TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/23 W250 2180334-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2019
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Entscheidungsdatum

23.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W250 2180334-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Mario ZÜGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 23.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 24.08.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerde-führer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass nachdem sein Vater verschwunden sei, seine Mutter nochmals geheiratet habe. Der Beschwerdeführer sei von seinem Stiefvater schlecht behandelt worden, ihm sei der Schulbesuch verboten worden und er sei von diesem gezwungen worden für ihn zu arbeiten. 2007 sei der Beschwerdeführer in den Iran geflüchtet, wo er illegal gelebt habe. Der Beschwerdeführer sei im Iran von seiner Mutter angerufen worden, die ihm eine Rückkehr nach Afghanistan verboten habe, weil die Onkel des Beschwerdeführers ihn wegen der Grundstücke töten würden.

3. Am 18.10.2017 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) statt, bei der der Beschwerdeführer im Wesentlichen angab, dass seine Mutter nochmals geheiratet habe, weil sein Vater verschwunden sei. Der Stiefvater des Beschwerdeführers habe diesen mit der Zeit schlecht behandelt, weshalb er von seiner Mutter in den Iran geschickt worden sei. Der Beschwerdeführer habe dann mit seinem Onkel gesprochen, weil er einen Teil seines Erbes (ein Grundstück) habe erhalten wollen. Ein Onkel sei deshalb zum Beschwerdeführer in den Iran gereist und habe diesem gesagt, dass er nicht der Sohn seines Bruders sei und er daher keinen Anspruch auf das Erbe habe. Zudem sei der Beschwerdeführer von seinem Onkel und zwei Personen, die mit diesem mitgekommen seien, geschlagen und vergewaltigt worden, wovon Videoaufnahmen gemacht worden seien. Der Beschwerdeführer sei von seinem Onkel bedroht worden, dass er im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan die Videos veröffentlichen würde. Den Iran habe der Beschwerdeführer verlassen, weil viele junge Burschen in den Syrienkrieg geschickt worden seien.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Zudem sei kein asylrelevanter Fluchtgrund vorgelegen, sondern handle es sich bei den Gründen der Ausreise des Beschwerdeführers um private familiäre Probleme. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertige. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, volljähriger Mann, der mit den kulturellen Gepflogenheiten in seinem Herkunftsstaat vertraut sei. Er verfüge auch über Schulbildung und Berufserfahrungen als Landarbeiter. Zudem habe der Beschwerdeführer Familienangehörige in seiner Herkunftsprovinz, die ihn finanziell unterstützen würden. Er könne auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass sich das Bundesamt nicht damit auseinandergesetzt habe, in wie weit in Afghanistan staatlicher Schutz gegen Grundstücksstreitigkeiten vorhanden sei und welche Gefährdungen sich für den Beschwerdeführer aus solchen Disputen ergeben würden. Sofern das Bundesamt von vorn herein eine Asylrelevanz des Fluchtgrundes ausgeschlossen habe, weil es im Iran stattgefunden habe und es sich dabei nicht um den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers handle, sei dem entgegenzuhalten, dass die unmittelbare Gefährdungsquelle vom Onkel des Beschwerdeführers ausgehe, welcher in Afghanistan lebe. Der Beschwerdeführer befürchte weitere Übergriffe gegen Leib und Leben von diesem Onkel. Entgegen der Ansicht des Bundesamtes könnten Grundstücksstreitigkeiten sehr wohl eine Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) darstellen. Das Bundesamt habe es unterlassen sich konkret mit den individuellen Umständen bei der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Kabul auseinanderzusetzen. Es reiche nicht aus, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen jungen gesunden Mann handeln würde. Zudem habe das Bundesamt verkannt, dass der Beschwerdeführer keine stark ausgeprägte Bindung mehr zu seinem Herkunftsstaat habe, da er vor seiner Reise nach Europa bereits sechs Jahre im Iran gelebt habe. Darüber hinaus habe sich der Beschwerdeführer in den zweieinhalb Jahren seines Aufenthaltes in Österreich sehr gut integrieren können. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte eine inhaltlich anderslautende Entscheidung getroffen werden müssen.

6. Mit Urkundenvorlage vom 23.04.2019 (ON 3) legte der Beschwerdeführer Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich vor.

Mit Urkundenvorlage vom 24.09.2019 (ON 6) gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er sich zur Gänze vom Islam distanziert habe und offiziell aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten sei. Unter einem legte der Beschwerdeführer zahlreiche Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich vor und beantragte zum Beweis seiner Integration die Einvernahme namhaft gemachter Zeugen.

7. Mit Schriftsatz vom 01.10.2019 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er in Afghanistan als schiitischer Moslem erzogen worden sei, jedoch nie besonders gläubig gewesen sei. In Österreich habe er die religiösen muslimischen Gewohnheiten nicht mehr ausgeübt, sondern seine religiösen Anschauungen kritisch hinterfragt und sich schließlich dafür entschieden sich vom Islam (und von Religionen generell) abzuwenden. Seine Mutter und sein Stiefvater hätten deshalb den Kontakt zum Beschwerdeführer abgebrochen. Seine nicht religiöse Weltanschauung habe er in Postings geteilt und durch den Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich auch öffentlich gemacht. Der Beschwerdeführer werde sich solchen Zwängen nie mehr beugen. Apostaten hätten in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt durch Familienangehörige und die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen. Der afghanische Staat sei nicht willens und nicht in der Lage den Beschwerdeführer entsprechend zu schützen. Es bestehe daher ein asylrelevanter Nachfluchtgrund, weshalb dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei. Unter einem wurden Unterlagen betreffend die Integration und zum Abfall des Glaubens des Beschwerdeführers vorgelegt sowie als Beweis zu diesen Themen die Einvernahme namhaft gemachter Zeugen beantragt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 14.10.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers und eines Vertreters des Bundesamtes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara (AS 5, 78; Protokoll vom 14.10.2019 - ON 8, S. 7).

