Entscheidungsdatum
02.09.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1Spruch
W165 2218401-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ilse LESNIAK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2019, Zl. 1103100907/181082328, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 4a, § 10 Abs. 1 Z 1, § 13 und 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 13.11.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Der vorliegenden EURODAC-Treffermeldung der Kategorie "1" zufolge hatte der BF bereits am 28.08.2015 in den Niederlanden um Asyl angesucht.
In seiner polizeilichen Erstbefragung am 13.11.2018 brachte der BF vor, von der Türkei über Griechenland in die EU eingereist zu sein. Danach sei er über unbekannte Länder nach Deutschland gelangt und habe sich von dort nach Holland begeben, wo er sich von August 2015 bis September 2018 aufgehalten habe. Er habe dort einen Asylantrag gestellt und eine Aufenthaltsberechtigung und einen Fremdenpass erhalten. In den letzten drei Jahren sei er legal mit einem niederländischen Fremdenpass mehrmals nach Österreich geflogen, da seine Ehefrau, seine vier Kinder, seine Mutter und ein Bruder hier als Asylberechtigte leben würden. Die Lage in Holland sei für ihn in Ordnung gewesen und er wäre auch dort geblieben, jedoch habe man ihm seinen Status aberkannt und seine Wohnung weggenommen. Nunmehr habe er dort keine Rechte mehr. Er wolle nicht nach Holland zurückkehren, sondern hier mit seiner Familie zusammenleben.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) richtete am 19.11.2018 ein auf Art. 34 Dublin III-VO gestütztes Informationsersuchen an die Niederlande.
Mit Schreiben vom 28.11.2018 setzte das Landesgericht für Strafsachen Wien das BFA davon in Kenntnis, dass gegen den BF Anklage wegen §§ 15, 84 Abs. 1 StGB erhoben worden sei.
Mit Schreiben vom 27.12.2018 richtete das BFA hinsichtlich seines Informationsersuchens vom 19.11.2018 eine Urgenz an die Niederlande.
Mit Schreiben vom 10.01.2019 richtete das BFA ein auf Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an die niederländischen Behörden.
Mit Schreiben vom 16.01.2019 gaben die niederländischen Behörden bekannt, dass der BF in den Niederlanden am 28.08.2015 um internationalen Schutz angesucht habe, diesem am 02.08.2016 internationaler Schutz zuerkannt worden sei und der BF in den Niederlanden über eine bis 28.08.2020 gültige Aufenthaltsberechtigung verfüge.
Mit Verfahrensanordnung vom 12.12.2018 teilte das BFA dem BF den Verlust seines Aufenthaltsrechtes im Bundesgebiet infolge eingebrachter Anklage durch die Staatsanwaltschaft wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, mit.
Am 18.04.2019 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA im Beisein eines Rechtsberaters nach durchgeführter Rechtsberatung. Hierbei gab der BF zu Protokoll, dass er verheiratet sei und vier Kinder habe. Er habe seine Frau im Jahr 2009 geheiratet und verweise auf die bereits vorgelegte Heiratsurkunde. Seine Familie sei in Österreich asylberechtigt und lebe der BF mit dieser und einem seiner Brüder in einem gemeinsamen Haushalt. Weiters würden sich auch seine Mutter und ein weiterer Bruder als Asylberechtigte im Bundesgebiet aufhalten, ein anderer Bruder lebe in Deutschland. Ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Familienangehörigen bestehe nicht. Seine Frau und seine Kinder würden Mindestsicherung beziehen. Er habe in Holland schon vier bis fünf Mal versucht, im Rahmen der Dublin-VO legal nach Österreich zu gelangen. Er verfüge dort über eine fünfjährige Aufenthaltsberechtigung. Seine Angaben in der Erstbefragung, wonach man ihm in den Niederlanden seinen Status aberkannt und die Wohnung weggenommen habe, seien falsch verstanden worden. Die Länderinformationen würden der Wahrheit entsprechen, er habe jedoch alles in Holland zurückgelassen, da er mit seiner Familie leben wolle. Er sei vier Jahre von seiner Familie getrennt gewesen und habe es keine andere Möglichkeit gegeben, mit seiner Familie zusammenzukommen. Eine aufenthaltsbeende Maßnahme würde zu einem großen Problem für seine Frau und seine Kinder werden. Für seine Frau sei es nicht so leicht mit vier Kindern und brauche sie seine Unterstützung.
Mit Bescheid des BFA vom 23.04.2019 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass er sich in die Niederlande zurückzubegeben habe (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt II.) sowie gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG die Außerlandesbringung nach § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung des BF in die Niederlande gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass der BF gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 17.12.2018 verloren habe (Spruchpunkt IV.).
Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in den Niederlanden wurden in dem angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert):
"Schutzberechtigte
Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte erhalten von IND eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung für 5 Jahre. Für beide Schutzformen gelten die gleichen materiellen Rechte (AIDA 2.2017). Nach 5 Jahren besteht die Möglichkeit, eine Daueraufenthaltserlaubnis zu beantragen, wenn gewisse Integrationsvoraussetzungen erfüllt sind (IND o.D.b).
Wer eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat, wird in Unterkünften untergebracht, die von den jeweiligen Gemeinden zur Verfügung gestellt werden. Innerhalb von 14 Wochen müssen die Aufenthaltsberechtigten das Aufnahmezentrum verlassen und in die neue Unterkunft umziehen. COA unterstützt und berät dabei in persönlichen Beratungsgesprächen hinsichtlich Informationen über die holländische Gesellschaft und bietet Sprachkurse an (COA o.D.f). Liegt ein entsprechendes Angebot des COA vor, muss der Betreffende dieses annehmen, weil damit das Recht auf Unterbringung im Zentrum endet (AIDA 2.2017).
Nach Auskunft der niederländischen Einwanderungsbehörde (IND), haben anerkannte Flüchtlinge und Begünstigte bezüglich eines internationalen Schutzes vollen Zugang zum niederländischen Wohlfahrtssystem (medizinische, soziale und finanzielle Zuwendungen) (IND 12.8.2014). Personen mit einem Schutzstatus haben Anspruch auf die gleiche Gesundheitsversorgung wie niederländische Bürger (AIDA 2.2017).
Schutzberechtigte haben zwar vollen Zugang zu Beschäftigung, Studien zufolge sind sie auf dem Arbeitsmarkt mit zahlreichen Problemen (fehlende Sprachkenntnisse, Ausbildung, physische und psychische Belastungen etc.) konfrontiert (AIDA 2.2017).
Quellen:
-
AIDA - Asylum Information Database (2.2017): Country Report:
Netherlands,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018
-
CAO - Central Organisation Shelter Asylum Seekers (o.D.f):
Accomodation for residence permit holders, https://www.coa.nl/en/asylum-seekers/accommodation-for-residence-permit-holders, Zugriff 16.02.2018
-
IND - Immigration and Naturalisation Service (o.D.b): Permanent asylum residence permit,
https://ind.nl/en/permanent-residence/Pages/permanent-residence-permit-asylum.aspx, Zugriff 16.02.2018
-
IND - Immigration and Naturalisation Service (12.8.2014): Auskunft des IND, per Email".
Im Bescheid wurde ausgeführt, dass der BF in den Niederlanden Begünstigter internationalen Schutzes sei und nicht festgestellt werden könne, dass dieser in den Niederlanden systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder solche zu erwarten hätte. Der BF sei gesund und könne nicht festgestellt werden, dass in seinem Fall schwere psychische Störungen und/oder schwere ansteckende Krankheiten bestehen würden. In Österreich seien seine Ehefrau, seine vier Kinder und ein Bruder asylberechtigt, mit denen der BF in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Weiters seien noch seine Mutter und ein weiterer Bruder als Asylberechtigte im Bundesgebiet aufhältig. Zu den angeführten Verwandten bestehe kein existenzielles Abhängigkeitsverhältnis und habe in den vergangenen Jahren kein Zusammenleben stattgefunden. Die Wiederaufnahme eines Familienlebens sei aufgrund der unrechtmäßigen Einreise des BF zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sowohl dem BF als auch seiner Familie der unsichere Aufenthaltsstatus hätte bewusst sein müssen. Der BF habe zu keinem Zeitpunkt über einen regulären Aufenthaltstitel verfügt und überdies sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren. Der BF sei darauf zu verweisen, seinen Wunsch nach Einwanderung und Familienzusammenführung im Einklang mit den einschlägigen unionsrechtlichen und österreichischen Rechtsvorschriften zu verwirklichen.
Gegen den Bescheid vom 23.04.2019 wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, dass der angefochtene Bescheid zu Unrecht erlassen worden sei. Die gesamte Familie des BF sei in Österreich und der BF wolle bei ihr leben. Mit einer Außerlandesbringung würde in sein Familienleben eingegriffen werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF suchte erstmals am 28.08.2015 in den Niederlanden um Asyl an und wurde dem BF dort am 02.08.2016 internationaler Schutz zuerkannt und eine bis 28.08.2020 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Der BF war von August 2015 bis September 2018 in den Niederlanden aufhältig. Nach dreijährigem Aufenthalt in den Niederlanden begab sich der BF nach Österreich und stellte hier am 13.11.2018 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Niederlande an.
Konkrete, in der Person des BF gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im Zielstaat sprechen würden, liegen nicht vor.
Der BF leidet an keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Der BF ist gesund.
In Österreich halten sich die seit 03.10.2018 asylberechtigte Ehefrau des BF und die vier asylberechtigten gemeinsamen Kinder (Geburtsjahrgänge: 2011, 2013, 2015 und 2018) auf. Weiters leben die Mutter des BF und zwei erwachsene Brüder als Asylberechtigte in Österreich.
Der BF lebt mit seiner Ehefrau, seinen Kindern und einem Bruder im gemeinsamen Haushalt. Zwischen dem BF und seinen Familienangehörigen können keine existenziellen Abhängigkeiten erkannt werden.
Hinweise auf das Vorliegen von Umständen, die für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen in Betracht kommen könnten, bestehen nicht.
Der BF hat aufgrund einer Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren.
2. Beweiswürdigung:
Die Asylantragstellung in den Niederlanden ergibt sich aus der diesbezüglichen EURODAC-Treffermeldung.
Die Feststellung, dass der BF in den Niederlanden Begünstigter internationalen Schutzes ist und über eine bis 28.08.2020 gültige Aufenthaltsberechtigung verfügt, stützt sich auf das diesbezügliche Schreiben der niederländischen Behörde vom 16.01.2019.
Die Gesamtsituation subsidiär Schutzberechtigter und anerkannter Flüchtlinge in den Niederlanden resultiert aus den umfangreichen und durch ausreichend aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen. Daraus geht insbesondere hervor, dass anerkannte Flüchtlinge und Begünstigte bezüglich eines internationalen Schutzes vollen Zugang zum niederländischen Wohlfahrtssystem (medizinische, soziale und finanzielle Zuwendungen) sowie Anspruch auf die gleiche Gesundheitsversorgung wie niederländische Bürger haben.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF und zu den privaten und familiären Verhältnissen des BF ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren sowie der Aktenlage.
Dass der BF sein Recht zum Aufenthalt in Österreich verloren hat, ergibt sich aus der diesbezüglichen Verfahrensanordnung des BF vom 12.12.2018 im Zusammenhalt mit der Mitteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28.11.2018, mit der das BFA von der Anklageerhebung gegen des BF wegen eines Vorsatzdeliktes in Kenntnis gesetzt wurde.
Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:
§ 4a (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat.
...
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
...
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
...
§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
...
§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
...
§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG lautet:
§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine
Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet:
§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine
Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. ...
2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."
Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen, wonach dem BF in den Niederlanden aufgrund einer dort erfolgten Asylantragsstellung internationaler Schutz zuerkannt wurde und er somit in den Niederlanden Schutz vor Verfolgung gefunden hat, ging das BFA zutreffend davon aus, dass sich sein nunmehr in Österreich gestellter Antrag auf internationalen Schutz im Lichte des § 3 AsylG 2005 wegen Unzuständigkeit Österreichs als unzulässig erweist.
