Entscheidungsdatum
12.12.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W260 2165535-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RAe Dr. LECHENAUER & Dr. SWOZIL, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, Außenstelle Salzburg, vom 05.07.2017, Zahl 1077553508-150832645, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 29.11.2017 und am 02.03.2018 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX alias XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX alias
XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX alias XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer"), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 10.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei der Erstbefragung am 10.07.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu an, dass er aus Kapisa, Afghanistan stamme, der Volksgruppe der Paschtunen angehöre und Moslem sei. Sein zuletzt ausgeübter Beruf sei der eines Polizisten gewesen. Seinen Fluchtgrund betreffend führte er zusammengefasst aus, er habe Afghanistan wegen der Bedrohung, Entführung und Misshandlung durch die Taliban verlassen.
3. Am 04.01.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "belangte Behörde") im Beisein einer Vertrauensperson, sowie eines Dolmetschers.
Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, er habe in Afghanistan als "Lokalpolizist gearbeitet, nannte den Namen seines Vorgesetzten. In der Folge sei er von den Taliban entführt und misshandelt worden. Aus der Gefangenschaft hätte er entkommen können, da das "Gefängnis" von Regierungstruppen angegriffen worden sei. Aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist würden die Taliban im Falle einer Rückkehr nach ihm suchen.
4. Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Misshandlungsangaben wurde am 18.05.2017 seitens der belangten Behörde ein Untersuchungsauftrag gegeben und der Beschwerdeführer am 08.06.2017 persönlich untersucht. Im Befundbericht wurde festgehalten, dass der Zahn 46 fehlt, Wurzelreste erkennbar sind, Zahn 35 und 36 fehlen (...) und weiters zwei Narben (oberhalb rechte Augenbraue, Unterarm) erkennbar sind wobei eine mit einem Messer zugefügt worden sei, eine weitere Narbe ist am Unterarm erkennbar. Zusammengefasst sei jedoch eine genaue Bestimmung wie diese Narben entstanden seien, aus medizinischer Sicht nicht möglich, da diese maturiert seien. Der vom Beschwerdeführer angegebene Verletzungszeitpunkt sei möglich.
5. Mit dem nunmehr angefochtenem Bescheid vom 05.07.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Die belangte Behörde stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).
6. Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsberatung den Verein Menschenrechte Österreich fristgerecht Beschwerde ein. Der Beschwerdeführer wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen zu seinen Fluchtgründen.
7. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 21.07.2017 wurde der Bezug habende Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Vorlage gebracht und langte dieser am 26.07.2017 ebendort ein.
8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.09.2017 wurde eine mündliche Verhandlung für den 29.11.2017 anberaumt.
9. Mit Schreiben vom 07.11.2017 legte die bisherige Rechtsberatung ihre Vollmacht nieder.
10. Mit Schreiben vom 14.11.2017 gab der nunmehrige Rechtsvertreter seine Vollmacht bekannt und wurde dieser der Ladungstermin übermittelt.
11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 29.11.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner Rechtsvertreterin und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt.
Die Niederschrift wurde der unentschuldigt ferngebliebenen belangten Behörde übermittelt.
Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen, und eine Übersetzung von zwei Drohbriefen und eine Kopie seiner Tazkira (Beilage ./II) vor.
Aufgrund der fortgesetzten Verhandlungszeit wurde die Verhandlung auf den 02.03.2018 vertagt.
12. Nach Rückfrage bei der belangten Behörde durch das Bundesverwaltungsgericht wurde diesem fehlende Aktenteile übermittelt, darin die im behördlichen Verfahren vom Beschwerdeführer vorgelegten Drohbriefe.
13. Der Beschwerdeführer erstattete namens seiner Rechtsvertretung am 23.02.2018 eine Stellungnahme zu den vom Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eingebrachten Länderinformationsmaterial.
14. Am 02.03.2018 fand eine fortgesetzte mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.
Die geladene belangte Behörde nahm abermals ohne Entschuldigungsschreiben nicht an der Verhandlung teil.
