TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/24 W260 2187734-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.10.2019
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Entscheidungsdatum

24.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W260 2187734-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 25.01.2018, Zl. 15-1078607810/150880518, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer") reiste illegal ins Bundesgebiet ein und hat am 17.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Bei der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.07.2015 gab der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari an, er wäre afghanischer Staatsangehöriger, würde der Volksgruppe der Tadschiken angehören, wäre sunnitischer Moslem und in der Provinz Herat geboren. Im Alter von drei Jahren wäre er mit seiner Familie in den Iran gezogen, wo er bis zu seiner Ausreise Richtung Europa in Teheran gelebt hätte. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, er wäre als afghanischer Flüchtling im Iran diskriminiert und beschimpft worden und hätte illegal arbeiten müssen. Nach Afghanistan hätte er aufgrund der schlechten Sicherheitslage nicht zurückkehren können.

3. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 20.10.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "belangte Behörde") im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Beweismitteln und Integrationsunterlagen vor.

Er gab zusammengefasst an, dass er gesund wäre und bestätigte, wie in der Erstbefragung ausgeführt, seine Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit und seine Herkunftsprovinz. Der Beschwerdeführer hätte ungefähr 20 Jahre lang in Teheran gelebt, sechs Jahre lang Privatunterricht erhalten und wäre Installateur. Die Eltern, drei Schwestern und die Verlobte des Beschwerdeführers würden im Iran leben. In Afghanistan hätte er keine Verwandten.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer kurz zusammengefasst an, er wäre im Iran von einer iranischen Witwe beauftragt worden, in deren Haus Installateurarbeiten durchzuführen. Er hätte mit dieser Frau eine Affäre begonnen. Der Sohn der Frau hätte das bemerkt und am nächsten Tag hätte die Polizei nach dem Beschwerdeführer gesucht. Die Frau, die gar keine Witwe gewesen wäre, hätte den Beschwerdeführer wegen Vergewaltigung angezeigt. Die Polizei hätte den Vater des Beschwerdeführers geschlagen und seine Mutter wäre vom Ehemann der Frau geschlagen worden. Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass sein Vater früher in Afghanistan ein Mitglied der "Mujaheddin" gewesen wäre und gegen die Russen gekämpft hätte. Er wäre im Kampf verletzt worden und gemeinsam mit seiner Familie zur Behandlung in den Iran gegangen. Die Familie wäre dann nicht mehr nach Afghanistan zurückgekehrt, da der Vater ansonsten wieder in den Krieg geschickt worden wäre.

4. Mit Schreiben vom 25.10.2017 übermittelte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25.01.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle der Rückkehr führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung mit maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe habe, in Afghanistan glaubhaft zu machen. Der Beschwerdeführer sei ein junger, gesunder Mann im arbeitsfähigen Alter. Unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sei zusammengefasst davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in keine aussichtslose Lage gedrängt werde, die eine solche Rückkehr unzumutbar erscheinen lasse; seine Grundversorgung sei gewährleistet.

6. Der Beschwerdeführer erstattete namens seiner bevollmächtigten Rechtsberatung fristgerecht Beschwerde, wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und bemängelte, dass sich die belangte Behörde mit seinem Vorbringen, insbesondere der geschilderten Bedrohung durch die Taliban, nicht ausreichend auseinandergesetzt hätte. Die geschilderten Vorfälle im Iran hätte zudem, entgegen der Annahme der belangten Behörde, sehr wohl eine Relevanz für eine etwaige Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat Afghanistan. Der Beschwerdeführer zitierte Länderberichte zur Sicherheitslage und zur Situation von Rückkehrern in Afghanistan. Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Einvernahme des Referenten der belangten Behörde als Zeugen. Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen vor.

7. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 01.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Mit Schreiben vom 05.03.2018 und 06.12.2018 legte der Beschwerdeführer Integrationsunterlagen vor.

9. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.02.2019 wurde eine mündliche Verhandlung für den 03.04.2019 anberaumt.

