TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/30 W215 2130159-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.01.2020
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Entscheidungsdatum

30.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W215 2130159-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Bundesrepublik Somalia, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend den am 22.05.2015, Zahl 1070441804-15054660, gestellten Antrag auf internationalen Schutz nach Durchführung mündlicher Verhandlungen zu Recht:

A)

I. Der Antrag von XXXX vom 22.05.2015 auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, abgewiesen.

II. Der Antrag von XXXX auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bundesrepublik Somalia gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird

XXXX gemäß § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, nicht erteilt. Gemäß

§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, in Verbindung mit

§ 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, wird gegen XXXX eine Rückkehrentscheidung gemäß

§ 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, wird festgestellt, dass die Abschiebung von XXXX gemäß § 46 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, in den Herkunftsstaat Bundesrepublik Somalia zulässig ist.

IV. Gemäß § 55 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise von XXXX 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz,

BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Antragsteller, dessen Identität nicht festgestellt werden kann, reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 22.05.2015 erfolgte die Erstbefragung des Antragstellers, in der dieser zusammengefasst ausführte, dass er aus der XXXX stamme, dem Clan der Asharaf angehöre und Moslem sei. Er sei ledig und habe vier Jahre die Grundschule und danach vier Jahre eine Hauptschule besucht. Sein Vater sei im Jahr 2009 verstorben, seine Mutter und fünf Brüder sowie zwei Schwestern würden weiterhin in der Bundesrepublik Somalia leben. Zu seinen Fluchtgründen führte der Antragsteller aus, dass Islamisten (al-Schabaab) seinen Vater getötet hätten und nun auch ihn umbringen wollen würden. Im Fall einer Rückkehr befürchte er getötet zu werden.

Am 02.05.2016 brachte der Vertreter des Antragstellers eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein.

2. Die Beschwerdevorlage vom 13.07.2016 langte am 28.07.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 17.11.2016 ersuchte der Vertreter des Antragstellers ausdrücklich darum, das Verfahren nicht zur niederschriftlichen Befragung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu schicken.

Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 22.08.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt, wobei sich das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Vorfeld für die Verhandlung entschuldigt hatte. Es erschien der Antragsteller mit seiner Vertreterin und machte auf Befragen Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen. Im Lauf der mündlichen Verhandlung ersuchte die Vertreterin des Antragstellers explizit darum, die Verhandlung zu vertagen und doch eine niederschriftliche Befragung beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Auftrag zu geben.

Die Verhandlung wurde daraufhin auf unbestimmte Zeit vertagt und das Bundesverwaltungsgericht beauftragte mit Schreiben vom selben Tag gemäß

§ 19 Abs. 6 AsylG das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit der niederschriftlichen Befragung des Antragstellers, längstens binnen acht Wochen nach Zustellung.

In der Folge wurde der Antragsteller am 01.10.2018 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt. Dabei führte er zu zusammengefasst aus, dass er dem Clan der Asharaf angehöre. Er sei in XXXX geboren und mit fünf Jahren gemeinsam mit seinem Onkel mütterlicherseits nach XXXX gegangen. Dort habe er von XXXX die Grundschule besucht. Im Jahr XXXX seien sie nach XXXX übersiedelt, wo er vier Jahre lang die Mittelschule besucht und danach vier Jahre eine höherbildende Schule besucht habe. Im Jahr XXXX habe er die Schule positiv abgeschlossen und noch bis Dezember 2013 bei seinem Onkel gelebt und in dessen XXXX mitgearbeitet. Danach sei er nach XXXX zu seiner Mutter gereist, wo sich auch zwei Schwestern und ein Bruder aufgehalten hätten. Dort sei er bis November 2014 geblieben und von seiner Familie versorgt worden, manchmal habe er auch im XXXX seines Bruders mitgearbeitet. Zu seinem Fluchtgrund führte der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass er ein Mädchen aus dem Clan der Majerten geschwängert habe und ihre Familie vorgehabt habe, ihn zu töten. Nachdem der Antragsteller weggelaufen sei, sei sein Onkel aus diesem Grund inhaftiert worden. Es sei auch gesagt worden, dass er so lange inhaftiert bleibe, bis der Antragsteller wieder auftauche. Des Weiteren sei sein Vater im Jahr 2009 ermordet worden und daraufhin habe sein Bruder denjenigen umgebracht, der seinen Vater getötet habe. Auch diese Familie suche nach ihm.

Am 15.02.2019 wurde eine neuerliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt, zu der der Antragsteller unentschuldigt nicht erschien.

Am 02.07.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht abermals eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, wobei diesmal der Antragsteller mit seiner Vertreterin erschien. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich im Vorfeld für die Verhandlung entschuldigt. Der Antragsteller machte auf Befragen Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und Fluchtgründen. In der Verhandlung wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan. Der Antragsteller verzichtete auf Einsichtnahme und Ausfolgung. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien vor Schluss der Verhandlung eine zweiwöchige Frist zur Abgabe von Stellungnahmen ein.

Eine Stellungnahme wurde innerhalb der Frist nicht eingebracht und langte auch bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die Identität des Antragstellers kann nicht festgestellt werden. Der Antragsteller ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Somalia, gehört dem moslemischem (sunnitischen) Glauben und dem Clan der Asharaf an. Er sprach bereits vor seiner Ausreise, neben seiner Muttersprache Somali, Englisch und Arabisch.

Der Antragsteller reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er in der Bundesrepublik Somalia ein Mädchen aus dem Clan der Majerte geschwängert hat und die Familie des Mädchens vorgehabt hätte, ihn zu töten. In diesem Zusammenhang hat der Antragsteller auch nicht glaubhaft gemacht, dass sein Onkel mütterlicherseits als "Druckmittel" inhaftiert worden sein sollte und so lange inhaftiert bleibe, bis der Antragsteller zurückkomme.

Ebenso hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass sein Vater im Jahr 2009 ermordet wurde, sein Bruder daraufhin denjenigen umgebracht habe, der seinen Vater getötet habe und nun auch diese Familie nach ihm suche und Blutrache an ihm üben wolle.

Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller in der Bundesrepublik Somalia physischer oder psychischer Gewalt durch al-Schabaab ausgesetzt war oder sein wird. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Antragsteller aus Gründen seiner Volksgruppen- bzw. Clanzugehörigkeit Übergriffen ausgesetzt war oder sein wird.

