TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/30 W258 2144432-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.10.2019
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Entscheidungsdatum

30.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W258 2144432-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX geb XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch Dr. Margrit SWOZIL und Dr. Peter LECHENAUER, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattlergasse 10, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2017 in einer asylrechtlichen Angelegenheit zu Recht:

A) Die Beschwerde wird abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in Folge kurz "BF") stellte am 01.02.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.02.2015 gab der BF an, er sei am XXXX in XXXX , Islamische Republik Afghanistan (in Folge kurz "Afghanistan") geboren. Er sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an. Er sei ledig und kinderlos. Für zwei Jahre habe er die Grundschule besucht. Als Wohnanschriften gab der BF, XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , allesamt in der Provinz Nangarahr, an. In Afghanistan hätten die Taliban ihn zwangsrekrutieren wollen. Seine Mutter sei diesbezüglich zweimal aufgefordert worden, ihren Sohn zu ihnen zu schicken.

In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge "belangte Behörde") am 20.09.2016 gab der BF ergänzend an, lange Zeit in XXXX , im Achin-Distrikt der Provinz Nangarhar gelebt zu haben und auf Grund der schlechten Sicherheitssituation durch die Taliban vor drei Jahren in die Stadt XXXX , welche sich im Shinwar-Distrikt befinde, übersiedelt zu sein. In XXXX hätten Taliban die Dorfbewohner umgebracht, deren Häuser attackiert und zerstört. Er selbst sei nie persönlich bedroht worden. In XXXX hätten die Taliban bzw Daesh für die Sicherheit gesorgt, in XXXX hingegen die afghanische Polizei und das Militär. Taliban hätten ihn zweimal über seine Mutter gezwungen, sich ihnen anzuschließen. Die erste Aufforderung habe vor zwei Jahren und drei bis vier Monaten in XXXX stattgefunden, die zweite zwei Monate später. Dabei seien sie immer am Tag zu seiner Mutter gekommen, zu einem Zeitpunkt, wo der BF gearbeitet bzw - auf Nachfrage - sich versteckt habe. Da er mit den Taliban nicht mitgehen habe wollen, sei er nach zwei bis drei Wochen geflüchtet. Zur Polizei habe er nicht gehen können, andernfalls die Taliban ihn ermordet hätten. Der Kontakt zu seiner Familie sei im Zeitpunkt seiner Ausreise aus Afghanistan abgebrochen. Somit wisse er auch nicht den derzeitigen Aufenthalt seiner Familie. Auch sonst kenne er niemanden in Afghanistan und sei auch noch nie in Kabul gewesen. Wie auch seine Familie habe er in der Landwirtschaft gearbeitet, über eine Berufsausbildung verfüge er nicht. In seiner Freizeit lerne er Deutsch und spiele Fußball und Cricket. Ab und zu helfe er anderen Personen beim Tragen ihrer Einkäufe.

Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mangels Glaubhaftmachung einer persönlichen Verfolgung oder Gefährdung ab. Ebenso wies sie den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen mangels konkreter Anhaltspunkte, wonach der BF im Falle der Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein könne und überdies eine innerstaatliche Lebens- und Wohnalternative in Kabul bestehe, ab. Ferner erteilte die belangte Behörde keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise setzte sie eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

Gegen den abweisenden Bescheid wendet sich die gegenständliche Beschwerde des BF vom 17.11.2016, in der er im Wesentlichen die Verletzung von Verfahrensvorschriften und eine inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend macht. Insbesondere sei die Sicherheitslage instabil und werde die Einholung einer entsprechenden aktuellen Länderinformation beantragt. Bei einer Rückkehr drohe dem BF eine unmenschliche Behandlung. Zudem könne man die Integrationsschritte des BF als sehr gut bezeichnen.

In der am 10.03.2017 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF neuerlich zu seinem Vorbringen befragt.

Mit Schriftsatz vom 24.03.2017 nahm der BF zu den mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten und der in der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderberichten Stellung.

Mit am 07.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht einlangendem Schreiben teilte die Staatsanwaltschaft Salzburg mit, dass ein gegen den BF als Verdächtiger geführtes Ermittlungsgefahren eingestellt wurde.