15. Am 03.04.2018 und am 02.10.2018 wurde seitens der Rechtsvertretung eine weitere Stellungnahme und Urkundenvorlage eingebracht, welche den Beschwerdeführer bewaffnet in Uniform zeigen.
16. Mit Schreiben des Bundeverwaltungsgerichtes vom 19.11.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des Parteiengehörs aktuelles Länderberichtsmaterial an die Verfahrensparteien mit der Möglichkeit zur Stellungnahme darin Länderinformationsblatt zu Afghanistan Stand 13.11.2019, UNHCR Richtlinien zur Feststellung internationalen Schutzbedarfes Afghanischer Asylsuchender Stand August 2018 und eine auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan Juni 2018.
17. Die Rechtsvertretung erstattete diesbezüglich eine Stellungnahme mit Schreiben vom 29.11.2019. Die belangte Behörde erstattete keine Stellungnahme.
14. Das Bundesverwaltungsgericht holte am 11.12.2019 einen aktuellen Strafregisterauszug ein, aus welchem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer unbescholten ist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX alias XXXX und ist am XXXX geboren.
Er ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und ist ledig.
Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Kapisa, Distrikt Tagab, Dorf XXXX und hat dort bis zu seiner Ausreise ins Bundesgebiet gelebt.
Der Beschwerdeführer ist neun Jahre lang in seinem Herkunftsstaat zur Schule gegangen.
Die Eltern des Beschwerdeführers leben ebenso wie drei Onkeln väterlicherseits und vier Onkeln mütterlicherseits in Tagab. Die Eltern besitzen Granatapfelgärten und Grundstücke, ebenso besitzen die verwandten Grundstücke. Die finanzielle Lage der Familie kann als gut bezeichnet werden.
Der Beschwerdeführer hat über einen Zeitraum von sieben Monaten für die lokale Polizei gearbeitet.
Er übte dabei unterschiedliche Tätigkeiten bei einem Checkpoint aus und war auch für Funkgeräte zuständig.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Antragstellung am 10.07.2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2015 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer, welcher für die afghanische lokale Polizei gearbeitet hat, wurde aufgrund seiner Tätigkeit von den Taliban entführt und misshandelt. Von dieser Misshandlung stammen auch die Verletzungen des Beschwerdeführers.
Die Echtheit der vorgelegten Drohbriefe kann nicht festgestellt werden.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gewalt durch die Taliban aufgrund seiner politischen Gesinnung, weil er sich geweigert hat, für die Taliban zu arbeiten und Anschläge gegen militärische Einrichtungen und militärisches Personal durchzuführen.
Die staatlichen Behörden in Afghanistan können dem Beschwerdeführer in seiner Heimatregion keinen Schutz vor Verfolgung durch die Taliban bieten.
Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative nicht zur Verfügung.
Es liegen keine Gründe vor, nach denen ein Ausschluss des Beschwerdeführers hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 13.11.2019, in den UNHCR Richtlinien vom August 2018 und den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 und dem Landinfo Bericht Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne vom 23.08.2017 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:
1.3.1. Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, S. 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, S. 18ff).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).
Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).
Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).
Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).
Haqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).
Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz:
Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).
Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).
Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).
Rekrutierung durch die Taliban:
Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden.
Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen.
Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln.
Dies trifft auch auf den Beschwerdeführer zu.
Wie es weiters in den UNHCR-Richtlinien, hier Risikoprofilen ausgeführt wird, werden auch Mitglieder der afghanischen lokalen Polizei (ALP) werden häufig angegriffen. Schätzungen zufolge ist die Opferbilanz unter der afghanischen lokalen Polizei erheblich höher als die unter anderen Mitgliedern der ANDSF, da die afghanische lokale Polizei (ALP) häufig in unsichereren Gebieten stationiert ist. Beamte sowohl der ALP als auch der ANP wurden im Dienst und auch außer Dienst angegriffen.