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Stiefvater aufgewachsen. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits vor seiner Geburt verschwunden. Er hat drei Jahre lang eine Schule in Afghanistan besucht und in der Landwirtschaft seines Stiefvaters mitgeholfen (AS 80; ON 8, S. 8 f). Der Beschwerdeführer ist als Jugendlicher mit einem Bekannten seiner Mutter von dieser in den Iran geschickt worden, wo er ca. acht Jahre lang gelebt hat. Er wurde dort privat unterrichtet und hat in einer Fabrik (Produktion von Karton und Plastik) gearbeitet (AS 80 f; ON 8, S. 9).

Der Beschwerdeführer wurde im Iran als schiitischer Moslem erzogen. Er hat sich jedoch in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit sowie Nachhaltigkeit getragen vom Islam abgewendet, was sich u.a. darin äußert, dass er Alkohol trinkt, nicht mehr betet oder fastet und die Moschee nicht mehr besucht. Er ist in Österreich offiziell aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Er ist nunmehr Atheist, weshalb sich auch seine Mutter und sein Stiefvater von ihm abgewendet haben. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer diese Abkehr vom islamischen Glauben in seinem Herkunftsstaat Afghanistan verleugnen würde.

Der Abfall vom Islam wird in Afghanistan als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen und gilt als schwerer Verstoß gegen das Werteverständnis der afghanischen Gesellschaft.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Abkehr vom islamischen Glauben physische und/oder psychische Gewalt.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.2.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundes-verwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019, wiedergegeben:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 04.06.2019 - LIB 04.06.2019, S.65).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (LIB 04.06.2019, S.13).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (LIB 04.06.2019, S.13).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (LIB 04.06.2019, S.13 f).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst ca. 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 04.06.2019, S.23).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 04.06.2019, S.69).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 04.06.2019, S.69). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 04.06.2019, S.69 ff).

Provinz Ghazni

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni ist die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl, die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird. Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (LIB 04.06.2019, S.129).

Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (LIB 04.06.2019, S.129).

Die Provinz Ghazni zählt zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv. In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (LIB 04.06.2019, S.130).

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (LIB 04.06.2019, S.130).

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (LIB 04.06.2019, S.130).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 04.06.2019, S.131).

Sowohl das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (LIB 04.06.2019, S.132).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84,7-89,7% Sunniten. Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus (LIB 04.06.2019, S.309).

Das afghanische Strafgesetzbuch enthält keine Definition von Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (LIB 04.06.2019, S.309 f).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (LIB 04.06.2019, S.310).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (LIB 04.06.2019, S.311).

1.2.2. Auszug aus einer ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan zur Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa vom 01.06.2017, a-10159:

"[...] Nach Angaben des US-Nachrichtendiensts Central Intelligence Agency (CIA) seien 99,7 Prozent der Bevölkerung Afghanistans Muslime. Der Anteil der Sunniten liege bei 84,7 bis 89,7 Prozent, während jener der Schiiten bei 10 bis 15 Prozent liege. Nichtmuslimische Gruppen würden 0,3 Prozent der Bevölkerung ausmachen (CIA, Stand 1. Mai 2017). Laut US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) würden zu den nichtmuslimischen Gruppen vor allem Hindus, Sikhs, Bahá'í und Christen zählen. Bezüglich Zahl der christlichen Gemeinden im Land würden keine verlässlichen Schätzungen vorliegen (USDOS, 10. August 2016, Section 1). Nach Angaben des niederländischen Außenministeriums handle es sich dabei wahrscheinlich um einige Dutzend Personen (BZ, 15. November 2016, S. 65). Laut Angaben der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD), eines evangelikalen Netzwerks verschiedener Kirchen und Gemeinschaften in Deutschland, gehe "[e]ine optimistische Schätzung [...] davon aus, dass es mehrere Tausend einheimische Christen" im Land gebe (EAD, 9. Juni 2015). Die staatliche United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt unter Berufung auf Berichte afghanischer Flüchtlinge in Europa, dass unter anderem die Zahl der Christen in Afghanistan seit dem Wiedererstarken der Taliban im Jahr 2015 vermutlich erheblich zurückgegangen sei (USCIRF, 26. April 2017).

1) Vom Islam abfallende Personen (Apostaten)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als "Weggehen" vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer neuen Glaubensrichtung anschließe: [...]

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die "heilige Religion des Islam" als Religion Afghanistans fest. Angehörige anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten: [...]

Bezugnehmend auf den soeben zitierten Artikel 130 der afghanischen Verfassung schreibt Landinfo im August 2014, dass dieser Artikel hinsichtlich Apostasie und Blasphemie relevant sei, da Apostasie und Blasphemie weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen behandelt würden. (Landinfo, 26. August 2014, S. 2). Im afghanischen Strafgesetzbuch existiere keine Definition von Apostasie (Landinfo, 4. September 2013, S. 10; USDOS, 10. August 2016, Section 2). Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass das Strafgesetzbuch den Gerichten ermögliche, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten "hudud"-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (USCIRF, 26. April 2017). Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten "hudud"-Vergehen (USDOS, 10. August 2016, Section 2) und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor (Landinfo, 26. August 2014, S. 2).

Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), eine staatliche Einrichtung der USA zur Beobachtung der Situation hinsichtlich der Meinungs- Gewissens- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem Jahresbericht vom April 2017, dass staatlich sanktionierte religiöse Führer sowie das Justizsystem dazu ermächtigt seien, islamische Prinzipien und das Scharia-Recht (gemäß Hanafi-Rechtslehre) auszulegen. Dies führe zuweilen zu willkürlichen und missbräuchlichen Auslegungen und zur Verhängung schwerer Strafen, darunter der Todesstrafe (USCIRF, 26. April 2017).

Die Internationale Humanistische und Ethische Union (International Humanist and Ethical Union, IHEU), ein Zusammenschluss von über 100 nichtreligiösen humanistischen und säkularen Organisationen in mehr als 40 Ländern, bemerkt in ihrem im November 2016 veröffentlichten "Freedom of Thought Report 2016", dass sich die Gerichte bei ihren Entscheidungen weiterhin auf Auslegungen des islamischen Rechts nach der Hanafi-Rechtslehre stützen würden. Das Office of Fatwa and Accounts innerhalb des Obersten Gerichtshofs Afghanistans würde die Hanafi-Rechtsprechung auslegen, wenn ein Richter Hilfe dabei benötige, zu verstehen, wie die Rechtsprechung umzusetzen sei: [...]

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen, gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, die Analysen zu politischen Themen in Afghanistan und der umliegenden Region erstellt, bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) Folgendes bezüglich der Rechtspraxis:

Zwar gibt es drei parallele Rechtssysteme (staatliches Recht, traditionelles Recht und islamisches Recht/Scharia), doch letztendlich ziehen sich viele Richter, wenn die Lage irgendwie politisch heikel wird, auf das zurück, was sie selber als Scharia ansehen, statt sich etwa auf die Verfassung zu berufen. Die Scharia ist nicht gänzlich kodifiziert, obwohl verschiedenste Rechtskommentare etc. existieren, und zudem gibt es zahlreiche Widersprüche in den Lehrmeinungen.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Michael Daxner, Sozialwissenschaftler, der das Teilprojekt C9 "Sicherheit und Entwicklung in Nordost-Afghanistan" des Sonderforschungsbereichs 700 der Freien Universität Berlin leitet, bemerkte beim selben Expertengespräch vom Mai bezüglich der Auslegung des islamischen Rechts und islamischer Prinzipien:

Sehr oft stammen die liberalsten Auslegungen von Personen, die etwa an einer Einrichtung wie der Al-Azhar in Kairo studiert haben und daher mit den Rechtskommentaren vertraut sind. Man kann sich indes kaum vorstellen, wie wenig theologisch und religionswissenschaftlich versiert die Geistlichen auf den unteren Ebenen sind. Wenn ein Rechtsgelehrter anwesend ist, der etwa von der Al-Azhar kommt, kann er die Sache auch ein Stück weit zugunsten des Beschuldigten drehen, denn je mehr glaubwürdige Kommentare dem Scharia-Text zugefügt werden, desto besser sieht es für die Betroffenen aus.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender wie folgt auf die strafrechtlichen Konsequenzen von Apostasie bzw. Konversion vom Islam ein:

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten ?ungeheuerlichen Straftaten', die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen.

Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist.'

(UNHCR, 19. April 2016, S. 61)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im August 2016 veröffentlichten Länderbericht zur internationalen Religionsfreiheit (Berichtsjahr 2015), dass laut Hanafi-Rechtlehre Männer bei Apostasie mit Enthauptung und Frauen mit lebenslanger Haft zu bestrafen seien, sofern die Betroffenen keine Reue zeigen würden. Richter könnten zudem geringere Strafen verhängen, wenn Zweifel am Vorliegen von Apostasie bestünden. Laut der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte würde der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion Apostasie darstellen. In diesem Fall habe die betroffene Person drei Tage Zeit, um die Konversion zu widerrufen. Widerruft sie nicht, so habe sie die für Apostasie vorgesehene Strafe zu erhalten. Die genannten Entscheidungsempfehlungen würden in Bezug auf Personen gelten, die geistig gesund und vom Alter her "reif" seien. Dieses Alter werde im Zivilrecht mit 18 Jahren (bei Männern) bzw. 16 Jahren (bei Frauen) festgelegt. Gemäß islamischem Recht erreiche eine Person dieses Alter, sobald sie Anzeichen von Pubertät zeige: [...]