3. Der Antragsteller gibt an, ursprünglich aus XXXX , zu stammen aber bereits im Alter von fünf Jahren mit einem Onkel mütterlicherseits nach XXXX , übersiedelt zu sein, wo er von XXXX gelebt und die Grundschule besucht haben soll. Im Jahr XXXX soll der Antragsteller mit seinem Onkel nach XXXX , übersiedelt sein und dort für weitere acht Jahre bis XXXX die Schule besucht haben. Nach Abschluss der Schule soll der Antragsteller noch bis Dezember 2013 in XXXX bei seinem Onkel mütterlicherseits gelebt haben und im Dezember 2013 zu seiner Mutter und seinen Geschwistern nach XXXX zurückgekehrt sein und sich dort bis November 2014 aufgehalten haben.

Der Vater des Antragstellers ist im Jahr 2009 verstorben; es kann nicht festgestellt werden, dass er getötet wurde. Die Familie des Antragstellers (Onkel mütterlicherseits, Mutter und Geschwister) halten sich nach wie vor in der Bundesrepublik Somalia auf; es kann insbesondere nicht festgestellt werden, dass seine Mutter und sämtliche Geschwister zwischenzeitlich die Bundesrepublik Somalia verlassen hätten. Der Antragsteller lebte in der Bundesrepublik Somalia in guten wirtschaftlichen Verhältnissen, besuchte insgesamt zwölf Jahre die Schule und musste auch nach Abschluss der Schule nicht arbeiten, sondern wurde von seinem Onkel mütterlicherseits bzw. von seiner Mutter und seinen Geschwistern versorgt. Der Antragsteller arbeitete erst später im XXXX seines Onkels mit und half nach seiner Rückkehr nach XXXX gelegentlich im XXXX seines Bruders mit. Darüber hinaus vertrieb er sich die Zeit mit Fahrrad fahren oder ging in den umliegenden Plantagen spazieren. Die Kosten der Reise nach Österreich in Höhe von 3.900 USD wurden von der Familie des Antragstellers bezahlt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem gesunden Antragsteller in der Bundesrepublik Somalia ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit droht oder er Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation gerät. Der Antragsteller kann im Fall seiner Rückkehr mit der Unterstützung seiner Familie und von Clanangehörigen rechnen bzw. ist es ihm als gesunden Mann im arbeitsfähigen Alter möglich und zumutbar, im Fall einer Rückkehr seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er zu seinen Familienangehörigen keinen Kontakt hat und auch sonst zu niemandem in der Bundesrepublik Somalia mehr Kontakt hat. Er verfügt laut eigenen Angaben über Familien- und Clanangehörige in XXXX und XXXX u. a. aber auch über Clanangehörige in XXXX .

4. Der Antragsteller ist nach seinen Angaben XXXX Jahre alt, kinderlos und hat in Österreich keine Familienangehörigen. Er ist illegal ins Bundesgebiet eingereist und hält sich nachweislich seit seinem Antrag auf internationalen Schutz am 22.05.2015 im Bundesgebiet auf. Der Antragsteller besuchte in Österreich mehrere Deutschkurse, legte am XXXX die

A2-Prüfung ab und nahm am Werte- und Orientierungskurs teil. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konnte sich der Antragsteller auf Deutsch verständlich machen. Der Antragsteller hat keine Belege über eine ehrenamtliche Tätigkeit oder eine Mitgliedschaft in einem Verein vorgelegt. Er war nie in der Lage seinen Lebensunterhalt in Österreich zu bestreiten und lebt ausschließlich von der Grundversorgung.

5. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Antragstellers wird festgestellt:

Allgemein

In der Bundesrepublik Somalia leben schätzungsweise 15,45 Millionen Menschen (2019, World Population Review [AA Überblick Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019]).

Im Hinblick auf beinahe alle zu beleuchtenden Tatsachen ist Somalia faktisch zweigeteilt:

a) In den Gliedstaaten Süd- und Zentralsomalia, wo auch die Hauptstadt Mogadischu liegt, herrscht in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der vom VN-Sicherheitsrat mandatierten Friedensmission der Afrikanischen Union AMISOM (African Union Mission in Somalia) gegen die radikalislamistische, al-Qaida-affiliierte al-Schabaab-Miliz. Die Gebiete sind nur teilweise unter der Kontrolle der Regierung, wobei zwischen der im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkten Kontrolle der somalischen Bundesregierung und der Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete durch die Regierungen der föderalen Gliedstaaten Somalias, die der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen, unterschieden werden muss. Weite Gebiete stehen aber auch unter der Kontrolle der al-Schabaab-Miliz oder anderer Milizen. Diese anderen Milizen sind entweder entlang von Clan-Linien organisiert oder, im Falle der Ahlu Sunna Wal Jama'a, auf Grundlage einer bestimmten religiösen Ausrichtung. Zumindest den al-Schabaab-Kräften kommen als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu. Der Gliedstaat Puntland State of Somalia, der das Horn von Afrika im engeren Sinne umfasst, hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an und ist einer der fünf offiziellen föderalen Gliedstaaten Somalias, wenngleich mit größerer Autonomie. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden. Al-Schabaab kontrolliert hier keine Gebiete mehr, sondern ist nur noch in wenigen schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten, ebenso wie der somalische Ableger des sog. "Islamischen Staats". Stammesmilizen spielen im Vergleich zum Süden eine untergeordnete Rolle. Allerdings ist die Grenzziehung im Süden sowie im Nordwesten nicht eindeutig, was immer wieder zu kleineren Scharmützeln, im Süden auch zu schwereren gewaltsamen Auseinandersetzungen führt.

b) Das Gebiet der früheren Kolonie Britisch-Somaliland im Nordwesten Somalias hat sich 1991 für unabhängig erklärt, wird aber bisher von keinem Staat anerkannt. Allerdings bemühen sich die Nachbarn in der Region sowie zunehmend weitere Staaten in Anerkennung der bisherigen Stabilisierungs- und Entwicklungsfortschritte um pragmatische Zusammenarbeit. Das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft wurde durch die mehrfache Verschiebung der Parlamentswahlen und schwerwiegende Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit dem Abkommen zum Betrieb des Hafens von Berbera auf die Probe gestellt. Al-Schabaab kontrolliert in Somaliland keine Gebiete. Die Grenze zu Puntland ist allerdings umstritten, hier kam es im Berichtszeitraum zu zum Teil heftigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen "somaliländischen" und somalischen (puntländischen) Truppen.