Im Laufe der Jahre haben die Taliban eine ausgeklügelte Organisation für ihre nachrichtendienstliche Tätigkeit entwickelt. Die Dienste beschäftigen insgesamt fast 6.000 qualifizierte Mitarbeiter (unter Einschluss der Rasool Shura) und eine Vielzahl von bezahlten und unbezahlten Informanten. Gleichzeitig wirkte sich die zunehmende Zersplitterung der Taliban negativ auf die Entwicklung ihrer nachrichtendienstlichen Tätigkeit aus. Mit Ausnahme der Rasool Shura, haben die anderen Bestandteile der Taliban-Bewegung einen Mechanismus für den Informationsaustausch eingeführt, daher funktioniert das System zur Einschüchterung und Verfolgung von Zielpersonen der Taliban weiterhin landesweit, wenngleich nicht unbedingt immer reibungslos.
1.3.2. Herkunftsprovinz Kapisa
Kapisa zählt zu den relativ volatilen Provinzen (KP 23.5.2019; vgl. KP 29.4.2019). Die Regierungstruppen führen, teils mit Unterstützung der USA, regelmäßig Operationen in Kapisa durch (z.B. KP 29.6.2019; KP 12.6.2019; MENAFN 8.5.2019; KP 29.4.2019; FRP 5.1.2019; PAJ 2.1.2019; PAJ 6.12.2018; XI 1.12.2018; PAJ 26.11.2018; NYT 26.9.2018; RFE/RL 21.4.2018; AA 11.3.2018; PAJ 6.3.2018; KP 1.3.2018).
Auch werden Luftangriffe ausgeführt (PAJ 26.11.2018 ; UNAMA 25.9.2019, CC 27.7.2018) - in manchen Fällen werden dabei auch hochrangige Taliban getötet (CC 27.7.2018) oder Dörfer von den Taliban zurück erobert (PAJ 18.1.2019).
Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften (XI 14.8.2019; vgl. FRP 5.1.2019).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellung zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde, in den im Verfahren erstatteten Stellungnahmen und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie aus den vorgelegten Dokumenten (Tazkira).
Das Datum der festgestellten Antragstellung 10.07.2015 ist entgegen den Ausführungen im beschwerdegegenständlichen Bescheid, wo der 12.07.2015 angeführt wird, klar auf dem Antragsformular (ABl. 3 und 4) genannt.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsort, seinen Aufenthaltsorten und seinem schulischen und beruflichen Werdegang, seinem Familienstand und den Besitzverhältnissen der Familie waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Das Verfolgungs- Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers lautet auf das Wesentliche zusammengefasst, ihm drohe Gewalt durch die Taliban und auch durch die afghanische Regierung.
Diese haben versucht, den für die afghanische Polizei tätigen Beschwerdeführer zu rekrutieren, haben ihn entführt und gefoltert. Der Beschwerdeführer habe aber nicht für die Taliban arbeiten wollen und sei daher im Zuge eines Angriffes auf das Gefängnis wo er festgehalten wurde, geflüchtet.
Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers im Verlauf des Verfahrens ist schlüssig, vor dem Hintergrund auf die in den Länderberichten geschilderte Situation in der Herkunftsprovinz Kapisa.
Auch dass der Beschwerdeführer bei der Lokalpolizei, die laut Länderberichten in unsicheren Provinzen eingesetzt wird, tätig war, ist plausibel und weitgehend widerspruchsfrei und vermitteln auch die vorgelegten Fotografien (vgl. Urkundenvorlage vom 01.10.2018) des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer zeichnete insbesondere in der mündlichen Verhandlung in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten ein glaubwürdiges Bild der geschilderten Vorfälle, präsentierte keine einstudierte lineare Fluchtgeschichte und vermittelte so den Eindruck, die dargestellten Ereignisse tatsächlich erlebt zu haben.
