TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/10 W164 2178061-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.12.2019
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Entscheidungsdatum

10.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W164 2178061-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA.: Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2017, Zl. 1080458603/150970908, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 02.10.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 29.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung gab der BF befragt zu seinem Fluchtgrund an, dass die Sicherheitslage in Afghanistan sehr schlecht sei und er Angst um sein Leben gehabt habe. Im Zuge der Befragung vor dem BFA gab der BF an, dass er in Teheran, Iran, geboren sei, der Volksgruppe der Hazara angehöre und Schiit sei. Er habe den Iran verlassen, weil er dort illegal aufhältig gewesen sei. Er sei von der iranischen Polizei vor die Wahl gestellt worden, entweder nach Afghanistan zurückzukehren oder in den Krieg nach Syrien zu ziehen. Sein Vater sei nach Afghanistan zurückkehrt und getötet worden. In Syrien wäre der BF im Krieg getötet worden und in Afghanistan habe er keine Familienangehörigen und Hazara würden auch getötet werden.

Mit Bescheid des BFA vom 27.10.2017, Zl. 1080458603/150970908, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde dem BF nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass keine Verfolgung in Afghanistan festgestellt werden habe können, da der BF keine tatsächliche personenbezogene Verfolgung seiner Person vorgebracht habe, sondern lediglich eine allgemeine Angst als Schiit und Hazara.

Mit Verfahrensanordnung vom 31.10.2017 wurde dem BF eine Rechtsberatung zugewiesen.

Durch seine Rechtsberatung erhob der BF gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Aufgrund der Tatsache, dass sich der BF im wehrfähigen Alter befinde, er der religiösen Minderheit der Schiiten sowie der ethnischen Minderheit der Hazara angehöre, fast sein gesamtes Leben im Iran und anschließend in Europa verbracht und sich den dortigen - westlichen - Werten angepasst habe, falle der BF in fünf Risikoprofile der UNHCR Richtlinie. Es liege daher eine asylrelevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit des BF zur religiösen und ethnischen Gruppe der schiitischen Hazara vor, sowie aufgrund der Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich Afghanen, die den Großteil ihres Lebens im Iran verbracht haben und welchen dadurch eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werde.

Mit Eingabe vom 07.02.2019 erfolgte eine Vollmachtsbekanntgabe für die nunmehrige Rechtsvertretung des BF.

Mit Schreiben vom 09.05.2019 gab der BF durch seine nunmehrige Rechtsvertretung bekannt, dass er seit 17.02.2019 offiziell aufgenommenes Mitglied der XXXX -Christengemeinde sei, welche Mitglied der staatlich anerkannten Freikirchen in Österreich sei. Von Oktober 2018 bis Jänner 2019 habe der BF an einem Informationskurs über den christlichen Glauben teilgenommen. Am 08.04.2019 sei der BF aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten. Der BF habe saisonal mit Arbeitsbewilligung in der Gastronomie gearbeitet und habe beim ÖSD die Deutschprüfung B2 nach GER abgelegt.

Vorgelegt wurden die Taufurkunde vom 16.02.2019, eine Bestätigung der Mitgliedschaft XXXX vom 17.02.2019, die Bestätigung der Teilnahme am eben genannten Informationskurs über den christlichen Glauben, das eben genannte Austrittsersuchen vom 8.4.2019, ein Arbeitszeugnis vom 31.10.2018 und ein ÖSD-Zertifikat über die bestandene Deutsch B2-Prüfung.

Mit Schreiben vom 03.07.2019 legte die ehemalige Rechtsvertretung des BF ihre Vollmacht zurück.

Mit Schreiben vom 12.09.2019 brachte die Rechtsvertretung eine Stellungnahme zur Situation von Konvertiten in Afghanistan sowie zur allgemeinen Situation in Afghanistan ein.

Am 02.10.2019 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung abgehalten, an der der BF im Beisein seiner Rechtsvertretung teilnahm. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der BF an, er könne nun seine Tazkira aus seiner Kindheit vorlegen, die sein exaktes Geburtsdatum, den 17.03.1371 nenne. Der BF beantragte, sein Geburtsdatum entsprechend dieser Urkunde auf den diesem Datum entsprechenden 07.06. XXXX und weiters seinen Vornamen auf die Schreibweise XXXX zu berichtigen. Eine Kopie der Tazkira wurde vorgelegt. Der darauf verzeichnete Name und das Geburtsdatum wurden vom anwesenden Dolmetscher bestätigt. Der BF beantwortet in der Folge ergänzende Detailfragen zu dem von ihm im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Sachverhalt. Zudem wurden Zeugen vernommen, jene Person, bei der der BF seinen Vorbereitungskurs für die Taufe absolviert hat und jene Person, die den BF getauft hat und der genannten christlichen Gemeinde vorsteht. Weiters anwesend waren eine junge Frau, eine der römisch katholischen Kirche zugehörige Österreicherin, mit der sich der BF verloben möchte, und eine österreichische Vertrauensperson, die angab, den BF gemeinsam mit einem weiteren Freund in die Familie aufgenommen zu haben und bei seinen Integrationsbemühungen zu unterstützen. Die belangte Behörde hatte ihre Teilnahme an der Verhandlung mit Schreiben vom 24.09.2019 abgesagt. Sie erhielt das Protokoll der Verhandlung zur Kenntnis.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt den Namen XXXX und wurde am 07.06. XXXX im Iran geboren. Seine Familie stammt aus der Provinz Maidan Wardak, Afghanistan. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er spricht Farsi, Dari und Deutsch. Der BF ist volljährig, ledig und kinderlos. Am 29.07.2015 reiste der BF nach Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF wurde als schiitischer Muslim erzogen. Während seines Aufenthaltes in Österreich beschäftigte er sich intensiv mit dem Christentum. Er besucht seit September 2018 regelmäßig die Gottesdienste der " XXXX Christengemeinde in XXXX und besuchte weiters einen "Grundkurs des christlichen Glaubens". Am 16.02.2019 wurde er in der XXXX Christengemeinde nach Absolvieren der Taufvorbereitung getauft. Der BF hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung ernsthaft und nachhaltig zum christlichen Glauben hingewendet. Der BF ist strafgerichtlich unbescholten. Ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Abwendung vom islamischen Glauben (Apostasie) physische und/oder psychische Gewalt.

Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

Quelle: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen

Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018:

Afghanistan ist weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen, bei dem die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), unterstützt von den internationalen Streitkräften, mehreren regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) gegenüberstehen.

Dem UN-Generalsekretär zufolge steht Afghanistan weiterhin vor immensen sicherheitsbezogenen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Sicherheitslage soll sich insgesamt weiter verschlechtert und zu einer sogenannten "erodierenden Pattsituation" geführt haben. Berichten zufolge haben sich die ANDSF grundsätzlich als fähig erwiesen, die Provinzhauptstädte und die wichtigsten städtischen Zentren zu verteidigen, im ländlichen Raum hingegen mussten sie beträchtliche Gebiete den Taliban überlassen. Es heißt jedoch, dass die ANDSF mit unhaltbar hohen Ausfallraten und sinkender Moral zu kämpfen haben.

Es wird berichtet, dass die Taliban zum 31. Januar 2018, 43,7 Prozent aller Distrikte Afghanistans kontrolliert oder für sich beansprucht haben. Die Taliban haben ihre Angriffe in Kabul und anderen großen Ballungsräumen verstärkt, mit zunehmenden Fokus auf afghanische Sicherheitskräfte, die große Verluste zu beklagen haben. Das ganze Jahr 2017 hindurch führten die Taliban mehrere umfangreiche Offensiven mit dem Ziel durch, Verwaltungszentren von Distrikten zu erobern. Es gelang ihnen mehrere solcher Zentren unter ihre Kontrolle zu bringen und vorübergehend zu halten. Meldungen zufolge festigten die Taliban gleichzeitig ihre Kontrolle über größtenteils ländliche Gebiete, was ihnen ermöglichte, häufigere Angriffe - insbesondere im Norden Afghanistans - durchzuführen. Es wird berichtet, dass der Islamische Staat (ISIS)52 inzwischen trotz verstärkter internationaler und afghanischer Militäroperationen widerstandsfähig blieb. Sein kontinuierliches Engagement hinsichtlich Auseinandersetzungen sowohl mit der afghanischen Regierung als auch mit den Taliban scheint "anzudeuten, dass die Gruppe ihren geografischen Aktionsradius ausgeweitet und begonnen hat, ihre Präsenz auch über den Osten des Landes hinaus zu festigen". ISIS soll inländische und ausländische militärische Ziele und die Zivilbevölkerung angegriffen haben, wovon insbesondere religiöse Stätten, geistige Führer und Gläubige, Schiiten, Journalisten und Medienorganisationen betroffen waren, sowie Anschläge gegen Ziele verübt haben, die sich anscheinend gegen die internationale Gemeinschaft richteten. Es heißt, dass diese Angriffe konfessioneller Art "eine beängstigende Entwicklung im bewaffneten Konflikt Afghanistans" anzeigten.

Auch von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen wird berichtet, dass sie die Autorität der Regierung in ihrem Einflussbereich untergraben; sie werden auch mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht.

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor unbeständig und die Zivilbevölkerung trägt weiterhin die Hauptlast des Konflikts. In den Jahren nach dem Abzug der internationalen Streitkräfte 2014 waren eine fortgesetzte Verschlechterung der Sicherheitslage und eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in Afghanistan zu beobachten. Aus Berichten geht hervor, dass die Taliban ihre Offensive zur Ausweitung ihrer Kontrolle über weitere Distrikte fortsetzt, während der Islamische Staat angeblich immer nachdrücklicher seine Fähigkeit unter Beweis stellt, seine geografische Reichweite auszudehnen, was eine weitere Destabilisierung der Sicherheitslage zur Folge hat.

Von dem Konflikt sind weiterhin alle Landesteile betroffen. Seit dem Beschluss der Regierung, Bevölkerungszentren und strategische ländliche Gebiete zu verteidigen, haben sich die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) und der afghanischen Regierung intensiviert. Es wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte immer öfter bewusst auf Zivilisten gerichtete Anschläge durchführen, vor allem durch Selbstmordanschläge mit improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und komplexe Angriffe. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen ihre groß angelegten Angriffe in Kabul und anderen Städten fort und festigen ihre Kontrolle über ländliche Gebiete. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit und Effektivität der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) geäußert, die Sicherheit und Stabilität in ganz Afghanistan zu gewährleisten.

Trotz der ausdrücklichen Verpflichtung der afghanischen Regierung, ihre nationalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, ist der durch sie geleistete Schutz der Menschenrechte weiterhin inkonsistent. Große Teile der Bevölkerung einschließlich Frauen, Kindern, ethnischer Minderheiten, Häftlingen und anderer Gruppen sind Berichten zufolge weiterhin zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch unterschiedliche Akteure ausgesetzt Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert.

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert. In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die (teilweise) von regierungsnahen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen. Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Etablierung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiete Menschenrechtsverletzungen. Aus Berichten geht hervor, dass besonders schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten weit verbreitet sind.

Berichten zufolge begehen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) extralegale Hinrichtungen, Folter und Misshandlungen. Sie hinderten Zivilisten zudem an der Ausübung ihrer Rechte auf Bewegungsfreiheit, auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf Religionsfreiheit, auf politische Teilhabe sowie auf Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung sowie zu ihrem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) nutzen das Fehlen staatlicher Justizmechanismen oder -dienste dazu aus, eigene, parallele "Justiz"-Strukturen - vor allem, wenn auch nicht ausschließlich - in Gebieten unter ihrer Kontrolle, durchzusetzen. UNAMA stellt fest, dass "alle von einer parallelen Justizstruktur durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen verhängten Strafen nach afghanischem Recht unrechtmäßig sind, eine rechtswidrige Handlung darstellen und als Kriegsverbrechen eingestuft werden können". Zu den durch parallele Justizstrukturen verhängten Strafen zählen öffentliche Hinrichtungen durch Steinigung und Erschießen, Schläge und Auspeitschung sowie Amputation. Berichten zufolge erheben regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) zudem in Gebieten, in denen sie die Einrichtung paralleler Regierungsstrukturen anstreben, illegale Steuern.

Im Juli 2018 äußerte UNAMA Besorgnis über den neuerdings zu beobachtenden Trend, dass regierungsfeindliche Kräfte auf Operationen regierungsnaher Kräfte mit Angriffen auf Schulen und Beamte im Bildungswesen reagieren. Schulen wurden Berichten zufolge außerdem besetzt und für militärische Zwecke benutzt, wodurch ihr geschützter Status nach dem humanitären Völkerrecht gefährdet und den Kindern der Zugang zu Bildung entzogen wurde. Außerdem bleiben Berichten zufolge viele Schulen in Afghanistan aufgrund der vor Ort herrschenden Sicherheitsverhältnisse geschlossen.

Ferner wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte den Zugang zu medizinischer Versorgung beschränken. 2017 dokumentierte UNAMA 75 gegen Krankenhäuser und medizinisches Personal gerichtete Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte mit 31 Toten und 34 Verletzten gegenüber 120 Zwischenfällen mit 10 Toten und 13 Verletzten im Jahr 2016. Außerdem heißt es, dass regierungsfeindliche Kräfte in einigen Teilen des Landes Polio-Impfkampagnen verbieten und wiederum andere Teile aufgrund der vorherrschenden Unsicherheit nicht von Impfhelfern erreicht werden können.

Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der nach nationalem und internationalem Recht bestehenden Verpflichtung Afghanistans diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsführung Afghanistans und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen.

Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte seien oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben. Der UN-Ausschuss gegen Folter brachte seine Sorge darüber zum Ausdruck, dass die Regierung keine geeigneten Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten vor Repressalien für ihre Arbeit ergreift.

Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung. Wie oben angemerkt, begehen einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei, Berichten zufolge in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Berichten zufolge betrifft Korruption viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene. Es wird berichtet, dass afghanische Bürger Bestechungsgelder zahlen müssen, um öffentliche Dienstleistungen zu erhalten, etwa dem Büro des Provinzgouverneurs, dem Büro des Gemeindevorstehers und der Zollstelle. Innerhalb der Polizei, so heißt es, sind Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch. Das Justizsystem sei auf ähnliche Weise von weitverbreiteter Korruption betroffen.

Berichten zufolge wenden sich lokale Gemeinschaften in einigen Gebieten an parallele Justizstrukturen, etwa örtliche Räte oder Ältestenräte oder Gerichte der Taliban, um zivile Streitfälle zu regeln. UNAMA stellt allerdings fest, dass diese Strukturen den Gemeinschaften in der Regel aufgezwungen werden und dass die in diesem Rahmen verhängten Strafen wie Hinrichtungen und Amputationen nach afghanischem Recht kriminelle Handlungen darstellen.

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge Zivilisten vorsätzlich entführt und getötet, um sie für die tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der Regierung zu bestrafen, wobei die Tötungen anderen als Warnung dienen sollten. AGEs sollen verschiedene Mittel als Warnung einsetzen, um Zivilisten davon abzuhalten, die Regierung zu unterstützen, darunter SMS, Sendungen im örtlichen Radio, soziale Medien und sogenannte Nachtbriefe" (shab nameha). Wo es AGEs nicht gelang, Unterstützung in der Öffentlichkeit zu finden, schikanieren sie laut Berichten örtliche Gemeinschaften, schüchtern sie ein und bestrafen die örtliche Bevölkerung für ihre tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der Regierung oder einer rivalisierenden regierungsfeindlichen Gruppe. Zivilisten, die sie der "Spionage für" die Regierung beschuldigen, werden in Schnellverfahren von parallelen und illegalen, von AGEs eingerichteten Justizstrukturen abgeurteilt; die Strafe für derartige angebliche "Verbrechen" ist in der Regel die Hinrichtung.

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Familienangehörige von Personen mit den oben angeführten Profilen als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft angegriffen. Insbesondere wurden Verwandte, darunter Frauen und Kinder, von Regierungsmitarbeitern und Angehörige der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte Opfer von Schikanen, Entführung, Gewalt und Tötung.

Gemäß der Verfassung darf niemand ohne ordentliches Gerichtsverfahren festgenommen oder inhaftiert werden. Die Verfassung enthält außerdem ein absolutes Verbot des Einsatzes von Folter. Der Einsatz von Folter stellt nach dem Strafgesetzbuch eine Straftat dar, während die harte Bestrafung von Kindern durch das Jugendgesetz untersagt ist. Darüber hinaus verabschiedete das Oberhaus der Nationalversammlung im Januar 2018 den konsolidierten Wortlaut eines neuen Anti-Folter-Gesetzes.

Trotz dieser Rechtsgarantien bestehen Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gegenüber Häftlingen, insbesondere von im Zusammenhang mit dem Konflikt verhafteten Personen, denen Unterstützung von regierungsfeindlichen Kräften zur Last gelegt wird und die in Gefängnissen des Inlandsgeheimdienstes (NDS), der afghanischen nationalen Polizei (ANP) (einschließlich der afghanischen nationalen Grenzpolizei ANBP), der afghanischen nationalen Streitkräfte (ANA) und der afghanischen lokalen Polizei (ALP) inhaftiert sind. UNAMA berichtete 2017, dass in vom Inlandsgeheimdienst (NDS) betriebenen Gefängnissen in fünf Provinzen "systematisch oder regelmäßig und weitverbreitet" gefoltert wird und dass "ausreichend glaubhaften und verlässlichen Berichten zufolge in 17 anderen Provinz- oder staatlichen Einrichtungen des Inlandsgeheimdienstes gefoltert wird". UNAMA dokumentierte außerdem "systematische Folterung und Misshandlung" in Haftanstalten der afghanischen nationalen Polizei (ANP) oder der afghanischen nationalen Grenzpolizei (ANBP) in den Provinzen Kandahar und Nangarhar sowie "Berichte über Verstöße in 20 anderen Provinzen, wobei die Behandlung von Häftlingen durch die ANP in den Provinzen Farah und Herat" besondere Sorge bereitet. Unter den Inhaftierten, bei denen die Anwendung von Folter festgestellt wurde, befanden sich auch Kinder.

UNAMA meldete auch Fälle von extralegalen Hinrichtungen und Zwangsverschleppungen von Inhaftierten im Gewahrsam der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei. Es wird berichtet, dass der afghanische Inlandsgeheimdienst, die afghanische nationale Polizei und die afghanische lokale Polizei Folter einsetzen, um Geständnisse zu erpressen, die dann routinemäßig von den Strafgerichten als Beweismittel zugelassen werden. Trotz der Bemühungen des Inlandsgeheimdienstes, die internen Aufsichtsmechanismen zu stärken, heißt es in Berichten, dass weiterhin eine "allgemeine Kultur der Straflosigkeit" herrscht.

Außerdem bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich willkürlicher Inhaftierungen. Dazu kommt, dass die 2015 verabschiedeten Änderungen zur Strafprozessordnung "es Sicherheitspersonal gestatten, Verdächtige, denen terroristische Verbrechen und Verstöße gegen die innere und äußere Sicherheit zur Last gelegt werden, bis zu 70 Tage lang festzuhalten, ohne sie einem Richter vorführen zu müssen," wodurch diese Verdächtigen schutzlos Misshandlungen ausgesetzt sein können. Die Inhaftierten haben Berichten zufolge keinen Zugang zu Rechtsschutzmechanismen, zu unabhängiger medizinischer Untersuchung und Versorgung oder in angemessener Weise zu einem Verteidiger, auch nicht während der Ermittlungen und der langen Untersuchungshaft, insbesondere bei einer Unterbringung in abgelegenen Haftanstalten. Mitglieder der afghanischen lokalen Polizei, der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitspolizei sowie regierungsnaher bewaffneter Gruppen setzen Berichten zufolge auch Bedrohung, Einschüchterung und körperliche Gewalt gegen Zivilisten ein, die verdächtigt werden, regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) zu unterstützen. In einigen Fällen wurden Berichten zufolge solche Zivilisten getötet, auch Familienangehörige von Rekruten regierungsfeindlicher Kräfte.

In Gebieten, in denen mit dem Islamischen Staat verbundene Gruppen präsent sind, wurden Zivilisten, die der Unterstützung der Taliban verdächtigt wurden, Berichten zufolge von solchen Gruppen bedroht und getötet. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung durch den Staat oder in dessen Auftrag handelnde Stellen, ist davon auszugehen, dass Überlegungen hinsichtlich einer internen Schutzalternative nicht relevant sind.

UNHCR ist der Auffassung, dass Personen, die einem oder mehreren der folgenden Risikoprofile entsprechen, abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles möglicherweise internationalen Schutz benötigen. Diese Risikoprofile sind weder zwangsläufig erschöpfend, noch werden sie der Rangfolge nach angeführt:

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).

Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen (S. 66): Die Verfassung sieht vor, dass Anhänger anderer Religionen als dem Islam "innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte". Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist und "kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf". Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitisch-islamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist. Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen, in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.

Religiöse Minderheiten (S. 66 - 68): Nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin im geltenden Recht diskriminiert. Wie oben dargestellt gilt gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch das kodifizierte Recht Afghanistans entsprechende Bestimmungen enthalten, die sunnitische Hanafi-Rechtsprechung. Dies gilt für alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion. Die einzige Ausnahme bilden personenstandsrechtliche Angelegenheiten, bei denen alle Parteien Schiiten sind. In diesem Fall wird das schiitische Personenstandsrecht angewendet. Für andere religiöse Minderheiten gibt es kein eigenes Recht.

Das Strafgesetzbuch von 2017 enthält Bestimmungen hinsichtlich "Straftaten, die eine Beleidigung einer Religion darstellen", denen zufolge die vorsätzliche Beleidigung einer Religion oder die Störung ihrer Zeremonien oder die Zerstörung ihrer genehmigten Gebetsstätten oder Symbole, die den Anhängern einer Religion heilig sind, strafbar ist. Ebenfalls strafbar ist der Angriff auf einen Anhänger einer Religion, der in der Öffentlichkeit rechtmäßig religiöse Rituale vollzieht oder die Herabwürdigung oder Verzerrung des Glaubens oder der Bestimmungen des Islams. Ferner steht auch die Anstiftung zur Diskriminierung aufgrund der Religion unter Strafe.

Ungeachtet dessen werden nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftlich schikaniert und in manchen Fällen tätlich angegriffen. Es heißt, dass Angehörige religiöser Minderheiten wie Baha'i und Christen es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung vermeiden, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln. Es wird berichtet, dass sich nicht-muslimische Frauen genötigt sehen, eine Burka oder andere Gesichtsschleier zu tragen, um sich sicherer in der Öffentlichkeit bewegen zu können und den gesellschaftlichen Druck zu verringern.

Im Zeitraum vom 1. Januar bis 7. November 2017 dokumentierte UNAMA - hauptsächlich auf regierungsfeindliche Kräfte zurückzuführende - Fälle gezielter Tötungen, Entführungen, und Einschüchterungen von Religionsgelehrten und religiösen Führern, sowie Anschlägen auf Gebetsstätten und Personen, die ihr Recht auf Religionsausübung durch Gottesdienst, Bräuche und Riten wahrnahmen. Diese Zwischenfälle forderten 850 Opfer unter der Zivilbevölkerung (273 getötete und 577 verletzte Personen), was fast eine Verdoppelung der zivilen Opferzahlen derartiger Angriffe im gesamten zurückliegenden Siebenjahreszeitraum von 2009 bis 2015 darstellt. 2016 und 2017 wurden religiöse Führer Berichten zufolge in fortlaufendem und steigendem Maße zum Ziel von Tötung, Entführung, Bedrohung und Einschüchterung - hauptsächlich ausgeübt durch regierungsfeindliche Kräfte. Ferner wird berichtet, dass auch religiöse Gelehrte mehrmals durch regierungsfeindliche Kräfte angegriffen wurden, während regierungsnahe Kräfte gezielt gegen Imame von Moscheen, die angeblich regierungsfeindliche Kräfte unterstützten, vorgingen.

Analysten äußerten ihre Besorgnis, dass gewisse Bestimmungen eines neuen Gesetzesentwurfs zur Versammlungsfreiheit ganz besonders die Rechte religiöser Minderheiten einschränken würden. Der Gesetzesentwurf stellt Berichten zufolge "Ansammlungen, Streiks, Demonstrationen, Sitzstreiks zur Durchsetzung ethnischer, religiöser und regionaler Forderungen" als gesetzwidrige Proteste unter Strafe.

Christen (S. 68 - 69): Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist Berichten zufolge weiterhin offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. In Afghanistan existieren keine öffentlichen Kirchen mehr und Christen beten allein oder in kleinen Versammlungen in Privathäusern. 2013 riefen vier Parlamentsmitglieder Berichten zufolge zur Hinrichtung von Personen auf, die zum Christentum konvertiert sind.

Konversion vom Islam (S. 72): Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie, also als Glaubensabfall betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tode bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, sie fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten "ungeheuerlichen Straftaten", die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen Berichten zufolge um ihre persönliche Sicherheit fürchten.

Bekehrungsversuche, um Personen zum Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion zu bewegen, sind Berichten zufolge laut der Hanafi Rechtslehre ebenfalls rechtswidrig und es stehen darauf dieselben Strafen wie für Apostasie. Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können, so wird berichtet, selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. In der Regel haben Beschuldigte laut Berichten indes keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien.

Zusammenfassung: UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass für Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, einschließlich Personen, die der Blasphemie oder der Konversion vom Islam bezichtigt werden, sowie für Angehörige religiöser Minderheiten abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu bieten.

EASO-Bericht "Country Guidance Afghanistan", Juni 2018 (S. 59 - 60;

Auszug):

Individualpersonen, denen Blasphemie und / oder Apostasie unterstellt wird

Diesem Profil unterliegen Personen, welchen unterstellt wird, vom islamischen Glauben abgefallen zu sein oder gegen die Prinzipien des Islams verstoßen zu haben (Apostasie), sowie Personen, denen unterstellt wird, frevelhaft über Gott oder heilige Dinge gesprochen zu haben (Blasphemie). Dies inkludiert Personen, die aus innerer Überzeugung zu einem neuen Glauben konvertiert sind (Konvertiten) sowie jene, welche nicht an Gott glauben (Atheisten).

Apostasie unterliegt der Todesstrafe, Freiheitsstrafe oder der Konfiskation von Eigentum. Apostasie ist eine schwere Straftat und obwohl selten von einer strafrechtlichen Verfolgung berichtet wird, ist dies in den vergangenen Jahren vorgekommen. Kinder von Apostaten werden als Muslime betrachtet, sofern sie bis zum Erreichen des Erwachsenenalters zum Islam zurückkehren. Andersfalls sind sie ebenfalls der Todesstrafe ausgesetzt. Individualpersonen, die als Apostaten wahrgenommen werden, unterliegen dem Risiko gewalttätiger Angriffe, welche auch zum Tod führen können, ohne dass die Angreifer vor Gericht gestellt werden.

Insbesondere eine Konversion vom Islam zu einem anderen Glauben wird als schwere Straftat nach islamischem Recht angesehen. Männern droht die Todesstrafe durch Enthauptung, Frauen droht eine lebenslange Freiheitsstrafe. Nach islamischem Recht haben Personen drei Tage Zeit, um die Konversion zu widerrufen, andernfalls werden sie bestraft. Konvertiten sind auch der Feindschaft der Gesellschaft ausgesetzt.

Die Zahl afghanischer Konvertiten zum Christentum nimmt zu, es waren jedoch im letzten Jahrzehnt nur einige wenige Konvertiten zu sehen. Der Staat fordert diese auf, zu widerrufen, widrigenfalls ihnen die Abschiebung aus dem Land droht.

Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative:

Eine Bewertung der Möglichkeiten für eine Neuansiedlung setzt eine Beurteilung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative voraus. In Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung in einem bestimmten Gebiet des Herkunftslandes nachgewiesen wurde, erfordert die Feststellung, ob die vorgeschlagene interne Schutzalternative eine angemessene Alternative für die betreffende Person darstellt, eine Bewertung, die nicht nur die Umstände berücksichtigt, die Anlass zu der begründeten Furcht gaben und der Grund für die Flucht aus dem Herkunftsgebiet waren. Auch die Frage, ob das vorgeschlagene Gebiet eine langfristig sichere Alternative für die Zukunft darstellt, sowie die persönlichen Umstände des jeweiligen Antragstellers und die Bedingungen in dem Gebiet der Neuansiedlung müssen berücksichtigt werden. Wenn eine interne Schutzalternative im Zuge eines Asylverfahrens in Betracht gezogen wird, muss ein bestimmtes Gebiet für die Neuansiedlung vorgeschlagen werden und es müssen alle für die Relevanz und Zumutbarkeit des vorgeschlagenen Gebiets im Hinblick auf den jeweiligen Antragsteller maßgeblichen allgemeinen und persönlichen Umstände soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative zu äußern.

Ein als interne Schutzalternative vorgeschlagenes Gebiet wäre nicht relevant, wenn der Antragsteller in diesem Gebiet der ursprünglichen Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung durch den Staat oder in dessen Auftrag handelnde Stellen, ist davon auszugehen, dass Überlegungen hinsichtlich einer internen Schutzalternative nicht relevant sind. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung, die von Mitgliedern der Gesellschaft aufgrund schädlicher traditioneller Bräuche und religiöser Normen ausgeht, die Verfolgungscharakter aufweisen, (siehe zum Beispiel die Risikoprofile 7, 10 und 12 in Abschnitt III.A), so muss die Akzeptanz solcher Normen und Bräuche in weiten Teilen der Gesellschaft und die einflussreichen konservativen Elemente auf allen Ebenen der Regierung als ein Faktor in Betracht gezogen werden, der gegen die Relevanz einer internen Schutzalternative spricht. UNHCR vertritt den Standpunkt, dass - verbunden mit den Nachweisen in Abschnitt II.C betreffend die eingeschränkte Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten, - davon auszugehen ist, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative in diesen Fällen nicht relevant ist. In Fällen, in denen die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, muss die Relevanz einer vorgeschlagenen Schutzalternative unter Berücksichtigung einer Reihe verschiedener Elemente beurteilt werden. Geht die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften aus, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban und des Islamischen Staates, existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative. Ferner müssen die Nachweise in Abschnitt II.C hinsichtlich der aufgrund ineffektiver Regierungsführung und weit verbreiteter Korruption eingeschränkten Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu bieten, berücksichtigt werden. Neben den oben genannten Überlegungen zur ursprünglichen Form der Verfolgung im Heimatgebiet des Antragstellers muss der Entscheidungsträger auch nachweisen, dass der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet keiner neuen Form der Verfolgung und keinem anderen ernsthaften Schaden - etwa infolge willkürlicher Gewalt - ausgesetzt wäre.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Akt der belangten Behörde sowie durch Einsichtnahme in die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente. Die Identität des BF erscheint unbedenklich, sein Geburtsdatum und die Schreibweise seines Vornamens waren aufgrund seiner anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 02.10.2019 vorgelegten Tazkira, die im Wesentlichen dem entsprach, was der BF bereits im erstinstanzlichen Verfahren angegeben hatte, und diese Angaben nur präzisierte, zu berichtigen. Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem Strafregister der Republik Österreich.

Das vom BF ins Treffen geführte Vorbringen betreffend die Gefahr, bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner Konversion zum Christentum und der dadurch gegenüber dem Islam zum Ausdruck gebrachten Ablehnung psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt zu sein, ist aus folgenden Gründen glaubhaft: Die Feststellungen zum religiösen Hintergrund des BF, zu seinem ersten Kontakt mit dem Christentum, zu seinem Interesse am christlichen Glauben, seinen regelmäßigen Besuchen der Gottesdienste, seiner Teilnahme am Taufkurs und zu seiner bereits durchgeführten Taufe vom 16.02.2019 gründen sich einerseits auf die dahingehend vorgelegten Unterlagen (Schreiben vom 12.09.2019, Schreiben vom 19.09.2019, Taufzeugnis vom 16.02.2019, Bestätigung Informationskurs über den christlichen Glauben vom 04.03.2019, Bestätigung der Mitgliedschaft XXXX vom 17.02.2019, Bestätigung über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vom 08.04.2019) sowie andererseits auf die vom BF getätigten glaubhaften Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf die Ausführungen der als Zeugen befragten XXXX und Pastor XXXX im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 02.10.2019, weiters auf die Aussagen der beiden dort anwesenden Vertrauenspersonen. Der BF hat glaubhaft dargelegt, dass er sich auf Grund einer persönlichen Entscheidung vom Islam abgewendet und aus innerer religiöser Überzeugung dem Christentum zugewendet hat. In der mündlichen Verhandlung konnte er darüber hinaus inhaltliche Angaben zum christlichen Glauben machen, was den Schluss zulässt, dass sich der BF mit dem christlichen Glauben auch inhaltlich auseinandergesetzt hat. Dafür sprechen auch die Angaben der weiteren in der mündlichen Verhandlung befragten Personen. Insbesondere die Aussagen des als Zeugen befragten Pastors XXXX zeigen, dass der BF keineswegs leichtfertig oder überhaupt zum Schein getauft worden wäre, sondern erst getauft wurde, nachdem man sich von seiner Ernsthaftigkeit überzeugt hatte.

Dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner erfolgten Konversion physische und/oder psychische Gewalt drohen würde, ergibt sich aus den genannten Länderberichten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

Ein in der Praxis häufiges Beispiel für sogenannte subjektive Nachfluchtgründe iSd § 3 Abs. 2 AsylG 2005 ist die im Zufluchtsstaat erfolgende Konversion zum Christentum insbesondere bei Asylwerbern aus islamischen Staaten. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt in diesen Fällen nicht darauf ab, ob die entsprechende Überzeugung bereits im Heimatland bestanden hat (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675). Vielmehr ist maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. dazu VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0117; 30.06.2005, 2003/20/0544, mwN). Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675, sowie VfGH 12.12.2013, U 2272/2012).

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und es ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534).

Dem BF droht im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Abwendung vom islamischen Glauben (Apostasie) sowie seiner aus innerer Überzeugung erfolgten Konversion und Hinwendung zum Christentum mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt. Die den BF treffende Verfolgungsgefahr findet ihre Deckung in einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründe (Religion).

Auf Grund der genannten Feststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem BF ausreichender staatlicher Schutz vor der ihm drohenden Verfolgung aus Gründen seiner Religion zukommen würde. Die dem BF drohende Verfolgung ist auch nicht etwa auf einen bestimmten Landesteil beschränkt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt daher für den Beschwerdeführer nicht in Betracht.

Der BF hält sich somit aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb Afghanistans auf und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 schon aus diesem Grund der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war festzustellen, dass dem Beschwerdeführer von Gesetzes wegen die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision: Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes Staatsgebiet,
Konversion, Nachfluchtgründe, Religion, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W164.2178061.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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