Entscheidungsdatum
23.01.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W212 1264175-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Farhad PAYA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.09.2019, Zl. 13-742219703/190747302, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Indiens, stellte am 29.10.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Dieser Antrag wurde abgewiesen und eine Ausweisung in den Herkunftsstaat Indien erlassen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
2. Am 05.05.2008 hat sich der Beschwerdeführer bei der indischen Botschaft in Wien einen Reisepass ausstellen lassen.
3. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 10.06.2011, GZ C16 264.175-0/2008/7E wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
4. Der Beschwerdeführer ist der Ausreiseverpflichtung in weiterer Folge nicht nachgekommen.
5. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde bei der Botschaft des Herkunftsstaats beantragt, blieb jedoch erfolglos.
6. Vom 13.05.2014 bis zum 12.05.2015 war der Beschwerdeführer in Österreich geduldet.
7. Am 19.08.2015 erhielt der Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.
8. Am 31.05.2016 gab der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Einvernahme zu seinem Verlängerungsantrag gemäß § 59 AsylG 2005 an, dass er keinen Reisepass besitze. Die Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurde in weiterer Folge bis zum 11.05.2017 gewährt.
9. Am 03.04.2017 wurde dem Beschwerdeführer von der indischen Botschaft in Wien ein Reisepass ausgestellt.
10. Am 10.05.2017 wurde der Beschwerdeführer zur Einvernahme vor das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) zu seinem Verlängerungsantrag gemäß § 59 AsylG 2005 geladen und ihm aufgetragen, einen Reisepass vorzulegen. Dieser Aufforderung ist der Beschwerdeführer nicht nachgekommen. Abermals wurde ihm eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 erteilt.
11. Am 21.03.2018 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Verlängerungsantrag gemäß § 59 AsylG 2005. Im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er gesund sei, er Österreich seit seiner Einreise im Jahr 2004 nicht verlassen habe. In Österreich habe er keine Familienangehörigen, seine Ehefrau und zwei Kinder seien in Indien. Der Beschwerdeführer gehe einer Beschäftigung als Reinigungskraft nach und bestreite seinen Lebensunterhalt selbst. Er habe eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgeschlossen und habe in der Kirche einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer neben einem Unterstützungsschreiben und seinem Versicherungsdatenauszug auch seinen indischen Reisepass, ausgestellt in Wien am 03.04.2017 vor. Aus einer Eintragung im sichergestellten Reisepass ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer bereits am 05.05.2008 in Wien von der indischen Botschaft ein Reisepass ausgestellt wurde und dieser im Zuge der Neuausstellung an die indische Botschaft retourniert wurde. Der am 03.04.2017 im Wien ausgestellte indische Reisepass mit Gültigkeit bis 02.04.2027 wurde vom Bundesamt sichergestellt.
12. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.09.2019 wies das Bundesamt den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei (Spruchpunkte II. und III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Duldung nicht vorliegen bzw. auch niemals vorgelegen haben. Der Beschwerdeführer sei seit 05.05.2008 im Besitz eines indischen Reisepasses und habe er sich am 03.04.2017 erneut einen solchen ausstellen lassen. Eine Abschiebung nach Indien sei daher nicht unmöglich. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.
5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass der Beschwerdeführer seit seiner Einreise am 28.10.2004, sohin seit fast 15 Jahren in Österreich aufhältig sei. Seit der rechtskräftigen Entscheidung des Asylgerichtshofes am 15.06.2011 sei es den zuständigen Behörden nicht gelungen die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei der indischen Botschaft zu erwirken. Daher sei eine am 13.05.2014 vom Bundesamt eine Duldung des Beschwerdeführers ausgesprochen worden, welche jährlich verlängert worden sei. Selbst wenn die Duldung des Beschwerdeführers nicht länger vorliegend sei, sei aufgrund der Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung ein Aufenthaltstitel aus den Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen. Bei einem mehr als 10jährigen Aufenthalt des Fremden sei regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen des Fremden auszugehen, außer er sei weder sozial noch beruflich integriert. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers sei zudem während des Asylverfahrens in der Dauer von 7 Jahren vorübergehend rechtmäßig gewesen und in weiterer Folge seit seiner Duldung im Jahr 2015 aufgrund der rechtzeitigen Antragsverlängerung bis dato rechtmäßig. Insgesamt halte sich der Beschwerdeführer insgesamt zumindest fast 11 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet. Auch gebe es keine zwingenden Gründe die für den Grundrechtseingriff sprechen und reicht das öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenpolizeilicher und einwanderungsrechtlicher Vorschriften nicht aus. Der Beschwerdeführer sei zudem unbescholten und habe er immer über eine ortsübliche Unterkunft verfügt. Er habe sich überdies gute Kenntnisse der Deutschen Sprache angeeignet. Der Beschwerdeführer habe bereits am 13.12.2013 die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 absolviert und stehe die Prüfung auf dem Niveau B1 in absehbarer Zukunft an. Der Beschwerdeführer identifiziere sich zudem mit den demokratischen Werten bzw. der österreichischen Rechtsordnung. Er habe einen entsprechenden Freundes- und Bekanntenkreis und werde dazu auf das vorliegende Empfehlungsschreiben verwiesen. Der Beschwerdeführer interessiere sich zudem für den christlichen Glauben und nehme an Bibelkursen teil. Insbesondere sei die berufliche Integration des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, der seit dem Jahr 2012 verschiedenen Beschäftigungen nachging. Er sei zudem sorgepflichtig und erwirtschafte durch seine Einkünfte in Österreich den Unterhalt seiner Ehefrau und seiner 15 und 20 Jahre alten Kinder in Indien.
Der Beschwerdeführer beantragte schließlich die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz bzw. Aufenthaltsberechtigung plus und begehrte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der männliche Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , und ist am XXXX geboren (AS 167). Er ist indischer Staatsangehöriger und spricht Hindi als Muttersprache (AS 270).
Der Beschwerdeführer wurde in Indien geboren und ist dort aufgewachsen und hat dort bis zu seiner Ausreise im Alter von 39 Jahren gelebt.
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 15 und 20 Jahren. Die Ehefrau und Kinder des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Indien (AS 172 f).
Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund (AS 172).
Der Beschwerdeführer kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen (AS 173).
1.2. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der Beschwerdeführer hält sich zumindest seit seiner unbegründeten Asylantragstellung am 29.10.2004 durchgehend in Österreich auf (AS 200; AS 262).
Der Beschwerdeführer war in Österreich von 29.10.2004 bis 15.06.2011 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.
Der Beschwerdeführer verlieb nach Rechtskraft seiner Ausweisung nach Indien am 15.06.2011 unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet und kam seiner Rückkehrverpflichtung nicht nach (AS 172).
Der Beschwerdeführer verfügte zum Zeitpunkt der Rechtskraft über einen gültigen indischen Reisepass, der ihm am 05.05.2008, während des zu diesem Zeitpunkt noch anhängigen Asylverfahrens, von der indischen Botschaft in Wien ausgestellt wurde (AS 167 ff). Der Beschwerdeführer legte diesen Reisepass dem Bundesamt nicht vor.
Nach Rechtskraft der Ausweisung beantragte die Behörde mehrmals erfolglos ein Heimreisezertifikat bei der indischen Botschaft (AS 200; AS 263).
Am 13.05.2014 wurde dem Beschwerdeführer erstmals eine Duldungskarte aufgrund der fälschlichen Annahme, dass der Abschiebung tatsächliche vom Beschwerdeführer nicht zu vertretende Gründe entgegenstehen, erteilt. Auch zu diesem Zeitpunkt verfügte der Beschwerdeführer über einen gültigen indischen Reisepass, ausgestellt von der indischen Botschaft in Wien am 05.05.2008, welchen er dem Bundesamt verschwieg. In weiterer Folge wurde diese Duldung aufgrund der jeweils rechtszeitig eingebrachten Verlängerungsanträge jährlich zuletzt bis zum 11.05.2018 erteilt. Dabei wurde der vorhandene indische Reisepass vom Beschwerdeführer der Behörde verschwiegen und entgegen seiner Mitwirkungsverpflichtung nicht vorgelegt.
Am 21.03.2018 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Verlängerungsantrag (AS 1; AS 201; AS 263). Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer erstmals seinen gültigen indischen Reisepass, ausgestellt von der indischen Botschaft in Wien am 03.04.2017 vor (AS 172, AS 167-169).
Der Beschwerdeführer hat die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 am 13.12.2013 bestanden (AS 115). Der Beschwerdeführer lernt gemeinsam mit einem Bekannten Deutsch für die Prüfung auf dem Niveau B1 (AS 173).
Der Beschwerdeführer ist seit dem 01.01.2012 berufstätig und arbeitet seit Dezember 2017 als Reinigungskraft, er bezieht seit Abschluss seines Asylverfahrens keine staatlichen Unterstützungsleistungen (AS 157 ff; AS 173; AS 270).
Seit einigen Monaten kennt der Beschwerdeführer einen Österreicher, der Bibelkurse organisiert, an denen er einige Male teilgenommen hat (AS 155; AS 270). Der Beschwerdeführer wird von diesem Bekannten aufgrund seiner freundlichen und aufgeschlossenen Art geschätzt (AS 155).
Der Beschwerdeführer verfügt jedoch weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (AS 9-11).
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Indien:
KI vom 9.8.2019, Aufhebung Sonderstatus für Jammu und Kaschmir (Relevant für Abschnitt 2./Politische Lage und Abschnitt 3.1./Regionale Problemzone Jammu und Kaschmir).
Indien hat am 5.8.2019 den in der Verfassung festgelegten Sonderstatus (ZO 6.8.2019) der mehrheitlich muslimischen Region (FAZ 6.8.2019) des indischen Teils von Kaschmir per Dekret beendet (ZO 6.8.2019). Unmittelbar darauf hat das Parlament in Delhi die Aufhebung jenes Artikels 370 der indischen Verfassung beschlossen (FAZ 7.8.2019), welcher Jammu und Kaschmir einen Sonderstatus einräumt und vorgeschlagen, den Staat in zwei Unionsterritorien, nämlich Jammu und Kaschmir sowie Ladakh aufzuteilen (IT 6.8.2019).
Der Artikel 370 gewährt der Region eine gewisse Autonomie, wie eine eigene Verfassung, eine eigene Flagge und die Freiheit, Gesetze (BBC 6.8.2019) mit Ausnahme zu Belangen der Außen- wie auch der Verteidigungspolitik (DS 7.8.2019) zu erlassen. Dies stellte einen Kompromiss zwischen der zu großen Teilen muslimischen Bevölkerung und der hinduistischen Führung in Neu-Delhi dar (ARTE 7.8.2019).
Neben dem Artikel 370 wurde auch der Artikel 35A aufgehoben, welcher dem lokalen Parlament erlaubte festzulegen, wer Bürger des Teilstaats ist und wer dort Land besitzen und Regierungsämter ausüben kann (NZZ 5.8.2019).
Die auch in Indien umstrittene Aufhebung der Autonomierechte befeuert die Spannungen in der Region. Kritiker befürchten, dass die hindu-nationalistische Ministerpräsident Narendra Modi und seine Regierung eine "Hinduisierung" des Gebiets anstreben (TNYT 6.8.2019).
Damit Unruhen verhindert werden, haben die indischen Behörden sämtliche Kommunikationskanäle unterbrochen, zusätzlich 10.000 Soldaten (SO 4.8.2019) in die hoch militarisierte Region entsendet (ARTE 7.8.2019) und führende Regionalpolitiker wurden unter Hausarrest gestellt (FAZ 7.8.2019), Medienberichten zufolge wurden bei Razzien im Bundesstaat Jammu und Kashmir mittlerweile mehr als 500 Personen festgenommen (HP 8.8.2019).
Pakistan, das ebenfalls Anspruch auf die gesamte Region erhebt (ORF 5.8.2019), verurteilt den Schritt als illegal und richtet durch das pakistanische Militär eine klare Drohung an Indien und kündigt an, den UN-Sicherheitsrat anzurufen (ZO 6.8.2019). Der pakistanische Regierungschef Khan warnt vor den verheerenden Folgen, die eine militärische Auseinandersetzung haben könnte (FAZ 7.8.2019).
