Entscheidungsdatum
21.02.2020Norm
BAO §278 Abs1Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch den Richter Hofrat Mag. Hubmayr über die Beschwerde des Herrn A vom 30. Juli 2019 gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wiener Neustadt vom 3. Juli 2019, Zahl: ***, mit welchem über eine Berufung gegen einen Abgabenbescheid des Magistrates der Stadt Wiener Neustadt vom 16. Jänner 2019, Kunden-Nummer: ***, betreffend die Vorschreibung einer jährlichen Kanalbenützungsgebühr ab 1. April 2018, entschieden wurde, den
BESCHLUSS:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Stadtsenat der Stadt Wiener Neustadt zurückverwiesen.
2. Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 278 Abs.1 Bundesabgabenordnung – BAO
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Begründung:
1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:
Herr A (in der Folge: Beschwerdeführer) ist grundbücherlicher Eigentümer der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft in ***, *** (KG ***; EZ ***, Grst.Nr. .***).
Sein Eigentumsrecht wurde aufgrund eines Kaufvertrages vom 20. Oktober 2017 mit Beschluss des Bezirksgerichtes *** vom 22. März 2018, ***, ins Grundbuch eingetragen.
Mit einer im Betreff mit „Lastschriftanzeige/Rechnung (gem. § 11 Umsatzsteuergesetz) Grundbesitzabgaben 1. Quartal 2019“ bezeichneten Erledigung des Magistrates der Stadt Wiener Neustadt vom 18. Jänner 2019, Kundennummer ***, Rechnungsnr. ***, wurde der Beschwerdeführer vom Eintritt der Fälligkeit verschiedener Abgabenbeträge (Grundsteuer, Wasserbezugsgebühr, Kanalbenützungsgebühr, Abfallwirtschaftsgebühr u.a.) für das 1. Quartal 2019 verständigt.
Für die Kanalbenützungsgebühr wurde für den Zeitraum 1. April 2018 bis 31. März 2019 ein Betrag von € 540,38 ausgewiesen.
Mit einem Abgabenbescheid des Magistrates der Stadt Wiener Neustadt vom 16. Jänner 2019, Kunden-Nummer: ***, wurde dem Beschwerdeführer für die verfahrensgegenständliche Liegenschaft die jährliche Kanalbenützungsgebühr ab 1. April 2018 im Betrag von € 2.126,07 vorgeschrieben. Der Vorschreibung wurden ein Einheitssatz von € 3,00 sowie eine Berechnungsfläche von 708,69 m² zu Grunde gelegt.
Mit Schreiben vom 6. Februar 2019 erhob Herr A dagegen fristgerecht das ordentliche Rechtsmittel der Berufung. In diesem Schreiben brachte der Beschwerdeführer vor, dass die rückwirkende Festsetzung ab 1. April 2018 unzulässig sei bzw. der Festsetzung ein bereits für den Zeitraum 1. April 2018 bis 31. März 2019 erlassener Bescheid entgegenstehe. Zudem sei die Vorschreibung falsch berechnet, da die Hausanlage sei Jahresbeginn 2018 zu 50 % und per Ende März 2018 zur Gänze leer stehe und renoviert werde. Es liege daher ein Härtefall im Sinne des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 vor.
Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde durch die Abgabenbehörde ein Gutachten eines Ziviltechnikers für Wasserwirtschaft eingeholt.