Die Wahrnehmung dieser Unzuständigkeit Österreichs wäre lediglich dann als unzulässig anzusehen, wenn der BF dadurch in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt würde. Dies trifft allerdings aufgrund der vorzunehmenden Interessensabwägung, wie im Folgenden dargelegt wird, im vorliegenden Fall nicht zu:
Mögliche Verletzung von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK:
Gemäß Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK darf niemand Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK haben die Vertragsstaaten der EMRK aufgrund eines allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsatzes - vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich der EMRK - das Recht, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu regeln. Die Ausweisung eines Fremden durch einen Vertragsstaat kann jedoch ein Problem nach Art. 3 EMRK aufwerfen und damit die Verantwortlichkeit dieses Staates nach der EMRK auslösen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Abschiebung mit einer realen Gefahr, im Zielstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden, rechnen muss. Unter diesen Umständen beinhaltet Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die betreffende Person nicht in diesen Staat abzuschieben.
Es entspricht ebenfalls ständiger Judikatur des EGMR, dass die verbotene Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen muss, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Die Festsetzung dieses Mindestmaßes ist naturgemäß relativ. Es hängt von allen Umständen des Einzelfalles ab, wie etwa der Dauer der verbotenen Behandlung, ihren physischen oder psychischen Auswirkungen und in manchen Fällen vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers. Das Leid, das sich aus einer natürlich auftretenden Krankheit ergibt, kann von Art. 3 EMRK erfasst sein, wenn es durch eine Behandlung - seien es Haftbedingungen, eine Ausweisung oder sonstige Maßnahmen - verschlimmert wird, wofür die Behörden verantwortlich gemacht werden können (EGMR 27.05.2008 (GK), 26565/05, N./Vereinigtes Königreich Rz 29; 28.02.2008 (GK), 37201/06, Saadi/Italien Rz 134).
Wie im angefochtenen Bescheid dargelegt wurde, gewährleisten die Niederlande ausreichend Schutz für Flüchtlinge und ist somit nicht zu erkennen, dass der BF im Falle seiner Überstellung in die Niederlande Gefahr liefe, in seinen von Art. 3 EMRK geschützten Rechten verletzt zu werden. So haben anerkannte Flüchtlinge und Begünstigte bezüglich eines internationalen Schutzes vollen Zugang zum niederländischen Wohlfahrtssystem (medizinische, soziale und finanzielle Zuwendungen) sowie Anspruch auf die gleiche Gesundheitsversorgung wie niederländische Bürger. Der BF hat auf Vorhalt der Länderfeststellungen die darin enthaltenen Angaben bestätigt. Die noch in der Erstbefragung getätigten Angaben, wonach ihm sein Status aberkannt und die Wohnung weggenommen worden wären, wurden in weiterer Folge explizit zurückgenommen und auf eine falsche Verständigung zurückgeführt.
Die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ist bezüglich den Niederlanden als unverändert aufrecht anzusehen. Mit Erkenntnis vom 20.06.2017, Ra 2016/01/0153-16, hat der Verwaltungsgerichtshof zudem ausgesprochen, dass bei der Prüfung der allgemeinen Lage im zuständigen Mitgliedsstaat das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens maßgeblich ist und die Sicherheitsvermutung gemäß § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende, allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann. Ein solches Vorbringen wurde nicht erstattet und liegen dem Bundesverwaltungsgericht auch von Amts wegen keine entsprechenden Hinweise vor.
Der BF hat auch keinerlei dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung in den Niederlanden vorgebracht. So hat der BF ausdrücklich und uneingeschränkt zu Protokoll gegeben, dass die Lage für ihn in Holland in Ordnung gewesen sei. Der BF begründet seinen Wunsch nach einem Verbleib in Österreich dementsprechend auch nicht mit allfälligen in Bezug auf den Zielstaat bestehenden Mängeln, sondern vielmehr allein damit, dass er nicht von seiner Familie getrennt leben möchte. ("Die Länderinformationen würden der Wahrheit entsprechen, er habe jedoch alles in Holland zurückgelassen, da er mit seiner Familie leben wolle").