Kritik an dem Schritt der indischen Regierung kommt auch aus Peking (FAZ 6.8.2019). Chinas Außenminister Hua Chunying hat den Schritt Indiens zur Abschaffung des Sonderstatus Kaschmirs als "nicht akzeptabel" und "nicht bindend" bezeichnet (SCMP 7.8.2019).
Es gibt vereinzelte Berichte über kleinere Aktionen des Wiederstandes gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte, welche jedoch offiziell nicht bestätigt worden sind (BBC 7.8.2019).
Anmerkung:
Zuletzt drohte die Situation im Februar 2019 zu eskalieren, nachdem bei einem Selbstmordanschlag dutzende Polizisten in der Region und Hindu-Nationalisten die Bewohner Kaschmirs für das Attentat verantwortlich gemacht haben (ARTE 7.8.2019).
Die Krise zwischen Indien und Pakistan spitzte sich daraufhin derart zu, dass es zu gegenseitigen Luftschlägen gekommen war [siehe KI vom 20.2.2019].
KI vom 27.5.2019, Wahlergebnis Lok Sabha, Wahl zum Unterhaus vom 11.4.2019 bis 19.5.2019 (Relevant für Abschnitt 2.Politische Lage).
Indiens Regierungspartei BJP (Bharatiya Janata Party) von Premierminister Narendra Modi hat die Parlamentswahl in der bevölkerungsreichsten Demokratie der Welt deutlich gewonnen. Die Hindu-Nationalisten erreichten eine absolute Mehrheit der 545 Sitze im Unterhaus (SZ 23.5.2019), wie in der Nacht zum Freitag, aus der Auszählung der abgegebenen Stimmen, durch die Wahlkommission, hervorging. Staatspräsident Ram Nath Kovind wird somit aller Voraussicht nach Premierminister Modi erneut für eine zweite fünfjährige Amtszeit zum Regierungschef ernennen (ZO 24.5.2019), in welcher dieser Indien mit einer neuen, größeren parlamentarischen Mehrheit regieren wird (IT 24.5.2019), Dieses Ergebnis stellt die deutlichste Wiederwahl einer indischen Regierungspartei seit 1971 dar (SZ 23.5.2019).
Mehr als 8.000 Kandidaten traten zur Wahl an, die in sieben Phasen über knapp sechs Wochen, in der Zeit vom 11. April bis zum 19. Mai, durchgeführt wurde (SZ 23.5.2019). Rund zwei Drittel der rund 900 Millionen wahlberechtigten Einwohner Indiens gaben ihre Stimmen ab (IT 24.5.2019), was einer Wahlbeteiligung von 67 Prozent entspricht (SZ 23.5.2019). Dabei siegte die BJP in insgesamt 303 Wahlkreisen (ECI 24.5.2019; vgl. BBC 24.5.2019).
Oppositionsführer Rahul Gandhi, Chef der zuvor jahrzehntelang regierenden Kongresspartei hat die Niederlage akzeptiert und gratulierte Modi zu dessen Sieg (ZO 24.5.2019; vgl. BBC 23.5.2019). Die Kongresspartei bleibt zweitstärkste Kraft im Parlament (ZO 24.5.2019). Sie verbessert sich voraussichtlich geringfügig im Vergleich zu ihrem bislang schlechtesten Wahlergebnis vor fünf Jahren (AJ 24.5.2019).
Modis populistische Politik spaltet das Land. In seiner Amtszeit kam es häufig zu Gewalt von Hindus gegen Muslime und andere Minderheiten. Außerdem wird Modis Wirtschaftspolitik kritisiert (ZO 24.5.2019). Er betonte im Wahlkampf die nationale Sicherheit und stellte sich als Beschützer des südasiatischen Landes - vor allem gegen den Erzfeind Pakistan - dar. Kurz vor der Wahl war es beinahe zu einem Krieg der nuklear bewaffneten Nachbarn gekommen (SZ 23.5.2019).
Nach Angaben des indischen Außenministeriums gratulierten bereits einige Staats- und Regierungschefs Modi zu seinem Wahlsieg, darunter der russische Präsident Wladimir Putin, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und der pakistanische Premier Imran Khan - noch bevor das Wahlergebnis offiziell war (ZO 24.5.2019).