An dieser Stelle wird beweiswürdigend folgendes hervorgehoben:
Der Beschwerdeführer brachte sowohl in der Erstbefragung, als auch in der Einvernahme bei der belangten Behörde und im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung beim Bundesverwaltungsgericht das fluchtauslösende Ereignis, nämlich dass er als Polizist in seiner Herkunftsprovinz gearbeitet hat und nach Weigerung mitzuarbeiten entführt wurde (vgl. dazu Aussagen des Beschwerdeführers:
Niederschrift Erstbefragung vom 10.07.2015, Seite 6, Niederschrift im Verfahren vor der belangten Behörde am 04.01.2017, Seiten 9, 10,11, Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 29.11.2017, Seiten 7, 9, ).
Der Beschwerdeführer schildert glaubhaft seine Misshandlung in der Gefangenschaft, die Versuche der Taliban an Informationen zu erlangen und seine geglückte Flucht aufgrund eines Angriffes der Armee (vgl. Aussagen des Beschwerdeführers, Niederschrift der fortgesetzten mündlichen Verhandlung am 29.02.03.2018, Seiten 9 und 10).
Diese Angaben decken sich einerseits aus den Informationen im Länderberichtsmaterial, wonach Mitarbeiter der Polizei zur Zusammenarbeit mit den Taliban überredet werden um an Informationen zu gelangen und andererseits auch aus den Informationen aus dem Länderberichtsmaterial, wonach es zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Armee, Polizei und Taliban in der Provinz, wo der Beschwerdeführer seinen Dienst versehen hat, kommt.
Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren gilt es beweiswürdigend insbesondere das von der belangten Behörde eingeholte als "Allgemeinmedizinische Abklärung" bezeichnete medizinische Gutachten vom 03.07.2017 (ABl. 189-198) hervorzuheben, wonach der Beschwerdeführer objektivierte Verletzungen, wie eine Stichwunde aufweist (Gutachten Seite 5). In diesem Gutachten wird zusammengefasst festgehalten, dass jedenfalls die Zeitangaben des Beschwerdeführers zu den zugefügten Verletzungen, objektiviert werden können (Gutachten Seite 8).
Es ist somit nicht gänzlich auszuschließen, dass die Angaben des Beschwerdeführers, nämlich, dass ihm Zähne ausgeschlagen und Stichwunden von den Taliban zugefügt worden sind, der Wahrheit entsprechen, und kann dem Beschwerdeführer aus beweiswürdigender Sicht nicht zum Nachteil gereichen, dass allein aufgrund des Alters der Narben nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass die Narben durch Stichwunden zugefügt wurden.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt bei diesen Beweisanboten wie den vorgelegten Drohbriefen nicht, dass in zahlreichen Verfahren vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht die Echtheit von Unterlagen aus Afghanistan zweifelhaft ist. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren gilt es dazu auszuführen, dass der Beschwerdeführer in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten ein glaubwürdiges Bild der geschilderten Vorfälle mitsamt den angeführten Beweisanboten präsentierte und sein Aussageverhalten aus Sicht des erkennenden Richters keine einstudierte, sondern eine lineare Fluchtgeschichte ist und ebenso den Eindruck vermittelte, die dargestellten Ereignisse tatsächlich erlebt zu haben.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist auch im Lichte der in den Feststellungen zu Afghanistan enthaltenen Ausführungen, insbesondere zum Vorgehen der Taliban bei Rekrutierungsversuchen, plausibel.
Wie den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, ist es durchaus auch Praxis der Taliban, Paschtunen zu rekrutieren. Daher ist das Vorbringen des Beschwerdeführers auch diesbezüglich nachvollziehbar, zumal er der Volksgruppe der Paschtunen angehört.
Dass das Fluchtvorbringen der Wahrheit entspricht, ergibt sich für den erkennenden Richter auch aus den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer ist zwar alleinstehend, lebt jedoch in Afghanistan zusammengefasst in geordneten Verhältnissen (vgl. Aussagen des Beschwerdeführers, Niederschrift der fortgesetzten mündlichen Verhandlung am 29.11.2017, Seiten 7 und 10). Ein derart stabiles berufliches und familiäres Umfeld grundlos aufzugeben, erscheint nicht nachvollziehbar.
