Entscheidungsdatum
02.12.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W191 2134328-1/25E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2016, Zahl 1075096302-150731008, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.09.2019 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte nach seinem Aufgriff im Rahmen einer fremdenrechtlichen Kontrolle mit mehreren anderen Fremden in Gols (Burgenland) am 25.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
1.2. In seiner Erstbefragung am 25.06.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi im Wesentlichen Folgendes an:
Er machte Angaben zu seiner Person und zu seinen Lebensumständen und gab an, er sei Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Moslem. Er habe acht Jahre die Schule besucht. Seine Familie (Eltern, zwei Brüder, eine Schwester) lebe in Teheran (Iran). Als Geburtsdatum wurde der XXXX festgehalten.
Er sei vor ca. einem Monat vom Iran aus über die Türkei und weitere genannte Länder bis nach Österreich gereist.
Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er neun Jahre lang im Iran gelebt habe. Dann sei er zurück nach Afghanistan gegangen und habe dort drei Jahre gelebt. Da dort Musizieren eine Sünde sei, (...) sei sein Zimmer verbrannt worden und habe er das Land wieder verlassen.
1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) hatte offenbar Zweifel an dem vom BF angegebenen Geburtsdatum (Aktenvermerk Indikatoren für Altersfeststellung vom 30.06.2015, Schreiben von Röntgen am Ring betreffend das Knochenalter der linken Hand des BF vom 08.07.2015) und veranlasste eine medizinische Altersschätzung.
Dem Sachverständigengutachten vom 18.09.2015 zufolge - nach einer multifaktoriellen Untersuchung an diesem Tag (Anamnese, Körperliche Untersuchung, Röntgenbilder des Zahnpanoramas - Orthopantomogramm sowie der medialen Sternoclaviculargelenke - Schlüsselbeine) - konnte Minderjährigkeit nicht ausgeschlossen werden, es ergab sich jedoch abweichend vom angegebenen Geburtsdatum ein fiktives (Mindest-) Geburtsdatum XXXX . Dies wurde mit Verfahrensanordnung vom 03.12.2015 festgestellt (wenn auch nicht von einem Organwalter unterschrieben und kein Nachweis über die Verständigung des BF im Akt).
1.4.Mit Eingabe seines damaligen Vertreters korrigierte der BF seine Personalia. Es dürften bei der Niederschrift Fehler unterlaufen sein, denn sein Geburtsdatum sei richtig der XXXX und die Schreibweise seines Namens laute richtig XXXX .
1.5. Bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 11.05.2016, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi und seines damaligen gesetzlichen Vertreters, gab der BF zu seinen Lebensumständen und zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen zusammengefasst an:
Sein Geburtsdatum habe ihm sein Vater gesagt, er könne es jedoch nicht belegen. Er habe im Iran acht Jahre die Grundschule besucht und dann vier Jahre lang als Schweißer gearbeitet. Mit seiner Familie, die zuhause in Afghanistan lebe, habe er Kontakt. In Wien lebe seit fünf Jahren ein Cousin.
Zu seinem Fluchtgrund gab der BF an, dass er sein im Iran gekauftes Musikequipment nach Afghanistan mitgenommen habe (Keyboard mit Lautsprechern) und dort Sänger hätte werden wollen. Aber da die Leute in Afghanistan Musik als Sünde ansehen würden, hätte jemand sein Zimmer mit dem Musikequipment in Brand gesetzt. Als er mit seiner Familie von einem Besuch bei einer Tante zurückgekehrt sei, sei eingebrochen und das Zimmer ausgebrannt gewesen. Er besitze auch jetzt ein Keyboard, wenn es auch nicht einwandfrei funktioniere. Er besuche auch Kurse.
Dem BF wurden "aktuelle Länderfeststellungen" bezüglich Afghanistan übergeben und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen Frist Stellung zu nehmen.
1.6. Mit Schreiben seines damaligen Vertreters vom 28.06.2016 nahm der BF Stellung. Er wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und monierte, dass im Hinblick auf diverse Berichte und Judikate sein Verhalten als unislamisch und blasphemisch betrachtet werde und als Indiz für den Abfall vom Islam (Apostasie) angesehen werde, wofür ihm die Todesstrafe drohen könne. Ihm sei daher der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
1.7. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 03.08.2016 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 25.06.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.)
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Der BF habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.
Der BF habe eine aktuelle asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht, was im Wesentlichen mit Diskrepanzen in den Angaben zu seinem Heimatort (den die Behörde nicht auf Landkarten auffand) sowie in den Angaben über die Beschäftigungsorte seiner Eltern begründet wurde. Die Geschichte rund um die Inbrandsteckung seines Zimmers wurde als nicht glaubhaft beurteilt, da der BF keine näheren Angaben zu den Tätern hätte machen können.
1.8. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben seines damaligen gewillkürten Vertreters vom 15.08.2016 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen unrichtigen Feststellungen, "Mangelhaftigkeit des Verfahrens" und unrichtiger rechtlicher Beurteilung ein.
In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen das Vorbringen des BF im Verfahren zusammengefasst wiederholt und moniert, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht zutreffend sei. Der BF habe seine Fluchtgründe realistisch geschildert und sich in Österreich sehr gut eingelebt. Die ihm vorgeworfenen Unstimmigkeiten seien nicht nachvollziehbar.
Aus diversen Berichten wurde zitiert, die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich massiv verschlechtert.
Der BF sei bei einer Rückkehr nach Afghanistan in großer Gefahr.
Beantragt wurde unter anderem die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
1.9. Der BF legte im Beschwerdeverfahren Belege zu seiner Integration in Österreich vor (Deutschkursbestätigungen, Erwerbstätigkeiten, Gewerbeberechtigung Botendienst) und ersuchte mit Schreiben seines damaligen Vertreters wiederholt um Erlassung einer positiven Entscheidung.
1.10. Mit Schreiben seines damaligen anwaltlichen Vertreters ohne Datum, hg. eingelangt am 18.06.2019, stellte der BF einen Fristsetzungsantrag an den Verwaltungsgerichtshof (in der Folge VwGH).
Aufgrund der Zurückziehung dieses Antrages in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 09.09.2019 erklärte der VwGH mit Beschluss vom 24.09.2019, Fr 2019/19/0039-4, diesen Antrag als gegenstandslos geworden und stellte das Verfahren ein.
1.11. Das BVwG führte am 09.09.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi durch, zu der der BF in Begleitung seiner nunmehrigen Vertreterin persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):
"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?
BF: Dari. Aufgrund meines jahrelangen Aufenthaltes im Iran verstehe und spreche ich aber besser Farsi.
RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?
D: Farsi.
RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.
Zur heutigen Situation:
RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?
BF: Ja.
RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?
BF: Der Ehemann meiner Tante hat mir, als ich ca. sieben Jahre alt war, im Iran auf den Kopf geschlagen, sodass mein Trommelfell geplatzt ist. In Wien im Jahr 2017 hatte ich eine Operation an beiden Ohren. Bis vor einer Woche ging ich zu keiner Kontrolle, seither tut mir das Ohr wieder weh, und ich werde einen Arzt aufsuchen.
[...]
Der BF hat bisher keine Bescheinigungsmittel bezüglich seiner Identität oder seines Fluchtvorbringens vorgelegt und legt auch heute keine vor.
Bezüglich seiner Integration hat er zahlreiche Belege vorgelegt (Kursbestätigungen, Deutsch-Zertifikat B1, Gewerbeschein für Botendienst, Entgeltabrechnungen u.a.m.). Heute legt er weiters vor:
weitere Entgeltabrechnungen von Uber, Teilnahmebestätigungen sowie Abschlussbestätigung von Integrationskursen sowie zwei Empfehlungsschreiben, die (zum Teil in Kopie) zum Akt genommen werden.
[...]
Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen
Lebensumständen:
RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?
BF: Mein Name lautet richtig XXXX . Mein Vater hat mir gesagt, dass mein Geburtsdatum der XXXX ist. Das habe ich auch schon mit Eingabe vom 13.07.2015 angegeben. Bezüglich des Gebutsdatums kann ich kein anderslautendes Gutachten vorlegen.
RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF: Ich bin Tadschike.
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?
BF: Ich bin geborener Moslem. In Österreich habe ich noch nicht eine Moschee besucht.
RI: Besuchen Ihre Freunde die Moschee, und werden Sie nicht darauf angesprochen?
BF: Doch, und wir haben Gespräche über die Religion geführt. Da ich aber keine Antworten bekommen habe, die mich überzeugen, haben wir beschlossen, diese Gespräche nicht mehr zu führen.
RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?
BF: Nein.
RI: Sind Sie verlobt, oder beabsichtigen Sie, in nächster Zeit zu heiraten?
BF: Nein.
RI: Haben Sie Kinder?
BF: Nein.
RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?
BF: Ich habe im Iran acht Jahre die Schule besucht, davon fünf Jahre die Volksschule und drei Jahre die Mittelschule abgeschlossen.
RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?
BF: Ich habe vier Jahre lang als Schweißer gearbeitet. Mein Vater war ein einfacher Bauarbeiter, nur wir zwei haben für die Familie gearbeitet. Ich habe auch in einem afghanischen Verein Musik gemacht und mir dadurch insgesamt ca. 2.000 Dollar verdient. Ich habe dort Keyboard gespielt.
RI: Geben Sie bitte sowie wie möglich chronologisch an, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.
BF: Ich bin in XXXX in der Provinz Kabul geboren, und bis zu meinem fünften Lebensjahr habe ich in XXXX in der Provinz Parwan und im Distrikt Bagram, in der Provinz Kapisa, gelebt. Im Alter von ca. 14 bis 15 Jahren bin ich mit meiner Familie wieder nach XXXX zurückgekehrt. Als ich ca. 16 bis 17 Jahre alt war, hat jemand mein Zimmer, in dem ich Musik geübt und gespielt habe, zerstört und in Brand gesetzt. Ich habe Angst bekommen und habe Afghanistan verlassen. Meine Familie hat mich dabei unterstützt. Mein Vater hat dann versucht herauszubekommen, wer für diese Tat verantwortlich war. Nach ca. zwei Jahren hat er herausbekommen, dass dies der Mullah war, der mein Cousin war (Sohn der Tante mütterlicherseits).
RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?
BF: Ich kann meine Verwandten in Afghanistan nicht mehr als solche, sondern als Feinde bezeichnen.
RI: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?
BF: Nein, aber mein Vater hat damals als Soldat und Fahrer für die damalige Regierung Probleme bekommen, und deshalb haben wir damals das Land verlassen.
Zur derzeitigen Situation in Österreich:
RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?
BF: Ein Cousin mütterlicherseits ist seit ca. sieben bis acht Jahren in Österreich aufhältig. Seit ca. zweieinhalb Jahren habe ich keinen Kontakt mehr mit ihm. Er ist, so wie der Mullah, ein Sohn einer Tante mütterlicherseits, aber nicht dessen Bruder.
RI: Warum haben Sie zu ihm keinen Kontakt mehr, mag er auch keine Musik?
BF: Ja. Als ich damals nach Österreich gekommen bin, hat mich mein Cousin öfters eingeladen, mit ihm in die Moschee zu gehen. Anfangs habe ich immer Ausreden erfunden, dann habe ich den Kontakt abgebrochen.
RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?
BF: Ich habe einige gute Freunde, die mich auch öfter zum Essen oder zu einer Party oder zu sonstigen Freizeitaktivitäten einladen.
RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.
RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?
BF: Ja, ich verstehe Sie.
RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat.
RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs, oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?
BF: Ich habe vor ca. drei Jahren das Deutschzertifikat B1 abgelegt, ich habe dann auch drei Wochen lang den Deutschkurs B2 besucht, dann aber wegen meiner Arbeit nicht mehr weiter gemacht.
RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?
BF: Ich habe 19 Monate lang für UBER als Fahrradbote gearbeitet, seit ca. acht Monaten nicht mehr, da UBER diese Tätigkeit eingestellt hat. Ich habe auch keinen Führerschein. Seither lerne ich Deutsch mit einem Bekannten und übe zuhause Musik. Ich spiele afghanische Musik. Ich spiele Keyboard, Harmonika und Klavier. Ich übe die Stücke von Ahmad Zahir, er ist vor 30 Jahren umgebracht worden. Seine Lieder handeln von Freiheit, Wein, Leben u.s.w., und damit sind strenggläubige Moslems nicht einverstanden. Er war ein Freiheitskämpfer, er kämpfte für eine liberale Gesellschaft. Alkohol wird in Afghanistan nur heimlich getrunken, sein Konsum ist im Koran streng verboten. Der Konsum von Rauschgift ist angeblich auch häufig und im Koran nicht ausdrücklich verboten, ist aber gesetzlich verboten.
RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?
BF: Ich spiele Fußball mit Freunden.
RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?
BF: Nein.
RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?
BF: Nein.
RI: Warum nicht?
BF: Als mein Vater herausgefunden hat, wer dahinter gesteckt hat, ist er zu einem meiner Onkel mütterlicherseits nach Kabul gefahren, der als Polizist gearbeitet hat, um mit seiner Hilfe eine Anzeige gegen den Mullah zu erstatten. Statt Anzeigen zu erstatten, hat der Onkel den Cousin über das Vorhaben meines Vaters informiert. Daraufhin hat der Cousin meine Familie tätlich angegriffen, dabei wurde mein Vater durch eine Schusswunde mit einer Pistole in das Bein verletzt. Meine Mutter hat meinen Vater in eine andere Stadt gebracht, um seine Wunden zu heilen und ihn dem Zugriff seiner Gegner zu entziehen. Meine Mutter hat organisiert, dass meine Geschwister in den Iran gehen, sie ist dann solange bei meinem Vater geblieben, bis er geheilt war, und ist dann gemeinsam mit ihm in den Iran gegangen. Ich habe dann zweieinhalb Monate auf ihren Anruf gewartet. Ich wurde nicht angerufen. Ich hatte nur eine Festnetznummer meiner Eltern. Nachdem sie in den Iran gegangen sind, hatten sie meine Telefonnummer nicht mehr, und ich habe inzwischen mein Handy mit ihrer afghanischen Festnetznummer verloren.
Die Verhandlung wird um 11:35 Uhr kurz unterbrochen und um 11:40 Uhr fortgesetzt.
Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:
RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.
Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.
BF: Ich kann mich erinnern, es hat alles gestimmt. Es gibt noch etwas, was ich noch vorbringen möchte. Da meine Familie nicht streng religiös und gläubig eingestellt ist und liberale Gedanken vertritt, gab es ständig Streit zwischen meiner Familie und der Familie der Tanten mütterlicherseits. Ich habe keine Verwandten väterlicherseits. Es ist bei jedem Treffen zu Unannehmlichkeiten gekommen. Den Grund konnte ich mir damals nicht erklären. Aber inzwischen ist mir klar geworden, dass die Religion der Hauptgrund dafür gewesen ist. Sie sind gegen Musik, und sie glauben, dass wer Musik spielt oder liebt, sei ungläubig. Um als Afghane in Afghanistan zu leben, hat meine Familie sich der afghanischen Gesellschaft angepasst, aber trotzdem wurden sie von der Gesellschaft nicht aufgenommen und mussten Afghanistan wieder verlassen.
RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
BF: Da ich der älteste Sohn der Familie bin, werden sie bei meiner Rückkehr den Verdacht schöpfen, dass ich wegen Rache zurückgekommen bin, und werde ich sofort angegriffen und umgebracht. Mein Leben wäre in Afghanistan bei einer Rückkehr in Gefahr.
Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in den Provinzen Kapisa und Parwan (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 04.06.2019) in das gegenständliche Verfahren ein.
Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.
RI folgt BFV [Vertreterin des BF] Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihr die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben des BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.
BFV: Wie war Ihre religiöse Erziehung durch Ihren Vater?
BF: Wir haben überhaupt keine religiöse Erziehung bekommen. Meine Eltern haben mir nicht aufgetragen, dass ich in die Moschee gehe. Ich sollte etwas lernen und in die Schule gehen. Ich bin ein Mensch mit Verstand. Wenn man mir erzählt, dass der Koran aus dem Himmel gekommen sei, weiß ich natürlich, dass das keine Grundlage hat und nicht stimmt. So eine Begründung wird in Afghanistan mit der Todesstrafe geahndet. Ich glaube an keine Religion, weil ich die Meinung vetrete, dass die Religion die Menschen auseinander bringt.
BFV: Sie haben gesagt, Sie sind als Moslem geboren, auf wann würden Sie die Abkehr vom Islam datieren?
BF: Wir sind nur namentlich Muslime, seit der Geburt haben wir nicht an den Islam geglaubt und ihn nicht praktiziert.
BFV: Wie ist Ihre Nichtreligion für andere nach außen erkennbar?
BF: Wer einmal mit mir ein Gespräch über Religion geführt hat, kommt sofort darauf, dass ich religiös ungläubig bin, und oft ist es mir passiert, dass ich aus diesem Grunde beleidigt wurde und es dann zu keinem weiteren Kontakt zu dieser Person gekommen ist. Das gilt eigentlich nur für Österreich. Aber wenn dies in Afghanistan passieren würde, würde dies sofort zu meinem Tod führen.
BFV: Wie ist es noch für andere erkennbar?
BF: Es gibt auch äußerlich Zeichen, beispielsweise, dass in den islamischen Kulturen Männer keine Ohrringe tragen, meine Bekleidung und daran, dass ich nie eine Moschee besuche.
Angemerkt wird, dass der BF mit einer abgegriffenen Blue Jeans mit Löchern, mit blau-weißen Turnschuhen, ein weißes Hemd und ein modisches graues Gilet gekleidet ist. Er trägt Schmuck (ein Ohrring und ein Armband).
Der BF zieht nach Rücksprache mit seiner Vertreterin den Fristsetzungsantrag (ohne Datum) zurück.
Dem BF wird auf sein Ersuchen eine Frist von - vier Monaten - zur Nachbringung weiterer Belege bezüglich seines Vorbringens sowie zur Erstattung einer Stellungnahme zu den eingebrachten Länderberichten eingeräumt.
RI befragt BFV, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.
RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.
RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht. [...]"
Dem BFA wurden die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt. Es hat dazu keine Stellungnahme abgegeben.
1.12. Innerhalb der gewährten Nachfrist nahm der BF mit Schreiben seiner Vertreterin vom 01.10.2019 ergänzend Stellung und legte weitere Beweismittel vor (Bestätigungsschreiben einer Missionsschwester sowie von zwei afghanischen Freunden des BF über seine Einstellung zur Religion, Religionsaustrittserklärung des BF aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vom 11.09.2019, Bestätigung über den Krankenhausaufenthalt des Vaters des BF, erhalten im Mai 2018 von einem Freund des Vaters aus einem Internetcafe in Kabul per E-Mail). Auch diese Eingabe wurde dem BFA übermittelt.
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 25.06.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 11.05.2016, das eingeholte medizinische multifaktorielle Sachverständigengutachten zum Alter des BF, die vom BF vorgelegten Belege betreffend seine Integration in Österreich (Deutschkursbestätigungen, Empfehlungsschreiben, Erwerbstätigkeit), den angefochtenen Bescheid vom 03.08.2016 sowie die Beschwerde vom 15.08.2016
* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 160 bis 215)
* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 09.09.2019 sowie Einsicht in die vom BF im Beschwerdeverfahren vorgelegten Belege zu seinem Fluchtvorbringen (Bestätigungsschreiben einer Missionsschwester sowie von zwei afghanischen Freunden des BF über seine Einstellung zur Religion, Religionsaustrittserklärung des BF aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vom 11.09.2019, Bestätigung über den Krankenhausaufenthalt des Vaters des BF) und zu seiner Integration (Empfehlungsschreiben - darunter eines von einem pensionierten Lehrer in Österreich betreffend die Musizierfähigkeiten des BF; Erwerbstätigkeit)
* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:
? Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in den Provinzen Kapisa und Parwan Nangarhar (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 04.06.2019)
? sowie in die notorische ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan zur Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa vom 01.06.2017, a-10159
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:
3.1. Zur Person des BF:
3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht aufgrund seines langjährigen Aufenthaltes im Iran besser Farsi.
Die Eltern des BF sind sunnitische Muslime, haben den BF aber nicht streng religiös erzogen. Der BF ist am 11.09.2019 aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten.
3.1.2. Der BF stammt aus XXXX in der Provinz Kabul (Afghanistan) und lebte bis zu seinem fünften Lebensjahr in XXXX (Provinz Parwan) und im Distrikt Bagram (Provinz Kapisa) und anschließend in Teheran (Iran), wo er acht Jahre lang die Schule besuchte und dann als Schweißer und als Musiker arbeitete. Im Alter von ca. 14 bis 15 Jahren ist er mit seiner Familie wieder nach XXXX zurückgekehrt.
Seine Familie ist nach dem angegebenen Vorfall in den Iran zurückgekehrt, der BF hat nach seinen Angaben keinen Kontakt mehr zu ihnen.
3.1.3. Der BF hat seinen Herkunftsstaat aus angegebenen Gründen verlassen und am 25.06.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
3.1.4. Der BF bemüht sich in Österreich ernsthaft und erfolgreich um seine Integration. Er verfügt über gute Kenntnisse der deutschen Sprache (Deutschzertifikat B1). Er hat in Österreich Bekannt- und Freundschaften geschlossen und war neunzehn Monate lang selbständig (Gewerbe Botendienst, Fahrradbote) für UBER erwerbstätig. Er macht Musik und spielt Keyboard, Harmonika und Klavier. Er ist an Musik vielfältig - insbesondere an afghanischer Musik, aber auch an Jazz - interessiert.
3.1.5. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen von seiner bisherigen Religion Islam abgewendet. Er ist aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich formal am 11.09.2019 ausgetreten und folgt keiner Religion mehr.
Dies hatte seinen Ursprung schon in seiner Familie, in der er nicht religiös erzogen worden war und auch nicht in die Moschee gehen musste, wie er auch in Österreich keine Moschee besuchte. Er lehnt den konservativen Islam ab und hält sich nicht an die religiösen Vorschriften. Der BF kleidet sich auffällig westlich-modern und nicht nach den traditionell islamischen Vorgaben, wie sie in Afghanistan gelten. Er trägt Schmuck (Ohrring, Armband).
Der BF ist mit dem konservativen Weltbild des Islam nicht einverstanden und vertritt seine kritischen Ansichten in engagierten Streitgesprächen nach außen, auch gegenüber Landsleuten wie Bekannte und Verwandte, weswegen er auch den Kontakt mit seinem in Wien lebenden Cousin und anderen Bekannten abgebrochen hat. Es ist nicht anzunehmen, dass der BF seine Apostasie in seinem Herkunftsstaat Afghanistan verleugnen wollte oder würde.
Beim BF handelt es sich um einen modernen und aufgeklärten jungen Mann, dessen persönliche Lebenseinstellung und Denkweise nicht den in Afghanistan vorherrschenden Ansichten und gesellschaftlichen Traditionen entspricht. Er möchte ein selbstbestimmtes Leben führen, sich weiterbilden und Entscheidungen unbeeinflusst von religiösen und politischen Werthaltungen treffen. Der BF lehnt aufgrund seiner weltoffenen Haltung erkennbar die in der afghanischen Gesellschaft vorherrschende konservativ-restriktive Wertehaltung insgesamt ab und trägt seine Meinung auch durch Wort und Ton (engagierte Streitgespräche, Musik) nach außen. Die von der konservativ-afghanischen Tradition geprägten Lebensumstände, mit welchen der BF im Fall eines Lebens in Afghanistan konfrontiert wäre, stünden mit jenen, welche er aus freiem Willen zu gestalten wünscht bzw. bereits gestaltet hat, in unüberwindbarem Gegensatz.
Es kann im gegenständlichen Fall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF aufgrund seiner Abkehr vom Islam in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Der afghanische Staat ist diesbezüglich weder hinreichend schutzfähig noch schutzwillig. Dem BF steht als vom Islam Abgefallenem keine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative offen.
Es liegen keine Gründe vor, nach denen der BF von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist.
3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
3.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 04.06.2019, Schreibfehler teilweise korrigiert):
"[...] 2. Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).
Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).
Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).
Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).
Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).
Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).
Parteienlandschaft und Opposition
Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).
Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).
Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).
Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).
Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).
Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").
Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).
Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).
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2. Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)
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Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).
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Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).
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Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]
Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten
Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)
Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).
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