In diesem Gutachten vom 30. April 2019 führte der beigezogene Sachverständige u.a. aus, dass für die Berechnung der Einwohnergleichwerte der Wasserverbrauch für das Betrachtungsjahr 2017 herangezogen werde. Der Wasserverbrauch für die Stadt *** aufgrund der Aufzeichnungen des Wasserwerkes werde dem Wasserverbrauch auf der konkreten Liegenschaft, jeweils im Jahr 2017, gegenübergestellt. Aus dem Wasserverbrauch von 1591 m³ im Jahr 2017 auf der Liegenschaft ergebe sich eine Belastung von 23,06 EGW bzw. würden bei 708,69 m² Berechnungsfläche 30,73 m² auf ein EGW entfallen. Diese Belastung im Jahr 2017 würde unter (?) der Durchschnittsbelastung in der Stadt *** liegen, weshalb im Jahr 2018 keine Reduktion der Kanalbenützungsgebühr vorzunehmen sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Berufungsbescheid des Stadtsenates der Stadt Wiener Neustadt vom 3. Juli 2019, Zahl: ***, wurde der Abgabenbescheid dahingehend abgeändert, dass die Abgaben – eingeschränkt auf den Vorschreibungszeitraum vom 1. April 2018 bis 31. Dezember 2018 – aliquot neu festgesetzt wurde mit € 1.594,56 (3/4 des Jahresbetrages) bei sonst gegenüber dem erstinstanzlichen Bescheid unveränderten Berechnungsgrundlagen. Die zugrunde gelegte Berechnungsfläche betrage unbestritten („wie vom Berufungswerber auch vorgebracht“) 708,69 m². Aufgrund des eingeholten Gutachtens des Sachverständigen für die Siedlungswasserwirtschaft vom 30. April 2019 ergebe sich schlüssig und plausibel, dass kein Missverhältnis vorliege und sich für 2018 keine Reduktion der Kanalbenützungsgebühr ergebe.
Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die Beschwerde des Herrn A vom 30. Juli 2019. In der Bescheidbegründung werde auf ein dem Beschwerdeführer nicht vorliegendes Gutachten verwiesen. Der Beschwerdeführer habe aufgrund der Totalsanierung seines Objektes ab März 2018 das Vorliegen eines Härtefalls eingewendet, worüber die Messung aus dem Jahr 2017 nichts aussagen könne. Auf den einer Vorschreibung entgegenstehenden vorangegangen rechtskräftigen Kanalbescheid sei nicht eingegangen worden.
Beschwerde und bezughabender Verwaltungsakt wurden vom Magistrat der Stadt Wiener Neustadt dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich am 13. September 2019 (einlangend) zur Entscheidung vorgelegt.
Das Landesverwaltungsgericht hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den vorgelegten unbedenklichen Verwaltungsakt.
2. Anzuwendende Rechtsvorschriften:
2.1. Bundesabgabenordnung (BAO):
§ 1. (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.
§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden. …
§ 115. (1) Die Abgabenbehörden haben die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind.
…
§ 278. (1) Ist die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes
a) weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen
(§ 260) noch
b) als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1) oder als gegenstandlos (§ 256 Abs. 3, § 261) zu erklären,
so kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
…
§ 288. (1) Besteht ein zweistufiger Instanzenzug für Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden, so gelten für das Berufungsverfahren die für Bescheidbeschwerden und für den Inhalt der Berufungsentscheidungen die für Beschwerdevorentscheidungen anzuwendenden Bestimmungen sinngemäß. Weiters sind die Beschwerden betreffenden Bestimmungen (insbesondere die §§ 76 Abs. 1 lit. d, 209a, 212 Abs. 4, 212a und 254) sowie § 93 Abs. 3 lit. b und Abs. 4 bis 6 sinngemäß anzuwenden.
…
2.2. NÖ Kanalgesetz 1977, LGBl. 8230:
§ 5 Kanalbenützungsgebühr
(1) Für die Möglichkeit der Benützung der öffentlichen Kanalanlage ist eine jährliche Kanalbenützungsgebühr zu entrichten, wenn der Gemeinderat die Einhebung einer solchen Gebühr beschlossen hat.
(2) Die Kanalbenützungsgebühr errechnet sich aus dem Produkt der Berechnungsfläche und dem Einheitssatz zuzüglich eines schmutzfrachtbezogenen Gebührenanteiles. Dieser wird nur dann berücksichtigt, wenn die eingebrachte Schmutzfracht den Grenzwert von 100 Berechnungs-EGW überschreitet. Werden von einer Liegenschaft in das Kanalsystem Schmutzwässer und Niederschlagswässer eingeleitet, so gelangt in diesem Fall ein um 10 % erhöhter Einheitssatz zur Anwendung.
(3) Die Berechnungsfläche ergibt sich aus der Summe aller an die Kanalanlage angeschlossenen Geschoßflächen. Die Geschoßfläche angeschlossener Kellergeschoße und nicht angeschlossener Gebäudeteile wird nicht berücksichtigt. Angeschlossene Kellergeschoße werden jedoch dann berücksichtigt, wenn eine gewerbliche Nutzung vorliegt, ausgenommen Lagerräume, die mit einem Unternehmen im selben Gebäude in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Wird die Liegenschaft trotz bestehender Anschlußverpflichtung nicht an die Kanalanlage angeschlossen, so ist die Berechnungsfläche so zu ermitteln, als ob die Liegenschaft an die Kanalanlage angeschlossen wäre.
(…)
§ 5b Vermeidung von Härtefällen
(1) Ergibt sich bei der Berechnung der Kanalbenützungsgebühr ein offensichtliches Mißverhältnis, zwischen der berechneten Höhe und dem verursachten Kostenaufwand, so ist die Kanalbenützungsgebühr entsprechend der tatsächlichen Inanspruchnahme, unter Berücksichtigung der sonst in der Gemeinde zu entrichtenden Kanalbenützungsgebühren höchstens jedoch um 80 % zu vermindern.
(2) Ein offensichtliches Mißverhältnis im Sinne des Abs. 1 liegt jedenfalls vor, wenn die Schmutzfracht pro 300 m² Berechnungsfläche bei widmungsgemäßer Verwendung geringer als ein EGW ist.
(3) Eine Verminderung der Kanalbenützungsgebühr kommt nur dann in Betracht, wenn die Berechnungsfläche mehr als 700 m² beträgt.
§ 9 Abgabepflichtiger
Die Kanalerrichtungsabgabe und Kanalbenützungsgebühr sind unabhängig von der tatsächlichen Benützung der öffentlichen Kanalanlage von jedem Liegenschaftseigentümer zu entrichten, für dessen Liegenschaft die Verpflichtung zum Anschluß besteht oder der Anschluß bewilligt wurde. …
3. Würdigung:
3.1. Zu Spruchpunkt 1:
Mit dem angefochtenen Berufungsbescheid wurde (in zweiter Instanz) dem Beschwerdeführer für die verfahrensgegenständliche Liegenschaft eine jährliche Kanalbenützungsgebühr ab 1. April 2018 „für die Benützung des öffentlichen Kanals“ vorgeschrieben.
Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen, dieser Vorschreibung stehe bereits ein rechtskräftiger Bescheid entgegen, ist festzuhalten, dass es sich bei der „Vorschreibung“ vom 18. Jänner 2019 für den Zeitraum 1. April 2018 bis 31. März 2019 eben nicht um einen Bescheid handelte, sondern nur um die Verständigung über eine vermeintlich offene Forderung.
Bei dem Schreiben vom 18. Jänner 2019 handelte es sich um eine Lastschriftanzeige, mit der der Beschwerdeführer an die Fälligkeit der darin genannten Abgaben im ersten Quartal 2019 erinnert wurde. Durch dieses Schreiben wurden keine Kanalbenützungsgebühren oder sonstige Abgaben festgesetzt. Dieses Schreiben stellt eine Zahlungserinnerung dar, mit welcher auf die eintretende Fälligkeit des Vierteljahresbetrages dieser Abgaben hingewiesen wurde.
Eine Zahlungsverpflichtung zur Abgabenentrichtung wurde durch dieses Schreiben jedoch nicht begründet. Eine solche Zahlungsverpflichtung kann nur mit einem gesonderten Abgabenbescheid begründet werden. Das Schreiben 18. Jänner 2019 enthält keine Vorschrift, durch welche eine Verpflichtung zur Entrichtung einer Abgabe begründet werden könnte.
