Entscheidungsdatum
31.10.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W258 2143710-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, RA in 1070 Wien, Burggasse 116/17-19, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.10.2017 in einer asylrechtlichen Angelegenheit zu Recht:
A) Die Beschwerde wird abgewiesen.
B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht
zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (in Folge kurz "BF") stellte am 17.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.12.2015 gab der BF an, er sei am XXXXin Kabul geboren und besitze die Staatsbürgerschaft der Islamischen Republik Afghanistan (in Folge kurz "Afghanistan"). Er sei ledig, sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Für sechs Jahre habe er die Grundschule XXXX in XXXX besucht. Da sein Schwager Christ sei, seien sie ständig von anderen Dorfbewohnern bedroht worden. Zudem sei sein Onkel mütterlicherseits für Mujahiddin tätig gewesen und habe der BF für diesen kämpfen sollen. Sowohl eine Schwester als auch ein Bruder des BF seien seit sieben bis acht Jahren in Österreich aufhältig.
In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge "belangte Behörde") am 02.12.2016 monierte der BF eingangs eine mangelnde Rückübersetzung des Protokolls seiner Erstbefragung. Zu seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen habe der BF wöchentlich Kontakt, wobei er bei diesen im Zuge seines Besuchs auch übernachte. Er sei in der Provinz Kabul im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren. Zum Fluchtgrund befragt, gab der BF einerseits an, im Zuge seiner sechsjährigen Ausbildung in der Koranschule " XXXX " zum Dschihad gezwungen und andererseits wegen der Religionszugehörigkeit seines in Österreich lebenden Schwagers, der ein Christ sei, bedroht worden zu sein.
Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mangels Glaubhaftmachung einer persönlichen Verfolgung oder Gefährdung ab. Ebenso wies sie den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen mangels konkreter Anhaltspunkte, wonach der BF im Falle der Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sei oder eine extreme Gefährdungslage vorfinden würde, ab. Ferner erteilte die belangte Behörde keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise setzte sie eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
Dagegen wendet sich die gegenständliche Beschwerde des BF, in der er im Wesentlichen eine Rechtswidrigkeit in Folge von Verfahrensfehlern geltend macht.
In der am 12.10.2017 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF neuerlich zu seinen Fluchtgründen, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie zu seinem Leben in Österreich befragt. Zudem legte der BF ein Konvolut von Fotos vor, die ihn dabei zeigen, wie er bei der Sanierung der Kirche hilft, und bei einer ehrenamtlichen Tätigkeit, wo er bei einem Konzert mitgearbeitet habe (als Konvolut als Beilage ./2) sowie diverse Empfehlungsschreiben und Bestätigungen, insbesondere über Absolvierung von Deutschkursen und über ehrenamtliche Tätigkeit (als Konvolut als Beilage ./3).
Mit Schreiben vom 03.11.2017 nahm der BF zu den mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersendeten Länderberichten Stellung und legte unter einen Kommentar von Thomas Ruttig zum Gutachten von Mag. Karl Mahringer vom 28.08.2017 vor. Darin wird im Wesentlichen dem Gutachten des Mag. Karl Mahringer widersprochen und ausgeführt, dass sowohl die Richtlinien von UNHCR als auch der EASO Bericht davon ausgehen, dass regierungsfeindliche Kämpfer auf Zwangsrekrutierungsmaßnahmen zurückgreifen und damit mit dem Vorbringen des BF in Einklang zu bringen wären. Insbesondere sei der BF auf Grund seiner paschtunischen Verwandtschaft mütterlicherseits besonders exponiert.
