TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/11 W260 2174637-1

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Veröffentlicht am 11.11.2019
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Entscheidungsdatum

11.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W260 2174634-1/14E

W260 2174627-1/14E

W260 2174637-1/14E

W260 2174798-1/15E

W260 2174795-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerden von

1. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,

2. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,

3. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,

4. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan und

5. mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch seinen Vater,

XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,

alle vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, jeweils gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien vom

1. XXXX , Zl. 1096613303-151865967,

2. XXXX , Zl. 1096613510-151866602,

3. XXXX , Zl. 1096613608-151866661,

4. XXXX , Zl. 1096613401-151866106 und

5. XXXX , Zl. 112382000-161028604,

nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.07.2018

zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde der XXXX wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des beschwerdegegenständlichen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde der XXXX gegen Spruchpunkt II. des beschwerdegegenständlichen Bescheides wird stattgegeben und wird der XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird der XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 11.11.2020 erteilt.

IV. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden die Spruchpunkte III. und IV. des beschwerdegegenständlichen Bescheids aufgehoben.

V. Der Beschwerde des XXXX wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des beschwerdegegenständlichen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

VI. Der Beschwerde des XXXX gegen Spruchpunkt II. des beschwerdgegenständlichen Bescheides wird stattgegeben und wird dem XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 iVm § 8 Abs 4 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

VII. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 11.11.2020 erteilt.

VIII. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden die Spruchpunkte III. und IV. des beschwerdegegenständlichen Bescheids aufgehoben.

IX. Den Beschwerden des XXXX und des mj. XXXX hinsichtlich der beschwerdegegenständlichen Bescheide wird stattgegeben und wird XXXX und mj. XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

X. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und mj.

XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

XI. Der Beschwerde der XXXX wird stattgegeben und wird XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

XII. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer reisten gemeinsam nach Österreich ein und stellten 25.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag erfolgten die Erstbefragungen der XXXX (im Folgenden "BF1"), des im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen

XXXX (im Folgenden "BF2"), des XXXX (im Folgenden "BF3") und der XXXX (im Folgenden "BF4") durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers in der Sprache Farsi.

Die BF1 führte ihren Fluchtgrund betreffend zusammengefasst aus, dass sie von den Taliban bedroht worden seien. Eines Nachts hätten vier Männer ihren Mann gewaltsam mitgenommen hätten und sie bedroht, dass sie und der Rest der Familie ebenfalls umgebracht werden würden. Aus Angst um ihre Söhne habe sie das Land verlassen.

Der BF2 führte seinen Fluchtgrund betreffend aus, dass seine Familie von den Taliban bedroht worden sei, da sie Schiiten seien. Sein Vater sei entführt worden und seien sie aus Angst mit dem Rest der Familie geflohen.

Der BF3 führte seinen Fluchtgrund betreffend aus, dass seine Familie von den Taliban bedroht worden sei, da sie Schiiten seien. Sie hätten seinen Vater mitgenommen und sei er mit seiner Frau und der Familie geflohen. Sie seien eingeengt und erniedrigt worden und hätten sich nicht weiterbilden dürfen.

Die BF4 führte ihren Fluchtgrund betreffend aus, dass ihre Familie von den Taliban bedroht worden sei, da sie Schiiten seien. Sie hätten den Schwiegervater mitgenommen und sei sie mit ihrem Mann und der Familie geflohen.

3. In der Folge wurden die Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "BFA") im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und eines bevollmächtigten Vertreters niederschriftlich einvernommen.