Gemäß § 93 Abs. 2 BAO hat ein Bescheid einen Spruch zu enthalten.
Entsprechend der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes fehlt einem Verwaltungsakt, der keinen bestimmten Spruch enthält, die Rechtsqualität als Bescheid.
Durch die Erledigung des Magistrates 18. Jänner 2019 wurde keine bestimmte Abgabe festgesetzt. Das Schreiben stellt sich dem Inhalt nach als Verständigung dar, durch die der Beschwerdeführer über Art, Höhe und Zeitpunkt seiner Zahlungsverpflichtungen bzw. über ein bestehendes Guthaben unterrichtet wurde. Durch diese informelle Mitteilung konnte eine Zahlungspflicht jedenfalls nicht begründet werden. Bestand und Höhe der Abgabenschuld können nicht vom Inhalt einer derartigen Verständigung abhängen. Selbst wenn die Rückseite des Schreibens verschiedene Formeln für Lastschriftanzeigen, Mahnungen oder Bescheide enthält, ist anzumerken, dass diese Angaben keinesfalls konstitutiv wirken, sondern jedenfalls der normative Gehalt der Erledigung insgesamt maßgeblich für die Beurteilung der Bescheidqualität ist.
Da durch diese Erledigung keine Verpflichtung zur Entrichtung der Abgabe begründet wurde, kommt ihr auch kein normativer Inhalt zu, sie enthält daher keinen Spruch. Eine Zahlungsverpflichtung zur Abgabenentrichtung (z.B. zur Entrichtung einer Kanalbenützungsgebühr) wurde durch dieses Schreiben jedenfalls nicht begründet, sodass vom Vorliegen eines normativen Spruches nicht gesprochen werden kann. Es handelt sich daher schon aus diesem Grund nicht um einen Bescheid, sondern um eine bloße Verständigung, eben eine Lastschriftanzeige.
Eine Lastschriftanzeige („Quartalsvorschreibung“) vermag eine Verpflichtung zur Entrichtung einer Abgabe nicht zu begründen, sondern erinnert lediglich an eine bestehende Abgabenzahlungspflicht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 26. September 1985, 85/14/0127, ausgesprochen, dass Lastschriftanzeigen keine Bescheide sind.
Die Lastschriftanzeige ist eine öffentliche Urkunde, jedoch kein Bescheid (VwGH 87/13/0104, 0105). Dementsprechend konnte diese Erledigung auch keine entschiedene Sache begründen und steht der Festsetzung der jährlichen Kanalbenützungsgebühr ab 1. April 2018 auch nicht entgegen.
Zweifel am Bestehen einer Abgabenschuld des Beschwerdeführers hinsichtlich der jährlichen Kanalbenützungsgebühr ab 1. April 2018 sind beim Verwaltungsgericht im Hinblick auf das Bestehen eines Hauskanalanschlusses sowie des verbücherten Eigentumsrechtes des Beschwerdeführers zu diesem Zeitpunkt nicht entstanden.
Zu dem von den Abgabenbehörden festgestellten Ausmaß der Berechnungsfläche ist festzuhalten, dass seitens des Beschwerdeführers im Verfahren weder das tatsächliche Ausmaß der Geschoßflächen noch die Zahl der angeschlossenen Geschoße bestritten wurden.
Aufgrund der gegenständlichen Beschwerde ist vor allem strittig, ob die Härteklausel des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 anwendbar sei und gegebenenfalls ob für die konkrete Liegenschaft ein zu berücksichtigender Härtefall zu einer Minderung der Kanalbenützungsgebühr führen könne.
Bei der Kanalbenützungsgebühr handelt es sich um eine Gebühr für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und Gemeindeanlagen (vgl. § 15 Abs.3 Z.4 FAG 2008). Gebührentatbestand ist die Möglichkeit zur Benützung der öffentlichen Kanalanlagen. Dafür ist vom Liegenschaftseigentümer eine flächenbezogen berechnete Gebühr zu entrichten. Werden jedoch von einer Liegenschaft besonders geringe Mengen an Abwässern bei großem Flächenausmaß eingeleitet, so ist die Gebühr entsprechend der tatsächlichen Inanspruchnahme des Kanals zu vermindern (Vermeidung von Härtefällen, vgl. § 5b NÖ Kanalgesetz 1977).