Zu den am 12.10.2018 übermittelten Länderberichten führte der BF - unter Vorlage diverser Länderberichte, einem Urteil des französischen Court Nationale du Droit d'Asile vom 09.03.2018, Zl 17045561, sowie einem Auszug aus dem Gutachten von Friederike STAHLMANN vom 28.03.2018 - im Wesentlichen aus, verschiedenste mit Afghanistan befasste Stellen/Gerichte/GutachterInnen würden mittlerweile bestätigen, dass der in Afghanistan, insbesondere in Kabul, herrschende Konflikt solch ein Ausmaß erreicht habe, dass eine Person bereits bloß aufgrund ihrer Anwesenheit einen ernsthaften Schaden iSd § 8 AsylG bzw Art 2 oder 3 EMRK erleiden würde. Eine Ansiedlung in Herat und Mazar-e Sharif sei nicht möglich, da diese beiden Städte nur über Kabul erreichbar seien, welches nunmehr als nicht sicher gelte. Außerdem verübe die "Junbish" Miliz, die dem Vizepräsidenten Afghanistans General Abdul Rashid Dostum zugerechnet werde, regelmäßig Menschenrechtsverletzungen in Mazar-e Sharif. Als Beweis seiner fortschreitenden Integration brachte der BF die Bestätigung über die Teilnahme am Basisbildungskurs B1 in Vorlage.
Am 02.07.2019 wurde dem BF sowie der belangten Behörde wegen Zeitablauf Parteiengehör zu den aktuellen Länderberichten eingeräumt und ihnen eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von 14 Tagen eingeräumt. Mit Eingabe vom 15.07.2019 übermittelte der BF diverse Integrationsunterlagen zum Beweis seiner fortgeschrittenen sozialen und kulturellen Integration.
Beweise wurden aufgenommen durch Einsicht in den Verwaltungsakt des BF (OZ 1), des XXXX zur hg AZ XXXX , der XXXX zur behördlichen AZ XXXX sowie des XXXX zur behördlichen XXXX , Einvernahme des BF als Partei, des Bruders des BF, XXXX , als Zeugen sowie Einsicht in folgende Urkunden:
* Strafregisterauszug des BF vom 29.10.2019;
* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in Folge kurz als "UNHCR 30.08.2018" bezeichnet);
* "EASO Country of Origin Information Report - Afghanistan - Recruitment by armed groups", Auszug von Seiten 13 bis 24 (in Folge kurz als "EASO" bezeichnet);
* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 04.06.2019 (in Folge kurz als "LIB" bezeichnet);
* Auszug der Stellungnahme des länderkundlichen Sachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly am 13.06.2016 zur AZ W119 1432399-2 zu Sippenhaft der Konvertiten in Afghanistan (in Folge kurz als "Rasuly 13.06.2016" bezeichnet);
* Auszug einer Landkarte, auf der das Dorf XXXX markiert ist (Beilage ./IX);
* die - im Verfahrensgang beschriebenen - vom BF vorgelegten Beilagen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Der folgende Sachverhalt steht fest:
1.1. Zur individuellen Situation des BF:
Der männliche, volljährige, ledige und kinderlose BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Er spricht als Muttersprache Dari. Er wurde am XXXX in Afghanistan in der Provinz Kabul, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren. Er hat für sechs Jahre eine - nicht religiöse - Schule in XXXX besucht und danach einige Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet. Er ist in sehr jungen Jahren, wann genau ist nicht feststellbar, weil der BF zu jung war, um sich noch daran zu erinnern, nach Kabul Stadt gezogen und hat dort bis zu seinem 12. Lebensjahr gelebt. Danach hat er erneut in seinem Heimatdort gelebt.
Seine Kernfamilie in Afghanistan besteht aus seinen Eltern, seinen zwei Brüdern und seiner Schwester, die sich nach wie vor im Heimatdistrikt des BF aufhalten und mit denen er Kontakt aufnehmen kann. Die Familie wohnt in einem Haus, der Vater bezieht eine staatliche Rente.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Der BF ist ca im Sommer 2015, der genaue Zeitpunkt kann nicht festgestellt werden, schlepperunterstützt aus der Provinz Kabul alleine in Richtung Europa ausgereist. Der BF ist unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet eingereist und hat am 17.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
1.2. Zu den Fluchtgründen:
Der BF wurde und wird durch die Taliban weder individuell bedroht, noch kam es zu Übergriffen der Taliban auf den BF. Insbesondere fand eine (versuchte) Zwangsrekrutierung des BF durch die Taliban nicht statt bzw ist auch im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit keiner maßgeblichen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen.
Der BF hatte in Afghanistan keine Schwierigkeiten oder Nachteile, weil er der Volksgruppe der Tadschiken angehört.
1.3. Zum (Privat)Leben des BF in Österreich:
Der BF ist seit seiner Antragstellung am 17.12.2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.