Premierminister Narendra Modi führt seit dem 25.9.2019 Gespräche zur Bildung eines neuen Kabinetts (REUTERS 24.5.2019).
KI vom 6.3.2019, aktuelle Ereignisse im Kaschmir-Konflikt (relevant für Abschnitt 3.1./regionale Problemzone Jammu und Kaschmir).
Indien ist am 26.2.2019 zum ersten Mal seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum eingedrungen und flog als Vergeltung für den Selbstmordanschlag vom 14.2.2019 [Anm.: vgl. dazu KI im LIB Indien vom 20.2.2019] einen Angriff auf ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad außerhalb der Stadt Balakot (Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Pakistan). Dies liegt außerhalb der umkämpften Region Kaschmir (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019b, WP 26.2.2019). Indien ist überzeugt davon, dass der Selbstmordanschlag vom 14. Feber von Pakistan aus geplant und unterstützt wurde (NZZ 26.2.2019).
Über die Auswirkungen des Bombardementsgehen die Angaben auseinander: Während indische Behörden darüber berichten, dass fast 200 (CNN News 18 26.2.2019) Terroristen, Ausbilder, Kommandeure und Dschihadisten getötet und das Lager komplett zerstört wurden, bestätigt das pakistanische Militär zwar den Luftangriff (DW 26.2.2019), verlautbart jedoch, dass sich die indischen Flugzeuge ihrer Bombenlast nahe Balakot hastig im Notwurf entledigt hätten, um sofort aufgestiegenen pakistanischen Kampfjets zu entkommen. Nach pakistanischen Angaben gibt es weder eine große Anzahl an Opfern (Dawn 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019a), noch wäre Infrastruktur getroffen worden (DW 26.2.2019).
Beobachter zeigten sich skeptisch, dass bei diesem Militärschlag tatsächlich eine große Anzahl an Terroristen an einem Ort getroffen worden sein könnte. Anwohner des Ortes Balakot berichteten der Nachrichtenagentur Reuters, sie seien am frühen Morgen durch laute Explosionen aufgeschreckt worden. Sie sagten, dass nur ein Mensch verletzt und niemand getötet worden sei. Außerdem erklärten sie, dass es in der Vergangenheit tatsächlich ein Terrorlager in dem Gebiet gegeben habe. Dieses sei aber mittlerweile in eine Koranschule umgewandelt worden (FAZ 26.2.2019b).
Die pakistanischen Streitkräfte haben am 27.2.2019 eigenen Angaben zufolge zwei indische Kampfflugzeuge über Pakistan abgeschossen und bestätigten die Festnahme eines Piloten. Ein Sprecher der indische Regierung bestätige den Abschuss einer MiG-21 (Standard 27.2.2019). Der indische Pilot wurde den indischen Behörden am 1.3.2019 am Grenzübergang Wagah übergeben. Der pakistanische Ministerpräsident Imran Khan bezeichnete die Freilassung als eine "Geste des Friedens" (Zeit 1.3.2019).
Pakistan hat am 27.2.2019 seinen Luftraum vollständig gesperrt (Flightradar24 27.2.2019) und am 1.3.2019 für Flüge von/nach Karatschi, Islamabad, Peschawar und Quetta (am 2.3. auch Lahore) wieder geöffnet (Flightradar24 27.2./1.3./2.3.2019; vgl. AAN 1.3.2019). Der komplette Luftraum wurde - mit Einschränkungen - am 4.3. freigegeben (Dawn 6.3.2019; vgl. Dawn 4.3.2019b).