Medizinische Krankheitszustände, Behandlung in den Niederlanden:
Wie festgestellt, leidet der BF an keinen schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Der BF hat keinerlei gesundheitliche Beschwerden vorgetragen.
Selbst für den Fall, dass der BF eine ärztliche Behandlung benötigen sollte, wäre der Zugang zu einer solchen nach den Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides im zuständigen Mitgliedstaat jedenfalls gewährleistet. So haben Personen mit Schutzstatus Anspruch auf die gleiche Gesundheitsversorgung wie niederländische Bürger.
Im Übrigen hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Vgl. VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9 und die darin behandelte relevante Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK, EGMR im Fall D./Vereinigtes Königreich vom 02.05.1997 zu 30240/96).
Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass die Fremdenpolizeibehörde bei der Durchführung einer Abschiebung im Falle von bekannten Erkrankungen des Fremden durch geeignete Maßnahmen dem jeweiligen Gesundheitszustand Rechnung zu tragen hat. Insbesondere erhalten kranke Personen eine entsprechende Menge der benötigten verordneten Medikamente. Anlässlich einer Abschiebung werden von der Fremdenpolizeibehörde auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen entsprechende Maßnahmen gesetzt. Bei Vorliegen schwerer psychischer Erkrankungen und insbesondere bei Selbstmorddrohungen werden geeignete Vorkehrungen zur Verhinderung einer Gesundheitsschädigung getroffen.
Auch im Übrigen konnte der BF keine auf sich selbst bezogenen besonderen Gründe, welche für eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK sprechen würden, glaubhaft machen, weshalb die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 zur Anwendung kommt, wonach ein Asylwerber im zuständigen Mitgliedstaat Schutz vor Verfolgung findet.
Schließlich hätte der BF die Möglichkeit, etwaige konkret drohende oder eingetretene Verletzungen seiner Rechte, etwa durch eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK, bei den zuständigen Behörden in den Niederlanden und letztlich beim EGMR geltend zu machen.
Mögliche Verletzung von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK:
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (EGMR 12.01.2010, 47486/06, A. W. Khan, RN 32; VfGH 09.06.2006, B 1277/04; VwGH 25.04.2008, 2007/20/0720 bis 0723).
Im vorliegenden Fall hat die mit dem angefochtenen Bescheid getroffene Entscheidung die Trennung des BF von seiner Ehefrau und seinen vier Kindern, weiters von seiner Mutter und zwei erwachsenen Brüdern zur Folge, die in Österreich asylberechtigt sind. Daher stellt die aufenthaltsbeendende Maßnahme hinsichtlich des BF einen Eingriff in den Schutzbereich des Familienlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK dar.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Trennung von Ehepartnern nur dann gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme der aufenthaltsbeendenden Maßnahme sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden (vgl. etwa VwGH 11.11.2013, 2013/22/0224, und 7.5.2014, 2012/22/0084), oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" (vgl. etwa VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271; 23.2.2017, Ra 2016/21/0235; 6.9.2018, Ra 2018/18/0026; jeweils mwN). So hat der Verwaltungsgerichtshof in Fällen, in denen ein Fremder seinen in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (Ehegatten bzw. Kindern) nachgereist war und einen Antrag auf internationalen Schutz bzw. auf Erteilung eines Aufenthaltstitels missbräuchlich zur von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug gestellt hatte, festgehalten, dass in derartigen Konstellationen das öffentliche Interesse besonders schwer wiegt, zumal von den Beteiligten nicht von einem (rechtmäßigen) Verbleib in Österreich ausgegangen werden konnte (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0683, mwN).