10. Aus dem vom Bundesverwaltungsgericht am 01.04.2019 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den Beschwerdeführer keine Verurteilungen aufscheinen.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.04.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Rechtsberaterin, eines beantragten Zeugen und eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt. Die Niederschrift wurde der entschuldigt ferngebliebenen belangten Behörde übermittelt.

Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden folgende Unterlagen in das gegenständliche Verfahren vom Bundesverwaltungsgericht eingebracht: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation samt Kurzinformation vom 26.03.2019; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018; Auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan von 06/2018, Seiten 21-25; Auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan von 06/2018, Seiten 98-109; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Ehebruch/ Zina, Verjährung" vom 12.06.2018; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Verfolgung ehemaliger Mujaheddin durch Taliban und staatliche Stellen" vom 20.12.2017.

Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit gegeben, in diese herkunftsstaatsbezogenen Berichte Einsicht zu nehmen. Er verzichtete auf eine schriftliche Stellungnahme und gab durch seine bevollmächtigte Rechtsberaterin im Rahmen der Verhandlung zusammengefasst folgende Stellungnahme ab: Der Beschwerdeführer hätte nahzu sein komplettes Leben im Iran verbracht. Er wäre folglich auf Grund der Unkenntnis der aktuellen Gegebenheiten und Umstände, die ihm wirksame Schutzmaßnahmen unmöglich machen würden, unter anderem einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens und seiner Unversertheit, in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaaltichen Konflikts ausgesetzt. In Afghanistan würde er weder über ein familiäres, noch soziales Umfeld verfügen. Seine Familie im Iran würde ihn finanziell nicht unterstützen können. Es wäre dem Beschwerdeführer daher nicht möglich sich in Afghanistan eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Er wäre in Österreich außerordentlich gut integriert, er würde viele österreichische Freunde haben und hätte mittlerweile die B1-Prüfung posititv absolviert. Er würde aktuell einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen. Der Beginn der Lehre sei ihm auf Grund der neuen gesetzlichen Regelung nicht erlaubt. Er würde sich seit fast vier Jahren in Österreich befinden. Der VwGH würde diesbezüglich festhalten, dass die Dauer des Aufenthalts nicht ausschlaggebend für das Maß an Integration wäre. Zur vorhandenen westlichen Orientierung des Beschwerdeführers verweisen sie auf ein Erkenntnis des BVwG vom 24.07.2017 zur Zahl W139 2141277-1.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

12. Mit Schreiben vom 25.07.2019 legte der Beschwerdeführer seine weiteren Integrationsbemühungen dar.

13. Mit Schreiben vom 29.08.2019 übermittelte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsberatung weitere Integrationsunterlagen.

14. Einer dem Bundesverwaltungsgericht übermittelten Anzeige der Polizeidirektion Tirol vom 10.09.2019 ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer auf einer privaten Baustelle bei Arbeiten angetroffen wurde, in der Anzeige als "Beteiligter" genannt wird und der Verdacht besteht, dass der Bauherr gegen sozialversicherungsrechtliche Bestimmungen verstoßen habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Provinz Herat in Afghanistan.

Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, ist sunnitischer Moslem, gesund und ledig; er hat keine Kinder. Seine Muttersprache ist Dari.

Der Beschwerdeführer wuchs die ersten drei Lebensjahre in Afghanistan auf. Dann zog er mit seiner Familie in den Iran, wo er in Teheran lebte, sechs Jahre lang Privatunterricht erhielt und als Installateur arbeitete.

Die Eltern und Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Iran. Der Vater arbeitet als Straßenhändler, die Mutter ist Hausfrau. Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt zu seinen Familienmitgliedern im Iran.

Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen im Herkunftsstaat und ist Zivilist.

Der Beschwerdeführer reiste im Juni 2015 aus dem Iran aus und gelangte in der Folge illegal ins Bundesgebiet.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer stellte am 17.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Das vom Beschwerdeführer dargelegte Fluchtvorbringen, dass er im Iran eine Affäre mit einer verheirateten Iranerin gehabt hätte und deshalb von der Polizei gesucht und vom Ehemann dieser Frau bedroht worden wäre, bezieht sich nicht auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan und ist daher nicht relevant. Dass der Beschwerdeführer aufgrund dieses Sachverhaltes auch in seinem Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung zu befürchten hat, konnte er nicht glaubhaft machen.