Auch der Bericht von Landinfo vom September 2013 behandelt unter Berufung auf verschiedene Quellen die rechtlichen Folgen von Apostasie. Das Strafrecht sehe gemäß Scharia die Todesstrafe für erwachsene zurechnungsfähige Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen hätten. Diese Rechtsauffassung gelte sowohl für die schiitisch-dschafaritische als auch für die (in Afghanistan dominierende) sunnitisch-hanafitische Rechtsschule. Nach einer Einschätzung in einer Entscheidung des britischen Asylum and Immigration Tribunal aus dem Jahr 2008 sei das Justizwesen in Afghanistan mehrheitlich mit islamischen Richtern besetzt, die den Doktrinen der hanafitischen bzw. dschafaritischen Rechtssprechung folgen würden, welche die Hinrichtung von muslimischen Konvertiten empfehlen würden. Die Strafen für Frauen im Falle von Apostasie seien indes weniger schwer: sie würden "gefangen gehalten". Die sunnitisch-hanafitische Rechtslehre sehe dabei eine mildere Bestrafung vor als die schiitisch-dschafaritische. Während letztere vorsehe, dass (weibliche) Apostatinnen täglich jeweils zu den Gebetszeiten ausgepeitscht würden, sehe die hanafitische Lehre vor, dass sie jeden dritten Tag geschlagen würden, um sie zu zur Rückkehr zum Islam zu bewegen. Neben Frauen seien auch Kinder, androgyne Personen und nichtgebürtige Muslime im Fall von Apostasie von der Todesstrafe ausgenommen. Bezüglich der Anwendung der Scharia und der strafrechtlichen Konsequenzen für Apostasie liege kein Erfahrungsmaterial speziell zu Afghanistan vor. Zugleich sei Landinfo der Auffassung, es gebe Grund zur Annahme, dass etwaige gerichtliche Entscheidungen in diesem Bereich unterschiedlich ausgefallen seien, jedoch den soeben beschriebenen Richtlinien entsprechen würden, wobei die Variationen eventuell weniger ausgeprägt sein könnten. Dies gelte auch für die zivilrechtlichen Folgen von Apostasie. Wie Landinfo bemerkt, könne in Afghanistan gemäß Verfassung und religiösen Rechtsmeinungen die Todesstrafe verhängt werden, wenn ein Fall von Konversion vor Gericht komme. Dies gelte sowohl für das staatliche als auch für das traditionelle Rechtssystem: [...]

Dem USDOS zufolge seien aus dem Berichtsjahr 2015 keine Fälle von tätlichen Übergriffen, Inhaftierungen, Festnahmen oder Strafverfolgung wegen Apostasie bekannt (USDOS, 10. August 2016, Section 2).

UNHCR schreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender Folgendes über zivilrechtliche und gesellschaftliche Folgen einer (vermeintlichen) Apostasie bzw. Konversion:

Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren.

Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können Berichten zufolge selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. [...]

Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs).' (UNHCR, 19. April 2016, S. 61-62)

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, eine andere sei als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw. Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen sei mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen seien: [...]

Die IHEU bemerkt in ihrem Bericht vom November 2016, dass nur sehr wenige Fälle von "Ungläubigen" bzw. Apostaten verzeichnet würden, was wahrscheinlich jedoch bedeute, dass viele Konvertiten und Andersgläubige zu viel Angst davor hätten, ihren Glauben öffentlich kundzutun. Der Übertritt vom Islam werde selbst von vielen Personen, die sich allgemein zu demokratischen Werten bekennen würden, als Tabu angesehen. (IHEU, 1. November 2016)

Laut einem Artikel von BBC News vom Jänner 2014 stelle Konversion bzw. Apostasie in Afghanistan nach islamischem Recht eine Straftat dar, die mit der Todesstrafe bedroht sei. In manchen Fällen würden die Leute jedoch die Sache selbst in die Hand nehmen und einen Apostaten zu Tode prügeln, ohne dass die Angelegenheit vor Gericht gelange: [...]

Weiters bemerkt BBC News, dass für gebürtige Muslime ein Leben in der afghanischen Gesellschaft eventuell möglich sei, ohne dass sie den Islam praktizieren würden oder sogar dann, wenn sie "Apostaten" bzw. "Konvertiten" würden. Solche Personen seien in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren würden. Gefährlich werde es dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben. Es gebe kein Mitleid mit Muslimen, die "Verrat an ihrem Glauben" geübt hätten, indem sie zu einer anderen Religion konvertiert seien oder aufgehört hätten, an den einen Gott und an den Propheten Mohammed zu glauben. In den meisten Fällen werde ein Apostat von seiner Familie verstoßen: [...]

2) Christliche KonvertitInnen

Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (AAN) bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016), dass Christen als religiöse Gruppe in der afghanischen Verfassung "(wohl bewusst) nicht genannt" würden, während Sikhs und Hindus in der Verfassung genannt würden und die gleichen Rechte hinsichtlich der Religionsausübung zuerkannt bekämen wie Muslime schiitischer Konfession. Da es jedoch niemanden gebe, der in der Lage sei, die Verfassung umzusetzen, könne "die Verfassung einen Christen wohl auch dann nicht schützen, wenn die Verfassung die Religionsausübung von Christen garantieren würde und sich ein Christ auf die Verfassung berufen könnte". (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

UNHCR bemerkt in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, dass nichtmuslimische religiöse Minderheiten, darunter Christen, "weiterhin im geltenden Recht diskriminiert" würden. Die sunnitische Hanafi-Rechtssprechung gelte für "alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion". Die "einzige Ausnahme" würden "Personenstandsachen [bilden], bei denen alle Parteien Schiiten sind", in diesem Fall würde "das schiitische Recht für Personenstandsachen angewendet". Für andere religiöse Gruppen gebe es "kein eigenes Recht". Wie UNHCR weiter ausführt, würden unabhängig davon "nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftliche Schikanierung und in manchen Fällen Gewalt" erfahren. So würden Mitglieder religiöser Minderheiten wie etwa der Christen "aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung" es vermeiden, "sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln". (UNHCR, 19. April 2016, S. 57-58)

Ähnlich schreibt das US-Außenministerium (USDOS) in seinem im August 2016 veröffentlichten Jahresbericht zur Religionsfreiheit (Berichtsjahr: 2015) unter Berufung auf Vertreter von Minderheitenreligionen, dass die afghanischen Gerichte Nichtmuslimen nicht dieselben Rechte wie Muslimen zugestehen würden und Nichtmuslime häufig der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung unterworfen würden (USDOS, 10. August 2016, Section 2).