Die BF1 gab zu ihren Fluchtgründen zusammengefasst an, dass Ihr Mann mit einem Freund namens XXXX in Afghanistan gemeinsam ein Grundstück gekauft habe. Aufgrund dieses Grundstückes sei es zu Streitigkeiten gekommen. In der Folge wollte die Familie im Iran Urlaub machen, aus dem Urlaub seien sodann zehn Jahre geworden. Nach zehn Jahren sei ihr Mann nach Afghanistan abgeschoben worden und folgte die BF1 ihm mit den Kindern nach. Nach dieser Zeit im Iran, wollte ihr Ehemann das Grundstück verkaufen. XXXX meinte, dass sie aufgrund des derzeitigen geringen Verkaufspreises noch einige Zeit zu warten sollte. Es seien vier Jahre vergangen. Ihr Mann habe in der Folge den Kaufvertrag im Eintragungsbüro herausfordern wollen, was ihm misslungen sei. Es sei wieder zu einem Streit gekommen und hätte besagter XXXX in der Folge die Tochter der Schwägerin heiraten wollen. Diese Tochter sei ihre jetzige Schwiegertochter BF4. Die Schwägerin sei gegen die Hochzeit gewesen. Die BF4 habe in der Folge gedroht, dass sie sich das Leben nehmen würde. Die BF4 sei zu diesem Zeitpunkt bereits in den Sohn der BF1, den BF3 verliebt gewesen. In der Folge sei die Hochzeit heimlich geschlossen worden, damit XXXX dies nicht mitbekomme. Der Schwager der BF1 habe in der Folge dem XXXX gesagt, dass seine Tochter bereits mit dem B4 verheiratet sei. Danach sei die Feindschaft zwischen dem Schwager und dem Ehemann der BF1 größer geworden. In der Folge versuchte der Ehemann der BF1, XXXX zu bewegen, dass er seinen Anteil vom Grundstück haben möchte und er den Kaufvertrag bringen solle. Um den Kaufvertrag zu bekommen, sei der Ehemann der BF1 im Büro auf XXXX gestoßen, und in der Folge mit ihm wegen des Kaufvertrages in Streit gekommen. XXXX sei im Zuge des Streites gestürzt und in der Folge gestorben. Die BF1 gab weiters an, dass es kurz danach in der Nacht vier Männer in ihr Haus eingedrungen seien. Diese Männer hätten ihren Ehemann mitgenommen und ihr gedroht, dass sie leise sein solle, ansonsten würde sie getötet werden. Seit diesem Zeitpunkt habe sie ihren Ehemann nicht mehr gesehen. In der Folge sei sie zu ihrer Schwägerin gegangen und wiederholte in der Befragung, dass ihr Schwager gewollt hätte, dass die BF3 XXXX heiraten solle. Nach diesem Gespräch, sei der Schwager hinausgegangen und hätte erfahren, dass XXXX ums Leben gekommen sei, und seine Söhne und Brüder sich an ihrer Familie rächen werden würden. Drei Tage hätte sie ihre Söhne bei einer Nichte in Kabul versteckt, nach sechs Tagen seien sie in den Iran gegangen, wo sie sechs Monate blieben und in der Folge seien sie ins Bundesgebiet ausgereist. In der Befragung gab sie an, dass zu 100 % die Söhne des Mannes, den ihr Ehemann im Streit umgebracht hätte, ihn entführt hätten. Von ihm hätte weder sie, noch ihre Schwägerin jemals wieder etwas gehört.

Der BF2 führte zu seinen Fluchtgründen zusammengefasst aus, dass sie die Probleme als Familie gehabt hätten. Er wisse, dass sein Vater zur Hälfte ein Grundstück gekauft hätte und in der Folge Probleme aufgetaucht seien. Über den Streit, den sein Vater mit einem anderen Mann im Zuge des gewünschten Grundstücksverkaufes gehabt habe, wurde ihm selbst, nur von seiner Mutter, der BF1 berichtet. Eigene Wahrnehmungen habe er hierzu nicht gehabt. In der Folge habe er über die vorgebrachte Entführung des Vaters von der Mutter erfahren und gab dies in der Befragung vor der belangten Behörde wieder. Der Mann, der durch den Streit durch seinen Vater getötet worden sei, sei auch ein mächtiger Mann und hätte viel Geld. Dessen Söhne hätten gemeint, dass sie sich an ihm und seinen Bruder rächen werden. Dies habe er vom Mann seiner Tante erfahren der ihnen in der Folge geraten habe, dass Land zu verlassen. All dies habe er aus Erzählungen erfahren. Auf konkrete Frage ob sich der BF2 vorstellen könne, in Afghanistan in Kabul oder in Mazar-e Sharif zu leben gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er dort nicht leben könne, da in Afghanistan Krieg herrsche, es gäbe jeden Tag Attentäter und wenn man rausgehe wisse man nie, was einem zustoßen könne. Aufgrund seiner Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit sei er noch nie persönlich bedroht worden.

Der BF3 führte im Rahmen der Niederschrift vor der belangten Behörde zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst aus, dass er und sein Bruder, der BF2, bei der vorgebrachten Entführung des Vaters nicht persönlich anwesend gewesen seien. Ebenfalls wiederholte er die Grundstücksstreitigkeiten und den Streit mit XXXX, der in der Folge des Streites mit dem Vater des BF3 zu Tode gekommen sein soll. Vor der belangten Behörde gab der BF3 ebenfalls an, dass er, bereits bevor die Probleme begonnen hätten, mit seiner Ehefrau, der BF4, beschlossen habe, das Land zu verlassen, um ein neues Leben zu beginnen. Er selbst sei nicht persönlich bedroht worden. Der BF3 behauptete weiters, dass die Entführer die Söhne des getöteten Mitarbeiters des Immobilienbüros gewesen wären, und seinem Vater gesagt hätten, dass sie sein Leben "schwarz machen" werden würden. Weiters gäbe es in seinem Dorf großteils Pashtunen und alle seien Anhänger der Taliban, so auch XXXX und XXXX . Er selbst sei niemals wegen seiner Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit persönlich bedroht worden. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, befürchte er den Tod wegen XXXX .

Die BF4 gab zu ihren Fluchtgründen zusammengefasst an, dass sie wegen ihrem Ehemann, dem BF3 Afghanistan verlassen habe. Weiters führte sie aus, dass sie ihr Vater mit einem wesentlich älteren Mann, der drei Frauen hätte, zwangsverheiraten habe wollen. Dieser Mann hieße Mollah XXXX . Im Ergebnis habe sie sich jedoch gegenüber ihrem Vater durchsetzen können und habe im Einverständnis ihres Vaters ihren Cousin, den BF3, geheiratet. Aus ihrer Sicht hätten Männer des XXXX nicht ihren Schwiegervater, sondern den BF3 entführen wollen, da XXXX "böse" auf den BF3 gewesen sei. Von der Entführung habe sie persönlich nichts gesehen, sie hätte diese Informationen von ihrer Schwiegermutter, der BF1 bekommen. Im Rahmen der Befragung wurde von der belangten Behörde angemerkt, dass sich die Aussage der BF4 in Bezug auf den Streit des Schwiegervaters und die im Ergebnis tödliche Verletzung eines Mitarbeiters im Immobilienbüro ident mit der Aussage der BF1 seien und einstudiert wirken würden. Zu ihrer Zukunft in Österreich befragt gab die BF4 an, dass sie gerne Schneiderin werden würde. Im Zuge der Einvernahme vor der belangten Behörde brachte die BF4 diverse Integrationsunterlagen wie Teilnahmebetätigungen der XXXX der Stadt Wien, der XXXX (Weiterbildung, Berufsauswahl und Jobmöglichkeiten in Österreich) und des österreichischen roten Kreuzes zur Vorlage. Auf Bitte der BF4 verließ der männliche Mitarbeiter der belangten Behörde und wurde diese von einer weiblichen Mitarbeiterin dahingehend befragt, wer "Zuhause das sagen habe" woraufhin die BF4 antwortete, dass dies ihr Mann und die Schwiegermutter, die BF1 seien. Betreffend ihre Aussage in der Erstbefragung, wonach sie angegeben hätte, dass die Taliban gegen Schiiten seien und ihr Onkel aus diesem Grunde entführt worden sei, gab die BF4 korrigierend an, dass sie selbst betreffend ihren Glauben nie Probleme gehabt habe, die Taliban hätten jedoch einen Hass gegen Schiiten. Hinsichtlich des zum damaligen Zeitpunkt ungeborenen BF5 wurde der Mutter-Kind-Pass zur Vorlage gebracht.

4. Die bevollmächtigte Vertretung brachte mit Schreiben vom 28.08.2017 eine Stellungnahme hinsichtlich der BF1 bis BF4 der belangten Behörde zur Vorlage.

5. Die belangte Behörde wies die Anträge der Beschwerdeführer mit den beschwerdegegenständlichen Bescheiden vom XXXX , XXXX , XXXX und XXXX jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, ein Aufenthaltstitel wurde nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen, sowie festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt wurde (Spruchpunkt IV.).

6. Die Beschwerdeführer erhoben durch ihre bevollmächtigte Vertreterin, den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die oben genannten Bescheide fristgerecht Beschwerde.

In dieser gemeinsamen Beschwerde wurde zusammengefasst vorgebracht, dass sämtlichen Beschwerdeführern Verfolgung wegen des Streites um ein Grundstück, infolgedessen der Ehegatte der BF1 entführt worden sei, andererseits wegen der Heirat des "Zweitbeschwerdeführers" (gemeint des BF3) mit der BF4, die einen anderen Verehrer gehabt hätte, sowie Verfolgung aufgrund ihrer westlichen Lebensausrichtung, sowie aus geschlechtsspezifischen Gründen der Beschwerdeführerinnen.

7. Die gegenständlichen Beschwerden und die Verwaltungsakte wurden von der belangten Behörde vorgelegt und sind am 25.10.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.07.2018 in den gemäß § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Beschwerdeverfahren durch den erkennenden Richter in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und dem bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher diese ausführlich zu ihren Fluchtgründen und Beschwerdevorbringen befragt wurden.

Die belangte Behörde blieb der mündlichen Beschwerdeverhandlung entschuldigt fern; die Verhandlungsschrift wurde ihr elektronisch übermittelt.

In der mündlichen Verhandlung wurden folgende Unterlagen in das gegenständliche Verfahren eingebracht: das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018; ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 04.05.2016 samt Begleitschreiben; ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016: Frauen mit bestimmten Profilen; ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016: Innerstaatliche Fluchtalternative; ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016: Frauen und Männer die vermeintlich gegen die guten Sitten verstoßen.

Seitens der Beschwerdeführer wurden in der Verhandlung mehrere Unterlagen zum Nachweis der Integrationsverfestigung in Österreich vorgelegt (Beilagen ./I- ./IV) und die Möglichkeit der schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

9. Am 01.08.2018 langte eine gemeinsame Stellungnahme der Rechtsberatung der Beschwerdeführer ein, in welcher zusammengefasst vor allem die geschlechtsspezifische Verfolgungsgefahr der BF1 und der BF4 hervorgehoben wurde.

10. Mit Schreiben vom 18.02.2019 ersuchten die Beschwerdeführer namens ihrer bevollmächtigten Vertretung um baldige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes.

11. Mit Schreiben vom 07.03.2019 wurden seitens der Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen zur Vorlage gebracht.

12. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.03.2019 wurden folgende aktualisierte Länderinformationen zu Afghanistan im Rahmen des Parteiengehörs den Verfahrensparteien zur allfälligen Stellungnahme übermittelt und aufgefordert relevante Informationen die Beschwerdeführer betreffend, im Rahmen der Stellungnahme dem Bundesverwaltungsgericht mitzuteilen: Länderinformationsblatt zu Afghanistan Stand 08.01.2019; Kurzinformation der Staatendokumentation vom 01.03.2019; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfes Afghanischer Asylsuchender, Stand August 2018 und eine auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2018, Seiten 21-25 und 98-109.

13. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.09.2019 wurden folgende aktualisierte Länderinformationen zu Afghanistan im Rahmen des Parteiengehörs den Verfahrensparteien zur allfälligen Stellungnahme übermittelt: Länderinformationsblatt zu Afghanistan samt Aktualisierung vom 02.09.2019.

14. Die Beschwerdeführer erstatteten seitens ihrer bevollmächtigten Vertretung eine gemeinsame Stellungnahme und brachten weitere Integrationsunterlagen zur Vorlage darunter das Prüfungszeugnis A1 der BF4 vom 21.05.2019 sowie die Anmeldebestätigung zum Vorbereitungslehrgang auf den Pflichtschulabschluss der BF4 vom 11.09.2019.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des eingebrachten Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie der belangten Behörde, den Beschwerde gegen die im Spruch genannten Bescheide, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakte und der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Tadschiken und der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an.

Die Beschwerdeführer haben in ihrem Herkunftsstaat zuletzt in Helmand gelebt und sind von Kabul aus in den Iran ausgereist.

Die BF 1 ist in der Provinz Kandahar, Afghanistan, am XXXX geboren und hat nach der Heirat bei ihrem Ehemann in Helmand gelebt. Die BF1 hat zwei eheliche Söhne, den BF2 und den BF3.

Die BF1 hat keine schulische oder berufliche Ausbildung und gilt als Analphabetin.

Der Ehemann der BF1 ist verschollen.

Während des Aufenthaltes im Iran hat die BF1 in einer Hühnerfabrik gearbeitet.

Die BF1 hat zwei Cousins in Kandahar, den Kontakt hat sie verloren.

Die Familie hat keinen Besitz mehr im Herkunftsstaat.

Die BF1 spricht etwas Deutsch und besucht seit 2018 regelmäßig an fünf Tagen einen Deutschkurs. An den Wochenenden geht sie einkaufen, trifft Freunde und besucht Sehenswürdigkeiten in Wien.

Aufgrund des in Afghanistan erlittenen Schlaganfalles fällt es ihr schwer, die deutsche Sprache zu erlernen. Konkrete berufliche Vorstellungen hat die BF1 keine. Das Geld der Familie wird in Österreich gemeinsam verwaltet. Die BF1 pflegt wenige soziale Kontakte. Die BF1 war in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht westlich gekleidet.

Der BF 2 ist in der Provinz Helmand, Afghanistan, am XXXX geboren. Der BF2 hat keine schulische oder berufliche Ausbildung in seinem Herkunftsstaat. Im Iran hat er wie sein Bruder BF3 in einer Hühnerfarm gearbeitet. Der BF2 ist gesund. Im Bundesgebiet hat der BF2 zuletzt mit Bestätigungsschreiben vom 30.04.2018 die Prüfung Deutsch A2 abgeschlossen.

Der BF3 wurde am XXXX in der Provinz Helmand, Afghanistan, geboren. Der BF3 ist gesund. Der BF3 hat im Iran sechs Jahre lang die Schule besucht. Beruflich hat er sich bei seinem Vater sechs Monate im Lebensmittelgeschäft und im Iran in einer Hühnerfarm verdingt. Im Bundesgebiet hat der BF3 zuletzt das Deutschzertifikat B1 am 07.11.2017 bestanden.

BF2 und BF3 pflegen keine nennenswerten sozialen Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung.

BF3 und BF4 haben in ihrem Herkunftsstaat geheiratet, der Ehe entstammt der mj. BF5, der am XXXX im Bundesgebiet geboren ist.

Die BF4 ist am XXXX in der Provinz Helmand, Afghanistan geboren. Die BF4 hat zuletzt die A1 Deutsch Prüfung am 21.05.2019 bestanden. In Afghanistan ist die BF4 in einer streng religiösen Familie aufgewachsen. Die BF4 hat österreichische Freunde, betreibt Sport und möchte den Beruf der Friseurin erlernen und hat diesbezüglich sich bereits in einem Friseurgeschäft in Wien erkundigt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht war die BF4 ihrem Alter entsprechend jugendlich gekleidet und trug kein Kopftuch. Die BF4 hat sämtliche vom erkennenden Richter gestellten Fragen verstanden und gebrochen auf Deutsch beantworten können und erst am 18.06.2018 einen Alphabetisierungskurs besucht.

Die BF1, BF2, BF3 und BF4 haben am 25.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mj. BF5 durch seinen gesetzlichen Vertreter, den BF3, am 25.07.2016. Der BF2 war im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen der BF3, die BF4 und den mj. BF5 von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten auszuschließen sind oder nach denen ein Ausschluss zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die BF1 konnte keine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 seit ihrer Einreise in Österreich im Jahr 2015 ein selbstbestimmtes, auch als "westlich" bezeichnetes Verhalten oder eine selbstbestimmte Lebensführung in einem Ausmaß angenommen hat, dass dadurch eine so intensive "westliche Orientierung" vorliegen würde, deren Aufgabe für sie entweder unmöglich wäre, oder ihr einen unzumutbaren Leidensdruck auferlegen würde.

Das von BF1, BF2 und BF3 ins Treffen geführte Fluchtvorbringen (Bedrohung wegen Blutfehde wegen des vorgebrachten, durch den Ehemann der BF1 verursachten Unfalles, der zum Tod eines Afghanen geführt haben soll) konnte nicht glaubhaft gemacht werden.

Die BF4 ist eine junge Frau, welche in ihrer Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben, was - und das gilt es hervorzuheben - sie auch bereits gegenüber ihrem in Afghanistan lebenden Vater glaubhaft durchgesetzt hat. Die BF4 trägt ihr Haar offen und unbedeckt und kleidet sich der westlichen Mode entsprechend. Die BF4 beabsichtigt, in Österreich ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen und hat sich zum Ziel gesetzt, Zahnärztin zu werden. Diese Einstellung steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen.

Den Beschwerdeführern droht wegen Zugehörigkeit zur schiitischen Religion konkret und individuell keine physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 und den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.3.1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

1.3.2. Herkunftsprovinz der BF1 Kandahar

Die Sicherheitslage, die sich Quellen zufolge in den letzten Jahren verbessert hatte, verschlechterte sich im Mai 2017 und in den Anfangsmonaten des Jahres 2018 wieder, nachdem die Taliban ihre Aktivitäten in der Provinz verstärkten (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Xinhua 11.3.2018, Khaama Press 26.1.2018, Dawn 26.5.2017, Khaama Press 22.2.2017, Khama Press 16.5.2017, Khaama Press 23.5.2017). Insbesondere die abgelegenen Distrikte der Provinz waren davon betroffen, da sich die Taliban auf die südlichen Provinzen im Rahmen ihrerFrühlingsoffensive konzentrierten (Khaama Press 15.9.2017). Kandahar war im Jahr 2017 die Provinz mit der viert-höchsten Anzahl registrierter Anschläge in Afghanistan (Pajhwok 14.1.2018).

Laut EASO handelt es sich bei der Provinz Kandahar um einen Landesteil, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass "der/die Antragsteller/in ernsthaften Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er/sie aufgrund seiner/ihrer persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist."

1.3.3. Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 28.12.2017).

1.3.4. Wirtschaftslage der Stadt Mazar-e Sharif

Mazar- e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. In Mazar- e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Als Alternative dazu stehen ferner günstige Unterkünfte in "Teehäusern" zur Verfügung. Generell besteht in Mazar- e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keinerlei Lebensmittelknappheit. In Mazar- e Sahrif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu besseren Sanitäreinrichtungen. Schulische Einrichtungen sind in Mazar-e Sharif vorhanden.

Der Zugang zu Schulen ist aber besonders für Kinder von Vertriebenen und Rückkehrern schwierig, zumal die Aufnahmekapazität der Schulen begrenzt ist und oftmals nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um die Kinder in die Schule schicken zu können.

1.3.5. Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, davon zwischen 10-15 % Schiiten, wie sie auch die Beschwerdeführer sind.

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen.

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS.

1.3.6. Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft (BFA Staatendokumentation 4.2018). Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 23.3.2016). Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR. Trotzdem gilt Afghanistan weiterhin als eines der gefährlichsten Länder für Frauen weltweit (AF 13.12.2017). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AF 13.12.2017). Viel hat sich dennoch seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl.USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen). Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen.

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon

77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit.

Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. LobeLog 15.11.2017). Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MENA FN 19.12.2017).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent (BFA Staatendokumentation 4.2018) und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht (BFA Staatendokumentation; vgl. IWPR 18.4.2017). Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind (BFA Staatendokumentation 4.2018). In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. YM 11.12.2017). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden (BFA Staatendokumentation; vgl. USAID 26.9.2017). In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019 (BFA Staatendokumentation). In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist und in deren Filiale sogar ein eigener Spielbereich für Kinder eingerichtet wurde (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. GABV 26.7.2017).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017). Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen. Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017).

EVAW-Gesetz

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018). Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer und zu ihrer ethnischen Zugehörigkeit ergibt sich aus dem jeweils glaubhaften Vorbringen der Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme beim BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellung zur aufrechten Ehe der BF4 und des BF3 und deren Elternschaft zu mj. BF5 und der Feststellung, dass BF1 die Mutter des BF2 und des BF3 ist, ergeben sich aus den vorgelegten Akten und aus den glaubhaften Aussagen der Beschwerdeführer anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zur jeweiligen Antragstellung auf internationalen Schutz ergeben sich aus den, dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Aktenunterlagen.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführer ergibt sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Abfragen aus dem Strafregister der Republik Österreich, dem entgegenstehende Informationen wurden dem Bundesverwaltungsgericht im Zeitpunkt dieses Erkenntnisses nicht bekannt gemacht.

Im gesamten Verfahren sind keine Gründe zu Tage getreten, welche die BF4, den BF3 und den mj. BF5 von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausschließen.

2.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

2.2.1. Zu den Fluchtgründen der BF1:

Festzuhalten ist zunächst, dass die Verfolgungsgründe weder bewiesen noch belegt worden sind. Daher ist zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft anzusehen sind, auf die persönliche Glaubwürdigkeit der BF1 und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen.

Dabei ist hervorzuheben, dass jeder Beschwerdeführer grundsätzlich in der Lage sein muss, umfassende und inhaltlich übereinstimmende Angaben zu den konkreten Umständen und dem Grund der Ausreise aus dem Herkunftsstaat zu machen, zumal eine Person, die aus Furcht vor Verfolgung ihren Herkunftsstaat verlassen hat, gerade in ihrer ersten Einvernahme auf konkrete Befragung zu ihrer Flucht die ihr gebotene Möglichkeit wohl kaum ungenützt lassen wird, die Umstände und Gründe ihrer Flucht in umfassender und in sich schlüssiger Weise darzulegen, um den beantragten Schutz vor Verfolgung möglichst rasch erhalten zu können.

Es entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine mit Vernunft begabte Person, die behauptet, aus Furcht vor Verfolgung aus ihrem Herkunftssaat geflüchtet zu sein, über wesentlich Ereignisse im Zusammenhang mit ihrer Flucht, die sich im Bewusstsein dieser Person einprägen, selbst nach einem längeren Zeitraum noch ausreichend konkrete, widerspruchsfreie und nachvollziehbare Angaben machen kann.

Konkret ergibt sich die mangelnde Glaubhaftigkeit der von der BF1 vorgebrachten Fluchtgründe aus einer Zusammenschau der - teilweise voneinander abweichenden und überdies auch nicht schlüssigen - Angaben im gegenständlichen Asylverfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Im Einzelnen ist dazu Folgendes festzuhalten:

2.2.1.1. Zunächst ist festzuhalten, dass die BF1 weder im Verfahren vor dem BFA, noch in der Beschwerdeschrift ein konkretes Vorbringen getätigt habe, welches darauf schließen ließe, dass sie ein "westliches Verhalten oder einer westliche Lebensführung angenommen habe, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frau geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung (in ihrer Heimat) bedeuten würde, dieses Verhalten daher unterdrücken zu müssen" (vgl. zur Indizwirkung dieser konkreten Empfehlung VwGH vom 16.01.2008, 2006/19/0182 mwN), sondern wurde diesbezügliches konkretes Vorbringen erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und der schriftlich eingeräumten Stellungnahme erstattet.

Die BF1 hält sich seit November 2015 in Österreich auf (zur Berücksichtigung einer erst kurzen Aufenthaltsdauer siehe etwa AsylGH 15.02.2013, C1 422494-1/2011). Diese sehr kurze Aufenthaltsdauer in Österreich (bzw. im "westlichen" Europa) fand demgemäß - im Gegensatz zur BF4 - ihren Niederschlag im Auftreten (samt Auskünften) in der mündlichen Verhandlung: Die BF1 spricht beinahe kein Deutsch, hat beinahe keine Kontakte zu österreichischen Familien.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt hiebei nicht, dass es einer Frau mit dem Bildungsniveau der BF1 (Analphabetin) grundsätzlich schwerer fallen muss, Anschluss in der österreichischen Gesellschaft zu finden, und soll ihr dies somit auch nicht per se zum Nachteil gereichen. Im Falle der BF1 ist jedoch für das Bundesverwaltungsgericht kein Wille oder aktives Handeln erkennbar, dass die BF1 ein selbstbestimmtes Leben führen will, dies neben der Erziehung und Fürsorge für ihre Kinder. Das fürsorgliche und unterstützende Verhalten gegenüber ihren Kindern entspringt jedoch für sich genommen aus Sicht des erkennenden Richters vielmehr der natürlichen Fürsorge einer Mutter und ist kein alleiniges Merkmal für eine "westliche" Orientierung.

Der Gesamteindruck zur aktuellen Lebensweise der BF1 ergab zusammengefasst keinesfalls das Bild einer bereits stark verinnerlichten "westlichen Orientierung" (vgl. zuletzt VwGH vom 19.10.2017, Ra 2016/20/0345; zur Zulässigkeit der Einbeziehung der Aufenthaltsdauer siehe auch EGMR 20.07.2010, Appl. 23.505/09, N. gegen Schweden; im Anlassfall in der Länge von etwa sechs Jahren) und war dieses Vorbringen nicht glaubhaft.

2.2.1.2. Das Fluchtvorbringen der BF1 betreffend die vorgebrachte Entführung ihres Ehemannes ist aus den folgenden Erwägungen nicht glaubhaft:

Bereits vor der belangten Behörde verstrickte sich die BF1 in widersprüchliche Aussagen: So gab sie an, dass die angeblichen Entführer zu ihr gesagt hätten, dass sie leise sein solle und sie im Anschluss vor der Türe stehen geblieben sei und gehört hätte, wie ein Auto weggefahren sei (Aussage der BF1 vor der belangten Behörde, Niederschrift vom 17.08.2017, Seite 8). Zum Vorfall abermals befragt gab sie an, dass die Entführer sie nach innen gestoßen hätten und die Türe zugemacht hätten (Aussage der BF1 vor der belangten Behörde, Niederschrift vom 17.08.2017, Seite 9). Unklar und konstruiert blieb im gesamten Verfahren der Grund für die angebliche Entführung des Ehemannes der BF1, denn auch die BF4 vermeinte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, dass eigentlich der BF3 wegen der Heirat mit ihr entführt hätte werden sollen (vgl. Aussage der BF4, Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 25.07.2018, Seite 31). Die BF1 gab in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, dass ihr Mann zusammengefasst gemeinsam mit einem ehemaligen Freund, ein Schulfreund (vgl. Aussage der BF1, Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 25.07.2018, Seite 17) ein Grundstück gekauft hätten, dieses hätte in der Folge verkauft werden sollen, woraus sich die vorgebrachten Streitigkeiten ergeben hätten. An Glaubwürdigkeit verliert das Vorbringen der BF1 jedoch als sie angab, dass dieser Freund auch ein Taliban sei, die Leite in Helmand seien ja mehrheitlich bei den Taliban (vgl. Aussage der BF1, Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 25.07.2018, Seite 17). Das Aussageverhalten der Beschwerdeführerin, dass die angeblichen Entführer ihr einerseits gesagt hätten, da

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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