Das vom Beschwerdeführer dargelegte Fluchtvorbringen, er würde in Afghanistan asylrelevante Probleme bekommen, weil sein Vater vor mehr als 20 Jahren als "Mujaheddin" gekämpft hätte, ist nicht glaubhaft.

Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines behaupteten Abfalles vom muslimischen Glauben psychischer und oder psychischer Gewalt ausgesetzt wäre, noch, dass dies einer der Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes gewesen ist. Personen, die sich - ohne Zuwendung zu einer anderen Religion - lediglich nicht für den Islam interessieren und etwa nicht in die Moschee gehen, sind keiner maßgeblichen Gefahr ausgesetzt. Der Beschwerdeführer geht aktiv keiner (neuen) religiösen Überzeugung nach.

Es ist nicht glaubhaft, dass konkret der Beschwerdeführer auf Grund der Tatsache, dass er den überwiegenden Teil seines Lebens im Iran verbracht hat und sich seit mehr als vier Jahren in Europa aufhält, bzw. dass jeder afghanische Staatsangehörige, der aus dem Iran oder aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

Es ist nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner "westlichen Wertehaltung" psychische und/oder physische Gewalt drohen würde.

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische und/oder physische Gewalt von staatlicher Seite, und/oder von Aufständischen, und/oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.

Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Volksgruppenzugehörigkeit, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.

Auch sonst haben sich keine Hinweise für eine dem Beschwerdeführer in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass eine Überstellung des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Herat aufgrund der schwachen und nicht gesicherten Infrastruktur ausgehend von Kabul bis in die Provinz Herat mit ernstzunehmender Gefahr für Leib und Leben verbunden ist, weshalb ihm eine Rückkehr dorthin nicht zugemutet werden kann.

Dem Beschwerdeführer steht als innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem Beschwerdeführer würde bei seiner Rückkehr in diese Stadt kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Der Beschwerdeführer ist jung und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden.

Der Beschwerdeführer hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise. Der Beschwerdeführer ist mobil und anpassungsfähig. Er hat im Iran eine sechsjährige Schulausbildung absolviert und Berufserfahrung als Installateur gesammelt, die er auch in Mazar- e Sharif wird nutzen können.

Die Stadt Mazar-e Sharif ist von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug zu erreichen.

Der Beschwerdeführer ist gesund. Er läuft im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder dass sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern wird. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Antragstellung im Juli 2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer besuchte diverse Deutschkurse und hat zuletzt das Deutschzertifikat auf Niveau B1 bestanden. Er verfügt über gute Kenntnisse der deutschen Sprache.

Er hat im Juli 2019 die Pflichtschulabschlussprüfung bestanden.

Für den Beschwerdeführer liegt ein Arbeitsvorvertrag vor.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich zahlreiche gemeinnützige Tätigkeiten ausgeführt und war unter anderem ehrenamtlich in einem Flüchtlingsheim für unbegleitete Minderjährige, in einem Wohnheim, in einer Notschlafstelle und als Dolmetscher für Flüchtlinge bei Arztbesuchen tätig.

Er ist seit über zwei Jahren Mitglied in einem Boxverein und wurde 2017 und 2018 XXXX Meister im Boxen sowie 2018 Vizestaatsmeister.

Der Beschwerdeführer hat zahlreiche Freunde und Bekannte in Österreich.

Er hat in Österreich keine Familienangehörigen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 26.03.2019, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 und den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

1.5.1.1. Herkunftsprovinz Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden. Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten.

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat.

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen. Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen. Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden.

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat.

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern.

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge.

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

Militärische Operationen in Herat

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen.

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen.

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden.

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat.

1.5.1.2. Provinz Balkh

Bei der Provinz Balkh, mit deren Hauptstadt Mazar- e Sharif, handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben.

1.5.2. Sichere Einreise

Die Stadt Mazar- e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher.

1.5.3. Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 28.12.2017).