Den Erläuterungen zur Novelle LGBl. 8230-2 zufolge lag dem als Vermeidung von Härtefällen bezeichneten § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 die Überlegung des Gesetzgebers zugrunde, dass die im NÖ Kanalgesetz 1977 etablierte flächenbezogene Berechnungsmethode zu Härten führt, wenn ein flächenmäßig sehr großes Gebäude in Relation zur Fläche eine verhältnismäßig geringe Abwassermenge verursacht. Mit der Regelung zur Vermeidung von Härtefällen wollte der Gesetzgeber für diese Fälle ein Korrektiv zur Vermeidung von Härtefällen außerhalb eines Nachsichtsverfahrens schaffen (vgl. Ltg.-162/A-1/21-1985, 5).
Zweck dieser Regelungen ist es demnach, eine verursachergerechte Berechnung der Kanalbenützungsgebühr zu ermöglichen, um dadurch allfällige Unsachlichkeiten, die sich aus der schematischen Anwendung der flächenbezogenen Gebührenberechnung ergeben könnten, hintanzuhalten.
Dabei kommt es auf den tatsächlich für die Schmutzwasserentsorgung entstehenden Kostenaufwand an (vgl. VwGH 94/17/0373).
Die Anwendung von § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 ist gemäß dessen Abs. 3 an die Voraussetzung geknüpft, dass die Berechnungsfläche mehr als 700 m² beträgt.
Die Kanalbenützungsgebühr ist – wie sich aus den §§ 5 Abs. 3 und 9 NÖ Kanalgesetz 1977 ergibt – eine liegenschaftsbezogene Gebühr. Maßgeblich für das Überschreiten des im § 5b Abs. 3 NÖ Kanalgesetz 1977 vorgesehenen Schwellenwerts ist die sich für die Liegenschaft in ihrer Gesamtheit ergebende Berechnungsfläche. Die von den Abgabenbehörden ermittelte Berechnungsfläche (wie im Abgabenbescheid festgesetzt) beträgt 708,69 m². Somit ist die Voraussetzung des § 5b Abs. 3 NÖ Kanalgesetz 1977 durch das Überschreiten des dort geregelten Schwellenwertes von 700 m² für die verfahrensgegenständliche Liegenschaft erfüllt. Dies allein führt schon zwingend zur Anwendbarkeit von § 5b Abs. 1 und 2 NÖ Kanalgesetz 1977.
Die Prüfung, ob ein Härtefall im Sinn der genannten Bestimmung vorliegt, ist von der Abgabenbehörde amtswegig durchzuführen. § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 hat nämlich nicht den Charakter einer Ausnahmebestimmung, die nur auf Antrag des Abgabenpflichtigen jeweils im Einzelfall anzuwenden wäre. Vielmehr ist § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 schon bei der Festsetzung der Kanalbenützungsgebühr stets von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Abgabenbehörde ist gemäß § 115 Abs. 1 BAO dazu verpflichtet, den zur Prüfung des Vorliegens der in § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 genannten Voraussetzungen erforderlichen Sachverhalt vom Amts wegen zu erheben.
Der in § 115 Abs. 1 BAO verankerte Amtswegigkeits- und Untersuchungsgrundsatz („Die Abgabenbehörden haben die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln …“) legt den Abgabenbehörden die Verpflichtung zur Ermittlung des entscheidenden tatsächlichen Sachverhaltes auf. Die Rechtsnatur des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 begründet keine erhöhte Mitwirkungspflicht des Abgabepflichtigen, wie dies etwa bei antragsbedürftigen begünstigenden Verwaltungsakten (wie der Gewährung von Nachsicht oder Stundung oder im Haftungsverfahren) der Fall wäre.