Der BF verfügt in Österreich über einen Bruder, eine Schwester und einen Schwager, wobei mit diesen keine aufrechte Wohngemeinschaft besteht. Er besucht seine Verwandten wöchentlich, die ihn finanziellen mit geringen Beträgen unterstützen. Ein darüberhinausgehendes Abhängigkeitsverhältnis besteht nicht.
Der BF hat bereits Deutschkurse, zuletzt auf dem Sprachniveau B1 besucht, befindet sich derzeit im Nachbetreuungsprojekt XXXX von XXXX , hat von Oktober 2018 bis März 2019 am Basisbildungsprogramm der XXXX teilgenommen, ist seit September 2018 Mitglied des Kletterteams des Vereins " XXXX ", hat einen Theaterworkshop besucht und einige freundschaftliche Kontakte in Österreich geknüpft.
Der BF ging in Österreich keiner offiziellen Arbeit nach; er betätigte sich ehrenamtlich im Zuge von Gemeindearbeiten (Schülerlotse, Reinigungsarbeiten, Sanierungsarbeiten einer Kirche). Zudem arbeitet er als freiwilliger Mitarbeiter einmal wöchentlich für jeweils zweieinhalb Stunden in der Lernbetreuung bei XXXX , einem Verein für Sozialprojekte, und engagiert sich beim XXXX , einem Sport- und Kulturverein.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.5. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:
1.5.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan:
1.5.1.1. Allgemeines (LIB Kapitel 1. und 3.):
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil.
Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.08.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5 % zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63 %) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37 % zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25 %. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. Bis Oktober 2018 fanden die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe.
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis. Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw Einfluss der afghanischen Regierung.
Die Regierung kontrolliert bzw beeinflusst mit Stand 22.10.2018 53,8 % der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9 % der Distrikte sind umkämpft und 12,3 % befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca 63,5 % der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8 % in Gegenden unter Einfluss bzw Kontrolle der Aufständischen und 25,6 % leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand.
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus.
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5 % sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11 % gegenüber dem Vorjahreswert. 42 % der zivilen Opfer (4.627 Opfer;
1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22 % und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26 % aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16 % der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen.
Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31 % der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3 % im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48 % gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren ua Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61 % und die Zahl der Todesopfer erreichte 82 %. 9 % aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009.
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63 % der gesamten zivilen Opfer. 37 % davon werden den Taliban, 20 % dem ISKP und 6 % unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten.
Ungefähr 24 % der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14 % den afghanischen Sicherheitskräften, 6 % den internationalen Streitkräften und 4 % unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4 % gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück.
Die verbleibenden 13 % der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10 %), durch Beschuss aus Pakistan (1 %) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht.
UNAMA registrierte im ersten Quartal 2019 (01.01.2019 - 31.03.2019)
1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23 % gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist. Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden. Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen. Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge).
1.5.2.1. Zur Lage in der Heimatprovinz des BF, Kabul (LIB Kapitel 3.1.):
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt
In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen.
Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden.
Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte.
Im Zeitraum 01.01.2017- 30.04.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Dabei handelte es sich um folgende Art von Vorfällen: 9 Entführungen, Verschleppungen; 1 Flughäfen, Flugverkehr, 2 Angriffe auf militärische Einrichtungen oder Rekrutierungszentren, 3 Attentate, Attentatsversuche, 160 Bomben, Explosivstoffe, Attrappen; 24 Schießereien, Scharfschützen; 107 Verhaftungen, Tötungen; 104 Sonstige, undefiniert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17 % im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte).
Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.
Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich.
Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden.
Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul, auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben. So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden.
Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.01.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an.
Für den Zeitraum 01.01.2017 - 31.01.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte).
Eine Straße verbindet die Stadt Kabul mit der - ca. 30 km entfernten - Distrikthauptstadt XXXX (Beilage ./IX). Das Heimatdorf XXXX liegt wenige Kilometer von XXXX entfernt und kann jedenfalls zu Fuß erreicht werden (Beilage ./IX). Sein Heimatdorf kann vom BF sicher erreicht werden.
1.5.3. Zwangsrekrutierung:
Afghanistan kennt keine Wehrpflicht; das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre. Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, erscheint die Notwendigkeit für Zwangsrekrutierungen jedoch eher unwahrscheinlich (LIB Kapitel 9.).
