TE Vwgh Erkenntnis 1998/5/20 97/09/0122

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Veröffentlicht am 20.05.1998
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

ABGB §1162;
ARB1/80 Art6 Abs2;
AuslBG §4 Abs1;
AVG §37;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Nihat Canli in Wien, vertreten durch Dr. Benedikt Wallner, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ditscheinergasse 4, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 17. März 1997, Zl. 10/13117/731.213/1997, betreffend Feststellung nach dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte mit Schriftsatz vom 21. November 1996 an das Arbeitsmarktservice Bekleidung - Druck - Papier den Antrag, festzustellen, daß er die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80) vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei erfülle und damit in Österreich freien Zugang zu jeder von ihm gewählten unselbständigen Beschäftigung habe. Der Beschwerdeführer lebe seit September 1988 rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich und sei seither - "mit sich aus dem beiliegenden Auszug der zentralen Datenspeicherung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 2. September 1996 ergebenden Unterbrechungen - ordnungsgemäß in Österreich beschäftigt" gewesen. Zumindest vom 13. November 1989 bis zum 23. Mai 1995 liege eine ununterbrochene Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 vor. Die kurzfristigen Unterbrechungen im Versicherungsdatenauszug rührten jeweils von unverschuldeter Arbeitslosigkeit und zusätzlich von Fehlinformationen her, die dem Antragsteller in bezug auf die erstmalige Möglichkeit der Antragstellung eines Arbeitslosengeldbezuges oder einer Notstandshilfe erteilt worden seien. Im Sinne des Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 seien diese Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berührten jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

Im genannten beigelegten "Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung" findet sich unter anderem nach der Anführung der Beschäftigung des Beschwerdeführers vom 14. Oktober 1991 bis 23. Mai 1995 als Arbeiter bei der D. GmbH & Co KG eine bis 4. August 1995 dauernde Unterbrechung. Daran anschließend ist Arbeitslosengeldbezug (Notstandshilfe) mit Unterbrechungen durch Krankengeldbezug, aber auch durch nicht näher dokumentierte Lücken, bis 11. Juli 1996 verzeichnet.

Die Behörde erster Instanz holte mit Stand vom 12. Februar 1997 Daten der Sozialversicherungsdatei ein, die sich mit dem genannten "Versicherungsdatenauszug" vom 2. September 1996 bis zum letztgenannten Datum decken. Danach bezog der Beschwerdeführer abwechselnd Arbeitslosengeld bzw. "Krankengeld Sonderfall" bis 12. Jänner 1997. Beginnend mit 13. Jänner 1997 ist eine Beschäftigung bei der M. GmbH verzeichnet. Betreffend die Unterbrechung zwischen 23. Mai 1995 bis 4. August 1995 findet sich eine Ablichtung der Abmeldung des Beschwerdeführers als Versicherungsnehmer bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse des damaligen Dienstgebers D. GmbH & Co KG mit dem Abmeldungsgrund "fristlose Entlassung".

Die Behörde erster Instanz stellte mit dem Bescheid vom 12. Februar 1997 fest, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 nicht erfülle. Für die Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung in Österreich sei er nicht vom Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) ausgenommen. Die Behörde erster Instanz habe festgestellt, daß der Beschwerdeführer in den letzten vier Jahren keine ununterbrochene Beschäftigung, dieser gleichzustellende oder zu berücksichtigende Zeiten nachweisen könne. Es liege "eine maßgebliche Unterbrechung" im Zeitraum vom 24. Mai 1995 bis 3. August 1995 vor.

In der dagegen erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer sein bisheriges Sachverhaltsvorbringen und ergänzte in rechtlicher Sicht durch den Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 23. Jänner 1997, Recep Tetik gegen Land Berlin, Rs C-171/95. Daraus ergebe sich, daß es einem türkischen Arbeitnehmer sogar freistehen müsse, innerhalb eines angemessenen Zeitraumes eine neue Beschäftigung zu suchen, selbst wenn er das vorangegangene Dienstverhältnis gelöst habe. "Argumento a maiori ad minum" sei der beanstandete beschäftigungslose Zeitraum beim Einschreiter im Ausmaß von etwas mehr als zwei Monaten unter Bedachtnahme auf den üblichen Zeitraum zur Auffindung eines neuen Arbeitsplatzes nicht als Verlustgrund für das ihm nach dem Assoziationsratsbeschluß zustehende Recht zu werten. Der Beschwerdeführer weist in der Berufung auf sein seit 13. Jänner 1997 bestehendes, aufrechtes und unbefristetes Dienstverhältnis zur Fa. M. Bau-GmbH hin. Das weitere Berufungsvorbringen befaßt sich mit den Verfahren zur Erlangung von Aufenthaltsberechtigungen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 17. März 1997 gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, das Arbeitsmarktservice habe festgestellt, daß der Beschwerdeführer in der Zeit vom 24. Mai 1995 bis 3. August 1995 weder in Beschäftigung gestanden sei, noch in dieser Zeit Arbeitslosengeld (bzw. Notstandshilfe) bezogen habe. Er weise somit vom Zeitpunkt der Antragseinbringung zurückgerechnet nicht vier Jahre ununterbrochene, ordnungsgemäße Beschäftigung im Bundesgebiet auf.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 des durch das Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates hat folgenden Wortlaut:

"(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

-

nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

-

nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung

-

vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

-

nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."

Im Beschwerdefall ist maßgeblich, ob der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt im Anschluß an vier Jahre ordnungsgemäßer Beschäftigung angehörte.

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, aufgrund welcher Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, vom 28. Juni 1988, Zl. 87/11/0066, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722). Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid insoweit nicht gerecht, als diesem nicht klar entnommen werden kann, welche der in Art. 6 ARB Nr. 1/80 genannten Voraussetzungen die belangte Behörde als nicht erfüllt erachtet.

Sollte sie der Meinung sein, der Beschwerdeführer gehöre dem regulären Arbeitsmarkt Österreichs deshalb nicht an, weil er in der Zeit vom 24. Mai 1995 bis 3. August 1995 weder in Beschäftigung gestanden sei noch in dieser Zeit Arbeitslosengeld (bzw. Notstandshilfe) bezogen habe, so ist die belangte Behörde darauf hinzuweisen, daß der Beschwerdeführer - abgesehen von Zeiten des Arbeitslosengeld- bzw. Notstandshilfebezuges nach dem 3. August 1995 - mit der Berufung auch behauptet und belegt hat, seit dem 13. Jänner 1997 bei der M. Bau-GmbH beschäftigt zu sein. Es finden sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides keine Ausführungen darüber, daß diese Beschäftigung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (19. März 1997) nicht (mehr) aufrecht gewesen sei.

Sollte die belangte Behörde der Meinung sein, daß der Zeitraum 24. Mai 1995 bis 3. August 1995 durch verschuldete Arbeitslosigkeit zustandegekommen sei, weshalb die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche verloren gegangen seien, so findet sich darüber nichts in der Begründung des angefochtenen Bescheides, auch nicht zu der - vom Beschwerdeführer unerwähnt gelassenen - Tatsache, daß das davor über drei Jahre bestandene Beschäftigungsverhältnis zur D. GmbH & Co KG am 23. Mai 1995 durch fristlose Entlassung des Beschwerdeführers geendet hat. Eine solche Maßnahme erfolgt durch den Dienstgeber dann, wenn er an der sofortigen Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund deshalb Interesse hat, weil die Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses unzumutbar geworden ist. Nicht alle wichtigen Gründe setzen aber zwingend ein Verschulden des Arbeitnehmers voraus. Ein wichtiger Grund liegt z.B. in der Dienstunfähigkeit, d.h., wenn der Dienstnehmer die ihm aufgetragenen, angemessenen Dienste nicht verrichten kann, weil er hiezu die körperlichen bzw. geistigen Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllt, somit die dennoch angebotenen Dienste für den Dienstgeber ohne Wert sind. Schuldhaftes Verhalten ist - insbesondere in solchen Fällen - für eine vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses nicht notwendig (vgl. Krejci in Rummel, ABGB2, Rz 23 f, 72 ff zu § 1162). Ohne nähere Ausführungen kann somit selbst aus der Tatsache einer fristlosen Entlassung nicht zwingend auf ein schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers zur Herbeiführung der Arbeitslosigkeit nach dem 23. Mai 1995 geschlossen werden.

Damit bleibt in nicht nachvollziehbarer Weise offen, welche Überlegungen die belangte Behörde dazu gebracht haben, den Zeitpunkt der Antragseinbringung als Ausgangspunkt für die Zurückrechnung der Bedingung der vier Jahre ordnungsgemäßen Beschäftigung in Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich heranzuziehen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997090122.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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