Mit Schriftsatz vom 08.09.2017 wurde ein Arztbrief zum Nachweis der posttraumatischen Belastungsstörung des BF sowie der dringenden Notwendigkeit der Fortführung der medizinischen Behandlung, vorgelegt.

Der BF brachte in seiner Stellungnahme vom 10.01.2018 einerseits wie bisher vor und andererseits wurde erstmals der westliche Lebensstil des BF angeführt.

Dem BF wurde am 12.10.2018 wegen Zeitablauf das aktuelle Länderinformationsblatt zu Afghanistan übermittelt und ihm freigestellt, binnen 14 Tagen dazu Stellung zu nehmen. In der daraufhin eingelangten Stellungnahme verwies der BF im Wesentlichen auf die prekäre Sicherheitslage in Afghanistan und brachte ergänzend vor, aufgrund seines westlichen Lebensstils - Einstellung zum Alkoholkonsum oder Einstellung hinsichtlich Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie - Angst vor den Taliban und anderen extremistischen Gruppierungen zu haben. Dem Schriftsatz wurde ein Entlassungsbrief der Universitätsklinikum XXXX vom 14.06.2018 sowie ein Deutschpass der Volkshochschule XXXX beigelegt.

Am 02.07.2019 wurde dem BF sowie der belangten Behörde erneut Parteiengehör zu den aktuellen Länderberichten eingeräumt, zu denen der BF mit Schriftsatz vom 08.07.2019. In der Verhandlung vom 12.08.2019 wurde der BF ua zu seinem neuen Vorbringen ergänzend einvernommen.

Beweise wurden aufgenommen durch Einsicht in den Verwaltungsakt des BF (OZ 1), Einvernahme des BF als Partei, fernmündliche Rückfrage beim Landesgericht Salzburg zum Status des Verfahrens 12 St 173/19k bzw 33 Hv 92/19f, sowie Einsicht in folgende Urkunden:

* Strafregisterauszug des BF vom 28.10.2019,

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in Folge kurz als "UNHCR" bezeichnet),

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 04.06.2019 (in Folge kurz als "LIB" bezeichnet),

* EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan - Recruitment by armed groups -, September 2016, der auf Grund der gerichtsnotorischen englischen Sprache im englischen Original verwendet wird (in Folge kurz als "EASO" bezeichnet),

* die vorgelegten Beilagen des BF:

o eine Bestätigung der Volkshochschule XXXX vom 24.02.2017 über die Teilnahme an einem Deutschkurs für Asylwerbende, Niveau A1-1, Beginn 28.11.2016 als Beilage ./1, Deutschpass der Volkshochschule XXXX (OZ 15);

o Zeichnung des BF über den Grundriss eines Hauses als Beilage ./2;

o Arztbrief vom 07.09.2017 (OZ 11), Entlassungsbrief wg Fistelspaltung Uniklinikum XXXX (OZ 15).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur individuellen Situation des BF:

Der männliche, volljährige und kinderlose BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Er spricht als Muttersprache Paschtu. Er wurde am XXXX in Afghanistan in der Provinz Nangarhar, im Distrikt Achin, im Dorf XXXX geboren und ist ebendort aufgewachsen. Er hat zwei Jahre eine Grundschule besucht. Danach hat der BF in der Landwirtschaft gearbeitet. Als sich die Sicherheitslage in seinem Heimatort verschlechtert hat, ist er gemeinsam mit seiner Mutter und seinem jüngsten Bruder in den Nachbardistrikt von Achin, Shinwar, in die Stadt XXXX gezogen.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut. Der BF kleidet sich westlich und hat einen modernen westlichen Haarschnitt. Er konsumiert wöchentlich, manchmal auch nur monatlich, alkoholische Getränke; davon weiß in Afghanistan niemand Bescheid. Der BF hat keine nennenswerten westlichen kulturellen oder gesellschaftlichen Werte übernommen.

Sein Vater ist bereits verstorben. Nach dem Tod seines Vaters hat die Mutter des BF für andere Leute auf deren Landwirtschaft gearbeitet und konnte sich selbst erhalten. Zwei Onkel väterlicherseits sind bereits verstorben, weitere drei Onkel mütterlicherseits leben als Bauern in der Provinz Nangarhar im Distrikt XXXX . Der BF hat weiters drei Brüder und zwei Schwestern. Seine Mutter und sein jüngster Bruder lebten zum Zeitpunkt der Ausreise des BF aus Afghanistan in XXXX . Der derzeitige Aufenthaltsort seiner Familie kann nicht festgestellt werden.