Ein Abgabenpflichtiger hat einen Rechtsanspruch auf Verminderung der Kanalbenützungsgebühr, wenn die in § 5b Abs. 1 und 2 NÖ Kanalgesetz 1977 genannten Voraussetzungen zutreffen, ein darauf gerichteter Antrag ist nicht erforderlich (VwGH 94/17/0373).
§ 5b Abs. 1 und 2 NÖ Kanalgesetz 1977 zufolge sind der Gebührenanteil für die Schmutzwasserentsorgung dem tatsächlich aufgrund der Benutzung der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft für die Schmutzwasserentsorgung entstehenden Kostenaufwand gegenüberzustellen. Für die Gegenüberstellung sind grundsätzlich die jeweiligen Jahreswerte der genannten Ansätze maßgebend (VwGH 94/17/0373).
Die Verminderung der Kanalbenützungsgebühr ist nur geboten, wenn die vorstehend angeführte Gegenüberstellung ein offensichtliches Missverhältnis offenbart.
Das Missverhältnis muss zwischen dem Gebührenanteil für die Schmutzwasserentsorgung und den tatsächlich für die Schmutzwasserentsorgung entstehenden Kosten entstehen (VwGH 97/17/0460).
Ein offensichtliches Missverhältnis im Sinne des § 5b Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 liegt nach § 5b Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977 jedenfalls dann vor, wenn die Schmutzfracht pro 300 m² Schmutzwasserberechnungsfläche bei widmungsgemäßer Verwendung geringer als ein Einwohnergleichwert ist. Was als offensichtliches Missverhältnis anzusehen ist, ist damit aber nicht abschließend geregelt. Nach der Rechtsprechung kann ein offensichtliches Missverhältnis vielmehr auch in anderen Fällen vorliegen (VwGH 94/17/0373).
Ein offensichtliches Missverhältnis oder gar die Anwendbarkeit des § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 überhaupt ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Schmutzfracht pro 300 m² Schmutzwasserberechnungsfläche bei widmungsgemäßer Verwendung nicht geringer als ein Einwohnergleichwert ist. Selbst wenn dies in einem Fall zutreffen sollte, schließt dies keinesfalls aus, dass nicht trotzdem ein Missverhältnis gemäß § 5 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 vorliegen könnte.
§ 5 Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977 legt nämlich nur einen exemplarischen Fall dar, bei dessen Vorliegen „jedenfalls“ vom Vorliegen eines Missverhältnisses auszugehen wäre. Dies bedeutet aber, dass ein offensichtliches Missverhältnis nicht nur dann vorliegt, wenn § 5 Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977 erfüllt ist, sondern auch in anderen Fällen vorliegen kann.
Die belangte Behörde führte bei der Beurteilung des Vorliegens eines Härtefalles nach § 5b NÖ Kanalgesetz 1977 zunächst aus, dass die Voraussetzungen des § 5b Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977 nicht erfüllt seien und prüfte weiters, ob ein offensichtliches Missverhältnis nach § 5b Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 gegeben sei.
Diesbezüglich stützte sie sich ausschließlich auf die Ausführungen des eingeholten Gutachtens, welches schlüssig und plausibel sei.
Auch das Landesverwaltungsgericht trifft die Verpflichtung, im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung ein Gutachten eines Sachverständigen auf seine Richtigkeit, Vollständigkeit und Vorheriger Schlüssigkeit hin zu prüfen, weshalb es gehalten ist, sich im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung mit dem Gutachten auseinander zu setzen und dieses entsprechend zu würdigen (vgl. etwa VwGH Ra 2017/12/0088, Ra 2018/03/0136).
Als Maßstab für das Vorliegen eines Missverhältnisses und das allfällige Ausmaß einer Gebührenreduktion sind die tatsächliche Inanspruchnahme der Kanalanlage durch die konkrete Liegenschaft einerseits und die sonstige durchschnittliche Inanspruchnahme der Kanalanlage in der Gemeinde andererseits heranzuziehen.