1.5.3.1. Wirtschaftslage der Stadt Mazar-e Sharif

Mazar- e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. In Mazar- e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Als Alternative dazu stehen ferner günstige Unterkünfte in "Teehäusern" zur Verfügung. Generell besteht in Mazar- e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keinerlei Lebensmittelknappheit. In Mazar- e Sahrif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu besseren Sanitäreinrichtungen. Schulische Einrichtungen sind in Mazar-e Sharif vorhanden.

1.5.4. Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten wie etwa auch in Mazar- e Sharif sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. In Mazar- e Sharif zählt dazu das Alemi Krankenhaus. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

1.5.5. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken, zu denen der Beschwerdeführer zählt, ist die zweitgrößte; und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten: In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

1.5.6. Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, wie es auch der Beschwerdeführer ist.

1.5.7. Rückkehrer

In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. In der Provinz Balkh ließen sich von den insgesamt ca. 1,8 Millionen Rückkehrer/innen in der Zeit von 2012 bis 2017 109.845 Personen nieder.

Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen.

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Großfamilie ist für Zurückkehrende die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Afghanische Flüchtlinge im Iran

Die letzten zwei bis drei Jahre zeigen doch auf eine progressivere Entwicklung für Afghanen im Iran, wo sich die Maßnahmen der iranischen Behörden auf einen höheren Integrationsgrad der Afghanen zubewegen. Die freiwillige Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge ist immer noch das Hauptziel der iranischen Flüchtlingspolitik, aber man hat eingesehen, dass dies im Moment nicht in größerem Maße geschehen kann. Deshalb versucht man Maßnahmen zu ergreifen, die die Situation für die Afghanen verbessern, während man darauf wartet, dass eine Rückkehr stattfinden kann. Es gibt heute einen politischen Willen, die Fähigkeit der Afghanen, sich besser selbst zu versorgen und selbstständiger zu werden, zu unterstützen, aber gleichzeitig sind die Ressourcen des Iran begrenzt und dies bedeutet eine große Herausforderung für die iranischen Behörden. Es gibt auch von den iranischen Behörden nicht zuletzt aus sicherheitsmäßigen Aspekten Interesse daran, mehr Kenntnisse über die Anzahl der sich illegal im Land aufhaltenden Staatsbürger zu erhalten. Dieses hatte zur Folge, dass die iranischen Behörden im Jahr 2017 mit einer Zählung (headcount) und der Registrierung der Afghanen, die sich illegal im Land aufhalten, begonnen haben. In dieser ersten Runde hat man einige ausgewählte Kategorien priorisiert, beispielsweise nicht-registrierte Afghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind und Kinder in der Schule haben.

Im Gegensatz zu Pakistan leben nur 3% der afghanischen Flüchtlinge in Iran in Camps. Auch wenn die Flüchtlingslager für Amayesh-registrierte ("Amayesh" ist die Bezeichnung für das iranische Flüchtlingsregistrierungssystem, Anm.) Personen vorgesehen sind, leben dort in der Praxis auch nicht-registrierte Afghanen.

Die Mehrheit der Afghanen, die sich sowohl legal als auch illegal im Land aufhalten, wohnen in von Afghanen dominierten urbanen und halb-urbanen Gebieten. Schätzungen zufolge leben circa 57% der Afghanen im Iran in der Provinz Teheran, Isfahan sowie Razavi-Chorsan (mit Maschhad als Hauptort). Um die 22% leben in den Provinzen Kerman, Fars und Ghom, während die Übrigen in den anderen Provinzen verteilt sind. Die afghanische Flüchtlingspopulation im Iran besteht aus einer Anzahl unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Schätzungen über die registrierten Afghanen zufolge gehört die Mehrheit von ihnen der Ethnie der Hazara an, gefolgt von Tadschiken, Paschtunen, Belutschen und Usbeken. Es fehlen Zahlen zur nicht-registrierten Gemeinschaft, dennoch stellen auch hier die Hazara und die Tadschiken eine Mehrheit dar.

1.5.8. Terroristische und aufständische Gruppierungen

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Im Grunde steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein "Übeltäter" ist, und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können.