Ruttig geht im Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) wie folgt auf die Lage von christlichen Konvertiten ein:

Die Gleichberechtigung gilt nicht für die zunehmende Zahl von Christen, bei denen es sich ausschließlich um Konvertiten (oft durch evangelikale Gruppen; aber auch bewusste Abwendungen vom Islam unter Gebildeten) und nicht um autochthone Gruppen handelt. Als ehemalige Muslime gelten sie als Abtrünnige, worauf nach der Scharia (siehe Rechtssysteme) die Todesstrafe stehen kann. Ihre Zahl ist nicht bekannt. Es gibt heute eine ganze Reihe von Afghanen, die zum Christentum übergetreten sind. Sie tun alle sehr wohl daran, ihren Glaubensübertritt nicht (weitestgehend nicht einmal gegenüber der eigenen Familie) bekanntzugeben. Es handelt sich zum Teil um Angehörige stark unterprivilegierter Gruppen (Straßenkinder, sehr arme Familien), die über humanitäre Ausreichungen konvertiert worden sind und ich habe auch Leute von denen getroffen, die oft nur geringe Kenntnisse über das Christentum haben. Aber es gibt auch sehr bewusste Entscheidungen unter gebildeten Afghanen, die sich bewusst vom Islam abwenden und Christen werden. Mir sind persönlich Fälle von drei oder vier Leuten bekannt (aber es gibt natürlich viel mehr!), deren Konversion bekannt geworden ist, die dann aus Afghanistan gerettet und ausgeflogen werden mussten. Konversion ist einfach nicht vorgesehen, deswegen stehen diese Christen unter starkem Verfolgungsdruck.' (ACCORD, Juni 2016, S. 8-9)

Afghanen, die einer Konversion beschuldigt werden, stehen völlig im Regen. Es gibt niemanden, der ihnen helfen kann. Falls die Sache vor ein staatliches Gericht kommt (was unwahrscheinlich ist), dann sehen sich die Richter ideologisch derart gezwungen, nach der Scharia zu urteilen, dass der Fall nur schlecht für den Betroffenen ausgehen kann.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Wie UNHCR bemerkt, dürften Nichtmuslime "Berichten zufolge nur dann untereinander heiraten, wenn sie sich nicht öffentlich zu ihren nicht-islamischen Überzeugungen bekennen" würden (UNHCR, 19. April 2016, S. 58). [...]

UNHCR schreibt Folgendes über gesellschaftliche Haltungen gegenüber Christen sowie über das Vorgehen der Taliban gegen (vermeintlich) christliche ausländische Hilfsorganisationen:

Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist Berichten zufolge weiterhin offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. In Afghanistan existieren keine öffentlichen Kirchen mehr und Christen beten allein oder in kleinen Versammlungen in Privathäusern. Im Jahr 2013 riefen vier Parlamentsmitglieder Berichten zufolge zur Hinrichtung von Personen auf, die zum Christentum konvertiert sind. Die Taliban haben Berichten zufolge ausländische Hilfsorganisationen und ihre Gebäude auf der Grundlage angegriffen, dass diese Zentren des christlichen Glaubens seien.' (UNHCR, 19. April 2016, S. 58-59)

Die staatliche United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt im April 2017, dass nichtmuslimische religiöse Gemeinschaften weiterhin von gesellschaftlicher Diskriminierung, Schikanierung und mitunter auch Gewalt betroffen seien. Es würden unter anderem Berichte über Schikanen gegen vom Islam konvertierte Personen vorliegen. Mitglieder nichtmuslimischer Gemeinschaften hätten berichtet, dass allgemein vorherrschende Unsicherheit und Mangel an wirtschaftlichen Möglichkeiten sie dazu bewegt hätten, das Land zu verlassen: [...]

Das USDOS bemerkt, dass Christen aus Angst vor staatlichen Repressalien weiterhin Situationen aus dem Weg gehen würden, die geeignet wären, bei der Regierung den Eindruck zu erwecken, sie würden versuchen, ihre Religion zu verbreiten. Weiters hätten Christen angegeben, dass die öffentliche Meinung gegenüber christlichen Konvertiten und der Idee der christlichen Missionierung feindselig sei. Mitglieder der kleinen christlichen Gemeinde, von denen viele im Ausland zum Christentum konvertiert seien, würden aus Angst vor Diskriminierung oder Verfolgung weiterhin alleine oder in kleinen Gruppen in Privathäusern Gottesdienst halten. Es gebe weiterhin keine öffentlichen christlichen Kirchen in Afghanistan. Für nichtafghanische Staatsangehörige unterschiedlicher Glaubensrichtungen gebe es Gebetsstätten innerhalb von Militäreinrichtungen der Koalitionstruppen sowie in Botschaften in Kabul: [...]

Laut Angaben der USCIRF befinde sich die einzige bekannte christliche Kirche im Land auf dem Gelände der italienischen Botschaft (USCIRF, 26. April 2017).

Der Deutschlandfunk, ein öffentlich-rechtlicher Radiosender mit Sitz in Köln, zitiert im Februar 2017 den deutschen reformierten Theologen und Religionswissenschaftler Thomas Schirrmacher mit folgender Aussage, die sich auf Übertritte afghanischer Asylwerber zum Christentum bezieht:

Für viele Muslime ist die Sache hoch gefährlich, weil im Islam eine Strafe auf Apostasie und Blasphemie steht. Und sie können dann so oder so nicht mehr in ihre Länder zurück. Im Regelfall wird aber auch die Familie sie verstoßen. In Afghanistan gibt es - ja man kann schon sagen - ein Kampf auf Leben und Tod zwischen dem offiziellen Islam und allen abweichenden Formen und der zweitgrößten Religion im Land, dem Christentum.' (Deutschlandfunk, 13. Februar 2017)

Die Evangelische Allianz in Deutschland (EAD) beschreibt die Lage von Christen wie folgt:

Gemeinden leben fast ausschließlich als Untergrundkirche, und es gab nur eine leichte Verbesserung seit dem Sturz der Taliban. Gläubige aus dem Ausland, die stark zugenommen haben, können nur sehr vorsichtig ihren Glauben bezeugen. Die Zahl der afghanischen Gläubigen wächst, ebenso die Mittel, die zur Verfügung stehen, um ihnen zu helfen. [...] Werden spirituellen Aktivitäten unter den Gläubigen entdeckt, wird auf dem muslimischen Hintergrund in den Medien intensiv darüber berichtet und versichert, hart durchzugreifen bis hin zur Todesstrafe.' (EAD, 9. Juni 2015)

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass sich die religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Beschränkungen, denen Christen in Afghanistan unterworfen seien, nicht anders gestalten würden als für andere Gruppen mit Meinungen, Weltansichten, politischen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen, die als Abfall vom Islam wahrgenommen werden könnten. Ebenso wie Personen mit säkularen Ansichten, Atheisten und nichtgläubige Afghanen müssten auch Christen ständige Selbstzensur üben und könnten sich wegen drohender Angriffe nicht zu ihrem Verhältnis zum bzw. ihrer Sicht auf den Islam äußern. Angehörige solcher Gruppen seien gezwungen, sich konform mit dem Islam, d.h. so zu verhalten, als wären sie Muslime. Nach außen hin müssten alle Afghanen die religiösen Erwartungen ihrer lokalen Gemeinschaft hinsichtlich religiösen Verhaltensweisen, Gebeten etc. erfüllen. Laut Angaben unter anderem der norwegischen Kulturberatungsfirma Hansen Cultural Coaching (HCC) gebe es viele Afghanen (nicht nur christliche Konvertiten), die lokale religiöse Sitten befolgen und an religiösen Ritualen teilnehmen, ohne dass diese Handlungen ihre tatsächlichen inneren Glaubensvorstellungen und Überzeugungen widerspiegeln würden: [...]

Die US-Tageszeitung New York Times (NYT) berichtet in einem älteren Artikel vom Juni 2014, dass es aus offizieller Sicht keine afghanischen Christen gebe. Die wenigen Afghanen, die das Christentum praktizieren würden, würden dies aus Angst vor Verfolgung im Privaten tun und eine der wenigen Untergrundkirchen besuchen, von denen man annehme, dass sie im Land existieren würden. Ausländische Christen würden Kapellen in Botschaftseinrichtungen besuchen, doch diese seien für Afghanen praktisch unzugänglich. Im vergangenen Jahrzehnt seien nur wenige Fälle von Konversion öffentlich bekannt geworden. In der Regel sei die Regierung dann rasch und lautlos vorgegangen: Die Betroffenen seien dazu aufgefordert worden, ihren Glaubensübertritt zu widerrufen, und wenn sie sich geweigert hätten, seien sie aus dem Landes vertrieben worden, in der Regel nach Indien: [...]"

1.2.3. Auszug aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Situation von Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan vom 12.07.2017:

"[...] 6. Gibt es Berichte zu Personen, die vom Islam abgefallen sind, sowie deren Behandlung in Afghanistan? [...]

6. Es gibt fast keine öffentlichen Vorfälle zu der Behandlung von Abtrünnigen, da Abtrünnige in den meisten Fällen - gleich wie Christen - sich nicht öffentlich zu ihrem Glauben bekennen; nichtsdestotrotz gibt es Berichte, dass sie in sozialen Medien ihrem Glauben Ausdruck verliehen haben. [...]

Behandlung in Afghanistan?

7. Gibt es Berichte zu deren gesellschaftlicher Behandlung? Allgemeine Situation dieser Personen? [...]

7. Es gibt fast keine öffentlichen Vorfälle, um zu evaluieren, wie sie [Anm.: Abtrünnige] von der Gesellschaft behandelt werden. Aber es ist offensichtlich, dass, sollten sie ihrer Meinung kundtun und sich auf Diskussionen einlassen, um ihren abtrünnigen Glauben vergleichend mit dem Islam zu verteidigen, sie von der Gesellschaft schlecht behandelt werden. [...]

8. Gibt es Berichte zu staatlicher Behandlung? [...]

8. Sofern sie sich nicht auf Diskussionen einlassen, die den/ihren Glauben betreffen, welche zu sozialen Unruhen führen, werden staatliche Behörden keine Maßnahmen gegen sie setzen. Sollten sie aber soziale Probleme hervorrufen, indem sie sich auf Diskussionen einlassen, um ihren Abfall vom Glauben zu unterstützen, so werden die staatlichen Behörden ihnen das nicht erlauben und sie belangen.

[...]

8.1. Gibt es Berichte zu Verhaftungen? Gibt es Berichte zu Behandlung in Haftanstalten? [...]

8. a. In Haftanstalten können Behörden [Anm.: Staatsbedienstete] sie nicht schlechter behandeln und tun es auch nicht; aber sollten Abtrünnige mit anderen Häftlingen leben, würden andere Häftlinge schlechte Absichten gegen sie hegen und es gäbe die Möglichkeit Schikane durch andere Häftlinge. Nichtsdestotrotz gibt es keine Berichte zu solchen Vorfällen. [...]

9. Gibt es Berichte zum Zugang von Personen, die vom Islam abgefallen sind? [...]

9. Zugang von Abtrünnigen zu staatlichen Leistungen

Ja, sie haben Zugang; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen. [...]

10. Gibt es Berichte zur Behandlung von Personen, die sich nicht an die Regel des Islams halten (Kein Fasten des Ramadans, kein Freitagsgebet etc.)? Wie werden sie von der Gesellschaft behandelt?

[...]

10. Ja, es gibt viele Menschen, die während des Ramadans nicht fasten und freitags nicht beten. [...]

11. Gibt es unterschiedliche Behandlung in ländlichen bzw. städtischen Gebieten? [...]

11. Ja, die Behandlung auf dem Land und der Stadt unterscheidet sich total; es ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten.

11. a. Es gibt keine offiziellen Berichte; nichtsdestotrotz kam und kommt es zu Vorfällen: Jene, die nicht während des Ramadans fasten und freitags nicht beten, wird von der Gesellschaft nahegelegt [Anm.: zumindest] das Freitags- und Ramadan-Gebet einzuhalten; die Gesellschaft behandelt dies als kleine Vergehen [Anm.: wörtliche Übersetzung - wenig obszön]. Das Nicht-Fasten während des Ramadans ist eine heiklere Angelegenheit; Vorfälle schlechter Behandlung aufgrund des Nichtfastens durch die Gesellschaft kommen vor.

11. b. Für das Nichtbeten des Freitagsgebetes werden sie nicht bestraft und von den staatlichen Behörden nicht angewiesen, dies zu tun; für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden dem Nichtfastenden-des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Berichte zu stundenlangen Polizeiverhören mit Nichtfastenden-des-Ramadan existieren, dennoch bestehen keine Berichte zu offizieller Strafverfolgung. [...]

12. Sind diese Menschen Sanktionen durch Staat oder Gesellschaft ausgesetzt? [...]

12. Es gibt keine offiziellen und traditionellen Sanktionen gegen sie [Anm.: Nichtfastende des Ramadans].[...]

12.1.Existiert in irgendeiner Weise Ungerechtigkeit? [...]

12. a. Nein, sie werden keine Schlechterstellung erfahren. [...]

13. Gibt es Gesetze zum Umgang mit Konvertiten/ Personen, die vom Islam abgefallen sind/ Personen, die sich nicht an die Regeln des Islams halten? Z.B. ist dies rechtlich sanktioniert; gibt es gerichtliche oder verwaltungsrechtliche Strafen sowie zivilrechtliche Nachteile? Falls ja, werden diese Gesetze auch tatsächlich angewandt? Wenn ja, in welcher Form? Existieren Statistiken über Anzeigen, Verurteilungsraten und/oder Verfahrensergebnisse? [...]

13. Wenn Konvertiten/Atheisten [Anm.: ihren Glauben] veröffentlichen, dann wird der Staat aktiv, um Chaos und Unruhe zu vermeiden; dabei werden Gesetze für solche Verhandlungsverfahren angewendet. Dennoch gibt es keine klaren Bestimmungen für solche Angelegenheiten in den afghanischen Gesetztexten somit kommt es zur Anlehnung an das Sharia-Gesetz, während die Regierung in solchen Fällen noch nicht das Sharia-Gesetz angewendet hat. [...]

14. Gibt es Berichte zu Personen, die öffentlich Kritik am Islam geäußert haben? [...]

14. Wenige solcher Berichte existieren über jene, die den Islam öffentlich kritisiert haben: Es existieren einige solcher Berichte zu derartigen Vorfällen in sozialen Medien. [...]

14.1. Werden diese Menschen bestraft oder werden sie vom Staat beschütz? [...]

14. a. Höchstwahrscheinlich werden jene, die den Islam öffentlich kritisiert haben, strafrechtlich verfolgt werden; aber die meisten strafrechtlichen Verfolgungen werden nicht zu einer schnellen und bestimmten Bestrafung führen. Auch ist unklar, ob die strafrechtlichen Verfolgungen dem Schutz oder der Bestrafung dienen. In wenigen Fällen werden die Schuldigen verhaftet und aus dem Land gebracht. [...]

14.2. Gibt es regionale Unterschiede - Stadt und Land? [...]

14. b. Selbstverständlich gibt es einen Unterschied zwischen ländlichen und städtischen Gegenden; die städtische Gesellschaft ist flexibler und gleicht in diesen Fällen die Situation aus, während in ländlichen Gebieten die Gesellschaft und Menschen strenger und harscher sind. [...]

15. Gibt es internationale Organisation in Afghanistan, die sich für Konvertiten bzw. oben genannte Personengruppen einsetzen? [...]

15. Obwohl keine Organisationen - die Atheisten/Abtrünnige und Christen unterstützen - existieren, glauben gewisse Menschen, dass Strafen für diese Organisationen anfallen würden, die unter dem Deckmantel von Entwicklungs- und humanitärer Hilfe arbeiten. [...]

16. Gibt es Zusammenschlüsse von Betroffenen? Was wird hierzu berichtet?

16.1. Gibt es zu allen oben stehenden Fragen Unterschiede zwischen dem städtischen und dem ländlichen Bereich? [...]

16. Wie bereits erwähnt, existieren keine Organisationen, um ihnen Schutz oder öffentliche Sicherheit zu gewähren; dennoch könnten solche Organisationen (wenn überhaupt) durch die Regierung schützen, und könnten ihnen geheimen Schutz gewähren. [...]

17. Bzw. in Gebieten in denen die Taliban oder der IS/Daesh sind?

[...]

17. Ja, die Situation unterscheidet sich in den Regionen in denen IS/Daesh die Kontrolle hat; jeder von den bereits erwähnten Vorfällen wird mit sehr harten Reaktionen durch den sog. IS konfrontiert sein. [...]"

1.2.4. Zusammenfassung der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Nichtausübung des Islam und Apostasie in Afghanistan vom 25.10.2018:

"Bei der Nichtausübung des Islams sind viele Faktoren zu berücksichtigen, wie etwa geographische Zugehörigkeit, Ethnie, Bildungsgrad, soziale, politische, wirtschaftliche Aspekte, urbanes oder ländliches Umfeld und Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten. Das bloße Nicht-Praktizieren der islamischen Bräuche (z.B. Besuch der Moschee, Fasten während des Ramadan, regelmäßiges Beten usw.) hat nicht notgedrungen negative Auswirkungen für die betroffene Person. In bestimmten Fällen kann das Nicht-Praktizieren der islamischen Religion zu einem Glaubwürdigkeitsverlust innerhalb der Gemeinschaft führen. Ein Muslim, der aus beruflichen oder zeitlichen Gründen nicht in die Moschee geht, wird nicht automatisch als Nicht-Muslim betrachtet. Weiters ist es Kranken erlaubt, nicht zu fasten. In seltenen Fällen jedoch und besonders in ultrakonservativen, ländlichen Gesellschaften kann eine Person bestraft werden oder in Lebensgefahr geraten, wenn sie die islamischen Bräuche auf provokative Weise nicht einhält. Weiters gibt es Situationen, in denen Muslime das Praktizieren der Religion aus gesellschaftlichen, politischen und anderen Gründen vortäuschen. In Großstädten wie Kabul, Herat und Mazar ist der Gefährdungsgrad von nicht-praktizierenden Muslimen niedriger als in ländlichen Gebieten.

Obwohl es stark davon abhängig ist, auf welche Art und Weise, wo und wann die Abwendung vom Islam verkündet wird und wer die Zuhörerschaft ist, gilt grundsätzlich: Wenn ein Muslim in Afghanistan die Abwendung vom Islam verkündet, ist mit schweren Folgen zu rechnen."

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und dem Fremdeninformationssystem, in einen Strafregisterauszug und einen Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem sowie durch Einvernahme des Beschwerdeführers und der Zeugin XXXX , der Zeugin XXXX und des Zeugen XXXX in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingebrachten Länderberichte (UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018; EASO-Country Guidance aus Juni 2019; ACCORD-Anfragebeantwortung zur Situation von vom Islam abgefallenen Personen usw. vom 12.07.2017; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan vom 12.07.2017; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Nichtausübung des Islam und Apostasie in Afghanistan vom 25.10.2018) sowie durch Einsichtnahme in die mit Urkundenvorlage vom 23.04.2019 (ON 3 - Teilnahmebestätigung an einer Schulung für Lehrlinge vom 06.09.2018; Schulbesuchsbestätigung Berufsschule XXXX vom 25.01.2019; Jahreszeugnis der Berufsschule XXXX vom 25.01.2019; Schreiben der XXXX zum Privatverzug des BF vom 18.05.2017; Mietvertrag vom 18.05.2017; Verlängerung des Mietvertrages vom 19.05.2018; Verlängerung des Mietvertrages vom 19.05.2019), vom 24.09.2019 (ON 6 - Informationsschreiben der Berufsschule XXXX vom 13.05.2019; Postings des Beschwerdeführer;

Konvolut Fotos; Empfehlungsschreiben XXXX vom 10.09.2019;

Stellungnahme des BF zum Glaubensaustritt; Lohn- und Gehaltsabrechnungen von Oktober 2017-Juni 2019; Empfehlungsschreiben XXXX vom 09.09.2019; Empfehlungsschreiben XXXX vom 16.09.2019;

Empfehlungsschreiben XXXX vom 10.09.2017; Empfehlungsschreiben XXXX vom 17.09.2019; Austrittserklärung aus der islamischen Glaubensgemeinschaft der XXXX vom 16.09.2019; Lastschriftmandat

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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