergehenden persönlichen Untersuchungen des BF - wurde auf die Art der Leiden des BF und deren Ausmaß ausführlich, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Der Gutachter setzte sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden des BF auseinander.

Diese Einschätzungen finden auch Deckung in dem von der Gutachterin erhobenen Status im Rahmen der persönlichen Untersuchung des BF. Es wurden die vorgelegten Befunde eingehend berücksichtigt.

Gegen das dem Parteiengehör unterzogene Gutachten vom 5.11.2019 wurden keine Einwendungen vorgebracht. Damit sind die Parteien dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten vom 5.11.2019, das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholt wurde, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten (vgl. VwGH 17.2.2017, Ra 2017/11/0008, 27.06.2000, 2000/11/0093).

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. In der gegenständlichen Sachverhaltskonstellation liegen die Voraussetzungen für eine meritorische Entscheidung vor (Vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005).

4. Zu Spruchpunkt A)

4.1.Rechtsgrundlagen:

Gemäß § 1 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz, BGBl Nr. 283/1990, idgF (BBG) ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG). Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird (§ 45 Abs. 2 BBG).

Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 2 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

4.2. Schlussfolgerungen

Die beigezogenen medizinischen Sachverständigen haben die Einschätzung des Grades der Behinderung auf Basis der Einschätzungsverordnung, BGBl II Nr. 261/2010, vorgenommen. Dieser Maßstab ist für die Einschätzung des Grades der Behinderung heranzuziehen und in den gesetzlichen Bestimmungen (§ 41 Abs. 1BBG) verankert.

Aufgrund der Einwendungen in der Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Darin setzte sich der ärztliche Sachverständige Dr. XXXX eingehend aus medizinischer Sicht mit dem Vorbringen des BF zu seinen Leiden auseinander. Das eingeholte Sachverständigengutachten vom 5.11.2019, auf das sich das Bundesverwaltungsgericht stützt, steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war die Tauglichkeit des befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung bzw. Feststellungen nicht in Zweifel zu ziehen. Das Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

Es steht dem BF, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch frei, das im Auftrag der Behörde bzw. des Bundesverwaltungsgerichtes erstellte Gutachten, durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen des BF ein Ausmaß von 50% erreichen, lagen somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vor (vgl VwGH 27.5.2014, Ro 2014/11/0041; 21.9.2010, 2007/11/0228), sodass spruchgemäß zu entscheiden war.

4.3.Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen

Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Im gegenständlichen Fall ist für die Entscheidung maßgebend, welches Ausmaß die dauernden Gesundheitsschädigungen des BF erreichen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher vom Bundesverwaltungsgericht ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Wie bereits oben ausgeführt wurde, wurde dieses als nachvollziehbar und schlüssig erachtet. Der Sachverhalt ist darüber hinaus geklärt und daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

5. Zu Spruchpunkt B) (Revision)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W173.2223082.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten