TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/20 W265 2218649-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.02.2020
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Entscheidungsdatum

20.02.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
VOG §1
VOG §2
VOG §4

Spruch

W265 2218649-2/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 15.03.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form von Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 05.03.2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG). Dabei gab sie an, zwischen 1999 und 2005 mehrmals vom Mann ihrer Tante schwer sexuell missbraucht worden zu sein. Seit Februar 2017 befinde sie sich in psychiatrischer, seit Dezember 2017 in psychotherapeutischer Behandlung. Dem Antrag schloss sie eine Zeugenladung zur kontradiktorischen Vernehmung im Strafverfahren, Teile des im Auftrag der Staatsanwaltschaft eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens vom 06.01.2018 und einen Arztbrief ihrer behandelnden Psychiaterin vom 01.02.2018 an, in welchem eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurden.

Nach Ersuchen der belangten Behörde übermittelte die behandelnde Psychotherapeutin der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 03.04.2018 eine Stellungnahme, in welcher sie ausführte, die Beschwerdeführerin leide an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung und sei durch chronischen sexuellen Missbrauch und Schikane im Kindesalter hoch belastet. In Folge der Anzeigeerstattung habe sich ihre Symptomatik verschlechtert und habe zu ihrer derzeitigen Arbeitsunfähigkeit geführt.

Am 08.08.2019 langte bei der belangten Behörde der Protokollsvermerk und die gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18.07.2018 ein, in welchem der angeklagte Mann der Tante der Beschwerdeführerin unter anderem von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf, im Jahr 1999 mit der damals unmündigen Beschwerdeführerin eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen bzw. in den Jahren 1999 und 2003 geschlechtliche Handlungen an der unmündigen Beschwerdeführerin vorgenommen zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen wurde. Der Freispruch erfolgte aufgrund bestehender Zweifel, welche nicht gravierend, aber doch derart gestaltet gewesen seien, dass ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden habe können, weshalb im Zweifel ein Schuldspruch nicht auszusprechen gewesen sei.

Nach Ersuchen der belangten Behörde übermittelte das Landesgericht für Strafsachen Wien der belangten Behörde am 22.08.2018 das im Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten vom 06.01.2018 zur Frage, ob die durch das Verhalten ihres Onkels hervorgerufene psychische Störung der Beschwerdeführerin als eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 StGB anzusehen sei. Die Gutachterin führte darin zusammengefasst aus, dass sich unter der Voraussetzung, dass die Angaben der Beschwerdeführerin stimmen würden, was der gerichtlichen Beweiswürdigung obliegen würde, sich eine Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen Anteilen sowie eine reaktive Anpassungsstörung diagnostizieren lasse. Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung würden sich nicht finden. Die medizinischen Voraussetzungen einer traumakausalen schweren Gesundheitsschädigung im Sinne des § 84 StGB ließen sich laut Gutachterin mit der für das Strafgericht notwendigen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht begründen.

Mit Schreiben vom 29.10.2018 brachte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis und räumte ihr eine Stellungnahmemöglichkeit ein. Darin wurde ausgeführt, dass für eine Leistung nach dem VOG mit Wahrscheinlichkeit feststehen müsse, dass die Beschwerdeführerin durch eine mehr als sechsmonatige Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten habe. Wahrscheinlichkeit sei nur dann gegeben, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 VOG spreche. Die grundsätzliche Möglichkeit reiche für eine Anerkennung nicht aus. Um trotz Freispruchs das Vorliegen einer Straftat im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG bejahen zu können, müssten gewichtige Gründe objektiviert werden, die eine abweichende Beurteilung ermöglichen bzw. müssten zusätzliche Beweismittel vorliegen, die Anhaltspunkte für die Annahme einer anspruchsbegründenden Straftat geben würden. Dies würde im vorliegenden Fall aber nicht zutreffen. Mit psychiatrischem Gutachten vom 06.01.2018 sei eine Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen Anteilen sowie eine reaktive Anpassungsstörung diagnostiziert worden. Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung, wie in den beigebrachten Befundberichten angeführt, hätten sich nicht gefunden. Es würden sich nicht mit der für das Strafgericht notwendigen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit die medizinischen Voraussetzungen einer traumakausalen schweren Gesundheitsschädigung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB begründen. Das Vorliegen einer Straftat im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG könne nicht angenommen werden.

Mit Schreiben vom 19.11.2018 gab die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ab. Darin führte sie im Wesentlichen aus, dass das psychiatrische Sachverständigengutachten vom 06.01.2018 lediglich der Frage nachgegangen sei, ob die nicht in Frage gestellten Traumafolgestörungen juristisch als schwere Körperverletzung zu werten seien, was lediglich eine Anpassung der angeklagten Paragraphen zur Folge gehabt hätte. Dass die Beschwerdeführerin durch die angezeigten Handlungen eine Gesundheitsschädigung erlitten habe, sei weder von der Staatsanwaltschaft noch vom Gericht angezweifelt worden. Der Angeklagte habe selbst zugegeben, sexuellen Missbrauch und massive verbale Gewalt begangen zu haben. Sexueller Missbrauch sei bereits das Berühren der Geschlechtsteile. Drei weitere Zeugen hätten ebenso unter Wahrheitsplicht angegeben, dass die Beschwerdeführerin ihnen von sexuellen Missbrauchserlebnissen erzählt habe und zwar schon sehr lange, bevor sie über die Erstattung einer Strafanzeige nachgedacht habe. Die Beschwerdeführerin werde seit Anfang 2017 aufgrund der mehrfach fachärztlich gestellten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung psychiatrisch und psychotherapeutisch behandelt. Da sich ihr Zustand im November 2017 noch weiter verschlechtert habe, habe ihre behandelnde Psychiaterin eine klinisch-psychologische Diagnostik durch eine Psychologin veranlasst. Darin seien eine posttraumatische Belastungsstörung und eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung festgestellt worden. Für beide Erkrankungen seien auslösende Faktoren, wie chronischer, schwerer sexueller Missbrauch, verantwortlich zu machen. Die Beschwerdeführerin habe in ihrem Leben ausschließlich die angezeigten Traumatisierungen durch ihren Onkel erlebt. Auch wenn die wissenschaftliche Forschung heute von einer Mehrzahl an Ursachen ausgehe, die die Krankheitsentstehung beeinflussen würden, sei erwiesen, dass schwerste Traumatisierungen wie die angezeigten, eine Vielzahl von Krankheiten auslösen könnten. Die Staatsanwaltschaft habe diesen Sachverhalt entsprechend gewürdigt und die Beschwerdeführerin - auch nach Einlangen des Gutachtens vom 06.01.2018 - als schwer traumatisiert bezeichnet. Dass der Täter nicht strafrechtlich belangt worden sei, könne die Beschwerdeführerin nicht nachvollziehen. Sie schloss dem Schreiben ein Konvolut an Unterlagen an.

Die belangte Behörde holte in der Folge den Strafakt vom Landesgericht für Strafsachen Wien ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.03.2019 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form der Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung ab. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass aufgrund der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 19.11.2018 der Strafakt angefordert worden sei, aus welchem jedoch keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden hätten können. Die Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs sei somit nicht geeignet gewesen, eine abweichende Beurteilung der Ermittlungsergebnisse zu ermöglichen. In Zusammenschau sämtlicher Aktenunterlagen, insbesondere aller Zeugenaussagen könne nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass eine anspruchsbegründende Straftat im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG vorliege. Dem psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 06.01.2018 zufolge sei die Kausalität der vorliegenden Gesundheitsstörung auch nicht mit Wahrscheinlichkeit den angeschuldigten Ereignissen zuzuordnen.

Am 26.04.2019 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer Beschwerde und zur Vertretung bei der Verhandlung.

Mit Beschluss vom 29.05.2019 wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ab.

Die Beschwerdeführerin erhob mit am 04.07.2019 bei der belangten Behörde eingelangtem Schreiben gegen den Bescheid vom 15.03.2019 fristgerecht die gegenständliche Beschwerde. Darin brachte sie im Wesentlichen vor, das im Rahmen des Strafverfahrens eingeholte psychiatrische Gutachten vom 06.01.2018 sei unzureichend, widersprüchlich und fehlerhaft und sei keinesfalls als Beweismittel im gegenständlichen Verfahren geeignet. Die belangte Behörde habe sich auf dieses Gutachten gestützt, hingegen weitere von der Beschwerdeführerin beigebrachte Befunde, die sehr wohl eine traumakausale Gesundheitsschädigung feststellen würden, sowie Zeugenaussagen, in denen bestätigt werde, dass die Beschwerdeführerin schon lange vor der Anzeigeerstattung von sexuellem Missbrauch erzählt habe, ignoriert. Das Vorliegen einer anspruchsbegründenden Straftat im Sinne des VOG sei jedenfalls gegeben, auch wenn das Strafgericht die offensichtlich vorliegende Straftat nicht mit Sicherheit dem angeklagten Täter zuweisen könne.

Aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin holte das Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 22.11.2019 erstatteten Sachverständigengutachten vom 11.01.2020 wurde - hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben - Folgendes ausgeführt:

"...

Sachverhalt

FR. XXXX beantragte die Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach dem VOG. Antragsbegründend gab sie an, zwischen 1999 und 2005 mehrmals vom Mann ihrer Tante sexuell missbraucht worden zu sein.

Eine Anzeige bei der Polizei wurde 2017 erstattet. Gemäß dem im Auftrag der Staatsanwaltschaft erstatteten psychiatrischen Gutachten handelte es sich bei dem Missbrauch um eine schwere Körperverletzung.

Der beschuldigte Onkel der Beschwerdeführerin wurde aufgrund bestehender Zweifel, da kein strafrelevanter Sachverhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen war, freigesprochen.

Beschwerdeführerin steht seit Dezember 2017 bei den Diagnosen einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung und einer posttraumatischen Belastungsstörung in psychotherapeutischer und seit Februar 2017 in psychiatrischer Behandlung.

Gutachtenauftrag

Der Sachverständigen wurde aufgetragen, nach Aufnahme der Anamnese und Erstellung eines Untersuchungsbefundes folgende Fragestellungen des Gerichtes zu beantworten:

1. Welche psychischen Leiden liegen bei der Beschwerdeführerin vor?

2. Kann mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum zwischen 1999 und 2005 mehrmals von ihrem Onkel sexuell missbraucht wurde?

3. Sind die bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Leiden mit Wahrscheinlichkeit auf das Verbrechen zurückzuführen?

Auch hier ist betreffend die Wahrscheinlichkeit der Prüfungsmaßstab des VOG heranzuziehen.

4. Falls das Verbrechen nicht die alleinige Ursache ist, wird um Beurteilung ersucht, ob das Verbrechen als wesentliche Ursache zum derzeitigen Leidenszustand beigetragen hat.

5. Falls die Kausalität verneint wird, wird um Stellungnahme ersucht, worauf der festgestellte Leidenszustand zurückzuführen ist.

6. Falls die Kausalität bejaht wird, wird um Stellungnahme ersucht, ob das festgestellte verbrechenskausale Leiden

a. eine adäquate/angemessene Folge des Verbrechens ist?

b. einer psychotherapeutischen Behandlung bedarf?

7. Es wird um ausführliche Stellungnahme zu den Einwendungen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde und der im Akt befindlichen Befunde und

8. Begründung einer eventuell vom bisherigen Ergebnis abweichender Beurteilung ersucht.

Gutachtengrundlagen

Einverständniserklärung

Die Untersuchte wurde zu Beginn der Exploration durch die SV über die Fragestellung und den Auftraggeber informiert. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass gegenüber dem Auftraggeber die ärztliche Schweigepflicht nicht gilt. Sie erklärte sich einverstanden, auch mit ihrer körperlichen Untersuchung.

l. Aktenstudium

II. Gutachterliche Untersuchung

Aus dem Akt

Beschwerde vom 2.07.2019

In ihrer Beschwerde wendet sich Fr. XXXX gegen das im Strafverfahren erstellte Gutachten der SV Dr. XXXX und bezeichnet dieses als unzureichend, widersprüchlich und fehlerhaft.

Dr. XXXX habe der Beschwerdeführerin (BF) nicht entsprechend viel Zeit und Raum für die gutachterliche Untersuchung gewährt, sie nicht ernst genommen.

Die bei der Gutachtenerstellung vorgelegten medizinischen / psychologischen / psychotherapeutischen Befunde und Atteste hätten eine traumakausale Gesundheitsschädigung, an der sie leide, belegt.

Die von Dr. XXXX gestellte Diagnose einer Anpassungsstörung widerspreche der guten Anpassungsfähigkeit der BF.

Dr. XXXX habe versucht das psychologische Gutachten von Dr. XXXX zu entkräften, dabei sei sie keine Psychologin. Dr. XXXX habe sie eingehend klinisch untersucht und ausgetestet.

Die Beschwerdeführerin leide seit 2013 an Depressionen und an einer Angststörung, wobei sie bei den 2013 stattgefundenen Konsultationen den erlittenen sexuellen Missbrauch weder der Ärztin noch der Psychotherapeutin anvertraut habe.

Mit Bescheid des Sozialministerium Service vom 15.03.2013 wurde ihr Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Behandlung abgelehnt. Als Begründung wurden der Freispruch ihres Onkels und das im Strafverfahren erstellte Gutachten der SV XXXX angeführt.

Durch den angefochtenen Bescheid fühle sich die BF in ihrem Recht auf Hilfestellung und Entschädigung verletzt.

Medizinische Befunde und Gutachten

Psychiatrisches Sachverständigengutachten vom 6.01.2018 Dr. XXXX FÄ für Psychiatrie und Neurologie

Diagnostisch geht die Sachverständige von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung von Borderline Typ mit hoher emotionaler Instabilität, Affektlabilität und Irritierbarkeit, mit in Krisenzeiten selbstverletzendem Verhalten zur Abwehr der aggressiven Spannungen, aus. Die Genese von Persönlichkeitsstörungen werde als multifaktoriell bewertet. Eine monokausale Zuordnung dieser Störung zu einer traumatischen Lebenserfahrung ist wissenschaftlich nicht belegt.

Als zweite Diagnose wird, als neurotische Reaktion auf psychosoziale Belastungen (Strafprozess) eine Anpassungstörung angeführt.

Befundberichte Dr. XXXX , FÄ f. Psychiatrie und psvchotherapeutische Medizin vom 1.02.2018 und 15.11.2018

Diagnosen: posttraumatische Belastungsstörung sowie eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung.

Symptomatisch werden Panikattacken, Flashbacks, Albträume, ängstliche Unruhe, Spannungszustände und gedrückte Stimmungslage angeführt.

Ein Vorstellungstermin im Klinikum Eggenburg zur traumaspezifischen, stationären Behandlung wurde für den 28.03.2018 terminisiert.

Medikation: Duloxetin 90 mg täglich, Seroquel 50 mg abends

Anm. SV

Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung entspricht nicht den wissenschaftlichen Vorgaben.

Stellungnahme der Psychotherapeutin Fr. XXXX M.Sc. vom 3.04.2018

Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Verschlechterung der Symptomatik nach Anzeigeerstattung.

Stellungnahme der Psychotherapeutin Fr. XXXX M.Sc. vom 9.11.2018

Einzelpsychotherapie seit 14.12.2017, Gesundheitsschädigung ist eine Traumafolgestörung.

Anm. SV

Dem Befund lassen sich keine Diagnosen entnehmen.

Psychologischer Befund, Dr. XXXX vom 11/2017. dem Strafakt entnommen

Anamnestisch fachärztliche psychiatrische, medikamentöse Behandlung seit 2/2017, ca. vier Jahre zuvor, 3/4 Jahr andauernde medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung.

Die Mutter habe an Depressionen gelitten.

Selbstverletzungen (Ritzen) ab dem 13. Lebensjahr.

Aktuelle Beziehung mit ihrem jetzigen Freund wird trotz Streitereien und Auseinandersetzungen insgesamt als gut bezeichnet.

Alkoholmissbrauch und Drogenkonsum in der Anamnese.

Auf der Beschwerdeebene Schlafstörung, Aufwachen mit Panikgefühlen, schwankendes Aktivitätsniveau zwischen völliger Lustlosigkeit bis zur totalen Selbstüberforderung, Weinen, Wutanfälle.

Wiederholung der Matura 2009 wegen psychisch bedingten häufigen Fehlens, Abbruch des Studiums (Internationale Entwicklung) bei Auflösung des Instituts, Beginn des Studiums an einer FH (Sozialpädagogik), Abbruch der Ausbildung, Herbst 2015-7/2017 Arbeit in der Flüchtlingshilfe.

Strebt eine psychotherapeutische Ausbildung an.

Psychometrische Untersuchung

-

SCL-90

-

Rorschachtest - ungestörter Realitätsbezug, rigide Grundsätze, schlechte Beurteilung der verfügbaren Coping Ressourcen, affektive Einengung, Hinweise auf einen deutlichen Mangel an Selbstwert sowie Insuffizienzgefühle.

Entfremdungserlebnisse und eine gewisse Identitätsdiffusion, Angst vor Nähe sowie primitive Abwehrmechanismen und eine passager mangelhafte affektive Realitätsprüfung. Diagnostisch wird einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung und einer Traumafolgestörung ausgegangen.

Anm. SV

Das verwendete operationalisierte Verführen (SCL-90-R) misst Merkmale, welche auf Angaben des Untersuchten oder Ergebnisse in Abhängigkeit von der Mitarbeit des Untersuchten anzeigen. Diese Untersuchungsmethoden können nicht einwandfrei als reliabel und objektiv bezeichnet werden.

Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung bei einem schädigenden Ereignis, welches Jahre zurück liegt, auch wenn die Schädigung über längere Zeiträume fortgesetzt wurde, entspricht nicht den ICD 10 Vorgaben und ist daher nicht zulässig.

Die Traumafolgestörung findet keine diagnostische (weder ICD-IO noch DSM-V) Zuordnung.

Gutachterliche Untersuchung am 22.11.2019

Eigene Angaben:

Fr. XXXX gibt an:

Sie habe Beschwerden, da sie ständig mit dem Trauma konfrontiert werde.

Aktuell: Konzentrationsstörung, Probleme in Bewältigung des Alltags, Schlafstörung, sie wache alle 2 Stunden auf. Bei Panikattacken habe sie Krämpfe in den Fingern, bei Angst verspüre sie Übelkeit, erlebe

Albträume: die Tante habe es gewusst, sie versuche im Traum es der Umgebung klarzumachen, was ihr angetan wurde, streitet.

Die Beschwerden mit Panikattacken, Schlafstörung, körperlichen Problemen haben mit Ila begonnen.

Mit 13 Jahren habe sie einer Freundin anvertraut, dass der Onkel ihre Brüste berührt habe. Die Eltern haben sich als sie 10a war, scheiden lassen. Sie habe unter der Woche mit den Geschwistern bei der Mutter gelebt, am Wochenende beim Vater. Ihr Verhältnis zum Vater bezeichne sie als gut.

Sie wollte nicht, dass die Eltern sich aufregen und habe geschwiegen, hatte Angst ins Heim kommen zu müssen.

In der Schule hatte sie viele Fehlstunden, da sie schwer aufstehen konnte.

Der Mutter habe sie sich mit 21 Jahren anvertraut

Die Albträume haben schon im Kindesalter begonnen.

Sie habe geglaubt es allein zu schaffen, wollte sich keine Hilfe holen.

2011 sei sie beim Psychiater und habe Medikamente bekommen, gleichzeitig habe sie Psychotherapie begonnen.

Als Diagnose wurde Angststörung und Depression gemischt gestellt. Sie habe nicht mal der Psychotherapeutin etwas vom Missbrauch erzählt.

Die Psychotherapie habe sie aufgehört, als es ihr besser ging.

Die Psychotherapeutin sei voreingenommen gewesen, die Schuld bei der Mutter gesehen. Zwei Jahre später sei es ihr wieder schlecht gegangen, sie hätte Selbstmordgedanken und körperliche Schmerzen verspürt. Die Hausärztin habe ihr Antidepressiva verschrieben. Nun bekomme sie traumaorientierte Psychotherapie, welche ihr sehr helfe, Sitzungen alle zwei Wochen.

Sie habe als Flüchtlingsbetreuerin gearbeitet, den Job, da es immer weniger Flüchtlinge gab, verloren.

Sie werde versuchen den Bachelor in Pädagogik zu machen.

Probleme bereiteten ihr Menschenmengen, sie werde dann angespannt und nervös.

Dr. XXXX habe sie nicht aussprechen lassen. Sie habe sie nicht ernst genommen, die Untersuchung habe in ihrer Privatwohnung stattgefunden, die Tochter der SV habe während der Untersuchung staubgesaugt.

Sie habe ca. ein Jahr Medikamente genommen Sertralin und Trittico abends, habe wegen der Nebenwirkungen (u.a. Übelkeit) abgenommen.

Nun nehme sie Seroquel 50 mg abends und 20 mg bei Bedarf.

Sie leide unter Kopfschmerzen, welche vom Nacken ausstrahlen. Sie versuche die Beschwerden mit Gymnastik, welche ihr dabei hilft, zu beherrschen.

Sie habe keine Panikattacken wie früher.

Mit 16a habe sie sich einer Freundin, mit 18a ihrem Freund anvertraut.

Die psychischen Probleme haben, als sie 11 a war begonnen.

Sie leide unter Panikattacken, Schlafstörung, körperlichen Beschwerden wie Rückenschmerzen, Magen-, Bauchproblemen, HWS Schmerzen, Harnverhalten.

Sie wohne in einer Gemeindewohnung mit ihrem Freund zusammen und beziehe Notstandshilfe. Es sei schwer auszuhalten, mit jemanden zu wohnen. Ihr sei die Selbstbestimmung wichtig.

Das Sexualleben gestalte sich wegen ihrer Erinnerungen schwierig.

Sie habe manchmal das Gefühl nicht in ihrem Körper zu sein, als ob sie nicht ihren Körper wäre und keine Kontrolle darüber hätte.

Bei Menschenansammlungen verspüre sie innere Anspannung.

Sie habe sich zuletzt vor einem Jahr am linken Unterarm geritzt, erstmalig mit 13 a.

Der Missbrauch habe zu Hause, im Schlafzimmer bei der Oma, im Schlafzimmer beim Onkel, im ganzen Haus und Garten stattgefunden.

Sie habe auf ihre Cousins aufgepasst, habe sich Sorgen um sie gemacht, habe Angst verspürt, dass der Onkel sich an seinen Kindern vergreife.

Sie könne keine Freundschaften pflegen und habe keine sozialen Kontakte, sie fühle sich sozial isoliert. sie habe einen Hund.

Orientierender neurologischer Befund:

Druckschmerz bds. paravertebral HWS, kein Hinweis auf eine radikuläre Symptomatik, keine Nackensteife, kein Augenzittern, Hirnnerven o.B.

Konfektionsschuhwerk wird getragen.

Das Gangbild ist symmetrisch mit seitengleichen Pendelbewegungen und angemessener Schrittlänge.

Im Bereich der oberen und unteren Extremitäten ergeben sich keine Hinweise auf eine radikuläre Symptomatik; die Sensibilität, Trophik, Motorik, Koordination und Muskeleigenreflexe sind regelrecht.

Somit kein Hinweis auf eine neurologisch bedingte psychiatrische Erkrankung.

Psychopathologischer Status

Während der Untersuchung war Frau XXXX allseits orientiert, in der Kontaktaufnahme reserviert, jedoch freundlich.

Die konzentrative Belastbarkeit, Aufmerksamkeit ebenso wie die Merkfähigkeit während einer über 1 Std. andauernden Untersuchung waren unauffällig. Die Schwingungsfähigkeit des Affektes war deutlich begrenzt, eher im negativen Bereich verankert, eine Affektlabilität war nicht festzustellen.

Das Denken war zeitweise beschleunigt, über Umwege das Ziel erreichend und in Summe aufeinander logisch aufbauend. Somatische und psychische Beschwerde wurden angegeben (unter eigenen Angaben vermerkt). Gebundene und frei flottierenden Ängste wurden berichtet, in der Untersuchungssituation nicht fassbar. Störungen der Wahrnehmung, illusionarische Realitätsverkennung, Halluzination oder Körpergefühlsstörungen oder anankastische Symptome auf psychischer Grundlage ließen sich nicht eruieren.

Belastende Ereignisse, Panikattacken und die vorgebrachten dissoziativen Zustände wurden, sachlich distanziert, ohne Betroffenheit und Nacherleben, und ohne dass bei der Untersuchten ein Mitschwingen mit den Belastungen und Gefühlen anzumerken war, vorgebracht. Eine tiefgreifende emotionale Beteiligung war kaum zu erkennen.

Die Stimmung etwas angespannt, sorgevoll.

Von den Merkmalen einer posttraumatischen Belastungsstörung fand sich weder auf der Beschwerden noch auf der Befundebene eines erfüllt. Genauso fanden sich bei der klinisch/ gutachterlichen Untersuchung keine Symptome einer depressiven Störung.

Schlafstörungen wurden angegeben, kein Hinweis auf akute Selbst- oder Fremdgefährdung.

Beantwortung der Fragestellungen

1. Welche psychischen Leiden liegen bei der Beschwerdeführerin vor?

Ad 1. Im Längsschnitt, basierend auf den Angaben der Untersuchten, der psychometrischen Austestung und im Querschnitt durch die eigene gutachterliche Untersuchung bestätigt, finden sich bei Frau XXXX Merkmale einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ ICD-IO F 60.3, anamnestisch rezidivierende depressive Störung, gegenwertig remittiert ICD-IO F33.4

2. Kann mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum zwischen 1999 und 2005 mehrmals von ihrem Onkel sexuell missbraucht wurde?

Ad 2. Diese Frage kann nicht mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beantwortet werden.

Bei der Beurteilung von Glaubhaftigkeit einer Person müssen erlebnisbasierte von nicht erlebnisbasierten Darstellungen unterschieden werden.

Folgende Konstellationen wären psychologisch möglich:

• Bei den zu prüfenden Aussagen handelt es sich um eine absichtliche Falschdarstellung.

• Bei den zu prüfenden Aussagen handelt es sich um subjektive, für wahr gehaltene, auf vermeintlichen "Erinnerungen" basierende Darstellung, deren Inhalt aber tatsächlich keine Entsprechung in der vorausgegangenen Realität hat.

Derartige Pseudoerinnerungen entwickeln sich in der Regel au/Basis fremd- und/ oder autosuggestiver Prozesse. (Beispielweise kann es bei psychotherapeutischen Methoden zur Bildung solcher Pseudoerinnerungen kommen.)

• Die Aussagen entsprechen der Realität.

Im gegenständlichen Fall sind sowohl realitätsbasierte als auch nicht erlebnisbasierte Aussagen denkbar.

3. Sind die bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Leiden mit Wahrscheinlichkeit auf das Verbrechen zurückzuführen? Auch hier ist betreffend die Wahrscheinlichkeit der Prüfungsmaßstab des VOG heranzuziehen.

Ad 3. Nein, ein kausaler Zusammenhang der psychischen Leiden mit dem Verbrechen lässt sich im Lichte der wissenschaftlichen Literatur und der Lehrmeinung nicht belegen.

4. Falls das Verbrechen nicht die alleinige Ursache ist, wird um Beurteilung ersucht, ob das Verbrechen als wesentliche Ursache zum derzeitigen Leidenszustand beigetragen hat.

Ad 4. Entfällt

5. Falls die Kausalität verneint wird, wird um Stellungnahme ersucht, worauf der festgestellte Leidenszustand zurückzuführen ist.

Ad 5. Die Pathogenese der Persönlichkeitsstörungen, so auch die der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ (Borderline Personality Disorder BPS) ist nicht restlos geklärt. Als entstehungsverantwortliche Faktoren werden neurobiologische Prädisposition, konstitutionelle Schwäche im Umgang mit Stressoren und gestörte Regulation der Affekte, Störung der emotionalen frühkindlichen Bindung, sowie in der Kindheit und Pubertät erlittene Traumata. Zu denen zählen auch Misshandlungen oder/und Missbrauch im Kindes- und Jugendalter. Nie zeichnet ein Faktor allein für die Ausbildung dieser Störung verantwortlich. In der Biografie der BF sind mehrere belastende Lebensereignisse zu erheben, es ist nicht mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit abzugrenzen, welches für das gegenwärtige psychische Zustandsbild überwiegend verantwortlich ist. Wobei nicht Außeracht gelassen werden darf, dass belastende Lebensereignisse nur ein Teil der mitverantwortlichen Faktoren sind.

Personen mit emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ haben ein höheres Risiko an Depression, Panikstörung, Agoraphobie zu erkranken.

6. Falls die Kausalität bejaht wird, wird um Stellungnahme ersucht, ob das festgestellte verbrechenskausale Leiden

a. eine adäquate/angemessene Folge des Verbrechens ist?

b. einer psychotherapeutischen Behandlung bedarf?

Ad 6. Entfällt

7. Es wird um ausführliche Stellungnahme zu den Einwendungen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde und der im Akt befindlichen Befunde und

8. Begründung einer eventuell vom bisherigen Ergebnis abweichenden Beurteilung ersucht.

Ad 7. und 8. Für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung fehlen, in der im Akt befindlichen medizinischen Dokumentation, die charakteristischen, für die Diagnose obligaten Symptome: neben dem auslösenden Trauma, Intrusionen, Hyperarousal und Vermeidung. Zudem ist der Beginn dieser Störung nicht feststellbar. Als diagnostische Leitlinie gilt, dass dieses Krankheitsbild diagnostiziert werden kann, wenn es verzögert, jedoch innerhalb von sechs Monaten nach einem Trauma von außergewöhnlicher Schwere, und nicht Jahre danach, aufgetreten ist.

Prinzipiell ist zu der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung anzumerken, dass diese Störung in der Regel innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten ab der Erstmanifestation abklingt. Es gibt jedoch auch chronische Verläufe und in Einzelfällen ein verzögertes Auftreten der Störung mehrere Monate nach der Traumatisierung.

Die Diagnose einer Anpassungsstörung wurde von der SV XXXX im Kontext des laufenden und sicher für die BF belastenden Verfahrens gestellt.

Die Anpassungsstörung kann eine längere depressive Reaktion ICD-IO F43.21 als Antwort auf eine länger anhaltende Belastungsreaktion hervorrufen. Diese darf lt. ICD 10 Kriterien die Dauer von 2 Jahren nicht überschreiten.

Zu den Einwendungen der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Gestaltung und Dauer der Untersuchung durch Dr. XXXX können keine Aussagen getroffen werden.

Zur Reliabilität der psychometrischen Verfahren hat die Unterfertige im Kommentar zu Ergebnissen der psychologischen Untersuchung durch Dr. XXXX Stellung bezogen."

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.01.2020 wurden der Beschwerdeführerin sowie der belangten Behörde das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung dazu Stellung zu nehmen.

Beide Parteien gaben keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin. Sie beantragte am 05.03.2018 beim Sozialministeriumservice die Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach dem Verbrechensopfergesetz.

Es kann nicht mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte, rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten hat und ihr dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung zur österreichischen Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführerin basiert auf dem von ihr bei Antragsstellung vorgelegten Personalausweis.

Die Feststellung zum gegenständlichen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz basiert auf dem Akteninhalt.

Die Beschwerdeführerin gibt an, zwischen 1999 und 2005 mehrmals vom Mann ihrer Tante schwer sexuell missbraucht worden zu sein. Sie erstattete 2017 Anzeige bei der Polizei. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18.07.2018 wurde der Onkel der Beschwerdeführerin vom Vorwurf, im Jahr 1999 mit der damals unmündigen Beschwerdeführerin eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen bzw. in den Jahren 1999 und 2003 geschlechtliche Handlungen an der unmündigen Beschwerdeführerin vorgenommen zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Als Grund für den Freispruch wurde ausgeführt, dass aufgrund bestehender Zweifel, welche nicht gravierend, aber doch derart gestaltet waren, dass ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden konnte, ein Schuldspruch nicht auszusprechen war.

Für die Zuerkennung einer Leistung nach dem VOG gilt nicht der strafrechtliche Maßstab, wonach der angeklagte Sachverhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden muss. Außerdem ist die belangte Behörde im Falle eines freisprechenden Urteils nicht an die Entscheidung des Strafgerichtes gebunden (VwGH 26.04.2016, Ra 2016/03/0009, bzgl VOG VwGH 21.08.2014, 2013/11/0251). Dennoch muss das Vorliegen eines Verbrechens - und in weiterer Folge einer daraus erlittenen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung - nach dem VOG mit Wahrscheinlichkeit gegeben sein.

Die Beschwerdeführerin gab an, dass sie bereits im Teenageralter - und somit Jahre vor der Erstattung der Strafanzeige - einigen SchulfreundInnen von den Übergriffen des Onkels erzählt habe. Die Zeugen XXXX , geb. XXXX , und XXXX gaben jeweils sowohl in der polizeilichen Zeugenvernehmung als auch in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien an, dass die Beschwerdeführerin ihnen vor Jahren von Übergriffen sexuellen Übergriffen des Onkels erzählt habe, wobei beide sich auf Befragen nicht erinnern konnten, dass die Beschwerdeführerin nähere Details dazu angegeben habe. Sämtliche andere als Zeugen befragte Personen, wie die Mutter und Schwester der Beschwerdeführerin, sagten aus, persönlich keine Wahrnehmungen von Übergriffen des Onkels auf die Beschwerdeführerin zu haben. Der Angeklagte bekannte sich zu sämtlichen angeklagten Vorwürfen nicht schuldig und bestritt einen Missbrauch an der Beschwerdeführerin. In ihrer Stellungnahme vom 19.1.2018 brachte die Beschwerdeführerin vor, dass der Angeklagte selbst zugeben habe, sexuellen Missbrauch begangen zu haben, wobei bereits das Berühren der Geschlechtsteile darunterfalle. Diese Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung, wonach er "sie dabei auch an den Brüsten betastet" habe, bezogen sich allerdings auf die Schwester der Beschwerdeführerin. Übergriffe gegenüber der Beschwerdeführerin gab der Angeklagte nicht zu. Aus dem Strafakt ist zwar erkennbar, dass der Angeklagte immer wieder durchaus unangebrachte, verbale sexuelle Anspielungen, insbesondere auch der Schwester der Beschwerdeführerin gegenüber, getätigt hatte, was von den Familienangehörigen bestätigt und vom Angeklagten selbst auch eingeräumt wurde, daraus lässt sich jedoch ebenfalls kein Verbrechen gegenüber der Beschwerdeführerin ableiten.

Dass der von der Beschwerdeführerin angegebene Missbrauch stattgefunden hat, ist zwar möglich, kann jedoch nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angegeben werden. Dies wird auch von der seitens des Bundesverwaltungsgerichtes beauftragten psychiatrischen Sachverständigen bestätigt, die ausführt, dass sowohl realitätsbasierte als auch nicht erlebnisbasierte Aussagen der Beschwerdeführerin denkbar sind.

Die psychiatrische Sachverständige stellte in ihrem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 22.11.2019 erstatteten Gutachten vom 11.01.2020 weiters fest, dass die Beschwerdeführerin an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ leidet. Dieses Leiden wurde auch von der die Beschwerdeführerin laufend behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin (vgl. die vorgelegten Arztbriefe vom 01.02.2018 und 15.11.2018) sowie der behandelnden Psychotherapeutin (vgl. die Stellungnahme vom 03.04.2018) bestätigt. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem angegebenen Verbrechen und dem psychischen Leiden lässt sich jedoch nicht belegen. Die Sachverständige führt dazu schlüssig aus, dass aus der Biografie der Beschwerdeführerin mehrere belastende Lebensereignisse zu erheben seien, weshalb sich nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit abgrenzen lasse, welches für das gegenwärtige psychische Zustandsbild überwiegend verantwortlich sei, und darüber hinaus belastende Lebensereignisse nur ein Teil der mitverantwortlichen Faktoren für das Entstehen der diagnostizierten Persönlichkeitsstörung seien. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte posttraumatische Belastungsstörung ist nicht objektivierbar, weil dazu im Akt sowohl die charakteristischen Symptome (neben dem auslösenden Trauma Intrusionen, Hyperarousal und Vermeidung) fehlen als auch der Beginn der Störung nicht feststellbar ist. Dieses Krankheitsbild könne diagnostiziert werden, wenn es verzögert, jedoch innerhalb von sechs Monaten nach einem Trauma von außergewöhnlicher Schwere, und nicht Jahre danach, aufgetreten sei.

Da im gegenständlichen Fall bereits das Vorliegen einer durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, kann auch eine weitere Untersuchung, ob die bestehende Gesundheitsschädigung mit Wahrscheinlichkeit auf die angeschuldigten Ereignisse zurückzuführen ist, unterbleiben.

Die Beschwerdeführerin gab im Rahmen des ihr eingeräumten Parteiengehörs keine Stellungnahme zum Sachverständigengutachten vom 11.01.2020 ab.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruhenden Sachverständigengutachtens einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 11.01.2020 und wird dieses in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes lauten auszugsweise:

"Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1.

(1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2. durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3. als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn

1. die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,

2. die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder

3. der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.

(3) Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn

1. dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder

2. durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.

(4) Hatte die Handlung im Sinne des Abs. 1 den Tod eines Menschen zur Folge, dann ist den Hinterbliebenen, für deren Unterhalt der Getötete nach dem Gesetz zu sorgen hatte, Hilfe zu leisten, wenn sie österreichische Staatsbürger sind und ihnen durch den Tod der Unterhalt entgangen ist. Die Kostenübernahme gemäß § 4 Abs. 5 erfolgt unabhängig vom Vorliegen eines tatsächlichen Unterhaltsentganges.

(5) Kindern ist Hilfe gemäß Abs. 4 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu leisten. Darüber hinaus ist ihnen auch dann Hilfe zu leisten, wenn sie

1. wegen wissenschaftlicher oder sonstiger regelmäßiger Schul- oder Berufsausbildung sich noch nicht selbst erhalten können, bis zur ordnungsmäßigen Beendigung der Ausbildung, längstens jedoch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Kindern, die eine im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, gebührt die Hilfe nur dann, wenn sie ein ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 311/1992, betreiben;

2. infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sofern das Gebrechen vor Vollendung des 18. Lebensjahres oder während des in Z 1 bezeichneten Zeitraumes eingetreten ist und solange dieser Zustand dauert.

(6) Hilfe ist Unionsbürgern sowie Staatsbürgern von Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in gleicher Weise wie österreichischen Staatsbürgern zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1

1. im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde oder

2. im Ausland begangen wurde, die betroffenen Personen ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben und die Handlung nach dessen Begründung begangen wurde.

(7) Hilfe ist ferner den nicht in den Abs. 1 und 6 genannten Personen zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1 nach dem 30. Juni 2005 im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde und sie sich zum Zeitpunkt der Handlung dort rechtmäßig aufgehalten haben. Wurde ein unrechtmäßiger Aufenthalt zum Tatzeitpunkt durch einen erlittenen Menschenhandel bewirkt, ist Personen Hilfe solange zu leisten, als sie dafür über ein Aufenthaltsrecht für besonderen Schutz verfügen oder im Anschluss daran weiterhin aufenthaltsberechtigt sind und sie sich gewöhnlich im Inland aufhalten.

(8) Einer Körperverletzung und einer Gesundheitsschädigung im Sinne des Abs. 1 stehen die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, insbesondere einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich, wenn die zur Beschädigung führende Handlung nach Abs. 1 nach dem 30. Juni 2005 begangen wurde. Der Ersatz und die Reparatur richten sich nach § 5 Abs. 2.

Hilfeleistungen

§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:

1. Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;

2. Heilfürsorge

a) ärztliche Hilfe,

b) Heilmittel,

c) Heilbehelfe,

d) Anstaltspflege,

e) Zahnbehandlung,

f) Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit (§ 155 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955);

2a. Kostenübernahme bei Krisenintervention durch klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen sowie Psychotherapeuten;

3. orthopädische Versorgung

a) Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, deren Wiederherstellung und Erneuerung,

b) Kostenersatz für Änderungen an Gebrauchsgegenständen sowie für die Installation behinderungsgerechter Sanitärausstattung,

c) Zuschüsse zu den Kosten für die behinderungsgerechte Ausstattung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,

d) Beihilfen zur Anschaffung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,

e) notwendige Reise- und Transportkosten;

4. medizinische Rehabilitation

a) Unterbringung in Krankenanstalten, die vorwiegend der Rehabilitation dienen,

b) ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe, wenn diese Leistungen unmittelbar im Anschluß oder im Zusammenhang mit der unter lit. a angeführten Maßnahme erforderlich sind,

c) notwendige Reise- und Transportkosten;

5. berufliche Rehabilitation

a) berufliche Ausbildung zur Wiedergewinnung oder Erhöhung der Erwerbsfähigkeit,

b) Ausbildung für einen neuen Beruf,

c) Zuschüsse oder Darlehen (§ 198 Abs. 3 ASVG 1955);

6. soziale Rehabilitation

a) Zuschuß zu den Kosten für die Erlangung der Lenkerberechtigung, wenn auf Grund der Behinderung die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht zumutbar ist,

b) Übergangsgeld (§ 306 ASVG 1955);

7. Pflegezulagen, Blindenzulagen;

8. Ersatz der Bestattungskosten;

9. einkommensabhängige Zusatzleistung;

10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

...

Heilfürsorge

§ 4

...

(5) Erbringt der Träger der Krankenversicherung auf Grund der Satzung dem Opfer oder dem Hinterbliebenen einen Kostenzuschuß für psychotherapeutische Krankenbehandlung infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1, so sind die Kosten für die vom Träger der Krankenversicherung bewilligte Anzahl der Sitzungen, die das Opfer oder der Hinterbliebene selbst zu tragen hat, bis zur Höhe des dreifachen Betrages des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung zu übernehmen. Sobald feststeht, dass der Träger der Krankenversicherung einen Kostenzuschuss erbringt, kann vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auch eine Direktabrechnung der Kosten mit dem Psychotherapeuten unter Bevorschussung des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung vorgenommen werden, in diesem Fall ist der geleistete Kostenzuschuss vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zu vereinnahmen. Eine Kostenübernahme bis zum angeführten Höchstausmaß erfolgt auch, sofern der Träger der Krankenversicherung Kosten im Rahmen der Wahlarzthilfe erstattet.

..."

Im gegenständlichen Fall kann nicht mit der im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin durch eine mit mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte, rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Auslegung des Begriffes "wahrsch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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