Das vorliegende Gutachten vom 30. April 2019 stellt die durchschnittliche Belastung der Kläranlage in EGW (Einwohnergleichwert als Referenzwert der Schmutzfracht) sowie die Gesamtberechnungsfläche in EGW anhand der CSB-Belastung (Chemischer Sauerstoffbedarf als Maß für Abwasserbelastung) fest.
Daraus wird die in der Gemeinde durchschnittlich auf ein EGW entfallende Berechnungsfläche ermittelt.
Demgegenüber wird für die Berechnung der Abwasserbelastung durch die konkrete Liegenschaft ausschließlich auf den dort gemessenen Wasserverbrauch abgestellt. Dies jedoch ohne weitere Erhebungen über die Verwendung des verbrauchten Wassers anzustellen, ohne die Zahl der auf der Liegenschaft tatsächlich vorhandenen Bewohner, Dienstnehmer, Kunden oder sonstigen Verursacher zu erheben bzw. zu berücksichtigen.
Im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, es sei erst ab 2018 die Hausanlage stillgelegt, die Lokale geschlossen und mit der Renovierung begonnen worden, erscheint es unzulässig und nicht nachvollziehbar, aus dem Vergleich des Wasserverbrauchs der Liegenschaft 2017 mit der durchschnittlichen Kanalbelastung in der Gemeinde 2017 auf das Nichtvorliegen eines Härtefalles im Jahr 2018 zu schließen. Maßgeblich ist die Nutzung der Schmutzwasserentsorgung durch die verfahrensgegenständliche Liegenschaft in dem von der Gebührenvorschreibung betroffenen Jahr. Aus dem Wasserverbrauch des Vorjahres kann dazu jedoch keine verwertbare Aussage getroffen werden, vor allem wenn sich wie im gegenständlichen Fall die Verhältnisse geändert haben.
Ein Gutachten ist auf seine Schlüssigkeit dahingehend zu überprüfen, ob das Gutachten den Denkgesetzen entspricht. Fehler, die hier festzustellen sind, sind durch die Einholung ergänzender oder neuer sachverständiger Äußerungen zu beseitigen. Im Hinblick auf die Unschlüssigkeit des vorliegenden Gutachtens, zu welchem dem Beschwerdeführer im Berufungsverfahren im Übrigen auch kein Parteiengehör gewährt wurde, erscheint die Einholung eines ergänzenden bzw. weiteren Gutachtens eines Sachverständigen für die Siedlungswasserwirtschaft unvermeidlich.
Eine Beurteilung der verfahrensgegenständlichen Rechtsfrage, ob und in welchem Ausmaß ein Härtefall gemäß § 5b Abs.1 NÖ Kanalgesetz 1977 vorliegt, kommt mangels ausreichender Klarheit über den Sachverhalt somit gar nicht erst in Betracht. Dementsprechend wäre auch das Ermittlungsverfahren noch zu ergänzen.
Wenngleich das Verwaltungsgericht nach Art 130 Abs. 4 B-VG bzw. § 279 BAO grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hat, gilt dies bei Ergänzungsbedürftigkeit des Ermittlungsverfahrens nicht schlechthin.
Vielmehr besteht in derartigen Fällen aufgrund der genannten Bestimmungen in Zusammenschau mit § 278 Abs. 1 BAO eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichtes zu einer solchen Ergänzung und einer darauffolgenden Sachentscheidung nur dann, wenn dies im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, also das Verfahren insgesamt schneller oder kostengünstiger zu einem Abschluss gebracht werden kann. Davon kann jedenfalls dann nicht ausgegangen werden, wenn die belangte Behörde wesentliche Sachverhaltsermittlungen unterlassen hat, sodass in derartigen Fällen eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichtes zur Sachentscheidung nicht besteht und es sich auf eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zurückziehen kann (vgl. u.a. VwSlg. 11.795 A/1985, sowie VwGH 84/05/0097; 91/06/0235; 93/06/0242; 94/06/0006; 94/06/0137; 95/05/0293).
In Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden ist ein grundsätzlich zweigliedriges Administrativverfahren mit nachgeordneter Kontrolle durch das Verwaltungsgericht und schließlich die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts vorgesehen, wobei es den Verwaltungsbehörden zukommt, den gesamten für die Entscheidung relevanten Sachverhalt zu ermitteln.
Dieses System würde aber völlig unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster oder zweiter Instanz zu einer Verlagerung nahezu des Verfahrens vor das Verwaltungsgericht käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen auf Gemeindeebene damit zur bloßen Formsache würde (vgl. u.a. VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315, sowie VwGH 12.9.2013, 2013/21/0118). Durch das nur unvollständige Gutachten sind gravierende Ermittlungslücken aufgezeigt, die für die Entscheidung des Falles aber präjudiziell wären (vgl. VwGH Ro 2014/03/0063 und VwGH Ro 2016/06/0024).
Die Aufgabe des Verwaltungsgerichtes ist nicht, die Verwaltung zu führen, sondern hat das Verwaltungsgericht vielmehr gegenüber der Verwaltung eine Kontrollfunktion. Haben aber die Gemeindebehörden keinen Sachverhalt – auch z.B. nur in Teilbereichen – ermittelt, dann kann auch keine Kontrolle gegenüber den Verwaltungsbehörden ausgeübt werden. Damit stellt sich die Frage, ob die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, oder ob der Raschheit und Kostenersparnis besser durch eine Aufhebung und Zurückverweisung gedient ist.
Im Hinblick auf die Nähe zur Sache wird die Abgabenbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen können.
Demnach lassen sich die erforderlichen Ermittlungsschritte (wie z.B. die auch im konkreten Fall erforderliche nochmalige Beiziehung eines Sachverständigen für die Siedlungswasserwirtschaft zur Ermittlung der im Jahr 2018 anfallenden Schmutzfracht) durch die Gemeindebehörden nicht nur schneller, sondern auch kostengünstiger durchführen, als dies im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Fall wäre. Zum einen sind die (für die Berechnung der durchschnittlich im Gemeindegebiet je Einwohnergleichwert Schmutzfracht entstehenden Kosten) erforderlichen Daten bei der Gemeinde unmittelbar (aus Voranschlag, Rechnungsabschluss bzw. dem Betriebsfinanzierungsplan zur Kalkulation des geltenden Einheitssatzes) verfügbar, zum anderen sind sowohl die Gemeindebehörden als auch der Beschwerdeführer – im Gegensatz zum Verwaltungsgericht – mit den örtlichen Gegebenheiten und der Sache vertraut und in der Regel ständig vor Ort. Weiters ist anzumerken, dass es im Hinblick auf das Erfordernis der Kostenersparnis auch nicht zu einer Verlagerung der im Zuge eines gebotenen Ermittlungsverfahrens entstehenden Kosten (insbesondere bei der Durchführung von technischen Messungen und der Einholung von Gutachten) von der belangten Behörde an das Verwaltungsgericht kommen darf (vgl. VwGH Ra 2015/01/0123). Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass diese Kosten bei der Nachholung des Ermittlungsverfahrens einer anderen Gebietskörperschaft (hier: dem Land Niederösterreich) erwachsen würden. Bei Durchführung eines korrekten, umfangreichen Ermittlungsverfahrens wären diese Kosten der Gebietskörperschaft Gemeinde zuzurechnen gewesen.
Somit ist der Beschwerde Folge zu geben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Stadtsenat der Stadt Wiener Neustadt zurückzuverweisen.
3.2. Zu Spruchpunkt 2 – Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im Hinblick auf die obigen Ausführungen liegen jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.
Schlagworte
Finanzrecht; Kanalbenützungsgebühr; Abgabenbescheid; Bescheidqualität; Härteklausel; Missverhältnis; Verfahrensrecht; Zurückverweisung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.1041.001.2019Zuletzt aktualisiert am
31.03.2020