Ein solcher Fall liegt gegenständlich vor:
Der BF stellte zunächst in den Niederlanden einen Antrag auf internationalen Schutz, woraufhin diesem dort internationaler Schutz zuerkannt und eine Aufenthaltsberechtigung bis 28.08.2020 erteilt wurde. Nach einem rund dreijährigen Aufenthalt in den Niederlanden begab sich der BF jedoch nach Österreich zu seiner mittlerweile hier asylberechtigten Familie, um einen weiteren, den verfahrensgegenständlichen Asylantrag, zu stellen, um hier mit seiner Familie zusammenzuleben.
Der BF hielt sich im Zeitraum August 2015 bis September 2018 somit durchgehend in den Niederlanden auf, während sich dessen Ehegattin bereits seit Herbst 2015 in Österreich befunden und hier einen Asylantrag gestellt hatte, der - wie auch die Asylanträge ihrer Kinder - am 03.10.2018 in 2. Instanz positiv beschieden wurde. Der BF hat ebenfalls im Jahr 2015, also in etwa zeitgleich mit der Asylantragstellung seiner Ehegattin in Österreich, in den Niederlanden um Asyl gesucht, sodass über einen Zeitraum von rund drei Jahren - von gelegentlichen Besuchen des BF in Österreich abgesehen - kein Ehe- und Familienleben stattgefunden hat. Zwei der nunmehr vier Kinder des Paares waren zum Zeitpunkt der Asylantragstellung des BF in den Niederlanden bereits geboren (Geburtsjahrgänge 2011 und 2013). Das dritte Kind wurde am 01.06.2015, somit noch vor Asylantragstellung des BF in den Niederlanden, geboren. Das vierte Kind wurde am 14.03.2018 geboren, sodass die abermalige Familienerweiterung zu einem Zeitpunkt vorgenommen wurde, zu welchem dem BF in den Niederlanden längst Asylstatus zuerkannt worden war (02.08.2016) und dieser bereits seit mehr als zweieinhalb Jahren dauerhaft in den Niederlanden gelebt hatte. Auch aufgrund der Geburt eines weiteren Kindes konnten weder der BF noch seine Ehefrau mit einem dauerhaften Verbleib des BF in Österreich rechnen. Ein gemeinsames Familienleben wurde erstmalig anlässlich der Asylantragstellung des BF in Österreich mit Wohnsitzbegründung an der Adresse seiner Familie aufgenommen. Von dieser kurzen Zeitspanne abgesehen, wurde das Familienleben bis zu diesem Zeitpunkt jedoch seit Jahren in räumlicher Trennung und grundsätzlich als Fernbeziehung geführt und gestaltet. Ehe- bzw. Familienleben wurden zu einem Zeitpunkt (wieder)aufgenommen, zu dem weder der BF noch seine Familie von der Möglichkeit einer dauerhaften Fortführung in Österreich ausgehen konnten. So verfügte der BF zu keinem Zeitpunkt über einen regulären Aufenthaltstitel in Österreich und musste sowohl dem BF als auch seiner Ehegattin der unsichere Aufenthaltsstatus der BF in Österreich bewusst sein. Beide konnten zu keinem Zeitpunkt darauf vertrauen, dass der Aufenthalt des BF in Österreich dauerhaft sein würde, zumal dem BF die beabsichtigte Abschiebung in die Niederlande auch nachweislich zur Kenntnis gebracht wurde.
Seitens des erkennenden Gerichtes wird zwar nicht verkannt, dass der BF mit seiner Ehefrau, seinen vier Kindern und einem Bruder nunmehr in einem gemeinsamen Haushalt lebt und eine Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags mit vier Kindern sein mag. Wenn auch die Anwesenheit des BF für seine Familienangehörigen zweifellos von Vorteil sein dürfte, kann darin jedoch keine ausgeprägte existenzielle Abhängigkeit erkannt werden. Weder liegt eine Pflegebedürftigkeit vor noch sind andere sonstige (wechselseitige) Abhängigkeiten im Verfahren hervorgekommen. Auch ist nicht ersichtlich, dass die Familie des BF auf die Hilfe des BF derart angewiesen wäre, dass sie ihren Alltag - den sie auch bisher ohne Mitwirkung des BF gemeistert hat - nicht (mehr) bewältigen könnte. Der BF hat immerhin drei Jahre getrennt von seinen Angehörigen in den Niederlanden gelebt und liegen keine Anhaltspunkte vor, dass für die Familie in der Zeit, in der der BF nicht im Rahmen von Besuchen anwesend war, ein existenzbedrohender Zustand eingetreten wäre.
Im Übrigen ist zu erwähnen, dass der BF aufgrund einer strafrechtlichen Anklageerhebung sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren hat.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 04.03.2019, Ra 2019/14/0023, ausgesprochen hat, ist die Voraussetzung für eine Erledigung nach § 34 AsylG 2005 - wie aus § 4a AsylG 2005 abzuleiten ist - das Bestehen eines Schutzbedürfnisses beim Antragsteller. Weist dieser hingegen kein Schutzbedürfnis auf, da diesem im Sinne des § 4a AsylG 2005 bereits in einem EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat, kommt eine Sachentscheidung nach § 34 AsylG 2005 nicht in Betracht.
Aufgrund des abgeschlossenen Asylverfahrens des BF in den Niederlanden besteht gegenständlich somit kein Raum für die Führung eines Familienverfahrens in Österreich.
Die Interessenabwägung nach den Gesichtspunkten des § 9 BFA-VG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. Art. 52 Abs. 1 GRC, insbesondere der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Asylwesens sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes, führt zu dem Ergebnis, dass die für die aufenthaltsbeendende Maßnahme sprechenden öffentlichen Interessen schwerer wiegen als die persönlichen Interessen der Beteiligten.
Das allein durch die Missachtung der entsprechenden Einreise- und Einwanderungsvorschriften wiederaufgenommene Ehe- bzw Familienleben des BF tritt fallbezogen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des VwGH ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund.
Gemäß Art. 3 Abs. 1 letzter Satz Dublin III-VO wird jeder Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Mitgliedstaat bestimmt wird. Daher stellt die rechtswidrige Weiterreise des BF innerhalb der Union zwecks Einbringung eines weiteren Antrages auf internationalen Schutz gerade jenes Verhalten dar, das durch die Rechtsvorschriften des gemeinsamen europäischen Asylsystems verhindert werden soll.
Die Verfahren nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) stellen in Österreich den gesetzlich vorgesehenen Weg für einwanderungswillige Drittstaatsangehörige dar, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen, etwa auch zwecks Familienzusammenführung. Gegen die Entscheidung der zuständigen Einwanderungsbehörde stehen letztlich auch noch Rechtsbehelfe an ein Verwaltungsgericht sowie an den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof offen. Hingegen kann nach der maßgeblichen Rechtsprechung ein allein durch Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken. Eine andere Auffassung würde zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber sich rechtstreu verhaltenden Drittstaatsangehörigen führen und ist abzulehnen (EGMR 08.04.2008, 21878/06, Nnyanzi; VfGH 12.06.2010, U 613/10).
Weiters war der von den BF in Österreich zugebrachte Zeitraum gemessen an der Judikatur des EGMR und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes als kein ausreichend langer zu qualifizieren. Aus der Rechtsprechung des VwGH ergibt sich, dass etwa ab einem zehnjährigen (dort: vorläufig berechtigten) Aufenthalt im Regelfall die privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen überwiegen können (09.05.2003, 2002/18/0293). Gleiches gilt für einen siebenjährigen Aufenthalt, wenn eine berufliche und soziale Verfestigung vorliegt (05.07.2005, 2004/21/0124).
Nach der Rechtsprechung des EGMR (EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie u. a.) stellen die Regeln des Einwanderungsrechtes eine ausreichende gesetzliche Grundlage in Hinblick auf die Frage der Rechtfertigung des Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK dar. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine aufenthaltsbeendende Maßnahme, welche dem öffentlichen Interesse an der effektiven Durchführung der Einwanderungskontrolle dient, nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten. Auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VfGH 29.09.2007, B 328/07; VwGH 22.01.2013, 2011/18/0012; 18.10.2012, 2010/22/0130).
In diesem Zusammenhang ist auch auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.03.2019, Ra 2019/14/0023, und vom 25.04.2019, Ra 2019/19/0114-6, hinzuweisen, mit denen jeweils die Revisionen von (Ehe)partnern und Vätern, deren (Ehe)partnerinnen und gemeinsame Kinder in Österreich aufenthaltsberechtigt waren, gegen die abweisenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes in Anbetracht einer ordnungsgemäß durchgeführten Interessensabwägung durch das Bundeverwaltungsgericht zurückgewiesen wurden.
Der BF ist somit darauf zu verweisen, seinen Wunsch nach Einwanderung und Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau und seinen Kindern im Einklang mit den einschlägigen unionsrechtlichen und österreichischen Rechtsvorschriften zu verwirklichen.
Für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens kann der Kontakt zwischen dem BF und seiner Familie zwischenzeitlich telefonisch oder über das Internet sowie - in eingeschränkter Form - auch durch persönliche Besuche aufrechterhalten werden, nachdem der BF in den Niederlanden internationalen Schutz erhalten hat und seine Familienangehörigen in Österreich asylberechtigt sind. Der BF und seine Angehörigen sind mit der Führung eines solcher Art auf Distanz geführten Familienlebens auch durchaus vertraut, da sich die Kommunikation - vom Zeitraum des unzulässigen Aufenthaltes des BF in Österreich abgesehen - in der Vergangenheit weitgehend auf die dargestellten Möglichkeiten beschränkt hat.
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall bei Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs keine Verletzung von Bestimmungen der GRC oder der EMRK zu befürchten ist. Die Behörde hat im Hinblick darauf, dass dem BF bereits in den Niederlanden internationaler Schutz zuerkannt worden ist und er vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen zur aktuellen Lage für Schutzberechtigte in diesem Staat und unter Berücksichtigung der individuellen konkreten Situation des BF sohin in den Niederlanden Schutz vor Verfolgung gefunden hat, den nunmehr in Österreich gestellten weiteren Antrag auf internationalen Schutz zu Recht gemäß § 4a AsylG 2005 zu Recht als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass sich der BF in die Niederlande zurück zu begeben hat.
Der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet ist nicht geduldet. Der BF ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei Gegenteiliges weder im Verwaltungs- noch im Beschwerdeverfahren behauptet wurde.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 61 Abs. 1 FPG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 4a zurückgewiesen wird. Die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 61 Abs. 2 FPG ist gegeben, da dadurch, wie oben festgestellt wurde, keine Verletzung von Art. 3 EMRK bewirkt wird und auch sonst keinerlei Hinweise auf eine Bedrohungssituation im Sinne des § 50 FPG vorliegen.
Gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 verliert ein Asylwerber sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet, wenn gegen den Asylwerber wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft eingebracht worden ist.
Gemäß § 13 Abs. 4 AsylG 2005 hat das Bundesamt im verfahrensabschließenden Bescheid über den Verlust des Aufenthaltsrechts abzusprechen.
Im vorliegenden Fall wurde gegen den BF laut Mitteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28.11.2018 Anklage wegen §§ 15, 81 Abs. 1 StGB erhoben. Das BFA hat dem BF daher mit Verfahrensanordnung vom 12.12.2018 zu Recht den Verlust des Aufenthaltsrechts mitgeteilt und diesbezüglich in Spruchpunkt IV. des verfahrensabschließenden Bescheides abgesprochen.
Nach § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben (siehe auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.05.2014, Zlen. Ra 2014/20/0017 und 0018, wobei die dort genannten Kriterien für die Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG gegenständlich erfüllt sind). Es ergab sich sohin auch kein Hinweis auf die Notwendigkeit, den maßgeblichen Sachverhalt mit den BF zu erörtern (vgl. VwGH 23.01.2003, 2002/20/0533, VwGH 01.04.2004, 2001/20/0291).
Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts der erfolgten Sachentscheidung entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, sondern ausschließlich tatsachenlastig ist. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar.
Schlagworte
Abschiebung, Asylverfahren, Aufenthalt im Bundesgebiet,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W165.2218401.1.00Zuletzt aktualisiert am
30.03.2020