Der BF ist im Herbst 2014, der genaue Zeitpunkt kann nicht festgestellt werden, schlepperunterstützt aus XXXX alleine in Richtung Europa ausgereist. Der BF ist unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet eingereist und hat am 01.02.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

Der BF wurde und wird durch die Taliban und den IS/Daesh weder individuell bedroht, noch kam es zu Übergriffen der Taliban und des IS/Daesh auf den BF. Insbesondere fand eine (versuchte) Zwangsrekrutierung des BF durch die Taliban und den IS/Daesh nicht statt bzw ist auch im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit keiner maßgeblichen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen.

1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Etwa acht bis neun Monate nach seiner Antragstellung ist der BF nach Norwegen ausgereist, woraufhin er am 07.04.2016 nach Österreich überstellt wurde. Er ist seit dem 21.04.2016 in XXXX gemeldet. Er ist auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 im Bundesgebiet aufhältig. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF verfügt in Österreich über keine Verwandten und keine vergleichbaren engen sozialen Bindungen. Er hat für etwa zehn Monate Deutschkurse besucht, hat keinen Sprachnachweis absolviert und spricht sehr wenig und schlechtes Deutsch. Er war in Österreich pro Jahr etwa zwei Wochen ehrenamtlich tätig.

Er besucht das Fitnesscenter und spielt Fussball und in einer fixen Mannschaft zwei Mal pro Woche Cricket, wobei er auch Matches bestreitet. Er hat derzeit keine Lebensgefährtin. Er hat einen guten afghanischen Freund und weitere Freunde, die nicht österreichische Staatsbürger sind, in Österreich. Er ist mit mehreren Österreichern bekannt, zu denen er aber keine engen Freundschaften pflegt (VH-Protokoll vom 12.09.2019, S 6).

Gegen den BF wurde von der Staatsanwaltschaft Salzburg zur AZ 12 St 173/19k Anklage wegen § 27 Abs 2a SMG erhoben (Verständigung der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 02.07.2019, OZ 19). Hierzu wurde er mit Urteil des Landesgericht Salzburg, AZ 33 Hv 92/19f, seit 31.07.2019 rechtskräftig, zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat des BF:

1.5.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan:

1.5.1.1. Allgemeines (LIB Kapitel 1. und 3.):

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil.

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.08.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5 % zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63 %) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37 % zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25 %. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. Bis Oktober 2018 fanden die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe.

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis. Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw Einfluss der afghanischen Regierung.

Die Regierung kontrolliert bzw beeinflusst mit Stand 22.10.2018 53,8 % der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9 % der Distrikte sind umkämpft und 12,3 % befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca 63,5 % der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8 % in Gegenden unter Einfluss bzw Kontrolle der Aufständischen und 25,6 % leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand.

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5 % sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11 % gegenüber dem Vorjahreswert. 42 % der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22 % und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26 % aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16 % der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen.

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31 % der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3 % im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48 % gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren ua Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61 % und die Zahl der Todesopfer erreichte 82 %. 9 % aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009.

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63 % der gesamten zivilen Opfer. 37 % davon werden den Taliban, 20 % dem ISKP und 6 % unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten.

Ungefähr 24 % der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14 % den afghanischen Sicherheitskräften, 6 % den internationalen Streitkräften und 4 % unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4 % gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück.

Die verbleibenden 13 % der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10 %), durch Beschuss aus Pakistan (1 %) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht.

UNAMA registrierte im ersten Quartal 2019 (01.01.2019 - 31.03.2019)

1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23 % gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist. Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden. Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen. Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge).

1.5.1.2. Zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des BF, Nangarhar (LIB Kapitel 3.22.):

Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und an den Gebirgszug Spinghar im Süden. Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.573.973 geschätzt. Die Provinz Nangarhar besteht, neben der Hauptstadt Jalalabad aus folgenden Distrikten: Ghani Khil/Shinwar, Sherzad, Rodat, Kama, Surkhrod, Khogyani, Hisarak/Hesarak, Pachiragam/Pachir Wa Agam, DehBala/Deh Balah/Haska Mina, Acheen/Achin, Nazyan, Mohmand Dara/Muhmand Dara, Batikot, Kot, Goshta, Behsood/Behsud, Kuz Kunar/Kuzkunar, Dara-e Noor/Dara-e-Nur, Lalpora/Lalpur, Dur Baba/Durbaba und Chaparhar.

