Entscheidungsdatum
31.10.2019Norm
AsylG 2005 §8 Abs1Spruch
W258 2147813-1/50E
W258 2147816-1/31E
W258 2147811-1/33E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb XXXX , 2.) XXXX , geb XXXX und 3.) XXXX , geb XXXX , alle StA Afghanistan, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl 1.) XXXX , 2.) XXXX und 3.) XXXX nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 27.06.2018 und 23.10.2018 in einer asylrechtlichen Angelegenheit zu Recht:
A)
I. Den Beschwerden wird Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide dahingehend abgeändert, dass die Spruchpunkte II. bis IV. entfallen und es in den Spruchpunkten II. und III. zu lauten hat:
II. XXXX , geb XXXX , XXXX , geb XXXX und XXXX , geb XXXX werden gemäß § 8 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan zuerkannt.
III. Ihnen wird gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 31.10.2020 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Zweitbeschwerdeführerin (in Folge kurz "BF2") und der Drittbeschwerdeführer (in Folge kurz "BF3") sind nach sunnitischem Ritus verheiratet und Eltern der Erstbeschwerdeführerin (in Folge kurz "BF1"). Die Beschwerdeführer (in Folge kurz "BF") stellten am 22.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
In ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 20.10.2015 gaben die BF im Wesentlichen an, sie seien Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan (in Folge kurz "Afghanistan"), würden der Volksgruppe der Tadschiken angehören, seien sunnitischen Glaubensbekenntnisses und hätten in Herat gelebt. Die Familie sei im Besitz einer Wohnung und ihre finanzielle Situation in Afghanistan sei gut gewesen. Aus Afghanistan seien sie geflohen, weil Taliban die Töchter des Bruders des BF3 heiraten hätten wollen; da sich der Bruder dagegen gewehrt habe, sei eine Tochter entführt und der Bruder erschossen worden. Die Familie, insbesondere der BF3, sei in weitere Folge bedroht worden, weshalb sie fliehen hätten mussten.
Mit Eingabe vom 19.09.2016 übermittelte die BF1 ärztliche Bestätigungen, wonach sie unter dem Morbus Wilson Syndrom leide.
In seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 12.12.2016 führte der BF3 zu seinem Fluchtvorbringen ergänzend aus, im Zuge der Auseinandersetzung mit den Taliban um die Töchter seines Bruders seien zwei Anhänger der Taliban sowie der Neffe des BF3 getötet worden. Zwei Jahre nach diesem Vorfall habe der BF3 einen Brief von der Familie des Schwiegersohnes seines Bruders erhalten, in dem ihm mitgeteilt worden sei, dass die jüngere Tochter von J. zweimal versucht hätte zu flüchten. Im Falle weiterer Fluchtversuche würde der BF3 und seine Nichte getötet werden. Seiner Nichte sei anschließend tatsächlich die Flucht nach Herat gelungen; sie habe den BF über das schlechte Leben erzählt und sei anschließend mit den BF geflüchtet, wobei sie im Iran bei ihrer Mutter geblieben sei. Fünf oder sechs Monate nach Erhalt des Briefes sei der Sohn des BF3 entführt und nur gegen Lösegeld wieder freigelassen worden. Die Familie sei täglich bedroht worden.
In ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde am 15.12.2016 gab die BF2 im Wesentlichen ergänzend dazu an, sie habe nur mehr ihre kranke Mutter in Afghanistan; ihren Vater, Bruder und Onkel habe sie bereits verloren. Nach der Entführung ihres Sohnes habe die Familie weitere fünf Jahre in Afghanistan gelebt. Als die Tochter von J. zu ihnen geflüchtet sei, hätten sie innerhalb von acht Tagen ausreisen müssen.
Am 12.01.2017 fand die Einvernahme der BF1 vor der belangten Behörde statt, in der sie schilderte, dass sie seit ihrem achten Lebensjahr an der bereits vorgebrachten Krankheit leide. Sie habe überall in Afghanistan Behandlungen erhalten, allerdings habe keine geholfen. In Afghanistan habe sie aufgrund ihrer Krankheit nicht arbeiten können. Gefragt, warum die Familie Afghanistan verlassen habe, gab die BF1 an, sie wisse nicht warum. Ihr Vater habe ihr gesagt, dass es unsicher wäre. Die BF1 habe Angst vor den Taliban; ihr Vater werde von diesen gesucht. Zu ihren Bindungen in Österreich führte die BF1 abschließend aus, sie habe eine Cousine in XXXX und einen Bruder in Österreich, deren Aufenthaltsort sie jedoch nicht kenne.
Mit den Bescheiden vom XXXX wies die belangte Behörde die Anträge auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt II.), sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.) und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen fest (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde unter anderem aus, es sei nicht glaubhaft, dass sich die Probleme des Bruders und der Nichten des BF3 auf ihn ausgewirkt hätten. Eine Gefahr iSd § 8 AsylG läge nicht vor; auch der Krankheit der BF1 komme Afghanistan komme im Zusammenhang mit Art 3 EMRK keine Bedeutung zu.
Mit Schreiben vom 10.02.2017 erhoben die BF fristgerecht Beschwerde gegen den Spruchpunkt II. der gegenständlichen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei auf Grund der Krankheit der BF1, weil afghanische Frauen nach UNHCR einer Risikogruppe angehören würden und weil die Familie keine Unterkunft in Afghanistan hätte, ausgeschlossen.
Über hg Anfrage vom 22.03.2017 erstatte die Staatendokumentation am 10.07.2017 eine Anfragebeantwortung zur Behandlungsmöglichkeiten und Behandlungskosten der Krankheit "Morbus Wilson" in Afghanistan. Über Parteiengehör führten die BF mit Eingabe vom 04.08.2017 führten die BF aus, ihnen sei aus persönlicher Erfahrung bekannt, dass die Medikamente in den Apotheken in Afghanistan nicht erhältlich seien. Aus diesem Grund müssten die Medikamente aus Indien besorgt werden.
Am 14.12.2017, 11.04.2018 und 18.06.2018 übermittelte die BF1 diverse medizinische Dokumente sowie Deutschkursbestätigungen. Ebenfalls mit Eingabe vom 18.06.2018 wurden betreffend die BF2 und den BF3 Deutschkursbestätigungen in Vorlage gebracht.
Mit Schreiben vom 18.06.2018 wurde der Antrag gestellt, XXXX in der mündlichen Beschwerdeverhandlung als Zeugen zu befragen.
In der am 27.06.2018 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurden die BF zu den Fluchtgründen, ihrer Lebenssituation in Afghanistan und zur Krankheit der BF1 befragt. Die Beschwerdeführervertreterin verzichtete zu Beginn der Verhandlung auf die Einvernahme des oben genannten Zeugen.
Mit Eingabe vom 04.12.2017 wurde der Abschlussbericht der Landepolizeidirektion XXXX übermittelt, aus welchem hervorgeht, dass die BF1 beschuldigt werde, im Zuge einer tätlichen Auseinandersetzung ihre Schwägerin leicht verletzt zu haben. Am 19.12.2017 wurde dem erkennenden Gericht mitgeteilt, dass das Ermittlungsverfahren gegen die BF1 eingestellt worden sei.
Am 10.07.2018 übermittelte die BF1 einen Laborbefund.
Mit Beschluss vom 23.07.2018 wurde ao. Univ. Prof. Dr. XXXX zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie bestellt und mit der Erstattung eines schriftlichen Befundes und Gutachtens zum Gesundheitszustand der BF1 beauftragt.
Mit Eingabe vom 22.08.2018 übermittelten die BF diverse Teilnahmebestätigungen.
Mit internistisch-gastroenterologisch-hepatologischen Gutachten vom 10.09.2018 bestätigte der Sachverständige, dass bei der BF1 liege Morbus Wilson vorliege. Die Erkrankung sei mäßig fortgeschritten und erfordere eine konsequente Medikation mit der seit Jahren durchgeführten Therapie mit Artamin (D-Penicillamin). Da die Diagnose Morbus Wilson in ausreichender Weise gesichert sei, ergäben sich derzeit keine weiteren zwingenden diagnostischen Maßnahmen. Bezüglich der therapeutischen Maßnahmen sei eine konsequente Fortführung der hierorts etablierten Therapie mit Artamin 250 mg 4x1 und Vitamin B6 1x1 notwendig. Der Sachverständige sehe bei Einnahme der seit Jahren etablierten Medikation weder medizinische Auswirkungen noch Risiken im Transport der BF1 von Österreich nach Afghanistan.
In der daraufhin eingelangten Stellungnahme führten die BF zusammengefasst aus, selbst wenn der Sachverständige davon ausgehe, dass der Transport der BF1 von Österreich nach Afghanistan weder mit medizinischen Auswirkungen noch mit Risiken verbunden wäre, schließe das Gutachten die lebensbedrohende Gefahr aufgrund des unmöglichen bzw schwierigen Zugangs der BF1 zu angemessenen therapeutischen Maßnahmen nicht aus. Der Familie sei aus persönlicher Erfahrung bekannt, dass die Medikamente in Apotheken in Afghanistan nicht vorhanden seien. Auch die Tests sowie die regelmäßigen Kontrollen, die für die Stabil-Haltung des Gesundheitszustandes der BF1 entscheidend seien, könnten aufgrund der fehlenden medizinischen Einrichtungen nicht durchgeführt werden. Die BF1 könne sich die Medikamente überdies nicht leisten. Aus all diesen Gründen sei ersichtlich, dass eine Rückkehr für die BF1 nach Afghanistan mit großem Risiko verbunden bzw unzumutbar sei.
Am 17.10.2018 brachte die BF1 erneut einen Laborbefund in Vorlage.
In der am 23.10.2018 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde das eingeholte Gutachten mit den BF erörtert. Die Beschwerdeführervertreterin legte eine Stellungnahme vor, in der sie ausführte, dass die BF2 und der BF3 kaum Schreiben und Lesen könnten und es nicht vorstellbar sei, wie sich die Familie im Falle einer Rückkehr erhalten könnte und darüber hinaus die Behandlung für die BF1 finanziell und organisatorisch bewältigen sollte. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei für die BF daher nicht zumutbar. Aufgrund ihrer Erkrankung wäre die BF1 mit hoher Wahrscheinlichkeit in der afghanischen Gesellschaft diskriminiert. Der beigefügten Anfragebeantwortung vom 13.09.2018 sei zu entnehmen, dass Frauen mit einer Behinderung mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht bzw nicht wieder heiraten und folglich in größerer Armut und Isolation leben würden. Hinsichtlich der Lage von alleinstehenden Frauen wurde auf die Anfragebeantwortung vom 13.10.2018 Bezug genommen.
Mit Eingabe vom 25.06.2019 legte der MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, dem erkennenden Gericht seine Vollmacht bekannt.
Am 01.07.2019 wurde den BF sowie der belangten Behörde wegen Zeitablauf Parteiengehör zu den aktuellen Länderberichten eingeräumt und ihnen eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von 14 Tagen eingeräumt. In der daraufhin eingelangten Stellungnahme des Vereins für Menschenrechte Österreich wurde ausgeführt, UNHCR sei der Ansicht, dass angesichts der derzeitigen Sicherheitslage, der Menschenrechte und der humanitären Lage in Kabul eine IFA in der Stadt in der Regel nicht verfügbar sei. Die hohe Anzahl der Rückkehrer werde dazu führen, dass die Chancen für die BF einen Job zu finden markant sinken und die Familie im Falle einer Rückkehr in eine aussichtslosere Lage geraten werde. Zu den medizinischen Behandlungsmöglichkeiten betreffend die BF1 führten sie ergänzend aus, laut Anfragebeantwortung sei die Behandlung in Afghanistan aufgrund des Mangels der Durchführung von Testen nicht möglich. Abschließend führten die BF das Abhängigkeitsverhältnis zu XXXX ins Treffen, der die BF bereits seit drei Jahren finanziell unterstütze. Dem Schriftsatz fügten die BF diverse Integrationsunterlagen, darunter ein Arbeitsvorvertrag vom 12.07.2017, bei. In der vom MigrantInnenverein St. Marx eingebrachten Stellungnahme wurde im Wesentlichen ergänzend vorgebracht, die BF hätten in Österreich einen westlichen Lebensstil gelernt. Es widerspreche Art 2 und 3 EMRK, wenn die BF nach Afghanistan zurückgeführt werden würden und sich der Unterdrückung wieder hingeben müssten. Das Länderinformationsblatt vom 29.06.2018 möge zwar immer wieder mit Kurzinformationen aktualisiert werden, jedoch seien die Feststellungen über die Provinzen Balkh und Herat weiterhin veraltet. Aufgrund der Dürre sei die Nahrungs-, Wasser-, Sanitär-, Gesundheits-, Unterkunftsversorgung für eine beachtliche Zahl an Vertriebenen mangelhaft und die Unterstützung nicht ausreichend.
Mit hg Schreiben vom 19.09.2019 wurde den BF ergänzend der Länderbericht EASO- Country Guidance Afghanistan 2019 übermittelt; mit Stellungnahme vom 25.09.2019 verwiesen die BF auf die darin angeführte katastrophale Sicherheits- und Versorgungslage und die schlechte Situation von - insbesondere selbstbestimmten - Frauen.
Beweise wurden aufgenommen durch Einvernahme der BF als Partei, Einsicht in die Akten des Verwaltungsverfahrens (OZ 1), in das eingeholte Gutachten vom 10.09.2018 sowie in den eingeholten Akt des XXXX , ZI XXXX , und in die folgenden Urkunden:
* Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatdokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 04.06.2019 (in Folge kurz "LIB"; Beilage ./III),
* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in Folge kurz "UNHCR-Richtlinien"; Beilage ./IV),
* Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 10.07.2017: Behandlungsmöglichkeiten Morbus Wilson; Kosten der Behandlung (in Folge kurz "Anfragebeantwortung 10.07.2017"; Beilage
./V),
* EASO - European Asylum Support Office: Country Guidance:
Afghanistan; Guidance note and common analysis, Juni 2019 (in Folge kurz "EASO"),
* Strafregisterauszug der BF vom 30.10.2019.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Der folgende Sachverhalt steht fest:
1.1. Zur individuellen Situation der BF:
1.1.1. Allgemeines:
Die volljährigen BF sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an, sind sunnitische Moslems, ihre Muttersprache ist Dari und sie haben vor ihrer Ausreise aus Afghanistan in der Stadt Herat gelebt.
Die BF2 und der BF3 sind seit XXXX miteinander verheiratet. Aus der Ehe entstammen vier Kinder, und zwar die BF1, der vor den BF nach Österreich gereiste volljährige XXXX , dem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , ZI XXXX , der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, der in Norwegen aufhältige ungefähr 17-jährige XXXX und eine bereits in Afghanistan verstorbene Tochter. Die Schwestern des BF3 und weitere Verwandte der BF leben im Iran. In Afghanistan haben sie keine Verwandten mehr.
Die BF2 wurde am XXXX in Herat geboren und sie verfügt über eine siebenjährige Schulbildung. In Afghanistan hat die BF2 als Hausfrau gearbeitet und hauptsächlich ihre Tochter, die BF1, unterstützt.
Der BF3 wurde am XXXX ebenfalls in Herat geboren und hat ein Jahr die Grundschule besucht. Er hat mit einem Kollegen ein Maklerunternehmen geführt und war dabei für die Leitung und organisatorische Arbeit zuständig. Der BF3 hat vier Schwestern, die im Iran aufhältig und - zumindest drei - verheiratet sind. Der BF3 steht hin und wieder in Kontakt mit ihnen. Auch der BF3 ist gesund und arbeitsfähig.
Die BF haben keine Verwandten in Afghanistan.