Am 2.3.2019 wurde gemeldet, dass bei Feuergefechten im Grenzgebiet von Kaschmir mindestens sieben Menschen getötet und zehn weitere verletzt worden waren. Gemäß indischen Medienberichten seien im indischen Teil der Konfliktregion eine 24 Jahre alte Frau und ihre beiden Kinder durch Artilleriebeschuss ums Leben gekommen sowie acht weitere Personen verletzt worden. Nach Angaben der pakistanischen Sicherheitskräfte wurden im pakistanischen Teil Kaschmirs ein Bub und ein weiterer Zivilist sowie zwei Soldaten getötet und zwei weitere Menschen verletzt. Die Armeen der verfeindeten Nachbarn hatten seit 1.3.2019 immer wieder an verschiedenen Stellen über die de-facto-Grenze zwischen den von Pakistan und Indien kontrollierten Teilen Kaschmirs geschossen (Presse 2.3.2019). Am 3.3.2019 meldeten beide Seiten, dass die Lage entlang der "Line of Control" wieder relativ ruhig sei (Reuters 3.3.2019)
Der pakistanische Informationsminister bestätige am 3.3.2019, dass eine entscheidende Aktion gegen die extremistischen und militanten Organisationen Jaish-e-Mohammad (JeM) sowie Jamaatud Dawa (JuD) mit ihrem Wohltätigkeitsflügel Falah-i-Insaniat Foundation (FIF) unmittelbar bevorstehe. Dieses Vorgehen würde in Übereinkunft mit dem National Action Plan (NAP) stehen. Der Beschluss dazu sei bereits lange vor dem Anschlag auf indische Sicherheitskräfte am 14.2. gefallen und erst jetzt veröffentlicht worden. Die Entscheidung sei nicht auf Druck Indiens getroffen worden (Dawn 4.3.2019a).
KI vom 20.2.2019, Selbstmordanschlag auf indische Sicherheitskräfte Awantipora/Distrikt Pulwama/Kaschmir am 14.2.2019, Feuergefecht in Pinglan/Distrikt Pulwama/Kaschmir am 18.2.2019 (relevant für Abschnitt 3.1./regionale Problemzone Jammu und Kaschmir).
Bei einem Selbstmordanschlag (TOI 15.2.2019) auf indische Sicherheitskräfte im Gebiet von Goripora bei Awantipora im Distrikt Pulwama in Kaschmir wurden am 14.2.2019 mindestens 44 Menschen getötet. Dutzende wurden verletzt (IT 15.2.2019).
Wie durch die Polizei mitgeteilt wurde, explodierte ein mit etwa 350 Kilogramm Sprengstoff beladener Geländewagen auf einer Autobahn im Distrikt Pulwama (DS 14.2.2019). Ziel des Anschlags war ein Konvoi von 78 Bussen der paramilitärischen Polizeitruppe Central Police Reserve Force (CRPF), der auf der streng bewachten Verbindungsstraße zwischen den Städten Jammu und der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Jammu und Kaschmir Srinagar, unterwegs war (DW 14.2.2019). Die aus Pakistan stammende Terrorgruppe Jaish-e-Mohammed (JeM) reklamierte den Anschlag für sich (ANI 14.2.2019).
Die Gruppe, welche in Pakistan entstanden ist, verfügt dort über Rückzugsgebiete und nutzt Kaschmir als Arena für ihre Gewalttaten. Indien geht davon aus, dass die Terroristen von Kreisen innerhalb des pakistanischen Militärs unterstützt werden (SZ 15.2.2019).
Lokalen Beamten zufolge stellt der erfolgte Bombenanschlag den schlimmsten Anschlag in der umkämpften Region seit drei Jahrzehnten dar (TNYT 14.2.2019).
Indiens Premierminister Narendra Modi sprach auf Twitter von einem "niederträchtigen Angriff" und bezeichnete die Toten als "Märtyrer" und kündigte des Weiteren an, dass "Die Opfer, die unsere mutigen Sicherheitskräfte gebracht haben, [...] nicht vergeblich sein [werden]" (DS 14.2.2019). Während Pakistan Vorwürfe hinter dem Selbstmordanschlag zu stehen zurückweist, fordert die indische Regierung von Pakistan gegen die Gruppe vorzugehen (DS 15.2.2019).
Bei einer mit dem Bombenanschlag im Zusammenhang stehenden Aktion der indischen Sicherheitskräfte wurden am 18.2.2019 bei einem Feuergefecht zwischen Militanten und der indischen Armee in Pinglan im Distrikt Pulwama fünf Angehörige der indischen Sicherheitskräfte, drei Militante und ein Zivilist getötet. Mindestens sieben Sicherheitskräfte wurden verletzt. Nach Angaben der Polizei waren die getöteten Militanten Mitglieder der JeM, welche am Anschlag des 14.2.2019 im nahe gelegenen Awantipora beteiligt waren (TIT 18.2.2019).