Grundsätzlich gilt, dass die vorhanden staatlichen Strukturen sehr schwach sind und wesentliche Staatsfunktionen von ihnen nicht ausgeübt werden können. Von einer flächendeckenden effektiven Staatsgewalt kann nicht gesprochen werden (AA 04.03.2019).

Seit 2012 gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 01.08.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten, waren es 2016 über 14.000 Wahlleute. Allgemeine freie Wahlen bleiben das Ziel für 2020/21. Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed, genannt "Farmajo", zum Präsidenten, und im März bestätigte es Hassan Ali Khaire als Premierminister und das neue Kabinett. Die Regierung von Präsident Farmajo verfolgt eine intensive Reformagenda in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Sicherheit. Allerdings stehen mächtige Teile der Clan-Eliten der Regierung und ihrem Reformkurs kritisch gegenüber. Hinzu kommen immer wieder Spannungen in den Beziehungen Mogadischus zu den föderalen Gliedstaaten, die den politischen und wirtschaftlichen Fortschritt des Landes lähmen (AA Innenpolitik Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019).

Die Wahl des relativ unerfahrenen Farmajo als Präsident markiert den vorläufigen Endpunkt eines somalischen Experimentes, das im Oktober 2016 mit der Wahl von erstmalig zwei Parlaments-Kammern begann. Eine allgemeine und freie Wahl ist in dem von Anarchie geprägten Land nach wie vor nicht möglich. Doch die Zahl von 14.024 Wahlmännern ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber früheren Wahlen, als der Sieger unter gerade einmal 135 Clanchefs ausgekungelt wurde. Auch die Gründung föderaler Verwaltungsregionen ist ein wichtiger Schritt. Schließlich konnten die Medien zur Wahl relativ frei agieren und Korruption und Wahlverschiebung anprangern - auch das ein gutes Zeichen (DW 09.02.2017).

Mehr als jeder andere Präsident in Somalias unruhiger Geschichte, trifft Mohamed Abdullahi Mohamed beim Amtsantritt auf eine Welle von Unterstützung, Goodwill und Optimismus. Tausende von jubelnden Menschen gingen am Mittwoch spät auf die Straßen von Mogadischu, nachdem Mohamed, besser bekannt unter dem Spitznamen Farmajo, vom Parlament Somalias in einer Art Erdrutschsieg gewählt wurde. Es kam zu Straßensperren und Freudenschüssen, Unterstützer skandierten Farmajos Namen und Autohupen hießen ihn als neuen Präsidenten willkommen. Ähnliche Feiern brachen in Städten in ganz Somalia aus, sowie in den Städten Garissa und Eastleigh in Kenia; in beiden findet sich eine somalische Mehrheitsbevölkerung. Trotz aller Anzeichen waren die Feierlichkeiten ein Spiegelbild der aufrichtigen öffentlichen Unterstützung für Farmajo. Er ist 55 Jahre alt, besitzt die Somalisch-U.S. amerikanische Doppelstaatsbürgerschaft und war zuvor in der Jahren 2010 und 2011 acht Monate lang Premierminister Somalias (VOA 09.02.2017).

Der Sicherheitsrat begrüßt den Abschluss des Wahlprozesses in Somalia und die Wahl von Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmajo". Der Sicherheitsrat würdigt die Dienste des ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud und lobt den raschen und gütlichen Machtübergang in Somalia. Der Sicherheitsrat begrüßt die seit 2012 in Somalia erzielten politischen und sicherheitsbezogenen Fortschritte und unterstreicht, dass die Dynamik in Richtung auf eine demokratische Regierungsführung in Somalia aufrechterhalten werden muss. Der Sicherheitsrat würdigt die stärkere Teilhabe und Vertretung der Bevölkerung Somalias in dem Wahlprozess (UN Sicherheitsrat 10.02.2017).

Präsident Farmajo war während Sheikh Sharifs Präsidentschaft Premierminister (von Okt 2010 bis Juni 2011) und trat aufgrund politischer Differenzen mit dem Präsidenten und dem Sprecher zurück. Präsident Farmajo hat die somalische sowie die US-Staatsbürgerschaft. Präsident Farmajo ist der erste somalische Präsident des Darood-Clans (Marehan Sub-Clan) seit 2008; hingegen gehören beide Sheikh Sharif und Hassan Sheikh zu den Hawiye (Abgaal Sub-Clan). Präsident Farmajo hat angeblich auch gute Beziehungen zum Militär was einige Kommentatoren als ein viel versprechendes Zeichen für Stabilität sehen (Europäische Kommission Februar 2017).

Seit dem Ende der Übergangsperiode und dem Beginn des New Deal Prozesses 2013 wurde wiederholt der politische Wille zur umfassenden Reform des Staatswesens (Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten, Demokratisierung, Föderalisierung) bekundet. 2016 und 2017 konnten mit der Gründung der Gliedstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus erreicht werden. In den anderen Bereichen ist die Situation nach wie vor mangelhaft. Insbesondere das Verhalten der Sicherheitskräfte, Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems und die Lage im Justizvollzug entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes (AA 04.03.2019).

UN-Generalsekretär Antonio Guterres ernannte am 12.09.2018 mit Wirkung vom 01.10.2018 den Südafrikaner Nicholas "Fink" Haysom zum Sondergesandten für Somalia und Nachfolger von Michael Keating. Haysom ist derzeit Sondergesandter für Sudan und Südsudan. Unter Nelson Mandela diente er als Chefberater für Rechts- und Verfassungsfragen (BAMF 24.09.2018).

Der UN Security Council verlängerte am 27.03.2019 das Mandat der UN-Hilfsmission in Somalia (UNSOM) bis zum 31.03.2020 (BAMF 01.04.2019).

ad a) Somalia

Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen, insbesondere Clan-Strukturen, vergeben. Traditionell benachteiligte Gruppen wie Frauen, Jugendliche, ethnische Minderheiten, LGBTI, Behinderte usw. sehen sich somit nicht oder nicht hinreichend vertreten Im November und Dezember 2016 wurde von über 14.000 Wahlmännern und -frauen ein 275-köpfiges Parlament gewählt. Dieser Prozess ist ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt, da noch bei der letzten "Wahl" die Mitglieder des Parlaments unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden waren. Die Präsidentschaftswahl fand am. 8. Februar 2017 statt, als Gewinner ging der frühere Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmajo" hervor, am 29. März wurde die neue Regierung unter Premierminister Hassan Ali Khayre bestätigt und vereidigt (AA 04.03.2019).