Noch dazu ist zu erwähnen, dass der Beschwerdeführer die polizeiliche Tätigkeit in Afghanistan nicht einvernehmlich beendet hat, sondern (quasi) desertiert ist und etwaige Folgen, die sich aus einer Desertion ergeben, in Kauf nimmt, zumal er glaubhaft angegeben hat, dass die Polizei/Regierung glauben könnte, dass er aufgrund seiner Entführung übergelaufen sei (vgl. Aussage des Beschwerdeführers, Niederschrift vor der belangten Behörde am 04.01.2017, Seite 9). Bei einer Rückkehr droht ihm - wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, wie den Länderfeststellungen zu entnehmen ist ("Gemäß dem afghanischen militärischen Strafverfahrenskodex von 2008 wird die permanente Desertion mit einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren bedroht. (...) In der Praxis werden Deserteure jedoch in der Regel nicht rechtlich verfolgt.") - eine strafgerichtliche Verfolgung und hätte der Beschwerdeführer in Anbetracht seiner familiären Verpflichtungen ein derartiges Vorgehen wohl nicht an den Tag gelegt, wäre er nicht tatsächlich asylrelevant von den Taliban bedroht worden. Nur ergänzend ist zu erwähnen, dass - laut den in den Feststellungen enthaltenen Länderberichten - als Grund für Desertion in Afghanistan unter anderem die Angst vor den Taliban genannt wird. Auch in diesem Punkt findet daher das Vorbringen des Beschwerdeführers Deckung in den offiziellen Berichten zum Herkunftsstaat.
Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wird daher insgesamt als glaubhaft erachtet und wird eine weitere beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Fluchtgründen nicht vorgenommen.
Die durch die Länderberichte belegte, über einen langen Zeitraum äußerst volatile Sicherheitslage in der Heimatregion des Beschwerdeführers, Kapisa, die hohe Präsenz der Taliban und die Vielzahl von sicherheitsrelevanten Vorfälle zeigen, dass derzeit nicht davon ausgegangen werden kann, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden im Hinblick auf die dortige Verfolgung durch die Taliban den Beschwerdeführer hinreichend schützen können.
Dem Beschwerdeführer steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, da die Taliban in ganz Afghanistan ein Netzwerk an Spitzeln und Nachrichtendiensten haben, wie aus den Länderfeststellungen hervorgeht.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen.
Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Insbesondere wurde auch mit den Ausführungen in den Stellungnahmen des Beschwerdeführers den verwendeten Berichten nicht substantiiert entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu A) Stattgabe der - zulässigen - Beschwerde:
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines erörtert - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).
Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur Genfer Flüchtlingskonvention judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.11.2007, 2006/19/0341, mwN)
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
3.1.2. Aufgrund der oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellten Erwägungen (vgl. 2.2.) ist es dem Beschwerdeführer gelungen, glaubhaft zu machen, dass der behauptete Sachverhalt verwirklicht worden ist. Der Beschwerdeführer hat damit eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe aufgezeigt:
Im vorliegenden Fall muss davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer nach entsprechenden Anwerbungsversuchen und Drohungen durch die Taliban und somit Verfolgungshandlungen erheblicher Intensität im Sinne der unter 3.1.1. genannten Judikatur zu befürchten hätte.
Mangels Vorliegen anderer Anhaltspunkte ist unter Zugrundlegung des glaubhaft gemachten Sachverhaltes anzunehmen, dass die Gefahr der Verfolgung und erheblicher Eingriffe durch die Verfolger dem Beschwerdeführer aktuell weiterhin droht.
Dieser Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Beschwerdeführers knüpft an den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Grund der politischen Gesinnung an: Für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung reicht es, dass eine feindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (zB VwGH 24.03.2011, 2008/23/1443).
Es ist nach Lage des Falles davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer, weil er sich weigerte mit den Taliban zusammenzuarbeiten, von den Taliban eine feindliche politische Haltung (zumindest) unterstellt wird, und sind somit die fluchtauslösenden Ereignisse in Afghanistan damit als eine individuell gegen die Person des Beschwerdeführers aus Gründen der politischen Überzeugung gerichtete Verfolgung zu werten.
Im gegenständlichen Fall geht die Unterstellung einer bestimmten politischen Gesinnung zwar nicht vom Staat aus, doch wäre eine solche Unterstellung seitens der Taliban, nämlich auf der Seite ihrer politischen Gegner zu stehen und sich damit gegen ihre Interessen zu stellen, ebenfalls von Bedeutung (vgl. dazu die Algerien betreffenden Erkenntnisse des VwGH vom 16.07.2003, 2000/01/0518; 22.08.2006, 2005/01/0728). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil auf Grund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256, VwGH 14.05.2002, 2001/01/0140; siehe weiters VwGH 24.05.2005, 2004/01/0576, VwGH 26.02.2002, 99/20/0509).
Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Berichtslage zur Aktivität der Taliban und mit Blick auf die dem Beschwerdeführer bereits widerfahrene Bedrohung durch Taliban ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer aufgrund der durch seine Tätigkeit für die Polizei sowie seiner Flucht, die seine Weigerung für die Taliban zu arbeiten zum Ausdruck bringt, und daraus resultierenden (unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung bei einer Rückkehr Bedrohung und Verfolgung erheblicher Intensität durch Taliban zu gewärtigen hätte.
Es ist auch nach Lage des Falles davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer - in seiner Heimatprovinz Kapisa - der erheblichen Gefahr ausgesetzt war und ist, von den Taliban verfolgt zu werden.
Aus diesen Umständen ergeben sich gewichtige und konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer aktuellen, ausreichend wahrscheinlichen Verfolgung des Beschwerdeführers von Seiten der Taliban.
Die Prüfung, ob es dem Beschwerdeführer möglich wäre, angesichts der im konkreten Fall zu befürchtenden Eingriffe, die eine Verfolgung von privater Seite darstellt, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen bzw. ob der Eintritt des zu befürchtenden Risikos - trotz Bestehens von Schutzmechanismen im Herkunftsstaat - wahrscheinlich ist, ergibt im konkreten Fall, dass eine solche Wahrscheinlichkeit zu bejahen ist. Die Inanspruchnahme des Schutzes durch den afghanischen Staat vor dieser Bedrohung durch die Taliban ist angesichts der ineffizienten Schutzmechanismen des afghanischen Staates (kein funktionierender Polizei- oder Justizapparat; im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber bestehen keine effektiven Mechanismen zur Verhinderung der dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgung) sowie der instabilen Sicherheitslage und der hohen Talibanpräsenz in Kapisa aber nur theoretischer Natur. Es kann vor diesem Hintergrund nicht davon gesprochen werden, dass der afghanische Staat derzeit in der Lage wäre, dem Beschwerdeführer, der ins Visier der Taliban geraten ist und aktuell einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre, effektiven Schutz zu gewähren.
Fallbezogen ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer angesichts des ihn betreffenden speziellen Verfolgungsrisikos keinen ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.
Die Möglichkeit, sich der Bedrohung durch die Taliban durch Ausweichen in eine andere Region Afghanistans zu entziehen, besteht für den Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall ebenfalls nicht, da aufgrund des Umstandes, dass die Taliban laut den zitierten Länderinformationen auch in anderen Provinzen Afghanistans über entsprechende Netzwerke verfügen nicht angenommen werden kann.
3.1.3. Zusammenfassend ist auszuführen, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund von (unterstellter) politischer Gesinnung von den Taliban verfolgt und getötet zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.
Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.1.4. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 10.07.2015 und damit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde; die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 finden daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. im vorliegenden Fall keine Anwendung.
3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist - soweit diese nicht unvertretbar ist - nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN).
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Polizist, Schutzunfähigkeit,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W260.2165535.1.00Zuletzt aktualisiert am
30.03.2020