Auf die Ankündigung des pakistanischen Premierministers Imran Khan, die Behauptungen Indiens zu untersuchen, und auf dessen Warnung, Pakistan würde Vergeltungsmaßnahmen gegen jede indische Militäraktion ergreifen (TNYT 19.2.2019), reagierte Indien in heftiger Form, indem es Islamabad als "das Nervenzentrum des Terrorismus" bezeichnete (TOI 19.2.2019). Die Spannungen zwischen Indien und Pakistan haben sich intensiviert; beide Länder haben ihre Botschafter zu Konsultationen zurückgerufen (TNYT 19.2.2019).
Anmerkung:
Auf einen Angriff auf einen Militärstützpunkt in Kaschmir, bei welchem 19 indischen Soldaten getötet wurden, reagierte Indien im September 2016 eigenen Angaben zufolge mit einem "chirurgischen Schlag" im pakistanischen Teil Kaschmirs. Auch damals machte Indien JeM für den Anschlag verantwortlich (DS 14.2.2019).
Kommentar:
Die Lage vor Ort wird weiterhin beobachtet und gegebenenfalls wird mit weiteren Kurzinformationen reagiert.
Politische Lage
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 23.1.2019; vgl. AA 18.9.2018). Die Zentralregierung hat im indischen Föderalsystem deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten. Indien verfügt über 29 Bundesstaaten und sechs Unionsterritorien (AA 11.2018a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 20.4.2018). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 11.2018a).
Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 18.9.2018), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 11.2018a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 18.9.2018). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 3.2018a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA 9.2018a). Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 11.2018a).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 18.9.2018).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 20.4.2018). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2017 ist Präsident Ram Nath Kovind indisches Staatsoberhaupt (AA 11.2018a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 3.2018a).
Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 18.9.2018). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 3.2018a; vgl. FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 18.9.2018). Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis "National Democratic Alliance" (NDA) mit der "Bharatiya Janata Party" (BJP) als stärkste Partei (282 Sitze) die Kongress-Partei an der Regierung ab (AA 18.9.2018). Die BJP holte sie nicht nur die absolute Mehrheit, sie ließ auch den bislang regierenden Indian National Congress (INC) weit hinter sich. Der INC kam nur noch auf 46 Sitze und erlitt die schlimmste Niederlage seit der Staatsgründung 1947. Wie es mit dem INC mit oder ohne die Familie Gandhi weitergeht, wird abzuwarten sein. Die Gewinne der Wahlen im Punjab, Goa und Manipur sowie das relativ gute Abschneiden in Gujarat sind jedenfalls Hoffnungsschimmer, dass die Zeit der Kongresspartei noch nicht vorbei ist (GIZ 13.2018a). Die Anti-Korruptionspartei (AAP), die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang 2014 landesweit nur vier Sitze (GIZ 3.2018; vgl. FAZ 16.5.2014). Der BJP-Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt und steht seither einem 26-köpfigen Kabinett (mit zusätzlichen 37 Staatsministern) vor (AA 18.9.2018).
In Indien wird im Zeitraum zwischen April und Mai 2019 wieder gewählt. Der genaue Zeitplan ist jedoch noch unklar. In den Umfragen liegt der hindu-nationalistische Premier Narendra Modi mit seiner BJP vorne (DS 1.1.2019).
Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 3.2018b).
Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktive Außenpolitik. Der außenpolitische Kernansatz der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" ergänzt. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Gestaltungsmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (AA 11.2018b). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 3.2018a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten "Neuen Seidenstraße" eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im "Regional Forum" (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (AA 11.2018b).
In den Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst. Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmir-Problem (AA 11.2018b).
Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 3.2018a).
Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 3.2018a).
Sicherheitslage
Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven, die sich oft in kommunal begrenzten Ausschreitungen entladen (GIZ 3.2018a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des "Islamischen Staates" (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017).
Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 3.2018a). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 18.9.2018).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 898 Todesopfer durch terrorismus-relevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 803 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 wurden 935 Menschen durch Terrorakte getötet. Bis zum 13.1.2019 wurden 12 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 13.1.2019).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2018).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 18.9.2018).
Pakistan und Indien
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 11.2018b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BBC 23.1.2018).
Nach dem friedlichen Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialherrschaft zeigte bereits die blutige Teilung Britisch-Indiens, die mit einer Massenflucht, schweren Gewaltausbrüchen und Pogromen einherging, wie schwierig es sein wird, die ethnisch, religiös, sprachlich und sozioökonomisch extrem heterogene Gesellschaft in einem Nationalstaat zusammenzuhalten. Die inter-religiöse Gewalt setzte sich auch nach der Teilung zwischen Indien und Pakistan fort (BPB 12.12.2017).
Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und ein terroristischer Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs im September 2016 hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Gemäß Regierungserklärung reagierte Indien auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. Immer wieder kommt es zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 11.2018b).
Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist 2016 zum Stillstand gekommen. Aktuell sind die Beziehungen auf sehr niedrigem Niveau stabil (AA 11.2018b).
Punjab
Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).
Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2018).
Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne des pakistanischen Geheimdienstes, Inter-Services-Intelligence (ISI) bekannt, welcher gemeinsam mit der in Indien verbotenen Sikh-Gruppierung Babbar Khalasa International (BKI) und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2018). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 20.4.2018; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2018).
Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2018).
Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar (USDOS 20.4.2018).
Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 10.2017).
In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 10.2017).
Rechtsschutz/Justizwesen
In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 18.9.2018). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 18.9.2018).
Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2018). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2018).
Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und verfügt nicht über moderne Systeme zur Fallbearbeitung. Der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums für 2015 bis 2016 ergab eine Vakanz von 43 Prozent der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 20.4.2018). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 18.9.2018).
Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2018). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 18.9.2018).
In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 18.9.2018).
Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. (AA 18.9.2018).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischen Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es gibt Fälle, in denen Häftlinge misshandelt werden. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80 Prozent aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des IKRK Internationales Komitee des Roten Kreuz) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 18.9.2018).
Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities (Prevention) Amendment Bill", und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 20.4.2018). Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 20.4.2018).
Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein.
Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 12.2018).
Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 27.1.2018).
Sicherheitsbehörden
Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 12.2018) und untersteht den Bundesstaaten (AA 18.9.2018). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 12.2018).
Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 12.2018). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt, was in einigen Fällen zu Korruption führt (USDOS 20.4.2018). Polizeireformen verzögerten sich 2017 erneut (HRW 18.1.2018).
Die Effektivität der Strafverfolgung und der Sicherheitskräfte ist im gesamten Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es einerseits Fälle von Polizisten/Beamten gibt, die auf allen Ebenen ungestraft handeln, so gab es andererseits auch Fälle, in denen Sicherheitsbeamte für ihre illegalen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden (USDOS 20.4.2018).
Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 12.2018). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 18.9.2018; vgl. BICC 12.2018). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 12.2018).
Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von "Recht und Ordnung" herangezogen (USDOS 20.4.2018). Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des "Disturbed Areas Act" zu "Unruhegebieten" erklären. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz für die Streitkräfte (AFSPA) wurde am 23.04.2018 für den Bundesstaat Meghalaya nach 27 Jahren aufgehoben und im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf 8 Polizeidistrikte beschränkt. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, und Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für Jammu und Kaschmir existiert eine eigene Fassung (AA 18.9.2018).
Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 18.9.2018). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als "Black Cat" bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Weiters zählen die Assam Rifles - zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) als Indo-Tibetische Grenzpolizei sowie die Küstenwache, die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe dazu (ÖB 12.2018). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 18.9.2018).
Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force)" unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 16.9.2018).
Das Gesetz erlaubt es den Behörden auch, Häftlinge bis zu 180 Tage lang ohne Anklage in Gerichtsgewahrsam zu nehmen (einschließlich der 30 Tage in Polizeigewahrsam). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 20.4.2018).
Folter und unmenschliche Behandlung
Indien hat im Jahr 1997 das VN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 18.9.2018). Es sind außerdem keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung eingeleitet worden (BICC 12.2018). Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung