Entscheidungsdatum
03.01.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W274 2196667-1/13E
Gekürzte Ausfertigung gemäß § 29 Abs 5 VwGVG
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , iranischer Staatsbürger, XXXX , vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Steinergasse 3/12, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol vom 23.4.2018, Zl. 15-1092324607, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gem. § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Revision ist gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Der BF beantragte am 26.10.2015 vor dem Stadtpolizeikommando Linz, PAZ, internationalen Schutz, mit der Begründung, er sei Atheist und habe deswegen in Persien Probleme
bekommen. Er habe mit einigen anderen Atheisten über das Thema Religion gesprochen.
Einige Zeit später seien diese festgenommen worden. Er habe dann erfahren, dass er auch
verfolgt werde. Am 12.02.2018 wiederholte der BF im Wesentlichen diesen Fluchtgrund vor dem BFA, führte dazu näher aus und gab an, etwa drei Monate nach Beginn seines Aufenthalts in Österreich durch XXXX in Kontakt mit dem Christentum gekommen zu sein. Er sei jetzt Christ (Protestant).
Mit dem angefochtenen Bescheid wurden die Anträge hinsichtlich Asyl- und Subsidiärschutz
abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine
Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in den Iran nicht
zulässig sei. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der behauptete Fluchtgrund sei
nicht glaubhaft, ebensowenig eine innere Konversion.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde wegen "Inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften" mit dem primären Antrag, dem BF Asyl
zuzusprechen. Sowohl mit der Beschwerde als auch in der heutigen Verhandlung und mit
weiteren Eingaben wurden Urkunden, insbesondere eine Taufurkunde, vorgelegt.
Auf Grund des Akteninhalts im Zusammenhalt mit den Ergebnissen der mündlichen
Verhandlung vom 16.12.2019 (Vernehmung des BF als Partei sowie XXXX
als Zeugin) steht folgender Sachverhalt fest:
Der BF wurde am XXXX in eine Bachtiari-Familie in Izeh, Khuzestan, geboren. Er wurde
schiitisch-muslimisch erzogen und hat sechs Brüder und drei Schwestern, die alle im Iran
leben. Der Vater ist zwischenzeitig verstorben. Der BF begann Ende 2014 ein Studium im
Gesundheitsbereich in Izeh und half im Bazargeschäft seines Vaters mit.
Nicht festgestellt werden konnte, dass er in Bezug auf eine Weigerung, an einer religiösen
Lehrveranstaltung teilzunehmen, an der Universität auffällig und in Folge dessen von einem
befreundeten Uniprofessor gewarnt wurde sowie, dass er durch Kontrollorgane gesucht
wurde. Diese hätten schon zwei Studenten verhaftet. Nicht festgestellt werden konnte, dass
der BF dies zum Anlass für eine Flucht nahm und in der Folge mehrfach bei seinen Eltern
nach ihm gesucht wurde.
Der BF reiste mit der großen Flüchtlingswelle etwa im Oktober 2015 über die "Balkanroute"
ohne gültige Reisepapiere nach Österreich und nahm zuerst in einer Einrichtung des BM.I in
Linz von 30.10.2015 - 09.11.2015 Aufenthalt. Von 11.11.2015 - 08.09.2016 war er in
Neustift im Mühlkreis, vom 08.09.2016 - 14.06.2017 in Oberkappl und von 14.06.2017 bis
laufend in Innsbruck, wobei er vom 14.08.2017 - 29.04.2019 im Priesterhaus der
barmherzigen Schwestern wohnte und seit 29.04.2019 im Wesentlichen bei XXXX
XXXX . Auch im August 2017 wohnte er kurz bei dieser.
Durch einen Übersetzer im Flüchtlingsheim, XXXX , wurde der BF zunächst zur
katholischen Kirche in Oberkappl eingeladen. Er kam dort in Kontakt mit Pfarrer XXXX
XXXX . Er führte mit diesem Glaubensgespräche und kam regelmäßig zum
Gottesdienst. In Innsbruck lernte der BF den Sohn von XXXX , einen Arzt,
kennen, der eine Wohnmöglichkeit für ihn bei seiner Mutter im Gästezimmer vermittelte. In
weiterer Folge kam er zu einer längeren Wohnmöglichkeit im Priesterhaus der katholischen
barmherzigen Schwestern in Tirol, in Innsbruck. Er half dort unter anderem im Garten und
im Cafe des Pflegeheimes und besuchte täglich die Messen. Über die familiäre Aufnahme bei
Familie XXXX, die in einer evangelischen Pfarre in Innsbruck aktiv ist, kam er in
Kontakt mit dieser. Er bat im Sommer 2017 dort um die Taufe und wurde nach einjähriger
Vorbereitungszeit, insbesondere in einem Taufkurs in Jenbach und sodann in Innsbruck, am
08.07.2018 in der Christuskirche Innsbruck mit dem Taufnamen XXXX getauft.
Glaubhaft ist, dass der BF derartig innerlich den christlichen Glauben angenommen hat, dass
er das Bedürfnis hätte, diesen auch unter geänderten Verhältnissen, wie einer Rückkehr in
den Iran, innerlich und äußerlich auszuleben.
Die wesentlichen biographischen Feststellungen gründen auf den diesbezüglich glaubhaften
Angaben des BF.
Die Unglaubhaftigkeit der Fluchtgeschichte folgt der mangelnden
Plausibilität der Geschichte im Zusammenhalt mit mehreren Widersprüchen bzw.
unterschiedlich geschilderten Details. Wesentlich war dabei insbesondere der Umstand, dass
der BF noch in der Erstanhörung die anderen Festgenommenen gekannt haben will,
wohingegen er das vor Gericht verneinte. Er schilderte sowohl vor dem BFA als auch vor
Gericht ohne taugliche Erklärung eine unterschiedliche Anzahl von "Besuchen" der Behörde
zuhause. Es gelang dem BF auch nicht, ein plausibles Bild von jenem "Professor" zu zeichnen,
der ihn vor der Verfolgung warnte und mit dem er laut Protokoll vor dem BFA schon vier
Jahre befreundet gewesen sein soll. Vor Gericht gab er an, dieser sei seit eineinhalb Jahren
sein Kunde gewesen.
Der BF gab unumwunden bereits vor dem BFA an, erst in Österreich mit dem christlichen
Glauben in Berührung gekommen zu sein. Nach den im Akt liegenden Bescheinigungen
dauert seine "Glaubensgeschichte" in Österreich etwa dreieinhalb Jahre. Im Akt erliegen
mehrere sehr individuell abgefasste Schreiben von Priestern bzw. dem evangelischen
Pfarrer, die die Glaubensentwicklung des BF im Zeitraum der jeweiligen Begleitung des BF
nachvollziehbar darstellen. Bereits Pfarrer XXXX bescheinigte im
Mai 2018 dem BF eine besondere Glaubensneugierde. Im Gegensatz zur Zeit der Befragung
vor dem BFA verfügt der BF erkennbar mittlerweile über Glaubenswissen. Er hat sehr
lebendig und nicht eingelernt wirkend einerseits eine ihm wichtige Bibelstelle geschildert
und auch dargestellt, weshalb ihm das Vater Unser so wichtig ist. Der scheinbare
Widerspruch einer "Doppelkarriere" bei katholischer und evangelischer Kirche ist insofern
aufgelöst, als er in einem katholischen Kloster länger wohnte, aber über seine ihn
unterstützende Familie zu deren evangelischer Kirche tendierte. Der BF konnte aus seiner
Sicht auch schlüssige Gründe angeben, weshalb er diese der katholischen Kirche vorzieht.
Der Glaube bzw. das Interesse am christlichen Glauben scheint gegenüber der Konfession
aber im Mittelpunkt zu stehen. Die Zeugin XXXX , pensionierte
Volksschuldirektorin, stellte die jahrelange Nahebeziehung zum BF glaubwürdig dar und war
für das Gericht auch als Zeugin seiner Konversion glaubwürdig.
Der den BF begleitende Pfarrer XXXX wurde als Zeuge beantragt und ist nach Wien gereist. Letztendlich konnte aber auf seine Vernehmung auf Grund hinreichender Glaubhaftigkeit der Konversion im bisherigen Beweisverfahren verzichtet werden. Der BF ist unbescholten und es sind keine Umstände hervorgekommen, die mit einer Konversion im auffallenden Widerspruch stehen. Der BF hat sich, bezeugt von der heutigen Zeugin, aber auch bescheinigt in mehreren Schreiben, mehrfach und langdauernd ehrenamtlich engagiert. Dabei helfen ihm seine auch in der Verhandlung gezeigten, relativ guten Deutschkenntnisse (B1-Zertifikat im Jahr 2018).
Vor dem Hintergrund des LIB Iran 2019 im Zusammenhalt mit der Rechtsprechung zur
Konversion ist von einem Nachfluchtgrund der inneren Konversion jedenfalls zum
gegenwärtigen Zeitpunkt, auszugeben, weshalb der Beschwerde im Ergebnis Erfolg
zukommt.
Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass zur inneren
Konversion insbesondere im Zusammenhang mit Iran gesicherte Rechtsprechung vorliegt und im Wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen waren.
Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Flüchtlingseigenschaft, gekürzteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2196667.1.00Zuletzt aktualisiert am
30.03.2020