Die BF1 wurde am XXXX in Herat geboren und verfügt über eine zweijährige Schulbildung. Sie leidet an Morbus Wilson, einer Erbkrankheit mit autosomal rezessiven Erbgang, bei der durch Genmutationen der Kupferstoffwechsel in der Leber gestört ist. Aufgrund ihrer Krankheit konnte die BF1 in Afghanistan nicht die Schule beenden, wurde von ihrer Mutter zu Hause unterstützt und reiste mit ihren Eltern für medizinische Behandlungen nach Pakistan, Indien, Iran sowie in die Hauptstadt Kabul.
Die Erkrankung der BF1 erfordert eine konsequente Medikation mit Artamin (D-Penicillamin) 250 mg 4x1 und Vitamin B6 1x1. Die BF1 wurde bereits vor ihrer Flucht in Afghanistan mit D-Penicillamin therapiert. Die Medikamente sind in Herat verfügbar. Die BF1 hat auf Grund ihrer Krankheit derzeit kognitive Einschränkungen; sie hat einen Tremor an beiden Händen und Sprachstörungen. Auch ihr Gang ist eingeschränkt. Sie ist auf die Hilfe ihrer Mutter angewiesen, die ihr beispielsweise die Haare kämmen, sie waschen und anziehen muss.
Die Familie hat ihr Wohnhaus in Herat verkauft, um ihre Flucht zu finanzieren. Der BF3 ist zu einem Fünftel grundbücherlicher Eigentümer eines Hauses in Herat, das zu Investitionszwecken zu Zeiten seiner Tätigkeit als Makler erworben worden ist und von den BF nicht bewohnt werden kann; der Wert dieses Anteils beträgt etwa 200.000 Afghani (ca EUR 2.300).
Ungefähr im September 2015 sind die BF aus Afghanistan ausgereist und unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet Österreichs eingereist, wo sie am 22.09.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben.
1.1.2. Zum (Privat- und Familien-) Leben der BF in Österreich:
Die BF2 hat in Österreich diverse Deutschkurse, zuletzt auf dem Sprachniveau A1, besucht. Zudem hat sie einen Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds (in Folge kurz "ÖIF") absolviert, ist Teil einer Nähgruppe und nimmt gemeinsam mit der BF1 regelmäßig an Projekten des Vereins XXXX , XXXX , teil.
Der BF3 hat gemeinnützige Arbeit in Form von Straßenreinigung im Ausmaß von insgesamt 115,5 Stunden in der Stadt XXXX geleistet, einen Werte- und Orientierungskurs des ÖIF sowie die Führerscheinprüfung B absolviert und diverse Deutschkurse, zuletzt auf dem Niveau A0+ bzw Alpha, besucht. Er verfügt über eine bedingte Einstellungszusage bei XXXX für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels, der die Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit zulässt.
Die BF1 hat ebenfalls an diversen Deutschkursen, zuletzt auf dem Sprachniveau A1, teilgenommen und einen Werte- und Orientierungskurs absolviert.
Die BF leben von Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Ein Deutsch-Sprachzertifikat hat keiner der BF während seines Aufenthaltes in Österreich erworben. Die BF sind mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.
Sie pflegen zu den (österreichischen) Freunden des XXXX , dem Sohn der BF2 und des BF3, Kontakt, indem sie sich gegenseitig einladen, gemeinsam auf Partys gehen oder gemeinsam grillen.
Die BF leben in Österreich mit XXXX , seiner Lebensgefährtin und Kind im gemeinsamen Haushalt; die BF2 und BF3 unterstützen ihn, indem sie auf ihr Enkelkind aufpassen, während er und seine Frau arbeiten geht. Im Gegenzug unterstützt er die BF, indem er Lebensmittel oder Kleidung finanziert. Weiters leben zwei Verwandte der Schwester des BF3 in Österreich; zu ihnen haben die BF kein Naheverhältnis.
Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat der BF:
1.2.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan:
1.2.1.1. Allgemeines (LIB Kapitel 1. und 3.):
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil.
Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.08.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5 % zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63 %) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37 % zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25 %. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. Bis Oktober 2018 fanden die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe.
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis. Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw Einfluss der afghanischen Regierung.
Die Regierung kontrolliert bzw beeinflusst mit Stand 22.10.2018 53,8 % der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9 % der Distrikte sind umkämpft und 12,3 % befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca 63,5 % der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8 % in Gegenden unter Einfluss bzw Kontrolle der Aufständischen und 25,6 % leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand.
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus.
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5 % sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11 % gegenüber dem Vorjahreswert. 42 % der zivilen Opfer (4.627 Opfer;
1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22 % und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26 % aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16 % der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen.
Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31 % der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3 % im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48 % gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren ua Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61 % und die Zahl der Todesopfer erreichte 82 %. 9 % aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009.
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63 % der gesamten zivilen Opfer. 37 % davon werden den Taliban, 20 % dem ISKP und 6 % unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten.
Ungefähr 24 % der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14 % den afghanischen Sicherheitskräften, 6 % den internationalen Streitkräften und 4 % unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4 % gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück.
Die verbleibenden 13 % der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10 %), durch Beschuss aus Pakistan (1 %) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht.
UNAMA registrierte im ersten Quartal 2019 (01.01.2019 - 31.03.2019)
1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23 % gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist. Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden. Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen. Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge).
1.2.1.2. Zur Sicherheits- und Versorgungslage in der Heimatstadt der BF, Herat (Provinz Herat) (LIB Kapitel 3.13.):
Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken.
Die Provinz ist ua ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern.
Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben ua tausende afghanische Binnenflüchtlinge.
Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Dabei handelte es sich um folgende Art von Vorfällen: 6 Entführungen, Verschleppungen; 1 Brandstiftung, Feuer; 1 Flughäfen, Flugverkehr; 1 Angriff auf Logistik, Häfen, Fracht, Wasserstraßen; 1 Attentat, Attentatsversuche, 44 Bomben, Explosivstoffe, Attrappen; 13 Schießereien, Scharfschützen; 60 Verhaftungen, Tötungen; 12 Sonstige, undefiniert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.
In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen.
Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden. ACLED registrierte für den Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat.
Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden. Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet. Die Safran-Produktion garantierte zB auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es
6.5 Tonnen. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten.
Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat.
Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen. Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen. Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden.
Die Situation in der Stadt Herat ist wegen der Zahl der Binnenvertriebenen und einer Dürre im Jahr 2018 (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Seite 35 f) angespannt. Die Lebensmittelversorgung wird mit Stufe 3 "crisis" (die vom Famine Early Warning System Network, FEWS NET, verwendete Skala zur Messung der Nahrungsmittelunsicherheit umfasst fünf Stufen; von "minimal" bis "famine") bewertet. Demnach verfügt einer von fünf Haushalten trotz humanitärer Hilfe über eine Lücke im Nahrungsmittelverbrauch, der über der üblichen Unterernährung liegt, oder war gerade noch in der Lage, den Mindestbedarf an Nahrungsmitteln zu decken, wovon insbesondere Vertriebene betroffen sind (EASO Country Guidance, Juni 2019, Seite 132). 80 % der Einwohner in der Stadt Herat haben Zugang zu Netzstrom, 70 % zu Wasser und 30 % zu Abwasserdienstleistungen. Von der städtischen Bevölkerung in Herat haben 81,2 % Zugang zu verbesserten Wasserquellen und 92,1 % zu einer verbesserten Sanitäranlage (EASO Country Guidance, Juni 2019, Seite 133).
1.2.3. Sunniten (LIB Kapitel 15.):
Etwa 99,7 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7 % Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan.
1.2.4. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):
Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012 bis 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23 % davon sind erwachsene Männer, 21 % erwachsene Frauen und 55 % minderjährige Kinder.
Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 % der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 % der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.
Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.
1.2.5. Grundversorgung und Wirtschaft (LIB Kapitel 21.):
Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4 % aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4 bzw 1,8 %. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3 % zurückgingen und die Importe um 8 % stiegen.
1.2.6. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21.):
In den Jahren 2016 und 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 bis 2014 bei 22,6 % gelegen hatte, um 1 %. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40 % der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 % davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).
1.2.7. Projekte der afghanischen Regierung (LIB Kapitel 21.):
Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 bis 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen.
Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.
1.2.8. Medizinische Versorgung (LIB Kapitel 22.):
Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund zehn Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.
In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert.
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011 bis 2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012 bis 2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren.
Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41 % der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 bis 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt.
1.2.8.1. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung (LIB Kapitel 22.):
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.
Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90 % der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen.
1.2.8.2. Krankenhäuser in Afghanistan (LIB Kapitel 22.1.):
Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung.
1.2.8.3. Zur Möglichkeit der Behandlung von Morbus Wilson (Anfragebeantwortung vom 10.07.2017):
Eine Behandlung von Morbus Wilson ist in Afghanistan nicht möglich, da diagnostische Tests wie Leber-Kupfer-Konzentrations-Tests, Leber-Histologie, genetische Prüfungen, sowie die Biopsie der Leber durchzuführen sind. Vor allem aber kann die Biopsie der Leber in Afghanistan nicht durchgeführt werden.
Die Medikamente "Artamin" (Wirkstoff: Penicillamin) und "Pyridoxin" bzw ihre generischen Alternativen stehen in größeren Städten Afghanistans wie Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat zur Verfügung. Die Zugänglichkeit der Medikamente/Generika hängt von der Region ab, in welcher die entsprechenden Patient/innen leben. Wenn Patient/innen in einem ländlichen Raum beheimatet sind, ist es schwierig in die nächste größere Stadt zu reisen, da die Sicherheitslage in Afghanistan sehr instabil ist. Die notwendigen Medikamente sind nicht in allen Apotheken in Herat und Kabul erhältlich. Jedoch können in rund einem Drittel der Apotheken in Herat und Kabul die Medikamente bezogen werden. Die Kosten betragen für:
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Penicillamin: 10 Tabletten/250 mg 140 AfA (1,97 EUR)
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Pyridoxin: 10 Tabletten/300 mg 30 AfA (0,38 EUR);
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eine Injektion/100 mg 20 AfA (0,25 EUR).
Für die Medikationen ist ein Rezept erforderlich. Patient/innen müssen einen Arzt aufsuchen, um ein Rezept zu erhalten. Die durchschnittlichen Kosten für einen Arztbesuch belaufen sich auf 300 AfA (3,84 EUR).
1.2.9. Rückkehrer:
Personen, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten, wurden Berichten zufolge von regierungsfeindlichen Gruppen bedroht, gefoltert oder getötet, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht hätten, "Ausländer" geworden seien oder als Spione oder auf andere Weise ein westliches Land unterstützten. Heimkehrern wird von der örtlichen Gemeinschaft, aber auch von Staatsbeamten oft Misstrauen entgegengebracht, was zu Diskriminierung und Isolierung führt (UNHCR 30.08.2018 S 52 f).
Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (zB IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (zB IPSO und Anzahl der Rückkehrer/innen aus dem Ausland nach Provinzen). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung (LIB Kapitel 23.). Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 allerdings keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten (LIB Kapitel 1.).
Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (LIB Kapitel 23.).
2. Die Feststellungen ergeben sich aus der folgenden
Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person der BF und zur allgemeinen
Lage:
Die Feststellungen zu den persönlichen Daten, zum Leben der BF, ihrer Familie, ihren Verwandten - auch in Afghanistan - und ihrer Ausreise nach Europa ergeben sich aus den im Wesentlichen gleichbleibenden und übereinstimmenden Aussagen der BF im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren. Die Feststellungen zu XXXX folgen aus der Einsichtnahme in den eingeholten Akt zur ZI XXXX und decken sich mit den im Verfahren getätigten Angaben der BF.
Dass die BF2 und der BF3 gesund sind, resultiert aus deren glaubhaften Angaben im Beschwerdeverfahren. So gab die BF2 lediglich zu Beginn der ersten mündlichen Beschwerdeverhandlung an, sie habe leichte Magenproblem, wo