Die Taliban haben ein Netzwerk an Spitzeln in Afghanistan, allein in der Stadt Kabul sind drei verschiedene Taliban Nachrichtendienste nebeneinander aktiv. Es heißt, dass die verschiedenen Nachrichtendienste der Taliban in Kabul über 1.500 Spione in allen 17 Stadtteilen haben. Selbst die, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden. Die Taliban behaupten, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, regelmäßig Berichte darüber zu erhalten, wer neu ins Land einreist.

Die Taliban beobachten alle Fremden, die in den Dörfern und Kleinstädten unter ihrer Kontrolle ankommen genau, genauso wie die Dorfbewohner, die in Gebiete unter Regierungskontrolle reisen. Sie fürchten offensichtlich, ausspioniert zu werden und versuchen, die Rekrutierung von Informanten durch die Regierung zu beschränken. Wer in die Taliban-Gebiete ein- oder ausreist sollte die Reise überzeugend begründen können, möglichst belegt mit Nachweisen über Geschäftsabschlüsse, medizinische Behandlung etc. Wenn die Taliban einen Schuldigen suchen, der für die Regierung spioniert haben soll, ist jeder, der verdächtigt wird, sich an die Behörden gewandt zu haben, in großer Gefahr.

1.5.9. Auszüge aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Afghanistan, Ehebruch/ Zina, Verjährung, vom 12.06.2018:

"Gemäß den nachfolgend zitierten Quellen wird Ehebruch / Zina zu den Hudud-Verbrechen gezählt. Im seit Februar 2018 nicht mehr gültigen afghanischen Strafgesetzbuch von 1975 ist eine Verjährung für Ehebruch / Zina nach zehn Jahren definiert. [Im im Februar 2018 Gültigkeit erlangten Strafgesetz konnte eine Verjährung von Delikten nicht gefunden werden.]

Die nachfolgend zitierten Quellen machen widersprüchliche Angaben zur Verjährung von Hudud-Vergehen, darunter Ehebruch / Zina, in der hanafischen Rechtsschule. Eine Quelle besagt, dass Hudud-Vergehen relativ schnell verjähren, eine andere Quelle besagt, dass dazu keine Informationen vorliegen.

Gemäß nachfolgend zitierter Quellen ist aufgrund des paschtunischen Ehrenkodex keine Abbitte bei Ehebruch oder Unkeuschheit vorgesehen und für Vergehen der Vergangenheit kann Rache geübt werden, solange der Übeltäter oder dessen Familie noch leben. Die Quellen gehen davon aus, dass bezüglich einer privaten Verfolgung keine Verjährung angenommen werden kann. Eine Quelle besagt, dass sich die Verfolgung durch die Familie der Frau über die Jahre verringern kann.

Einzelquellen:

Das am 15.5.2015 veröffentlichte und am 14.2.2018 in Kraft getretene Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Afghanistan [Anm.: vgl. https://unama.unmissions.org/unama-welcomes-afghanistan%E2%80%99s-new-penal-code-calls-robust-framework-protect women-against-violence] beschreibt in Artikel 643-645 das Delikt der Zina sowie die vorgesehene Bestrafung für den Fall, dass die Bestimmungen der Had nicht zur Anwendung kommen. Gemäß Art. 644 beträgt die Strafe für verheiratete Personen mittelschwere Haft von mehr als zwei Jahren, bei unverheirateten Personen mittelschwere Haft von bis zu zwei Jahren. Unter bestimmten Umständen (z.B. Lehrer oder Vorgesetzte) kann eine lange Haftstrafe von bis zu sieben Jahren verhängt werden. Hudud-Verbrechen sind ansonsten nach der Hanafi-Rechtsschule der islamischen Scharia zu ahnden.

(...)

ALEP - Afghanistan Legal Education Project - ist eine 2007 gegründete Studenteninitiative der Stanford Law School (USA) und der American University of Afghanistan, die Text- und Lehrbücher über afghanisches Recht publiziert, die an ein afghanisches Publikum gerichtet sind. ALEP veröffentlichte im Jahr 2012 ein Lehrbuch zur Einführung ins Strafgesetz Afghanistans. Die Quelle besagt, dass Ehebruch und Unkeuschheit (Zina) zu den Hudud- Verbrechen zählen. Hudud (Singular: Hadd) sind gemäß dem islamischen Strafgesetz die schwerwiegendsten Verbrechen.