Jubalands Sicherheitsminister Abdirashid Hassan Abdinur (Abdirashid Janan) wurde am 31.08.2019 von der somalischen Bundesregierung (FGS) in Mogadischu verhaftet. Ihm werden verschiedene Verbrechen vorgeworfen, darunter Tötungen, Folter, rechtswidrige Inhaftierungen und die Blockierung der humanitären Hilfe in 2014 und 2015. Amnesty International fordert einen fairen Gerichtsprozess vor einem Zivilgericht. Die Regierung Jubalands nannte die Verhaftung eine "Entführung" und "illegal". Die Verhaftung erfolgt in einer Zeit zunehmender Spannungen zwischen der FGS und der Regionalverwaltung in Jubaland: im August weigerte sich die Bundesregierung, die Ergebnisse der Bundestagswahlen anzuerkennen, die Ahmed Madobe erneut zum Regionalpräsidenten wählten (BAMF 09.09.2019).

(AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Innenpolitik, Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/-/203162

UN Sicherheitsrat, Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats zur Situation in Somalia, 10.02.2017, http://www.un.org/depts/german/sr/sr_17/sp17-03.pdf

DW, Deutsche Welle, Kommentar, Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? 09.02.2017, http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267

VOA, Voice of America, Somalis Optimistic about New President, 09.02.2017,

http://www.voanews.com/a/hopes-high-somalia-s-new-president-will-improve-security/3716301.html

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2019, 04.03.2019

Europäische Kommission, Somalia 2016-2017; limited election process; EU election expert mission; final report; Framework Contract Beneficiaries, LOT 7 Specific Contract N° 2016/377703/1; 13 September 2016 - 16 February 2017, Februar 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1408355/1226_1505130012_eu-eem-somalia-final-report.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 24.09.2018,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1445536/1226_1539002669_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-24-09-2018-deutsch.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 01.04.2019,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2006127/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_01.04.2019_%28deutsch%29.pdf

AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Überblick, Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somalia/203130

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 09.09.2019,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2016900/Deutschland___Bundesamt_für_Migration_und_Flüchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_09.09.2019_%28deutsch%29.pdf)

Parteiensystem

ad a) Somalia

Es gibt keine Parteien im westlichen Sinn. Die politischen Loyalitäten bestimmen sich in erster Linie durch die Clan-Zugehörigkeit oder religiöse Bindung an informelle Gruppierungen. Im September 2016 verabschiedete der Präsident ein Parteiengesetz, das die Grundlage für eine Parteienbildung werden soll. Trotz vorgesehener Mechanismen, die eine breite geografische Repräsentanz in den Parteien sicherstellen sollen, ist nicht ausgeschlossen, dass die Parteienbildung im Wesentlichen anhand von Clan-Zugehörigkeit stattfindet und somit zu einer weiteren Manifestierung des Clan-Systems führt (AA 04.03.2019).

Eine Besonderheit der Politik und Geschichte Somalias liegt in der Bedeutung der Clans. Clans sind auf gemeinsame Herkunft zurückgehende Großfamilienverbände mit einer bis zu siebenstelligen Zahl von Angehörigen. Die Kenntnis der Clanstrukturen und ihrer Bedeutung für die somalische Gesellschaft ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der politischen und historischen Entwicklungen in Somalia. Die übergeordneten Clans in Somalia sind die Hawiye, Darod, Issaq, Dir und der Clanverbund der Digil-Mirifle bzw. Rahanweyn. Aufgrund des jahrzehntelangen Bürgerkriegs ist es nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Issaq und Digil-Mirifle stellen wohl je 20 bis 25 Prozent der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger. Über 95 Prozent aller Somalier fühlen sich einem Sub-Clan zugehörig, der genealogisch zu einem der Clans gehört. Auch diese Sub-Clans teilen sich wiederum in Untereinheiten auf. Die Zugehörigkeit zu einem Clan bzw. Sub-Clan ist ein wichtiges Identifikationsmerkmal und bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA Innenpolitik Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019).

(AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2019, 04.03.2019

AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Innenpolitik, Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/-/203162)

Asharaf/Ashraf

Das Danish Immigration Service (DIS) geht in einem Bericht zu einer Fact-Finding-Mission in Somalia aus dem Jahr 2000 ausführlich auf die Asharaf ein und erwähnt dabei, dass diese in die Gruppen Hussein und Hassan (mit jeweils weiteren Untergruppierungen) unterteilt würden (Accord 06.02.2012; BAMF Juli 2010; Accord 03.07.2012; EASO August 2014).

Dr. Luling weist im Bericht der U.K. Border Agency (UKBA) vom 17.12.2012 ebenso darauf hin, dass die Asharaf in die Gruppen Hassan und Hussein unterteilt werden (Accord 06.02.2012).

Das UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UN OCHA) beschreibt in einer im August 2002 veröffentlichten Studie die Asharaf als arabische Immigranten aus Saudi-Arabien, die ca. 0,5% der Gesamtbevölkerung ausmachen und vor allem in den Küstenstädten Merka, Brava sowie den Regionen Bay und Bakoolin siedeln. Nach Erkenntnissen der Fact Finding Mission 2000, die auf Angaben von Ashraf-Ältesten beruhen, leben die Ashraf in Süd- und Zentralsomalia hauptsächlich in Städten wie Bardera, Kismayo, Baidoa, Jhoddur, Merka, Brava und Mogadischu. In Mogadischu seien sie v. a. im Bezirk Shangani aber auch in Hamar Weyne beheimatet. Ashraf seien auch in Äthiopien (Ogaden, Oromia, Dire Dawa und Harar) beheimatet. Äthiopische Ashraf seien zum Teil zur Zeit des Ogaden-Krieges (1977) nach Somalia gekommen. Ein Teil dieser exilierten Ashraf sei wiederum 1991 -1992 aus Somalia geflohen. Die Ashraf betrachteten sich als Abkömmlinge von Hassan und Hussein. Jeder Ashraf gehöre zu einer dieser beiden Abstammungslinien und jeder weibliche oder männliche Angehörige der Ashraf ab dem Alter von zwei Jahren sei in der Lage sich selbst einer dieser beiden Linien zuordnen (Accord 29.04.2010; BAMF Juli 2010; U.K. Home Office Juni 2017).

Die Asharaf werden häufig als Minderheit kategorisiert. Einer der Gründe dafür, weshalb die Asharaf häufig als Minderheit eingestuft werden, liegt darin, dass sich die Asharaf bei der Errichtung der Vorübergehenden Bundesregierung im Jahr 2004 aus politischen Gründen in die 0,5-Gruppe als Minderheit platzierten, nachdem sie Schwierigkeiten hatten, innerhalb der Rahanweyn-Gruppe voll repräsentiert zu werden. Hier wird in erster Linie auf die Digil-Mirifle-Asharaf Bezug genommen und nicht auf die Benadiri-Asharaf. Weitere Asharaf-Gruppen leben zusammen mit anderen somalischen Clans in verschiedenen Regionen des Landes. Die Asharaf gelten allgemein als religiös bzw. als religiöse Lehrer, die von der Tochter des Propheten Mohammed, Fatima, abstammen. Meist sind sie in die Gruppen, mit denen sie zusammen siedeln (Digil-Mirifle oder Benadiri) integriert und werden normalerweise von diesen wegen ihres besonderen religiösen Status als Nachkommen des Propheten beschützt. Sie werden daher nicht als Minderheit im engeren Sinne angegriffen, doch können sie an denselben Problemen, mit denen ihre ‚Gastgeber'- Clans konfrontiert sind, leiden. So wurden sie in den frühen Bürgerkriegsjahren zusammen mit den Benadiri zum Ziel von Angriffen. Einer der wichtigsten Minister und Verbündeten des früheren Präsident Sheikh Sharif, Sharif Hassan, ist Angehöriger der Asharaf. Der aktuelle Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmajo" war während Sheikh Sharifs Präsidentschaft Premierminister (von Okt 2010 bis Juni 2011). Präsident Farmajo ist der erste somalische Präsident des Darood-Clans (Marehan Sub-Clan) seit 2008; hingegen gehören beide Sheikh Sharif und Hassan Sheikh zu den Hawiye (Abgaal Sub-Clan [Accord 15.05.2009; UN Sicherheitsrat 10.02.2017; Europäische Kommission Februar 2017]).

Professor Dr. Markus Höhne, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie an der Universität Leipzig, schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom 20.02.2015 Asharaf sind immer noch mit eine der schwächsten Gruppen in der Bundesrepublik Somalia. Sie werden sicher nicht mehr systematisch verfolgt. Aber im allgemeinen sozialen, politischen, ökonomischen und militärischen Gefüge des Südens, der immer noch weit von Stabilität und Frieden entfernt ist, sind Asharaf anfällig gegenüber Ausbeutung, Übergriffen, Kriminalität, sexueller Gewalt etc. Sie haben keine Miliz, die sie verteidigt. Die Regierung ist bei weitem nicht stabil genug, die Sicherheit Ihrer Bürger zu garantieren. Und noch immer operieren al-Schabaab und Kriminelle sowie undisziplinierte Soldaten in Teilen Südsomalias. Mein Fazit ist: Mitglieder dieser Gruppe sind einer erhöhten Gefahr ausgesetzt. Diese ist aber eher allgemeiner Natur und dadurch bedingt, dass Asharaf politisch und vor allem militärisch nicht stabil verankert sind (Accord 12.06.2015; Accord 08.01.2018).

Teilweise werden auch die Ashraf und die Sheikal (Sheikash) zu den ethnischen Minderheiten gezählt. In kultureller und sprachlicher Hinsicht sind sie aber schwerer von der somalischen Mehrheitsbevölkerung zu unterscheiden. Stattdessen haben sie einen speziellen religiösen Status (u.a. Durchführung von Riten) und spielen traditionell eine wichtige Rolle bei der Konfliktlösung. Beide Gruppen unterhalten Sheegad-Verhältnisse. Es gibt es verschiedene Arten von Allianzen: Nachbarschaft, Angeschlossene, Anhänger und Vortäuschende (bzw. "Adoption"). Die letztere heißt Sheegad. Diesen Status haben normalerweise anzahlmässig schwache Clans wie z.B. berufsständische Gruppen, da er ihnen erlaubt, gegen außen die Clan- bzw. Abstammungslinie und damit auch den Schutz des alliierten Mehrheitsclans zu übernehmen. Sheegad kann aber auch von Angehörigen eines Mehrheitsclans in Anspruch genommen werden. Der Schutzclan regelt für sie alle externen Angelegenheiten wie beispielsweise die Vereinbarung von Mag/Diya. Im Kontakt mit Fremden, auch im Ausland, identifizieren sich Angehörige von Berufsgruppen häufig nicht als solche, sondern als Mitglieder ihres Schutzclans. Es kommt sogar vor, dass sich der Mehrheitsclan an Mag/Diya-Zahlungen der Geschützten beteiligt. Solche Allianzen bestehen auch heute noch, wenn auch das Ausmaß etwas abgenommen hat. Ausdrücke wie Sheegad oder Gaashaanbuur sind in der somalischen Gesellschaft aber nicht mehr sehr bekannt. Vielmehr sind es simple Allianzen, die eingegangen werden (EJDP bzw. nunmehr SEM 31.05.2017).

(UN Sicherheitsrat, Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats zur Situation in Somalia, 10.02.2017, http://www.un.org/depts/german/sr/sr_17/sp17-03.pdf

EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Süd- und Zentralsomalia Länderüberblick, August 2014, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO-COIreport-Somalia_DE.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Zahl a-8059, 03.07.2012, https://www.ecoi.net/local_link/221187/342651_de.html

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zum Clan der Reer-ow-Xassan (Reer aw Hassan) (Minderheitenclan und Schutz), Zahl a-7879, 06.02.2012,

https://www.ecoi.net/file_upload/response_en_209792.html

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum für Asyl und Migration, Minderheiten in Somalia, Juli 2010, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/683266/693991/697672/697677/6029534/13604856/13565580/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Minderheiten_in_Somalia%2C_Juli_2010.pdf?nodeid=13904432&vernum=-2

Accord, Bericht, Clans in Somalia, Bericht zum Vortrag von Dr. Joakim Gundel beim COI-Workshop in Wien am 15.05.2009, https://www.ecoi.net/file_upload/90_1261131016_accord-bericht-clans-in-somalia-ueberarbeitete-neuausgabe-20091215.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, 1) Lage der Asharaf; Gehören die Asharaf dem Sub-Clan der Hassan und dem Hauptclan der Arab an?

2) Heirat zwischen Angehörigen von Minderheiten und Mehrheitsclanangehörigen; 3) Situation von Frauen (Gefahren für alleinstehende Frauen), Zahl a-7230, 29.04.2010, https://www.ecoi.net/file_upload/response_en_141627.html

Europäische Kommission, Somalia 2016-2017; limited election process; EU election expert mission; final report; Framework Contract Beneficiaries, LOT 7 Specific Contract N° 2016/377703/1; 13 September 2016 - 16 February 2017, Februar 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1408355/1226_1505130012_eu-eem-somalia-final-report.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zur Lage von (weiblichen) Angehörigen der Asharaf (auch: Ashraf) Zahl a-9202-3 (9230), 12.06.2015,

https://www.ecoi.net/local_link/305541/442757_de.html

EJPD, Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, bzw. nunmehr SEM, Staatssekretariat für Migration, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31.05.2017, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf

U.K. Home Office, Country Information and Guidance South and central Somalia, Majority clans and minority groups, Version 2.0 Juni 2017, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/619552/Somalia_CPIN_majority_clans_and_minority_groups_in_south_and_central_Somalia_2_0_June_2017.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zur Behandlung von Angehörigen der Ashraf [auch: Asharaf]; Aktivitäten der al-Schabaab im Gebiet Jubbaland (Gedo, Middle Juba, Lower Juba), Zahl a-10438, 08.01.2018,

https://www.ecoi.net/de/dokument/1423102.html)

Frauen

Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die gesellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist. Somalische Frauen sind grundsätzlich keine "grauen Mäuschen", doch sind sie Männern, vor allem nahen männlichen Verwandten oder dem Ehemann, gegenüber in der Regel hörig. Offener Widerstand kann leicht mit physischer Gewalt (vor allem im Haus) beantwortet werden. Für den eigenen Schutz ist die Frau auf die eigenen Verwandten (in väterlicher Linie) angewiesen. Wenn sie diesen nicht genießt bzw. die Verwandtschaftsgruppe der Frau schwach ist, hat die Frau wenig Chancen, eigene Wünsche oder Rechte gegen Männer durchzusetzen, die sich ihrer bemächtigen wollen, da somalische Männer es de facto gewohnt sind, ihre Macht gegenüber Frauen auszuführen. Somalische Frauen werden tendenziell als "Beute" gesehen. Für Al-Schabaab kann es vielleicht leichter sein, diese Macht effektiver auszuführen, aber die Unterdrückung der Frau ist eine generelle Attitüde in Somalia. Frauen werden in der somalischen Gesellschaft, in der Politik und in den Rechtssystemen systematisch Männern untergeordnet. Sie genießen nicht die gleichen Rechte wie Männer und werden systematisch benachteiligt. Frauen leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik und Unterbringung. Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden. Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen. Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland (Professor Dr. Höhne 26.01.2018; BFA 17.09.2019).

(Professor Dr. Markus Virgil Höhne, promovierter Ethnologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie Universität Leipzig, Autor vieler Publikationen zur Bundesrepublik Somalia und zum Horn von Afrika, Fragebeantwortung im Rahmen eines Vortrages bzw. eines Seminars für Richter des Bundesverwaltungsgerichts zur Bundesrepublik Somalia am 26.01.2018; markus.hoehne@uni-leipzig.de

BFA, Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt zu Somalia 17.09.2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016944/SOMA_LIB_2019_09_17_KE.pdf)

"Mischehen"

Alle dazu befragten Gesprächspartner der Fact-Finding Mission waren sich darin einig, dass Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies stimmt auch mit den Angaben in der Literatur überein. Dabei richtet sich dieses Tabu ausschließlich gegen diese Art von Minderheiten. In der traditionell exogamen somalischen Gesellschaft ist dies ein Nachteil, da es den Minderheitenclans verunmöglicht, Allianzen auf Augenhöhe zu schließen und Netzwerke aufzubauen. Als besonders problematisch wird es angesehen, wenn eine Mehrheits-Frau einen Minderheiten-Mann heiratet, da dann ihre Kinder der Minderheit angehören werden. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch, da die Kinder eines Mehrheiten-Mannes trotz einer Minderheiten-Mutter dem Mehrheitsclan angehören. Der Druck auf Mischehen ist insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt, während er in den Städten etwas abgenommen haben dürfte. Eine Quelle der Fact-Finding Mission gab gar an, dass eine Mischehe in kosmopolitischen Städten wie Mogadischu oder Kismayo "keine große Sache" sei. Mischehen zwischen Mehrheitsclans und berufsständischen Gruppen kommen nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Gesprächspartner der Fact-Finding Mission "sehr, sehr selten" vor - insbesondere zwischen Mehrheits-Frauen und Minderheits-Männern. Es bestehen offenbar regionale Unterschiede. Im clanmässig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums ist den Mehrheitsclans tendenziell die "Reinheit" des Clans wichtiger als im stark durchmischten Süden. Deshalb sind Mischehen im Norden seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. In Somaliland lehnen die Clanfamilien Isaaq und Darod Mischehen vehement ab, während sie die Dir eher akzeptieren. Eine Quelle der Fact-Finding Mission gab an, dass auch die Hawiye und die Rahanweyn die Frage der Mischehe weniger eng sehen würden als die Isaaq. Eine weitere Quelle gab an, dass Hawiye in einer Ehe zwischen einem Hawiye-Mann und einer Minderheiten-Frau tendenziell kein großes Problem sehen. Einige wenige Mischehen sind auch in Jijiga in Äthiopien bekannt. Probleme können vor der eigentlichen Eheschließung beginnen. In der somalischen Gesellschaft müssen Heiratswillige bei ihren Familien einige traditionelle Verfahren absolvieren, bevor die Familien ihr Einverständnis zur Ehe geben. Wenn jemand eine Person aus einer Minderheit heiraten möchte, gelingt dies in aller Regel nicht und die Betroffenen akzeptieren das Verdikt. Selbst bei Heiraten unter Mehrheitsclans kommt es vor, dass die Familie das Einverständnis zur Heirat nicht gibt. In diesem Fall reisen die Betroffenen manchmal die Distanz von drei Tagesreisen per Kamel von ihrem Wohnort weg, wo sie nach Ansicht moderater SufiKleriker auch ohne Einverständnis ihrer Eltern heiraten dürfen. Die im islamischen Recht erforderliche Funktion des Vormunds der Braut nehmen dann drei Zeugen anstelle des Vaters der Braut ein. Auf Englisch heißen diese Heiraten als runaway marriages, auf Somalisch gubdo sireed. Nach der Rückkehr an den Wohnort akzeptieren die Familien solche Heiraten in vielen, aber nicht allen Fällen. Heiraten werden von religiösen Sheikhs gemäß islamischem Recht geschlossen. Es kommt vor, dass Sheikhs von Mehrheitsclans das Schließen von Mischehen verweigern. Bei den Sheikhs der Minderheiten ist dies hingegen nicht der Fall. Kommt eine Mischehe zustande, kommt es gemäß den befragten Gesprächspartnern der Fact-Finding Mission häufig vor, dass die Familienangehörigen auf der Seite des Mehrheitsclans die betroffene Person verstoßen: Sie besuchen sie nicht mehr, kümmern sich nicht um ihre Kinder oder brechen den Kontakt gar ganz ab. Die Gesprächspartner der Fact-Finding Mission bekräftigten aber, dass es unter solchen Umständen so gut wie nie zu Gewalt oder gar Tötungen kommt. Gesprächspartner der Fact-Finding Mission in Somaliland nannten die jeweils gleichen Vorfälle, in denen es im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam (SEM 31.05.2017).

Bis vor Kurzem waren "Mischehen" nicht üblich, weil Minderheiten Benachteiligungen durch die Majoritätengruppen fürchten. Außerdem würden Frauen aus ihren eigenen Familien ausgestoßen, wenn sie unter ihrem Status heiraten würden. Repressalien in Form von Gewaltakten und Morddrohungen gegen die Familie des Mannes eines unteren Clans sind aber jedenfalls nicht üblich. Fälle in denen Paare, gegen den Willen ihrer Familie und gegen die gesellschaftlichen Konventionen "Mischehen" eingehen und von Zuhause weglaufen sind sehr selten und liegt die Wahrscheinlichkeit solcher Situationen im Promillebereich. Insbesondere im Norden sind solche Fälle sehr selten. In Mogadischu sind die Grenzen zwischen den Clans durchlässiger (Professor Dr. Höhne, 26.01.2018).

In Mogadischu leben Vertreter der meisten Clans und Minderheiten. In Mogadischu kommen Menschen, über Clangrenzen hinweg, zu Arbeits-und Bildungszwecken und im sozialen Umfeld zusammen sowie um zu heiraten. Einige Gruppen von Minderheiten haben eine gut etablierte Gemeinschaft in Mogadischu, und einige haben in den letzten Jahren ihre Geschäfte und Existenzen wiederaufgebaut. Es gibt keine Aufzeichnungen über die Clan- oder Gruppenzugehörigkeit der Einwohner von Mogadischu, aber nach Angaben lokaler Auskunftspersonen sind "die meisten" Clans in der Stadt vertreten ... Außerdem sind Somalias Regierung und Parlament, in dem alle vier großen Clans in Südsomalia (Darod, Dir, Hawiye und Rahanweyne/Digil) sowie Minderheiten repräsentiert sind (siehe zum Beispiel UNSOM 2016), in Mogadischu vertreten. Obwohl Mogadischus Bevölkerung

weitgehend nach Clan-Zugehörigkeit ... und ihre Loyalität in erster

Linie beim eigenen Clan liegt, ist wichtig zu betonen, dass die Menschen in Bezug auf Arbeit, Handel, Schulbildung und andere soziale Rahmenbedingungen über die Clangrenzen hinweg zusammenkommen. Auch Leute aus verschiedenen Clans heiraten (U.K. Jänner 2019).

Die Herkunftsländerinformationsstelle der finnischen Einwanderungsbehörde (Finnish Immigration Service) besuchte im Rahmen einer Fact-Finding Mission im Jänner 2018 Mogadishu und Nairobi. Im daraus entstandenen Fact-Finding-Mission-Bericht wird erläutert, dass Eheschließungen von zwei Personen, von denen eine einem mächtigen und die andere einem verachteten (despised) Minderheitenclan angehöre, selten seien. Vor allem in ländlichen Gebieten könne es in solchen Fällen dazu kommen, dass eine Tochter oder ein Sohn, der/die eine Person aus einer Minderheit heirate, von der Familie verstoßen werde. Nichtsdestotrotz fänden solche Eheschließungen statt und seien zumindest in Mogadischu, wo alle Clans repräsentiert seien, möglich. Das sei auch der Ort, an den ein Paar, das gegen den Willen der Eltern geheiratet hat, übersiedeln könne. Eine gemischte Ehe wäre für eine Weile Gesprächsstoff, würde aber früher oder später akzeptiert werden (Accord 20.09.2019).

(U.K. Home Office, Country Policy and Information Note Somalia, Majority clans and minority groups in south and central Somalia, Version 3.0 Jänner 2019,

https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/773526/Somalia_-_Clans_-_CPIN_V3.0e.pdf

(SEM, EJPD, Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, bzw. nunmehr SEM, Staatssekretariat für Migration, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31.05.2017, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf

Markus Virgil Höhne, promovierter Ethnologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie Universität Leipzig, Autor vieler Publikationen zur Bundesrepublik Somalia und zum Horn von Afrika, Fragebeantwortung im Rahmen eines Vortrages bzw. Seminars für Richter des Bundesverwaltungsgerichts zur Bundesrepublik Somalia am 26.01.2018; markus.hoehne@uni-leipzig.de

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zu Mischehen zwischen Tumaal und Ashraf, Zahl a-11095, 20.09.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2016781.html)

Sicherheitslage

Der Alltag der Menschen vor allem im Süden und in der Mitte Somalias bleibt von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und den sie unterstützenden internationalen Kräften (AMISOM) einerseits und der radikalislamistischen Terrorgruppe

al-Schabaab andererseits geprägt. Mit Waffengewalt ausgetragene Streitigkeiten zwischen rivalisieren Clans oder Sub-Clans kommen hinzu. In den Regionen Puntland und "Somaliland" ist die Lage insgesamt stabiler. In den zwischen Puntland und "Somaliland" umstrittenen Grenzregionen (Regionen Sool und Sanaag sowie im östlichen Teil der Region Togdheer) kam es in jüngerer Zeit wieder verstärkt zu bewaffneten Auseinandersetzungen, insbesondere um den umstrittenen Ort Tukaraq. Spannungen und gelegentliche bewaffnete Zusammenstöße gibt es auch in der Stadt Galkayo an der Südgrenze Puntlands mit Galmudug, die Lage hat sich aber seit der Durchführung gemeinsamer Polizeipatrouillen stark verbessert (AA Innenpolitik Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019).

Für westliche Staatsangehörige besteht in ganz Somalia (dies gilt auch für Somaliland und Puntland) ein sehr hohes Entführungsrisiko, ausländische Staatsangehörige werden auch immer wieder Opfer von Mordanschlägen. Außerordentlich gefährlich ist die Lage in Zentral- und Südsomalia, einschließlich des Großraums Mogadischu, wobei jedoch auch in den anderen Landesteilen wie Puntland (Nordosten) und Somaliland (Norden) mit extremer Unsicherheit, Entführungen sowie Terror- und Selbstmordanschlägen gerechnet werden muss. Im ganzen Land besteht die Gefahr von nicht explodierten Minen und Bomben. Sehr hohe Kriminalität (BMEIA Stand 01.10.2019 abgefragt 08.01.2020).

Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat. Gleichwohl gibt es keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden "Somaliland" (Regionen Awdaal, Wooqoi Galbeed, Toghdeer, Sool, Sanaag) im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al-Schabaab-Miliz in Frage gestellt (AA 04.03.2019).

Sicherheitskräfte führten im Juli 2019 mit Unterstützung der USA weiterhin Einsätze gegen die al-Schabaab durch. Bei unbestätigten Luftangriffen wurden am 11.07.2019 Berichten zufolge Dutzende al-Schabaab-Kämpfer in Jilib getötet. Unbekannte Bewaffnete hätten im Norden des Landes das Feuer auf ein Fahrzeug in Galkayo in Puntland eröffnet. Mindestens fünf Zivilisten wurden getötet. Bei einem US-Luftangriff am 27.07.2019 wurde ein Mitglied des Islamischen Staates in Somalia (ISIS) getötet. Streitkräfte Somalilands stießen am 10.07.2019 nahe Dhoob in der Region Sanaag mit Kräften von Colonel Arre zusammen, der 2018 von Somaliland nach Puntland übergelaufen war. Vier Soldaten wurden getötet. Bei weiteren Zusammenstößen in der Ortschaft Karin wurden Berichten zufolge zwei somaliländische Soldaten getötet. In der Region Gedo töteten Sicherheitskräfte zwischen 03. und 09.06.2019 fünf al-Schabaab-Kämpfer. Bei Angriffen der al-Schabaab auf kenianische Soldaten am 24.06.2019 wurden in Burgavo in Lower Juba neun al-Schabab-Kämpfer getötet. In der Region Bay wurden bei Zusammenstößen nahe Bur Eyle am 22.06.2019 elf Soldaten und fünf Kämpfer getötet. In der Region Lower Shabelle wurde bei einem Angriff der al-Schabaab auf einen Militärstützpunkt in Bulo Marer am 27.06.2019 drei Kämpfer und zwei Soldaten getötet, in Jamame wurden zudem mindestens acht Kämpfer getötet. Am 11.06.2019 nahmen die Streitkräfte Puntlands den Militärstützpunkt in Af-Urur kampflos ein, nachdem dieser zuvor, am 08.06.2019, von der al-Schabaab eingenommen worden war. Am 14. Juni 2019 kam es in der Region Sanaag zu Zusammenstößen zwischen Streitkräften Puntlands und Somalilands. Es wurden keine Toten oder Verletzten berichtet. Zwischen 04. und 25.06.2019 wurden laut US-Angaben sechs ISIS-Mitglieder und vier al-Schabaab-Kämpfer bei US-Luftangriffen getötet (Accord Sicherheitslage 04.12.2019).

Entwicklung von Konfliktvorfällen in der Bundesrepublik Somalia vom Juni 2017 bis Juni 2019:

Bild kann nicht dargestellt werden

(Accord 19.12.2019).

Im ersten Halbjahr 2019 kam es zu folgenden Konfliktvorfällen:

XXXX(Accord Sicherheitslage 04.12.2019).

ad a) Somalia

In vielen Gebieten der Gliedstaaten Somalias und der Bundeshauptstadt Mogadischu herrscht Bürgerkrieg. In den von al-Schabaab befreiten Gebieten kommt es weiterhin zu Terroranschlägen durch diese islamistische Miliz. Am 14. Oktober 2017 kam es zu einem der verheerendsten Anschläge der Geschichte Somalias mit über 500 Todesopfern und zahlreichen Verletzten. Ein LKW brachte eine Sprengladung in einer belebten Kreuzung in Mogadischu zur Detonation. Die Al-Schabaab Miliz wird hinter dem Anschlag vermutet, hat sich jedoch nicht offiziell dazu bekannt Seitdem hat es wiederholt Anschläge im Stadtgebiet von Mogadischu mit bis zu 40 Todesopfern gegeben (AA 04.03.2019).

Eine Woche nachdem Addirahman Omar Osman, der Bürgermeister Mogadischus, am 24.07.2019 Opfer eines Selbstmordanschlags geworden war, erlag er am 01.08.2019 seinen Verletzungen, mindestens sechs weiter Personen wurden bei dem Anschlag getötet (BBC 01.08.2019).

In der vergangenen Woche wurde über mehrere Luftangriffe des US AFRICOM berichtet: Am 27.07.2019 wurde bei einem Angriff in den Golis-Bergen in Nordsomalia ein Kämpfer des Islamic State in Somalia (ISS) getötet; am 29.07.2019 wurden Stellungen der al-Schabaab in den Städten Jamame (Region Lower Jubba) und Buale (Region Middle Juba) angegriffen; am 01.08.2019 soll es erneut in Jamame sowie in der Stadt Jilib (Region Middle Jubba) zu Angriffen gekommen sein. Al-Schabaab nahe Medien haben die Luftangriffe in Jilib, Buale und Jamame im Juli bestritten. Von US AFRICOM wurde nur der Luftangriff vom 27.07.2019 bestätigt (BAMF 05.08.2019).

Truppen der Somalia National Army (SNA) und der AMISOM haben Berichten zufolge am 25.08.2019 die Stadt Burweyn in der Region Hiraan von al-Schabaab übernommen. Am gleichen Tag sollen 18 al-Schabaab-Kämpfer in Sablale, Region Lower Shabelle von Soldaten der SNA getötet worden sein (BAMF 02.09.2019).

Somalische Spezialeinheiten, die von Flugzeugen unterstützt wurden, führten am 04.09.2019 Operationen gegen al-Schabaab-Trainingslager in den Regionen Middle Juba und Lower Shabelle durch. Berichten zufolge wurden zwei al-Schabaab-Kommandanten getötet. Am 03.09.2019 soll bei einem Luftangriff der US-AFRICOM ein al-Schabaab-Kämpfer im Gebiet Jilib, Region Middle Juba, ums Leben gekommen sein (BAMF 09.09.2019).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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