1.5.3.1. Zur (Zwangs-)rekrutierung durch die Taliban:
Die Taliban rekrutieren nach wie vor durch lokale Kommandanten, Stammesälteste sowie in Madrassen oder Moscheen. In 2016 werden die Taliban immer mehr als die siegreiche Macht anerkannt, wodurch sie generell unter weniger Druck stehen als bspw in 2012 (vgl EASO S 14).
Gelegentlich wird auch Druck auf die Familien ausgeübt bzw Geld für eine Vereinigung mit den Taliban angeboten. Es kann auch von einem Familienmitglied, welches Mitglied der Taliban ist, Zwang oder Druck ausgeübt werden (vgl EASO S 22).
Die Entscheidung sich den Taliban anzuschließen, wird oftmals direkt von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Dorfvorstehern gefällt (vgl EASO S 22).
Die Verbreitung der Rekrutierung durch Zwangsmaßnahmen verhält sich proportional zur der Taliban entgegengebrachten Gegenwehr in den jeweiligen Siedlungsgebieten. In vielen Gebieten werden die Taliban als siegreiche Macht angesehen, wo ihnen eine größere Anzahl an freiwilligen Kämpfern zur Verfügung stehen, wodurch sie nicht auf den Einsatz von Zwangsmaßnahmen zurückgreifen müssen. In anderen Gebieten hingegen ist das Bedürfnis der Taliban, zusätzliche Kämpfer für sich zu gewinnen, dringlicher (vgl EASO S 22).
Der überwiegende Teil der Talibanrekruten sind Paschtunen, wobei die Rekrutierung von anderen Volksgruppen zwar möglich, aber nicht verbreitet und ortsabhängig ist (vgl EASO S 18).
1.5.3.2. Konsequenzen einer Verweigerung:
Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden (UNHCR 30.08.2018 S 59 f). Der Einsatz von Zwangsmaßnahmen stellt dabei aber eher die Ausnahme dar (vgl EASO S 22).
Gebiete, welche die Taliban nicht unterstützen, insbesondere weil sie keine Kämpfer bereitstellen, und die sich in der Nähe von den Hochburgen der Taliban befinden, werden zum Ziel der Taliban. Die Taliban versuchen die Bevölkerung zunächst von sich zu überzeugen und zwingen sie schlussendlich, der Aufstandsbewegung beizutreten. Viele Stammesälteste wurden auf Grund Ihres Widerstandes von den Taliban eliminiert (vgl EASO S 24).
Für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzen, kann Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen bestehen (UNHCR 30.08.2018 S 62).
1.5.4. Zur Sippenhaft bei Konvertiten in Afghanistan:
Wenn der Konvertit im Ausland lebt und seine Familie dessen Konversion in Afghanistan verteidigt, schafft das eine Grundlage für eine Sippenhaft. Die Familie bekommt in diesem Fall Probleme mit den Fundamentalisten, die Behörde wird in diesem Fall aber nicht gegen sie tätig (Rasuly 13.06.2016 S 1).
1.5.5. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):
Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012 bis 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23 % davon sind erwachsene Männer, 21 % erwachsene Frauen und 55 % minderjährige Kinder.
Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 % der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 % der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.
Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.
1.5.6. Grundversorgung und Wirtschaft (LIB Kapitel 21.):
Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4 % aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4 bzw 1,8 %. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3 % zurückgingen und die Importe um 8 % stiegen.
1.5.7. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21.):
In den Jahren 2016 und 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 bis 2014 bei 22,6 % gelegen hatte, um 1 %. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40 % der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 % davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).
1.5.8. Projekte der afghanischen Regierung (LIB Kapitel 21.):
Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 bis 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen.
Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.
1.5.9. Medizinische Versorgung (LIB Kapitel 22.):
Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund zehn Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.
In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert.
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011 bis 2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012 bis 2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren.
Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41 % der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 bis 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt.
1.5.9.1. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung (LIB Kapitel 22.):
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.
Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90 % der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen.
1.5.9.2. Krankenhäuser in Afghanistan (LIB Kapitel 22.1.):
Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung.
1.5.10. Tadschiken (LIB Kapitel 16.3.):
Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte; und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30 % der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:
In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession.
Der Hauptführer der "Nordallianz", einer politisch-militärischen Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Trotz seiner gemischten Abstammung, sehen ihn die Menschen als Tadschiken an. Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan; ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.
1.5.11. Sunniten (LIB Kapitel 15.):
Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3 % der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan.
1.5.12. Zur wirtschaftlichen Situation von Rückkehrern (LIB Kapitel 23.):
Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (zB IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (zB IPSO und Anzahl der Rückkehrer/innen aus dem Ausland nach Provinzen). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung (LIB Kapitel 23.). Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 allerdings keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten (LIB Kapitel 1.).
Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (LIB Kapitel 23.).
2. Die Feststellungen ergeben sich aus der folgender
Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF und zur allgemeinen
Lage:
Die Feststellungen zu den persönlichen Daten, zum Leben, seiner beruflichen Laufbahn, zu den Familienangehörigen und zur Ausreise des BF ergeben sich aus den im Wesentlichen gleichbleibenden, übereinstimmenden und schlüssigen Aussagen des BF im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren. Hinsichtlich der Feststellungen zu seiner Schullaufbahn ist auf die Beweiswürdigung zu seinem Fluchtvorbringen zu verwiesen.
Die Feststellung, dass der BF mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut sei, ergibt sich daraus, dass der BF von Geburt an in einem engen afghanischem Familienband aufgewachsen ist und den Großteil seines Lebens in Afghanistan verbracht hat.
Dass es dem BF möglich ist, Kontakt zu seiner in Afghanistan lebenden Familie aufzunehmen ergibt sich daraus, dass es dem Schwager aus Österreich möglich war, Kontakt zu der Familie des BF aufzunehmen und in weiterer Folge die Ehe mit der Schwester des BF zu arrangieren (OZ 7 S 5). Zwar hat der Bruder des BF, XXXX , zwar hg angegeben hat, dass er zu seinen Verwandten keinen Kontakt mehr habe, seit er 2009 in Österreich angekommen sei (hg VH 12.10.2017 S16); dies steht aber im Widerspruch zu seiner Aussage in seinem eigenen Verfahren über internationalen Schutz, in dem er über Aufforderung, sich mit seinen Eltern in Verbindung zu setzen angibt, dass er den Vater bereits kontaktiert hätte. (Einvernahme BAA XXXX 20.02.2009 S 5). Auch ist der BF erst Oktober 2015 aus AFG ausgereist und hat seinen Bruder in Österreich gefunden, was ohne Kontakt zu seinem Bruder nicht möglich wäre. Nicht erklärbar wäre ohne Kontakt auch, woher der BF bei seiner Ersteinvernahme 18.12.2015 wissen hätte sollen, dass sein Bruder nach wie vor in AT lebt und einen Aufenthaltstitel hat (Ersteinvernahmeprotkoll S 3 bzw AS 11). Hätte es tatsächlich seit 2009 keinen Kontakt zwischen den Brüdern gegeben, hätte der BF wissen nicht wissen können, dass sein Bruder am 28.01.2013 einen Aufenthaltstitel bekommen hat.
Die Feststellungen zur Einreise und zum Asylverfahren des BF ergeben sich aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt.
Die Feststellung, wonach der BF zu seinen in Österreich lebenden Verwandten zwar Kontakt habe, ergibt sich aus seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung. Darin führte er aus, dass er diese regelmäßig besuche und auch dort übernachte (OZ 7 S 14). Da sich die finanzielle Unterstützung in der Bezahlung eines geringen Taschengeldes bzw der Bezahlung der Rechtsvertretung beschränkt (OZ 7 S 15) und auch die Beziehung eines gemeinsamen Wohnsitzes nicht geplant ist (OZ 7 S 16), war jedoch von keinem Abhängigkeitsverhältnis auszugehen.
Die Feststellungen zu den familiären Bindungen, Privatleben und zur Integration des BF in Österreich ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Aussagen und der diesbezüglichen Unterlagen. Die Feststellung zu seinen Deutschkenntnissen ergibt sich aus den diesbezüglichen Unterlagen und seiner hg Befragung.
Die Feststellung, wonach der BF sein Heimatdorf sicher erreichen kann, ergibt sich aus den Länderfeststellungen und der Landkarte ./IX, wonach die Stadt Kabul über den internationalen Flughafen und sein - wenige Kilometer entferntes Heimatdorf über das Straßennetz erreichbar ist, der Großraum der Stadt Kabul unter Kontrolle der afghanischen Regierung steht und die allgemeine Sicherheitslage in der Provinz Kabul nicht derart gestaltet ist, dass der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei der Anreise in sein Heimatdorf ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.
Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründet sich auf seine glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung, wonach er keine Medikamente einnehme und auch nicht in ärztlicher Behandlung stehe (OZ 7 S 15).
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem Strafregisterauszug des BF, dass er Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus dem Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem.
Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan ergeben sich aus den bei den jeweiligen Feststellungen angeführten Quellen, die sich auf mehrere, im Wesentlichen übereinstimmende Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen gründen, wobei die vom BF angeführten Länderberichte entweder älteren Datum sind oder den getroffenen Länderfeststellungen nicht widersprechen.
Sofern der BF im Rahmen seiner Stellungnahme vom 03.11.2017 (OZ 12) das Gutachten des Ing. Mag. Mahringer bekämpft, ist darauf zu verweisen, dass das in Rede stehende Gutachten der vorliegenden Entscheidung ohnedies nicht zugrunde gelegt wurde, sodass - da auch mit den eingebrachten Länderberichten das Auslangen gefunden werden konnte.
Auch der in der Stellungnahme vom 10.12.2018 genannte Entscheidung des französischen Court Nationale du Droit d'Asile vom 09.03.2018 kommt für das gegenständliche Verfahren keine Bindungswirkung zu.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen:
Dem Vorbringen des BF, er sei einer versuchten Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt gewesen, konnte trotz seiner teilweisen detaillierten Ausführungen nicht gefolgt werden:
Für das Vorbringen des BF sprechen die Feststellungen zur Lage in Afghanistan, wonach es in Afghanistan nach wie vor zu Rekrutierungen mit Zwang und- wie vom BF vorgebracht - über religiöse Schulen, Madrassen, kommt. Relativierend ist dabei aber zu berücksichtigen, dass nur in Ausnahmefällen tatsächlich Zwang angewendet wird, weil die Taliban aber derzeit weniger unter Druck stehen als im Jahr 2012. Hinzu kommt, dass nach Angaben des BF die Taliban zum Zeitpunkt der versuchten Zwangsrekrutierung des BF regen Zuspruch unter der Bevölkerung gefunden haben (OZ 7 S 8), weshalb die vorgebrachte versuchte Zwangsrekrutierung in Hinblick auf die Feststellungen, wonach die Taliban in Gebieten, wo sie als siegreiche Macht anerkannt werden, nicht auf Zwangsmittel zurückgreifen müssen, weil ihnen ohnehin freiwillig Kämpfer bereitgestellt werden, unwahrscheinlich ist.
Hinzu kommt, dass dem BF auf Grund der Vielzahl an Widersprüchen in seinen Aussagen nur begrenzte Glaubwürdigkeit zukommt: So waren seine Angaben zu seinem Alter unrichtig. Während er ursprünglich den XXXX als Geburtsdatum angeführt hat, wurde es auf Grund einer multifaktoriellen Altersfeststellung mit spätestens XXXX festgelegt. Sein Bruder gab in seinem Verfahren über internationalen Schutz am 11.12.2008 und am 20.02.2009 überhaupt an, sein Bruder sei 13 Jahre alt, dh spätestens am 11.12.1995 geboren. Eine Diskrepanz von fast vier Jahren kann auch nicht dadurch erklärt werden, dass dem BF sein genaues Geburtsdatum nicht bekannt ist (Beilage "dg4" zur Ersteinvernahme des XXXX , IFA 480774301/1078237).
Nicht erklärbar ist auch, wieso der BF hinsichtlich des Berufs seines Vaters in seiner Einvernahme vor dem BFA am 02.12.2016 erwähnt, er sei Polizist gewesen und seit 15 Jahren in Pension und "mache nichts" (Einvernahmeprotokoll BFA 02.12.2016 S 10 bzw OZ 1 S 128), während sein Bruder in seinem eigenen Verfahren über internation