Gemäß dieser Quelle wird das Vergehen der Zina normalerweise als Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau außerhalb einer formellen Ehegemeinschaft interpretiert. Das Vergehen schließt Vergewaltigung und Unkeuschheit mit ein. Unkeuschheit und Ehebruch werden durch den Familienstand der Täter unterschieden. Ob beide unverheiratet oder einer bzw. beide verheiratet sind, beeinflusst das Strafmaß. Um sich wegen Ehebruch strafbar zu machen, muss der Täter bzw. die Täterin nicht nur rechtlich verheiratet sein, sondern muss die Ehe auch sexuell vollzogen worden sein. Die Bestrafung beträgt 100 Peitschenhiebe oder Tod durch Steinigung.

(...)

Die Staatendokumentation des BFA veröffentlichte im Juli 2016 ein Dossier mit den Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur in Afghanistan und darin wird der Ehrenkodex der Paschtunen, genannt Paschtunwali, ausführlich beschrieben:

Badal (Vergeltung)

Badal, bedeutet in Pashto Vergeltung und soll die Gerechtigkeit wiederherstellen oder an den Übeltätern Rache nehmen. Wer eine Straftat begeht, muss Badal bezahlen. Badal kann von der Jirga auferlegt oder vom Maraka, dem Geschädigten, oder einem Mitglied seiner Familie eingefordert werden. Dies gilt für Ungerechtigkeiten, die in der Gegenwart und in der Vergangenheit begangen wurden. Wenn der Übeltäter, seine Familienmitglieder oder Verwandten noch leben, wird Rache geübt oder Badal verlangt. Ein Sprichwort der Paschtunen lautet: der Paschtune, der nach 100 Jahren Vergeltung übte sagte:

"Ich habe mich zu früh gerächt." Das führt dann zu einer Blutfehde, die sich über Generationen hinziehen, ganze Stämme mitreißen und hunderte von Leben kosten kann. Dies kann jedoch durch Versöhnung, genannt Nanawatai (Abbitte leisten) vermieden werden.

Nanawatai (Abbitte leisten)

Nanawatai bedeutet Abbitte leisten; wörtlich heißt es "in jemandes Haus eintreten", um Abbitte zu tun. Hinter Nanawatai steht der Gedanke, dass sich jemand seinem Gegner vollständig unterwirft und ausliefert, ihn um Verzeihung bittet und um den Erlass des Badal, das von ihm eingefordert werden soll. Wer Abbitte leistet, muss dann um jeden Preis geschützt werden. Außerdem muss Flüchtigen vor der Justiz Zuflucht gewährt werden, bis die Lage nach dem Pashtunwali entschieden ist. Nanawatai kann auch eintreten, wenn die unterlegene Partei bereit ist, zum Haus der Sieger zu gehen und diese um Vergebung zu bitten.

Nanawatai wird jedoch in Fällen von Namoos (Bewahrung der Keuschheit der Frauen) abgelehnt oder, wenn jemand anderer als der Ehemann einer Frau beischlief.

(...)

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, eine Menschenrechtsorganisation, die 1972 in Frankfurt am Main gegründet wurde und Menschen unterstützt, die sich gewaltlos für die Verwirklichung der Menschenrechte in ihren Ländern einsetzen oder die verfolgt werden, weil sie ihre Rechte einfordern, beschreibt Grenzvergehen (Hadd-Vergehen) gemäß der Scharia wie folgt:

Grenzvergehen (hadd-Vergehen)

"Grenzvergehen" (oder Kapitalverbrechen) sind Verbrechen, die der Koran oder die Überlieferung mit einem bestimmten Strafmaß belegen. Als "Grenzvergehen" verletzen sie nicht menschliches Recht, sondern das Recht Gottes. Ein Gerichtsverfahren darf daher nicht durch eine außergerichtliche Einigung abgewendet, noch darf die Strafe verschärft oder vermindert werden. Es muss genau die in Koran oder Überlieferung vorgesehene Strafe vollstreckt werden. Zu den Grenzverbrechen gehören:

1. Ehebruch und Unzucht (arab. zina'): Der Koran bedroht den unzüchtigen Unverheirateten nach Sure 24,2-3 mit 100 Peitschenhieben, die Überlieferung den Verheirateten mit der Todesstrafe. War die Frau unverheiratet, der Mann aber verheiratet, soll die Frau im Haus eingesperrt werden, "bis der Tod sie abberuft oder Gott ihr einen Ausweg schafft" (4,15). Ist der Mann unverheiratet, die Frau aber verheiratet, soll er für ein Jahr verbannt werden; die Frau erhält 100 Peitschenhiebe.

2. Verleumdung wegen Unzucht (arab. Qadhf) (...) Sure 24,2-3 80

(...).

3. Schwerer Diebstahl (arab. sariqa): Sure 5,33+38 (...).

4. Schwerer Straßen- und Raubmord (arab. qat' at-tariq) sowie Wegelagerei (ohne Raub oder Mord) (...).

5. Der Genuss von Wein (arab. shurb al-hamr) (...).

Die Überlieferung benennt unter den Kapitalverbrechen zudem Homosexualität und Vergewaltigung, allerdings wird das Strafmaß dafür unter muslimischen Theologen kontrovers diskutiert. Auch der Abfall vom Islam verlangt nach Auffassung aller vier Rechtsschulen die Todesstrafe.

Die Voraussetzung für eine Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens ist entweder ein Geständnis bzw. die Aussage zweier männlicher Augenzeugen, bei Ehebruch und Unzucht sogar von vier männlichen Augenzeugen. Ein Geständnis muss freiwillig und der Geständige mündig und geistig gesund sein sowie vorsätzlich gehandelt haben. Geständnisse können bis zur Vollstreckung der Strafe zurückgezogen oder auch bei Unglaubwürdigkeit vom Richter zurückgewiesen werden. Kapitalverbrechen verjähren überaus rasch. Indizienprozesse (etwa anläßlich einer Schwangerschaft einer unverheirateten Frau) sind unüblich, aber in Einzelfällen möglich. Die meisten Kapitalvergehen - insbesondere Ehebruch und Unzucht - werden kaum vor Gericht gebracht, sondern vor allem Frauen in der eigenen Familie mit Schlägen, Einsperren oder Tod bestraft.

(...)

Das Verwaltungsgericht Magdeburg bezieht sich in einem Urteil vom 5.1.2018 auf eine Auskunft des iranischen Journalisten und Politologen Mostafa Danesh vom 10.1.2013. [Anmerkung der Staatendokumentation: Das in Folge referenzierte Gesetzbuch von 1975 wurde durch das neue Gesetzbuch vom 14.2.2018 außer Kraft gesetzt, vgl. https://unama.unmissions.org/unama-welcomes-afghanistan%E2%80%99s-new-penal-code-calls-robust-framework-protect-women-against-violence.]

Der Kläger, afghanischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter.

(...)

Dr. Danesh führt hierneben aus, die Möglichkeit, staatlichen Schutz gegen solche Bedrohungen zu erlangen, bestehe nicht. Würde ein Mann bei den Behörden Schutz vor diesen Gefahren durch Dritte suchen, würde er wegen des ihm vorgeworfenen Vergehens verhaftet. Sein Leben wäre dann zwar einigermaßen geschützt, er würde dann aber vor Gericht gestellt und müsste mit einer hohen Haftstrafe rechnen. Laut dem Gesetzbuch von 1975 betrage die Verjährungsfrist für das Verbrechen Ehebruch/Zina für erwachsene Täter über 18 Jahre zehn Jahre, wohingegen nach der traditionellen, im "Paschtunwali" besonders streng ausgeprägten Auffassung Verbrechen gegen die-Ehre niemals verjähren würden. Damit existiere in der Praxis keine Verjährungsfrist, nach der die Familie der Ehefrau, regionale Machthaber oder radikale religiös

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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