Nangarhar zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion.

In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar verschlechtert; Nangahar war seit dem Sturz des Taliban-Regimes eine der relativ ruhigen Provinzen im Osten Afghanistans, jedoch versuchen bewaffnete Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Provinz auszuweiten. Begründet wird das damit, dass seit dem Fall des Taliban-Regimes von weniger Vorfällen berichtet worden war. In den letzten Jahren versuchen Aufständische der Taliban und des IS in abgelegenen Distrikten Fuß zu fassen. Befreiungsoperationen, in denen auch Luftangriffe gegen den IS getätigt werden, werden in den unruhigen Distrikten der Provinz durchgeführt. Angriffe auch auf lokale Beamte und Sicherheitskräfte in der Provinz werden regelmäßig von Aufständischen der Taliban und dem IS durchgeführt.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 795 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Dabei handelte es sich um folgende Art von Vorfällen: 6 Entführungen, Verschleppungen; 10 Brandstiftung, Feuer; 1 Flughäfen, Flugverkehr; 2 Attentate, Attentatsversuche, 143 Bomben, Explosivstoffe, Attrappen; 33 Schießereien, Scharfschützen; 537 Verhaftungen, Tötungen; 63 Sonstige, undefiniert.

Nangarhar war die Provinz mit den meisten im Jahr 2017 registrierten Anschlägen. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Nangarhar 862 zivile Opfer (344 getötete Zivilisten und 518 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 1% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen ausgeführt, um gewisse Distrikte von Aufständischen zu befreien. Ebenso werden Luftangriffe durchgeführt; in manchen Fällen wurden Aufständische getötet; darunter auch IS-Kämpfer.

Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz; zu diesen werden mehrere südliche Distrikte gezählt. Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren.

Obwohl militärische Operationen durchgeführt werden, um Aktivitäten der Aufständischen zu unterbinden, sind die Taliban in einigen Distrikten der Provinz aktiv. In Nangarhar kämpfen die Taliban gegen den IS, um die Kontrolle über natürliche Minen und Territorium zu gewinnen; insbesondere in der Tora Bora Region, die dazu dient, Waren von und nach Pakistan zu schmuggeln. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und IS fanden statt, dabei ging es um Kontrolle von Territorium. In einem Falle haben aufständische Taliban ihren ehemaligen Kommandanten getötet, da ihm Verbindungen zum IS nachgesagt wurden.

Seit dem Jahr 2014 tauchen immer mehr Berichte zu einem Anstieg von Aktivitäten des IS in manchen abgelegenen Teilen der Provinz - dazu zählt auch der Distrikt Achin. Der IS zeigte weiterhin große Widerstandsfähigkeit, wenngleich die afghanischen und internationalen Kräfte gemeinsame Operationen durchführten. Die Gruppierung führte mehrere Angriffe gegen die zivile Bevölkerung und militärische Ziele aus - insbesondere in Kabul und Nangarhar.

Eine Anzahl Aufständischer der Taliban und des IS haben sich in der Provinz Nangarhar dem Friedensprozess angeschlossen. Im Zeitraum 01.01.2017 - 31.01.2018 wurden in der Provinz Nangharhar IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen Zivilisten, Auseinandersetzungen mit den Streitkräften und Gewalt) gemeldet.

1.5.1.3. Zur Lage in der Provinz Balkh im Allgemeinen und in Mazar-e Sharif im Besonderen (LIB Kapitel 3.5. und weitere - jeweils zitierte - Quellen):

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten:

Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts-und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (LIB S 109) und ein staatliches Krankenhaus (LIB S 367).

Die humanitäre Situation in Afghanistan hat sich durch eine schwere Dürre verschärft, von welcher insbesondere die Regionen im Norden und Westen des Landes, zu denen auch Balkh gehört, betroffen sind (UNHCR 30.08.2018, S 36). Die Lebensmittelversorgung wird nach der "Integrated Phase Classification (IPC)", einem international anerkannten System, mit dem die Schwere von Nahrungsmittelnotfällen beschrieben wird, aber unter Krisenlevel 3, dh zumindst mit Krisenlevel 2 "stressed" bewertet; demnach kann einer von fünf Haushalten in Mazar-e Sharif dringend benötigte "non food" Ausgaben nicht finanzieren; diesen Haushalten steht aber ein Minimum an Nahrungsmitteln zur Verfügung (LIB S 18, in dem auf IFRCRCS 17.03.2019 verwiesen wird, der auf jene Gebiete Afghanistans eingeht, die ein Krisenlevel 3 oder schlechter aufweisen, und in der die Provinz Balkh bzw ihre Hauptstadt Mazar-e Sharif nicht erwähnt wird; siehe auch EASO, Bericht zur sozioökomomischen Lage (Angaben zu Kabul-Stadt; Herat-Stadt und Masar-e Scharif; interne Mobilität; Wirtschaftslage; Beschäftigung; weitere Themen), April 2019, Seite 38).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren.

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

In der Provinz befindet sich ua das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North), sowie auch das Camp Shaheen.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Dabei handelte es sich um folgende Art von Vorfällen: 3 Brandstiftung, Feuer; 1 Flughäfen, Flugverkehr, 1 Angriff auf militärische Einrichtungen oder Rekrutierungszentren, 13 Bomben, Explosivstoffe, Attrappen; 10 Schießereien, Scharfschützen; 50 Verhaftungen, Tötungen; 15 Sonstiges, undefiniert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt.

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert.

1.5.2. Zwangsrekrutierung:

1.5.2.1. Zur (Zwangs-)rekrutierung durch die Taliban:

Die Taliban rekrutieren nach wie vor durch lokale Kommandanten, Stammesälteste sowie in Madrassen oder Moscheen. In 2016 werden die Taliban immer mehr als die siegreiche Macht anerkannt, wodurch sie generell unter weniger Druck stehen als bspw in 2012 (vgl EASO S 14).

Gelegentlich wird auch Druck auf die Familien ausgeübt bzw Geld für eine Vereinigung mit den Taliban angeboten. Es kann auch von einem Familienmitglied, welches Mitglied der Taliban ist, Zwang oder Druck ausgeübt werden (vgl EASO S 22).

Die Entscheidung sich den Taliban anzuschließen, wird oftmals direkt von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Dorfvorstehern gefällt (vgl EASO S 22).

Die Verbreitung der Rekrutierung durch Zwangsmaßnahmen verhält sich proportional zur der Taliban entgegengebrachten Gegenwehr in den jeweiligen Siedlungsgebieten. In vielen Gebieten werden die Taliban als siegreiche Macht angesehen, wo ihnen eine größere Anzahl an freiwilligen Kämpfern zur Verfügung stehen, wodurch sie nicht auf den Einsatz von Zwangsmaßnahmen zurückgreifen müssen. In anderen Gebieten hingegen ist das Bedürfnis der Taliban, zusätzliche Kämpfer für sich zu gewinnen, dringlicher (vgl EASO S 22).

Der überwiegende Teil der Talibanrekruten sind Paschtunen, wobei die Rekrutierung von anderen Volksgruppen zwar möglich, aber nicht verbreitet und ortsabhängig ist (vgl EASO S 18).

1.5.2.2. Zur (Zwangs-)rekrutierung durch den IS in Khorasan:

Als der Krieg mit den Taliban begann, nahm der IS eine aggressivere Gangart gegen die von ihm kontrollierten Dörfern auf. Damit einhergehend sank auch dessen Attraktivität gegenüber den Taliban. Dabei zwingen sie die Dorfbewohner um Unterstützung, aber nicht derart, als Kämpfer bereitgestellt werden müssten. Die Unterstützung beläuft sich auf logistische Zwecke. Auch wenn diese Leute dafür bezahlt werden, wird versucht sie zu indoktrinieren und sie als Sympathisanten und eventuell als Kämpfer zu gewinnen (vgl EASO S 30).

In Gebieten, wo der IS an Einfluss gewinnen will, hat er keine Kapazität Rekrutierungen durch den Einsatz von Zwang durchzuführen. Es kommt auch vor, dass Talibankämpfer eingeladen werden, von nun an für den IS zu kämpfen. Bei Ablehnung dieses Angebots, wird ihnen mit Enthauptung gedroht (vgl EASO S 30).

1.5.2.3. Zur Zwangsrekrutierung in Nangarhar:

Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz Nangarhar; zu diesen werden mehrere südliche Distrikte gezählt. Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren (LIB Kapitel 3.22.).

In Nangarhar müssen sich die Taliban auf Grund gegnerischer IS-Gruppierungen zugunsten ihrer Beschützerrolle mehr behaupten und üben teilweise mehr Druck auf die Gemeinschaften aus, damit sich diese finanziell oder durch Zurverfügungstellung von Kämpfern beteiligen. In diesem Zusammenhang verbündeten sich die Taliban mit Stammesältesten des Khogyanistammes und organisierten Treffen, wo erklärt wurde, dass der Stamm, das Gebiet und deren Grundstücke von Fremden (IS) bedroht würden. Dabei ist die Bitte nach Rekruten der letzte Ausweg. Die Taliban kämpfen bevorzugt mit den eigenen Kämpfern und fragen nur bei äußerster Knappheit die lokalen Dorfvorsteher nach zusätzlichen Kämpfern (vgl EASO S 23 f).

1.5.2.4. Konsequenzen einer Verweigerung:

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden (UNHCR 30.08.2018 S 59 f). Der Einsatz von Zwangsmaßnahmen stellt dabei aber eher die Ausnahme dar (vgl EASO S 22).

Gebiete, welche die Taliban nicht unterstützen, insbesondere weil sie keine Kämpfer bereitstellen, und die sich in der Nähe von den Hochburgen der Taliban befinden, werden zum Ziel der Taliban. Die Taliban versuchen die Bevölkerung zunächst von sich zu überzeugen und zwingen sie schlussendlich, der Aufstandsbewegung beizutreten. Viele Stammesälteste wurden auf Grund Ihres Widerstandes von den Taliban eliminiert (vgl EASO S 24).

Für Männer im wehrfähigen Alter und Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung entweder durch einen staatlichen oder einen nichtstaatlichen Akteur widersetzen, kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz gegeben sein (UNHCR 30.08.2018 S 62).

1.5.3. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012 bis 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23 % davon sind erwachsene Männer, 21 % erwachsene Frauen und 55 % minderjährige Kinder.

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 % der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 % der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.

1.5.4. Grundversorgung und Wirtschaft (LIB Kapitel 21.):

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4 % aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4 bzw 1,8 %. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3 % zurückgingen und die Importe um 8 % stiegen.

1.5.5. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21.):

In den Jahren 2016 und 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 bis 2014 bei 22,6 % gelegen hatte, um 1 %. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40 % der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 % davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).

1.5.6. Projekte der afghanischen Regierung (LIB Kapitel 21.):

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 bis 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

1.5.7. Medizinische Versorgung (LIB Kapitel 22.):

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund zehn Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert.

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011 bis 2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012 bis 2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren.

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41 % der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 bis 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt.

1.5.7.1. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung (LIB Kapitel 22.):

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90 % der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen.

Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan:

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen.

Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren zB in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA.

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden.

Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt.

1.5.7.2. Krankenhäuser in Afghanistan (LIB Kapitel 22.1.):

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan, wie in Mazar-e Sharif (LIB S 367), bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung.

1.5.8. Paschtunen (LIB Kapitel 16.1.):

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari. Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50 % der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen.

1.5.9. Sunniten (LIB Kapitel 15.):

Etwa 99,7 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7 % Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan.

1.5.10. Rückkehrer:

Personen, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten, wurden Berichten zufolge von regierungsfeindlichen Gruppen bedroht, gefoltert oder getötet, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht hätten, "Ausländer" geworden seien oder als Spione oder auf andere Weise ein westliches Land unterstützten. Heimkehrern wird von der örtlichen Gemeinschaft, aber auch von Staatsbeamten oft Misstrauen entgegengebracht, was zu Diskriminierung und Isolierung führt (UNHCR 30.08.2018 S 52 f).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (zB IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (zB IPSO und Anzahl der Rückkehrer/innen aus dem Ausland nach Provinzen). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuv

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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